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Hinaus in die Ferne

»Was ist das Leben? Ein Rennwagen! Man sitzt darin, sieht viel Schönes und leider auch viel Häßliches, alles geht rasch vorüber, schließlich ist man am Ziel, und dann ist das Leben aus!«

So philosophierte die siebzehnjährige Hedi Sandler. Wie die Jahre dahin gegangen waren! Sie konnte sich noch genau an die Zeit erinnern, da sie als sechsjähriges Mädchen in die Rahnsburger Schule, zu Fräulein Caspari, gekommen war. Das liebe, kleine Rahnsburg, die liebe Försterei Birkenhain, in der die Eltern schon so viele Jahre wohnten! Welch glückliche Kindheit lag hinter ihr! Welch frohe Stunden verlebte sie dort mit den Eltern und Geschwistern! Als Hedi zehn Jahre alt geworden war, kam sie nach Rotenburg in die höhere Schule. Auch daran konnte sich das Försterkind noch genau erinnern. Bei Tante Grete, der Schwester des lieben Oberförsters Gregor, war sie in Pension gewesen, und manch toller Streich war dort ausgedacht und ausgeführt worden. – »Pucki« nannte man sie daheim, »Pucki« hieß sie auch in der Schule, und in ihrer Backfischzeit sprach man von dem »Puck«, der immer der erste bei losen Streichen war. Und jetzt? – –

Dreiviertel Jahre war es her, daß ihr Freund, Doktor Claus Gregor, der älteste Sohn des Oberförsters, nach Santa Catharina als Arzt an das deutsche Krankenhaus gegangen war. Der Abschied war ihr nicht leicht geworden. Ernste, mahnende Worte hatte Claus zu ihr gesprochen.

»Wie werde ich dich wiederfinden, wenn ich in zwei Jahren aus Brasilien zurückkehre? Wird der schlimme Puck noch in dir stecken?«

Damals schwur sie sich, ein tüchtiges Mädchen zu werden; damals tauchte zum erstenmal der Gedanke in ihr auf, einen Beruf zu ergreifen, etwas zu werden, damit Eltern und Geschwister und auch Claus Gregor stolz auf sie sein konnten. Noch galt es freilich, ein Jahr auf der Schule zu bleiben, denn ohne die mittlere Reife war es schwer, einen Beruf zu finden, der ihr zusagte. Aber ein Jahr ging schnell dahin. Nur noch drei Monate verblieben ihr, bis sie das Rotenburger Gymnasium mit der Versetzung nach Obersekunda verließ, um den ersten Schritt ins Leben zu wagen.

Hedi Sandler strich mit der Hand über die Stirn. Es war doch ein schwerwiegender Entschluß, dieser erste Schritt ins Leben! Was brachte ihr die Zukunft? – Welchen Beruf sollte sie ergreifen? – Sie war sich darüber noch nicht klar. Sie faßte Pläne, die sie bald wieder verwarf. Sie glaubte, daß ihr die Eltern oder der Oberförster Gregor zum bevorstehenden Weihnachtsfest raten würden. Sie hatte gehofft, endlich das Richtige zu finden. Aber die kluge Mutter meinte, jeder müsse selbst wissen, zu welchem Beruf es ihn triebe.

»Überlege gut und reiflich, mein liebes Kind«, sagte der Vater. »Der Beruf ist keine Spielerei. Man muß seinen Beruf lieben, sonst kommt man nicht vorwärts und findet darin keine Befriedigung.«

Nur noch drei Monate, dann verließ sie die Rotenburger Schule. Die Weihnachtsferien waren daher nicht wie sonst mit Spiel und Jubel ausgefüllt. Pucki saß oft bei den Eltern und sprach mit ihnen, um sich klar darüber zu werden, was sie als Lebensberuf wählen sollte.

