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Annas Geburtstag

Pucki, Carmen und Anna Nickel hielten sich wie Kinder an den Händen und sprangen im Zimmer umher, dabei sangen sie mit lauter Stimme:

»Ach, wenn's doch bald wieder Sonntag wär',
Und Onkel Fritzchen käme her!«

Vor einigen Tagen war an Anna Nickel ein Schreiben ihres Onkels gekommen, in dem er ihr mitteilte, daß er zu ihrem Geburtstag am 7. November nach Rotenburg kommen würde, um ihr eine Geburtstagsfreude zu bereiten. Die Eltern könnten leider nicht kommen, doch er sei beauftragt worden, ein Futterpaket für sie mitzubringen und seiner lieben Nichte den Geburtstag recht angenehm zu gestalten.

»Ich bin geschäftlich in Deiner Nähe, mein liebes Nichtchen«, so schrieb Onkel Fritz, »und der Sonntag gehört Dir. Denke Dir recht was Nettes aus; wir wollen gemeinsam einen vergnügten Geburtstag feiern. Wenn Du einige liebe Freundinnen hast, so stecke ich sie mit in mein Auto, und wir machen alle einen Ausflug. Du wirst ja die Umgegend von Rotenburg kennen, Du darfst Dir wünschen, wohin es gehen soll. Kannst Dir so viele Freundinnen einladen, wie in meinen Viersitzer hineingehen.«

Ausgesprochene Freundinnen besaß Anna nun freilich nicht. Da sie aber ihren Mitpensionärinnen zugetan war, las sie Pucki und Carmen den Brief des Onkels vor und fragte sie, ob sie gemeinsam einen Ausflug mit Onkel Fritz machen wollten.

Selbstverständlich waren die beiden damit einverstanden.

»Melitta muß auch mitkommen«, sagte Anna. »Wir drücken uns etwas zusammen, dann geht es.«

Aber Melitta hatte für den nächsten Sonntag bereits eine Einladung und lehnte mit aufrichtigem Bedauern ab.

»Wollen wir dann nicht Vera einladen?« fragte Pucki. »Sie ist immer so ulkig.«

»Natürlich«, sagte die gutmütige Anna, »ihr braucht nur zu sagen, wer noch mitkommen soll. Wir setzen uns dann übereinander.«

»Nein«, sagte Pucki, »wir vier sind genug.«

»Wo fahren wir hin?« forschte Carmen.

»Mir ist es einerlei! Onkel Fritz wird schon was aussuchen.«

»Unsinn, Anna, er hat dir geschrieben, du sollst was auswählen. Wir holen die große Karte vom Rotenburger Kreis von Tante Grete und suchen was Schönes aus.«

Die Karte wurde gebracht. Bald schlug man diesen, bald jenen Ort vor. Und jetzt tönte ein lauter Schrei aus Puckis Munde.

»Wir fahren zur Waggerburg, zur Ruine der Waggerburg, in der einstmals der gefürchtete Raubritter Kunibert und seine Schwester fürchterlich hausten. – Schon einmal, als ich noch ein ganz kleines Schulmädchen war, bin ich mit dem Niepelschen Leiterwagen zur Waggerburg gefahren. Das war herrlich!«

»Gibt's dort auch was zu essen?« fragte Anna.

»Wir haben damals nichts gegessen, wir hatten alles mitgenommen.«

»Wenn es dort nichts zu essen gibt«, sagte Anna, »fahren wir nicht zur Waggerburg. Ich will mit Onkel Fritz fein zu Mittag essen. Ihr wißt doch, daß ich gern etwas Gutes esse!«

»Es war auch ein Gasthaus da«, erklärte Pucki nachdenklich, »es lag ein Stückchen weg von der Burg. Wir sind damals nicht hineingegangen. Es war viel schöner, im Walde zu sitzen und zu essen.«

»Wenn ein Restaurant dort ist, können wir zur Waggerburg fahren.«

»O bitte, Anna, sage deinem Onkel, er soll nach der Waggerburg fahren! Ich kann euch die Geschichte von Ritter Kunibert und seiner schönen Schwester erzählen. Sie geht heute noch als Weiße Frau in der Waggerburg um. Mein Freund, Paul Niepel, ist dort mal furchtbar erschrocken. Er ging allein durch den finsteren Wald. Da, auf einmal, ertönte ein gräßliches Wehklagen, und ein weißer Arm streckte sich ihm entgegen. Es war die Weiße Frau von der Waggerburg.«

»Hu – das ist gräßlich!« flüsterte Carmen.

