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Die ersten Enttäuschungen

Auf Puckis Knien lag der Reiseführer durch Thüringen. Entzückt blickte sie in die herrliche Landschaft, die sich ihren Blicken bot. Der Zug raste unermüdlich weiter durch Thüringen. Da war das schöne grüngebettete Erfurt, dann kam Gotha, von sanften Hügeln umschlossen, und nun ging es weiter, der Wartburgstadt Eisenach entgegen. Nicht mehr lange, dann war sie an Ort und Stelle.

Wieder schaute Pucki in den Reiseführer. Was würde sie im kommenden Jahr nicht alles zu sehen bekommen! In dem Buch waren unzählige Ausflüge genannt, die man von Eisenach aus unternehmen konnte: Durch das Marien- und Annatal, nach Ruhla, nach dem Hirschstein, zur Hohen Sonne, zum Königstein und nach vielen anderen Bergen. Ganz Thüringen würde sie sehen! In ihrem Reisehandbuch stand, daß Autofahrten nach den verschiedensten Orten gemacht wurden. Da Wallners ein eigenes Auto hatten, würde sie mit der Familie allsonntäglich einen der schönen Orte besuchen, an denen Thüringen so reich war.

Ob man sie mit dem Wagen abholte? Frau Wallner schrieb im letzten Brief genau, wie sie zu gehen hätte, um vom Bahnhof nach der Wohnung zu gelangen. Das deutete darauf, daß sie vielleicht nicht abgeholt werden würde. – Oder doch? Wallners besaßen ein Auto, und die neue Hausgenossin mußte man doch freundlich empfangen.

Da hielt der Zug in Eisenach! – Nun war es erreicht! Der neue Lebensabschnitt begann, die erste Stelle wurde angetreten, das erste Geld verdient. Was war das für ein herrliches Gefühl! Ein Monat war schnell vorbei, und sie konnte den ersten Zwanzigmarkschein im Himmelskästchen bergen. Der Grundstock für die Italienreise würde in Kürze gelegt sein.

Pucki blickte sich auf dem Bahnsteig suchend um. Langsam verliefen sich die Angekommenen. Doch niemand trat an sie heran und fragte nach ihrem Namen. Sie hob endlich den kleinen Handkoffer auf und ging durch die Sperre. In der Halle blieb sie abermals wartend stehen. Ein Mann trat an sie heran und fragte, ob er ihr den kleinen Koffer tragen solle, doch Pucki faßte das Gepäckstück um so fester. Die Mutter hatte ihr eingeschärft: Achte gut auf deine Sachen!

Der Koffer war nicht schwer, das große Gepäck war als Frachtgut gesandt worden. Trotzdem gab Pucki den Koffer auf dem Bahnhof ab und machte sich auf den Weg. Es war wirklich niemand gekommen, um sie abzuholen. Sie nahm den Brief von Frau Wallner aus dem Handtäschchen und las halblaut:

»Vom Bahnhof durch das Nikolaitor auf den Karlsplatz, dann rechts durch die Karlstraße auf den Marktplatz. Am Schloß vorbei, weiter zur Oberen Predigergasse über den Predigtplatz, dann links hinein.«

Vergeblich suchten die Augen des jungen Mädchens die Wartburg. Sie war nirgends zu sehen. Halblaut vor sich hinmurmelnd setzte sie ihren Weg fort. Wenn doch jetzt die Mutter bei ihr wäre! Nicht, weil sie sich fürchtete, o nein, nur – – nur um – – Pucki wußte selbst nicht, aus welchem Grunde sie so sehnsüchtiges Verlangen nach Begleitung hatte.

Der Weg war ziemlich weit. Pucki schenkte den Sehenswürdigkeiten der Stadt kaum einen Blick. Dabei wußte sie aus dem Führer, daß die Nikolaikirche, das Lutherdenkmal und das Schloß eine eingehende Würdigung verdienten. Später würde sie alles genau besehen. – Wenn sie nur schon bei Wallners wäre und die erste Stunde hinter sich hätte!

Immer zögernder wurden ihre Schritte, doch endlich hatte sie das Haus erreicht. Über dem ganzen Gebäude mit der Toreinfahrt war ein riesiges Schild angebracht: »Kunsttischlerei Georg Wallner.« Im Hof sah sie lange Schuppen; darin wurde gewiß tagsüber fleißig gearbeitet.