Krankenschwester werden? – Claus war Arzt, er hatte ihr viel Schönes von den Schwestern erzählt, die mit größter Liebe pflegten. Zur Krankenpflege gehörte viel Geduld, und damit war es bei Pucki leider nicht gut bestellt. – Lehrerin? O nein, dann hätte sie das Schiller-Gymnasium weiter besuchen müssen. Sie war mit den Eltern einer Meinung, daß für sie die mittlere Reife genüge. Ihr standen ja auch so viele Berufe offen! – Kindergärtnerin? Kindergärtnerin war gewiß etwas Schönes. – Photographin? Auch sehr interessant! – Oder etwa eine Tätigkeit im kaufmännischen Beruf? Ach nein, da mußte sie von früh bis spät in einem verstaubten Büro sitzen. – Aber Gärtnerin oder ländliche Haushaltpflegerin oder gar Lehrerin an einer landwirtschaftlichen Haushaltschule, das wäre schon eher etwas. Das waren Berufe, da konnte sie tagsüber in Gottes freier Natur werken und schaffen.

»Oh, für solch einen Beruf hatte ich Lust und Neigung!«

Schnell näherten sich die Weihnachtsferien ihrem Ende. Pucki hatte noch immer keinen festen Entschluß gefaßt. Der Vater drängte zur Entscheidung.

»Wir wollen dich zum April irgendwo anmelden, Pucki, denn es hat keinen Zweck, daß du die Monate im Elternhause vertrödelst. Entscheide dich endlich.«

»Ich will in Rotenburg mit meinen Freundinnen sprechen. Wenn ich an einem der nächsten Sonntage zurückkomme, werde ich wissen, was ich werden will.«

Aber Pucki wußte es nicht. Sie hatte ein leises Bangen, wenn sie daran dachte, daß nun neue Jahre des Lernens beginnen sollten. Und dieses Lernen würde noch eifriger und gewissenhafter zu betreiben sein als bisher.

Förster Sandler und seine Frau erkannten gar bald, daß ihre siebzehnjährige Tochter noch nicht reif genug war, um solch einen schwerwiegenden Entschluß zu fassen.

»Daheim soll Pucki nicht bleiben«, sagte Frau Sandler zu ihrem Mann, »Hedi muß hinaus in die Fremde. Es wird ihr gut tun, unter anderen Menschen zu leben. Ich würde vorschlagen, daß wir Pucki für ein Jahr als Haustochter in eine Familie geben, in der sie erst einmal lernt, was es heißt, Pflichten zu erfüllen und zu gehorchen. Pucki wird in diesem einen Jahr viel hinzulernen und sich dann für einen Beruf entschieden haben.«

Förster Sandler war derselben Meinung. Wenn Pucki bis heute noch nicht wußte, was sie werden sollte, war es das Richtigste, ihr zum Überlegen noch eine Spanne Zeit zu lassen. Ein Jahr in einer Familie, in der es für Pucki allerlei Hausarbeit gab, würde gut und dienlich sein.

Als Pucki an einem der nächsten Sonntage wieder einmal von Rotenburg nach Birkenhain kam, machte ihr die Mutter den Vorschlag, eine Stelle in einer Familie anzunehmen, in der sie sich in der Hauswirtschaft ein wenig weiterbilden könnte.

»Ja, Mutti, das ist das Richtige! Ich bekomme einen Einblick ins Leben und werde sehen, ob ich mich für den Beruf einer Kindergärtnerin eigne. Vielleicht werde ich auch Köchin oder lerne sonst etwas. Ich werde schon im Leben zurechtkommen.«

»Denke es dir nicht zu leicht, mein Kind. Ein ganz neuer Abschnitt beginnt für dich. Dieser erste Schritt ins Leben stellt gar manche Anforderungen an dich. Gerade du, mein liebes Kind, wirst öfter die Zähne fest zusammenbeißen müssen. Mag die Stelle, die du antreten willst, noch so gut sein, du wirst trotzdem bald empfinden, daß fremdes Brot nicht so süß schmeckt wie das am Tisch im Elternhaus.«

Pucki streichelte die Wangen der Mutter.

»Gewiß, Mutti, ich habe es herrlich bei euch, bessere Eltern kann kein Kind haben! Aber es ist doch sehr schön und verlockend, für alles, was man tut, selbst die Verantwortung tragen zu dürfen. Manchmal war es ein wenig drückend, wenn Tante Grete sagte: Dies darfst du nicht, jenes darfst du nicht, das verbiete ich dir und so fort. Wenn ich erst bei anderen Leuten bin, so bin ich mein eigener Herr; wenn ich meine Pflichten erfülle, dann wird niemand ein Verbot aussprechen.«

»Mein liebes Mädchen, ich will dir gewiß nicht bange machen, aber du siehst alles falsch. Darum ist es gut, wenn du einmal in fremde Umgebung kommst. Ich hoffe, daß du brav und tapfer aushältst, auch wenn dir etwas nicht zusagt.«

So wurde an diesem Tage der Plan gefaßt, in den nächsten Wochen eine Anzeige aufzugeben und für Hedi eine Stelle in einem größeren Haushalt zu suchen, in dem sie sich betätigen könnte.

Pucki war voller Erwartung. Und als der März kam, als sie wieder nach Hause fuhr, hielt sie die drei Angebote, die auf die Anzeige eingelaufen waren, in ihren Händen.

Jubelnd schwenkte sie die Briefe! »Mutti, gleich drei Familien wollen mich haben, aber eine bekommt mich nur. Nun heißt es wählen. – Mutti, darf ich selbst die Entscheidung treffen?«

»Wir wollen zuvor alles genau prüfen, mein Kind.«

Es gab nichts Wichtigeres für Pucki, als die drei Briefe zu studieren. Ein Arzt schrieb aus Berlin, der eine Haushaltungshilfe brauchte. Er bot ein Taschengeld von monatlich fünfundzwanzig Mark.

»Herrlich, – ich gehe zu Doktor Heidenstamm – – aber – – Berlin – – Oh, das ist eine furchtbar große Stadt. Auf den Straßen stehen wenig Bäume, da ist kein Wald – – Nein, Berlin ist nichts für mich! Aber fünfundzwanzig Mark – und ein Arzt. Claus ist auch Arzt.«

»Lies noch die beiden anderen Angebote.«

Das zweite Schreiben kam von einem Gut. Frau Lohr brauchte eine Helferin, die sich auch um das Geflügel kümmerte. Sie hatte vier Kinder, und das junge Mädchen sollte auch eine gelähmte ältere Dame betreuen.

»Ein Gut ist etwas Schönes! – Hühner habe ich gern; vier Kinder sind auch nett, aber – eine gelähmte alte Frau möchte ich nicht betreuen. Ich glaube, da ist Berlin besser. Es könnte doch sein, daß der Arzt einen großen Garten hat. Man müßte einmal anfragen.«

Wortlos schob Frau Sandler der Tochter das dritte Schreiben zu.

»Aus Eisenach!« rief Pucki begeistert. »Ich sehe die Wartburg vor mir, den herrlichen Thüringer Wald! – Mutti, ich gehe nach Eisenach!«

»Lies doch erst!«

Hier handelte es sich um die Stelle bei dem Kunsttischler Wallner. Frau Wallner schrieb, daß das Unternehmen ihres Mannes bedeutend sei. Er beschäftige etwa dreißig Leute. Sie betätige sich zeitweilig im Kontor und brauche für ihre drei Kinder von acht, sechs und vier Jahren ein junges Mädchen, denn dem Großvater sei der Trubel der Kinder zu groß. Die Kinder müßten in Ordnung gehalten werden. Christa gehe bereits zur Schule, Max komme Ostern hinein, und Moritz, der jüngste, wäre voll und ganz zu beaufsichtigen. Ein Taschengeld von zwanzig Mark sollte gezahlt werden.

»Mutti, diese Stelle ist wie für mich geschaffen! Eisenach, drei Kinder, ein geschäftliches Unternehmen, einfach herrlich! Dazu ein lieber, alter Großpapa, der sicher immer lustig ist. Wir gehen dann gemeinsam nach der Wartburg. Ich erzähle den Kindern die Geschichten von der Landgräfin Elisabeth. – Thüringen ist überhaupt ein Paradies! Mutti, die Würfel sind gefallen, ich gehe nach Eisenach.«

»Zunächst dürfte noch mancherlei zu fragen sein, mein Kind.«

»Ach nein, Mutti, ich fühle, daß diese Stelle die rechte ist. – Zwanzig Mark monatlich! Ich bekomme im Hause alles, was ich brauche. In einem Jahr habe ich mir also zweihundertvierzig Mark gespart. Oh, es wird wundervoll sein! Vielleicht bekomme ich zu Weihnachten und zum Geburtstag noch ein Geldgeschenk, so daß ich auf dreihundert Mark komme. Dafür mache ich dann die langersehnte Reise nach Italien, kann Rom sehen und zu den Ruinen gehen. Mutti, ich habe erst kürzlich gelesen, daß man mit dreihundert Mark auch den Vesuv sehen kann. Rom, Neapel, Venedig! – Mutti, ich darf doch fahren?«