Sie betrat das Haus. Noch war niemand zu sehen. Zögernd schaute Pucki nach rechts und links. Ihr war das Weinen nahe. Warum kam niemand und begrüßte sie mit einem freundlichem Wort, mit einem Lächeln, wie es Tante Grete immer tat, wenn sie von den Ferien zurück nach Rotenburg kam?

Doch nun öffnete sich eine Tür. Ein junges Mädchen mit weißem Häubchen stand vor ihr.

»Sind Sie das neue Fräulein?«

»Ja.«

»Ich soll Sie sogleich in Ihr Zimmer führen. Frau Wallner ist noch beschäftigt.«

Es war eine große, geräumige Wohnung, die Wallners innehatten. Trotzdem empfand Pucki einen schmerzlichen Stich im Herzen, als sie sah, daß sie ihr Zimmer mit dem vierjährigen Moritz teilen mußte. Nicht einmal ihr eigenes Stübchen würde sie von nun an haben. Dabei war das Forsthaus Birkenhain viel kleiner als dieses Haus, das wahrscheinlich Wallners gehörte.

»Wo haben Sie Ihr Gepäck?«

»Auf der Bahn.«

»Haben Sie Ihre Adresse angegeben? Wird es hergebracht? Sonst kann es der Laufbursche holen.«

Ehe Pucki eine Antwort geben konnte, war das Hausmädchen wieder davongegangen. Da stand sie nun in dem großen Zimmer mit den zwei Betten. Hier würde sie das ganze nächste Jahr arbeiten, leben und – Geld verdienen. Pucki betrachtete die Möbel. Es war alles recht nett und freundlich eingerichtet; trotzdem strömte das Zimmer keine Behaglichkeit aus.

Pucki stand allein in dem Raum. Was sollte sie beginnen? Frau Wallner war beschäftigt. Man würde sie vielleicht später rufen. So setzte sie sich in einen der Korbstühle und blickte hinaus auf die Straße. Welch anderen Empfang hatte sie erwartet! Ganz allein und vergessen war sie hier. Minute auf Minute verrann, – niemand kam.

»Wenn ich wenigstens mein Gepäck hätte.«

Schließlich verließ Pucki das Zimmer, um das Hausmädchen zu suchen und ihr den Gepäckschein auszuhändigen. Sie fand das Mädchen aber nicht und wagte auch nicht, eine der Türen zu öffnen. Und als sie merkte, daß ihr die Augen feucht wurden, eilte sie wieder in ihr Zimmer zurück und setzte sich stumm in den Stuhl am Fenster.

Endlich vernahm sie Kinderstimmen. Nebenan wurde es laut. Sie raffte sich auf und betrat das anstoßende Zimmer. Das also waren ihre Zöglinge! Die achtjährige Christa und die beiden Knaben Max und Moritz betrachteten Pucki mit neugierigen Blicken.

»Bist du die Neue?« fragte Max.

»Ja, ich bin gekommen, um euch sehr lieb zu haben.«

»Das sagen alle«, sagte Christa. »Die Vorige hat es auch gesagt, und dann ist sie bald wieder fortgegangen. Sie hat uns gar nicht lieb gehabt.«

»Wir haben immerfort ein neues Fräulein«, ergänzte Max.

»Alle gehen gleich wieder weg«, piepste Moritz.

Hedi fühlte einen Stich in ihrer Brust. Sie dachte an die Worte Minnas und an die des Oberförsters. O nein, sie würde die Stelle nicht aufgeben. Sie wollte ausharren und sehr tapfer sein!

»Wo ist eure Mutter?« fragte Pucki.

»Mutter hat keine Zeit.«

Pucki stellte noch die verschiedensten Fragen an die Kinder, aber sie antworteten nur zögernd. Nur Christa schien ein schnippisches Mädchen zu sein, das wohl keinen Respekt vor dem neuen Fräulein hatte.

Erst eine gute Stunde später kam das Mädchen wieder ins Zimmer und rief Pucki zu Frau Wallner. Herzklopfend folgte sie der Voranschreitenden. Ihr Herz pochte noch stärker, als sie vor einer stattlichen Frau stand, die das junge Mädchen durch eine Brille prüfend betrachtete.