»Aber Pucki, – du bist noch nicht einmal in Eisenach, hast noch nicht die ersten zwanzig Mark verdient und reist schon nach Rom. Du wirst bald sehen, daß man so manche Ausgaben hat – –«

»Nein, Mutti, Frau Wallner schreibt hier, ich habe alles frei. Ich spare bestimmt – na, sagen wir – – achtzehn Mark im Monat.«

»Soll ich an Frau Wallner schreiben?«

»Ja! – Ich komme am ersten April – – Ach nein, Ostern möchte ich noch im Elternhause verbringen. Schreibe ihr, daß ich gleich nach Ostern kommen werde und schicke mein bestes Bild mit, damit sie mich kennenlernen.«

Sehr zufrieden reiste Pucki zurück nach Rotenburg. Die Mutter sandte ihr schon wenige Tage später ein Schreiben aus Eisenach, in dem Frau Wallner alles Nähere über die Stelle mitteilte. Puckis Aufgaben beständen darin, das Kinderzimmer und die Sachen der drei Kinder in Ordnung zu halten. Außerdem hätte sie mit Christa und Max die Schulaufgaben zu erledigen und mit dem kleinen Moritz spazierenzugehen. Vor allem jedoch müsse sie sich mit Herrn Wallner, dem Vater des Kunsttischlers, gut stellen, der im Hause lebe und, das wolle sie nicht verhehlen, ein wenig schwierig zu behandeln sei.

Pucki lachte übermütig. »Mit alten Herren verstehe ich glänzend umzugehen, sie mögen mich immer gern leiden. Ich habe ja Beweise: Onkel Oberförster, der Schmanzbauer und andere! Mit dem Großpapa werde ich bestimmt gut fertig.«

Daß sie das Kinderzimmer und die Sachen der drei Kinder in Ordnung halten mußte, war schon bedenklicher. Hedi räumte nicht gern auf, und Strümpfe stopfen war gar nicht ihre starke Seite. Da aber zwei Mädchen im Hause waren, würde es sich wohl einrichten lassen, daß eine beim Aufräumen half.

Pucki prahlte vor ihren Pensionsgenossinnen mit der Stelle, die sie annehmen würde.

»Ich bekomme ein fabelhaft großes Taschengeld, das ich mir glatt einstecken kann, denn alles wird für mich bezahlt. Ich gehe mit den Kindern spazieren, wir fahren wohl auch mitunter spazieren, denn Wallners haben sogar zwei Autos.«

Daß der eine Wagen ein Lieferauto war, verschwieg Pucki.

»Kinder, – Eisenach! Diese Stadt ist ein Paradies! Ich habe mir einen Prospekt schicken lassen. Ich glaube, es ist die schönste Stadt Deutschlands und eine berühmte Stadt dazu! Wir werden auf die Wartburg in die Sängerhalle gehen, werden uns alles genau ansehen. Ich schicke euch Ansichtskarten.«

Pucki wußte ihre Stelle in solch leuchtenden Farben zu malen, daß ihre Mitpensionärinnen, Carmen und Melitta, ein wenig neidisch wurden.

»Du hast immer Glück«, sagte Melitta. »Ich besuche dich einmal. Du wirst dort sicherlich Gesellschaften mitmachen, wirst einen netten Thüringer kennenlernen und vielleicht heiraten. In Eisenach gibt es reizende Villen. Ich bin schon einmal dort gewesen. Wenn du dich in Eisenach verheiratest, mußt du dir eine der Villen kaufen, die auf dem Wege zur Wartburg liegen.«

»Natürlich mache ich das«, sagte Pucki. »Doch erst fahre ich im nächsten Jahr nach Italien. Ich spare mir selber das Geld für diese Reise zusammen.« –