»Ihre Aufgabe besteht vor allem darin, Fräulein Sandler«, klang es geschäftsmäßig, »für Ordnung zu sorgen. Das letzte Fräulein hat diese Pflichten nicht erfüllt. Ich konnte sie daher nicht länger behalten. Wenn Sie sich willig zeigen, werden Sie es in meinem Hause recht gut haben. Daß allerlei Arbeit auf Sie wartet, wird Sie nicht in Erstaunen setzen; denn wir Menschen sind zum Arbeiten auf der Erde.«

»Ich werde mir Mühe geben«, stotterte Pucki.

»Sie sind reichlich jung, Fräulein Sandler. Sie werden also noch viel hinzulernen müssen. Sind Sie in der Lage, hin und wieder die Köchin zu vertreten?«

»Nein – –.«

»Aber Maschine nähen können Sie doch? Sind Sie in der Lage, selbständig ein Kinderkleid anzufertigen?«

»Nein – –«

»Auch keinen Anzug für die kleinen Buben?«

»Nein – –«

»Das ist freilich schlimm. Ich denke, Sie werden alles bald lernen. – Können Sie plätten?«

»Ja, ich habe daheim öfters der Mutter geholfen.«

»Glanzplätten?«

»Nein, das machte immer unsere Minna oder Mutter selbst.«

»Ja, mein liebes Fräulein, eine Plätterin kann ich Ihnen nicht halten. Ich hoffe, Sie werden sich das alles bald annehmen. Hoffentlich gewinnen Sie bald die Liebe der Kinder! – Haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen?«

»Mein Handkoffer ist noch auf dem Bahnhof, der andere Koffer kommt als Fracht.«

»Es wäre einfacher gewesen, Sie hätten den Koffer gleich mitgebracht. Hier sind die Leute stark beschäftigt. Einen Diener können Sie nicht verlangen. Vielleicht gehen Sie nach dem Abendessen nochmals zum Bahnhof und holen den Koffer. Oder ist er sehr schwer?«

»Nein, nein«, stammelte Pucki fassungslos. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Dieser Frau gegenüber wagte sie keinen Einwand. Sie blickte gar zu streng durch die Brillengläser zu ihr herüber. Wie anders waren die Augen der Mutter oder die Tante Gretes.

»Beschäftigen Sie sich jetzt mit den Kindern. Um siebeneinhalb Uhr wird Abendbrot gegessen, dann werden die Kinder zu Bett gebracht. Sie haben allabendlich die Sachen der Kleinen nachzusehen und wieder in Ordnung zu bringen. Sie finden im Nähzimmer, das letzte im Flur links, allerlei Arbeit vor. Der große Korb, der dort steht, wartet bereits auf Sie.«

Ehe Pucki zu den Kindern zurückkehrte, schlich sie ins Nähzimmer. Dort stand ein Korb, und darin lag ein Berg Kinderstrümpfe und Kleidchen, an denen manches zerrissen war. Pucki ließ einige Stücke durch die Finger gleiten, und wieder wurden ihre Augen feucht.

»Unsinn«, sagte sie und warf den Kopf in den Nacken, »aller Anfang ist schwer. Wenn ich monatlich zwanzig Mark verdienen will, muß ich auch etwas dafür leisten. Der Inhalt des Korbes wird zusammenschrumpfen, denn ich habe ja den ganzen Tag über Zeit, und die Kinder werden mich lieb gewinnen. Wir werden zusammen spielen, nach der Wartburg gehen – – nach der Hohen Sonne, – – wir werden im Auto überall hinfahren – – Ja, so wird es sein! Pucki, sei tapfer!«

Mit dem Kleiderärmel wischte sie ein Tränlein aus dem Auge.

Beim Abendessen lernte Pucki den Kunsttischler und dessen Vater kennen. Das also war der gefürchtete alte Mann! Er hatte ein verkniffenes Gesicht, schneeweißes Haar und blickte aus funkelnden, lebhaften Augen fortgesetzt zu ihr hinüber.

»Er hat Finger wie eine Spinne«, dachte Pucki. »Ich glaube, mit dem werde ich schwer fertig werden.«

Als sie nun gar bemerkte, daß der alte Herr jedesmal, wenn sie zulangte, einen stechenden Blick auf sie warf, wurde ihr Unbehagen immer größer.

»Einen guten Appetit haben Sie mitgebracht«, sagte der Großvater mit hohler Stimme. »Essen Sie immer so viel? Das ist für ein junges Mädchen ungesund.«

Pucki erschrak. Freilich, sie hatte einen sehr gesunden Appetit. Niemand wehrte ihr, wenn sie abends vier dicke Brotscheiben verzehrte. Heute hatte sie erst drei genommen. Sie wagte nicht, noch einmal zuzulangen.

Kunsttischler Wallner sagte kaum ein Wort. Er machte den Eindruck, als denke er auch beim Essen über etwas nach, das ihn vollkommen in Anspruch nahm. Dagegen fand Frau Wallner mancherlei zu tadeln.

»Fräulein Sandler«, begann sie schon wieder, »Sie müssen dafür sorgen, daß die Kinder von klein an bei Tisch gutes Benehmen zeigen. – Man stochert nicht so lange mit der Gabel im Essen herum, Max. Benimm dich anständig!«

»Hihi«, näselte der Großvater, »das neue Fräulein scheint auch gern mit der Gabel zu stochern. Macht man das so im Forsthause?«

Puckis Hand schloß sich noch ein wenig fester um den Griff der Gabel. Was war der alte Mann für ein scheußlicher Mensch!

»Großvater, – du kannst wohl das neue Fräulein schon wieder nicht leiden?« fragte Christa.

»Wollen sehen, wollen sehen«, klang es zurück.

Pucki saß wie auf Kohlen und ersehnte das Ende des Abendessens. Ein Zittern durchlief sie. Als sie Messer und Gabel auf den Teller legen wollte, rutschten beide hinunter und fielen klirrend zu Boden.

»Bei uns legt man Messer und Gabel auf den Teller«, klang es wieder von den Lippen des alten Herrn.

Auch jetzt unterdrückte Pucki eine Antwort. Oberförster Gregor hatte gesagt, man müsse schweigen lernen, wenn man in Stellung sei.

»Ich ertrage es doch«, murmelte sie viel später, als sie in ihrem Zimmer war und den kleinen Moritz zu Bett brachte. Das war keine leichte Aufgabe. Moritz sprang im Nachtanzug in Puckis Bett und bombardierte sie mit den Kissen. Aus dem Nebenzimmer kamen die beiden anderen Kinder gelaufen und begannen einen Höllenlärm.

»Seid meine guten Kinder und geht nun schlafen«, sagte Pucki begütigend.

»Wir gehen noch lange nicht schlafen, wir schmeißen uns erst.«

»Ich wünsche aber, daß ihr zu Bett geht.« Pucki reckte sich so hoch auf, wie sie das bei einer Lehrerin gesehen hatte, wenn die Klasse gar zu laut geworden war.

Bums – flog ihr ein Kissen an den Kopf.

»Möchtet ihr nicht so gut sein, Kinder, und endlich Ruhe halten?«

Jetzt saßen die beiden Knaben in ihrem Bett und zerrten am Bettuch.

»Ich schenke jedem einen schönen Bonbon, wenn ihr gleich stille seid.«

»Ach, Bonbons haben wir genug, die brauchen wir nicht von dir!«

»Soll ich euch ein Märchen erzählen?«

»Nein, wir wollen schmeißen!«

»Ihr sollt doch schlafen!«

Neuer Lärm brach los. – Eine Tür wurde geöffnet, der Kopf des Großvaters schaute ins Zimmer.

»Ja, was ist denn das? Die Kinder müssen zu Bett! Was soll der Lärm? Fräulein, Sie haben für Ordnung zu sorgen.«

»Wir schmeißen sie, Großvater!«

»Geht endlich zu Bett!« rief Pucki böse.

»Hihihi«, lachte der Weißhaarige. »Das kann ja gut werden! – Sie waren wohl noch nicht in Stellung?«

Wieder flog Pucki ein Kopfkissen an den Kopf. Es schien den Kindern unbändigen Spaß zu machen, die hilflose Hedi Sandler noch weiter zu ärgern. Sie lachten jedesmal schallend, wenn wieder ein Wurfgeschoß getroffen hatte.