Frau Wallner verlangte einen selbstgeschriebenen Brief von Pucki. Noch war das letzte Wort nicht gesprochen worden, noch konnten beide Teile zurücktreten. Frau Wallner schrieb, sie erwarte von Fräulein Sandler eine schnelle Antwort, da sie noch ein anderes Angebot hätte. So schrieb Pucki denn sofort, daß sie sich sehr auf diese Stelle freue. Sie habe Kinder sehr gern, arbeite mit Begeisterung, und ältere Herren verstehe sie trefflich zu unterhalten. Sie habe auch sonst noch einige Talente, könne etwas Laute spielen, spreche ein wenig Französisch und Englisch und sei besonders in Literatur bewandert. Auch mit der Geschichte Eisenachs habe sie sich bereits eingehend befaßt, so daß ihr die neue Umgebung nicht mehr ganz fremd sei.

Unruhevoll erwartete sie eine Antwort. Sie kam:

»Am Sonnabend vor Ostern müssen Sie spätestens bei mir eintreffen, denn gerade in den Osterfeiertagen, an denen eines der Mädchen beurlaubt ist, gibt es viel Arbeit.«

Pucki blickte sehr lange auf das Briefblatt nieder. In den Feiertagen ruhte im Elternhaus jede unnötige Arbeit, denn Feiertage waren zum Feiern da. Man konnte doch unmöglich die neu angekommene Kraft sogleich mit Feiertagsarbeit überschütten.

»Wenn Frau Wallner wünscht, daß du schon vor Ostern antrittst, wirst du es tun müssen«, sagte die Mutter, die Pucki in Rotenburg besuchte.

»Ich wollte doch noch die Osterfeiertage mit euch verleben.«

»Die Schulzeit ist vorüber, mein Kind, ich sagte dir schon einmal, daß für dich ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Deine Wünsche kommen von nun an nicht mehr in Betracht. Jetzt heißt es, sich nach anderen zu richten.«

»Soll ich fahren?«

»Aber Pucki, – ich denke, du springst mit beiden Füßen in das neue Leben hinein? Jetzt, da es gilt, den ersten Schritt zu tun, zögerst du bereits?«

»Nein«, erwiderte Pucki bestimmt, »ich werde selbstverständlich am Sonnabend vor Ostern nach Eisenach fahren und Ostern in meinem neuen Wirkungskreis feiern. Vielleicht ist es gut so. Vielleicht bekomme ich schon zu den großen Ferien acht Tage Urlaub. Ach, was werde ich alles zu erzählen haben, wenn ich wieder heimkomme!«

*

Schulschluß! Abschied von der Schule! Wie hatte Pucki jahrelang diesen Tag herbeigesehnt. Wie oft sprach sie davon, daß sie ein glücklicher Mensch sein würde, wenn sich das Schultor zum letzten Male hinter ihr schließen würde. – Nun stand sie im Kreise der Mitschülerinnen und hatte Mühe, die Tränen zurückzudrängen. Was würde ihr die Zukunft bringen? Sie beneidete heute Carmen und Melitta, die nach den Ferien wieder hier stehen würden, um das Gymnasium weiter zu besuchen.

Worte herzlichen Dankes kamen von ihren Lippen, als sie sich von ihren Lehrern verabschiedete, und ebenso herzlich war ihr Dank an Tante Grete, die das junge Mädchen sieben Jahre lang betreut hatte.

»Schau mit hellen Augen in die Zukunft, Pucki«, sagte Tante Grete gütig. »Manches wird dir schwer werden, doch halte tapfer durch.«

»Das tue ich!«

»Denke es dir nicht zu leicht, das Brot bei fremden Menschen zu essen, mein liebes Kind.«

»Ich zwinge es schon, Tante Grete, ich habe den festen Willen – –!«

Dieselben Worte sagte Pucki auch zu Oberförster Gregor, als sie wieder im Elternhaus weilte. Der alte Herr faßte Puckis Hände und sah ihr fest in die Augen.

»Gerade dich, meine liebe Pucki, wird es manchmal Überwindung kosten. Man wird dir oftmals etwas sagen müssen, und du wirst manche Vorwürfe einstecken müssen, berechtigte und unberechtigte – –«

»Unberechtigte Vorwürfe, Onkel Oberförster?«

»Auch die, Pucki, ein jeder muß Lehrgeld zahlen. Du mußt schweigen lernen, mein liebes Kind.«

»Wenn man im Recht ist, braucht man doch nicht zu schweigen, Onkel Oberförster.«

»Dann wirst du nicht lange in deiner Stellung bleiben.«

»Ein volles Jahr«, klang es fest zurück. »Ich bleibe bis zum nächsten Osterfest bei Frau Wallner. Dann fahre ich für drei Wochen von meinem ersparten Gelde nach Italien, und dann werde ich Gärtnerin oder sonst etwas. Doch erst bleibe ich ein Jahr bei Wallners.«

»Und wenn der alte Großpapa, der ein schwieriger Herr sein soll, dich besonders ärgert?«

»Kennst du ihn?«

»Nein, ich kenne ihn nicht, aber Frau Wallner macht in ihrem Brief besonders darauf aufmerksam. Das bedeutet, daß hier der sogenannte Teufelsfuß herausschaut. Halte die Ohren steif, Pucki, wirf den Kram nicht hin, wenn dir etwas nicht paßt!«

»Onkel Oberförster, ich denke nicht daran, das wirst du an mir nicht erleben. Und wenn es ganz dick kommt, wenn kein Lichtstrahl in das Dunkel meiner Stellung dringt, hebe ich den Kopf um so höher empor und sage: Zwölf Monate vergehen auch, ich bleibe, wo ich bin.«

»Das ist brav gedacht, darüber freue ich mich herzlich, Pucki.« – –

Die Mutter hatte die gleichen Befürchtungen. »Wirst du auch durchhalten, mein liebes Kind, und die Stelle nicht gleich kündigen, wenn dir etwas nicht paßt?«

»Ihr kennt mich nicht! Ich bleibe, selbst dann, wenn ich jeden Tag Strümpfe stopfen muß. Vielleicht läßt man mich Sonntags nicht spazierengehen, auch das werde ich ertragen. Dann gehe ich nach dem Abendbrot an die frische Luft. Nach dem Abendbrot bin ich mein freier Herr. Mutti, ich halte aus!« – –

Ostern rückte immer näher. Puckis Sachen standen fertig gepackt da. Die beiden Schwestern, Waltraut und Agnes, schauten Pucki mit traurigen Augen an. Sie tat ihnen leid, daß sie fort von den Eltern, hin zu fremden Leuten, gehen mußte. Wieviel schöner wäre es gewesen, wenn die lustige Pucki im Forsthaus geblieben wäre.

Minna, die alte, treue Köchin, drückte Pucki oftmals an sich.

»Ach, Kindchen«, sagte sie innig, »wenn du es nur nicht gar zu schwer hast. Ich war freilich viel jünger als du, als ich meine erste Stelle antrat. Ich habe es nicht leicht gehabt, aber tapfer habe ich mich durchgebissen. Immer sagte ich mir: Du darfst den Eltern keinen Kummer machen! So habe ich ausgehalten.«

»Ich halte auch aus, Minna! Ich springe mit beiden Füßen frohgemut ins neue Leben hinein! Man sagt doch: Jeder ist seines Glückes Schmied, und wie man sich bettet, so schläft man.«

Am Karfreitag war Pucki sehr still, und als sie am Ostersonnabend an den Frühstückstisch kam, hatte sie dicke, rote Augen. Die Trennung vom Elternhaus wurde ihr doch nicht leicht. Trotzdem hielt sie sich tapfer und versuchte, ein fröhliches Gesicht zu machen.

»Gebt acht, ich kriege die ganze Gesellschaft unter! Mit dem alten Großpapa bin ich in acht Tagen gut befreundet. Oh, es wird herrlich sein!«

Um zehn Uhr wurde Pucki von Eltern und Geschwistern zur Bahn gebracht. Unterwegs plauderte sie lebhaft, denn sie wollte auch jetzt nicht zeigen, wie furchtbar schwer ihr der Abschied vom Elternhaus wurde.

»Vielleicht komme ich Pfingsten schon auf zwei Tage heim. Ich werde darüber mit Frau Wallner reden.«

An diesen Urlaub glaubte Pucki selber nicht, aber die Sommerferien schwebten ihr als Trost vor.

Noch ein leidenschaftliches Winken, dann führte der Zug das junge Mädchen davon.


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