»Was ist hier denn los?« Mit diesen Worten betrat Frau Wallner das Zimmer. »Habe ich euch nicht verboten, abends zu toben? Marsch, in die Betten!«

Christa und Max zogen sich sofort ins Nebenzimmer zurück, Moritz dagegen sprang wie wild in Puckis Bett umher. Kurz entschlossen faßte Frau Wallner ihren Jüngsten, versetzte ihm ein paar kräftige Schläge und warf ihn unsanft in sein Bett.

»Warum ereiferst du dich so sehr?« hüstelte der Großvater, »das ist doch Sache des neuen Fräuleins.«

»Eigentlich ja«, entgegnete Frau Wallner. »Sie müssen sich erst Respekt verschaffen, Fräulein Sandler. Ich sehe ein, daß Sie das am ersten Tage nicht erreichen können. Die Kinder sind wild. Sie brauchen kein so unglückliches Gesicht zu machen! Setzen Sie sich hier nieder, bis Moritz schläft. Sie können die Lampe abblenden und dabei eine Arbeit vornehmen.«

»Ich wollte – noch rasch zur Bahn.«

»Ja so, Sie müssen Ihre Sachen holen. Warten Sie, bis die Kinder schlafen, dann gehen Sie. Doch kommen Sie bald wieder zurück.«

Frau Wallner und der Großvater verließen das Zimmer. Pucki lehnte sich gegen den Bettpfosten. Am liebsten hätte sie ihre Sachen gar nicht geholt, sondern wäre gleich morgen wieder zurück ins Elternhaus gefahren. – Warum mußte sie gerade diese Stelle wählen? Warum hatte sie sich nicht für Doktor Heidenstamm entschlossen oder für das Gut zu Frau Lohr?

»Aushalten! – Morgen wird alles anders sein!« So tröstete sich Pucki. »Was hat mir Claus einstmals ins Album geschrieben? ›Mit frohem Lachen läßt alles sich machen.‹ – Ich halte aus!«

Gar bald schliefen die Kinder. Da eilte Pucki aus dem Haus und ging den Weg zum Bahnhof zurück, um ihren kleinen Koffer zu holen. Als er ihr ausgehändigt wurde, streichelte sie ihn zärtlich.

»Ein Stück aus der Heimat! Ach, du mein liebes Birkenhain! Wie gut haben es die Schwestern. Morgen ist Ostern, das Fest der Auferstehung. – Wie wird es morgen sein? Versteckt man hier auch Ostereier? Tollt man durch den Garten oder durchs Haus, um den Osterhasen zu finden?«

Pucki biß die Zähne fest zusammen. An daheim wollte sie nicht denken, sonst wurde ihr das Herz zu schwer. Viel lieber dachte sie an Claus, der gesagt hatte, sie solle tapfer sein, denn das Leben sei kein Spiel, sondern Kampf. Er war ja noch viel weiter von daheim fort und mußte sich auch durchbeißen. Morgen, am Ostersonntag, wollte sie ihm einen langen Brief schreiben und einen anderen an die Eltern, an Minna, an den Onkel Oberförster, an Rose Scheele, Thusnelda, Carmen und Hans Rogaten. –

Diese Briefe wurden nicht geschrieben. Die Zeit langte nur für eine kurze Karte an die Eltern. Wallners erwarteten Tischgäste, und Pucki mußte in der Küche helfen. Dann wurde der Tisch gedeckt, die Kinder wollten besorgt werden. Nachmittags gab es wieder Kaffee, es kamen noch einige Eisenacher Bekannte. Danach mußte Pucki dem Mädchen in der Küche beim Geschirrabtrocknen helfen. Zwischendurch quengelte der Großvater und machte spitze Bemerkungen.

»An diesen Ostersonntag werde ich denken, so lange ich lebe«, murmelte Pucki, als sie abends, wieder nach einer Bettschlacht, endlich auf ihrem Lager lag. Sie fühlte sich müde und zerschlagen; aber tapfer kämpfte sie die Sehnsucht nieder, die sie nach allem, was sie an daheim erinnerte, empfand.


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