»Ist doch alles Quatsch«, entgegnete Anna, »die Weißen Frauen sind immer Schwindel. Wer tot ist, kann nicht mehr essen und umherlaufen.«

»Ist es eine schöne Burg mit Zinnen, Terrassen und Balkonen?« fragte Carmen.

Pucki lachte. »Eine Ruine ist es, aber gut erhalten. Sie ist schon fünfhundert Jahre alt – nein, warte mal, damals war ich sechs Jahre, da war sie fünfhundert Jahre alt, sie ist jetzt fünfhundertundneun Jahre alt. Aber es ist ein schönes altes Bauwerk.«

»Zur Waggerburg, zur Waggerburg!« klang es einstimmig durch den Raum, und wieder faßten sich die drei an den Händen und sangen:

»Ach, wenn's doch bald wieder Sonntag wär',
Und Onkel Fritzchen käme her!«

Am Sonnabend, dem 6. November, teilte Tante Grete ihren drei Pensionärinnen mit, daß sie einen Brief von Annas Onkel erhalten hätte, der schon morgen vormittag mit dem Auto in Rotenburg einträfe. Er bat, Frau Perler möge erlauben, daß er ihre drei Schützlinge bis zum Abend ausführen dürfe. Er wolle sie wohlbehalten gegen neun Uhr wieder heimbringen.

»Ich hoffe«, sagte Frau Perler mahnend, »daß ihr euch recht gut benehmt und ich keine Klagen höre. Du, Carmen, bist die Vernünftigste, gib also acht.«

»Aber Tante Grete«, sagte Pucki ein wenig gekränkt, »wir sind doch erwachsene junge Mädchen, die –«

Frau Perler hob den Finger. Ein vielsagender Blick traf Pucki. Es brauchte kein Wort gesagt zu werden; Pucki dachte an den Rennfahrer, den Hausschlüssel, das Bankeln, das Haarfärbemittel und anderes. –

Sonntagvormittag waren die jungen Mädchen in heller Aufregung. Vera stellte sich bereits früh um neun Uhr ein, damit sie die gemeinsame Abfahrt ja nicht verpasse.

»Wenn er geschäftlich in der Nähe zu tun hat«, sagte Pucki, »könnte er wahrhaftig bald kommen und uns nicht so lange warten lassen. – Wie sieht dein Onkel eigentlich aus, Anna? Ist er ein eleganter Mann?«

»Au ja«, erwiderte Anna. »Haare hat er freilich nur mehr noch wenige, aber er ist schön dick.«

»Herrlich! – Er gefällt mir schon jetzt, ohne daß ich ihn gesehen habe.«

»Wer sitzt denn neben ihm?«

»Ich«, sagte Pucki, »ich mag am liebsten vorne sitzen, und ich werde mich schon gut mit ihm unterhalten. Wir müssen ihm doch die Fahrt recht angenehm machen.«

»Hinten sitzt es sich besser«, sagte Anna. »Vorn riecht es mitunter nach Benzin. Wir nehmen einen Korb mit Eßwaren mit.«

»Ich denke, wir gehen ins Restaurant?«

»Freilich, Carmen, aber wir müssen doch unterwegs auch was zum Essen haben.«

»Der langweilige Peter kommt noch immer nicht«, rief Pucki, die sehnsüchtig durchs Fenster schaute.

Auf einmal fuhr unten ein kleines Auto vor. Pucki fiel Carmen um den Hals. »Jetzt geht es zur Waggerburg«, rief sie jubelnd. »Ach, es wird ein herrlicher Tag werden! Die Bilder der Kindheit steigen vor meinen Augen auf. Ich werde Onkel Fritz von Ritter Kunibert erzählen und werde ihm das Gruseln beibringen. Oh, mit dem mache ich meinen Ulk.«

Anna war die Treppe hinuntergelaufen, um den Onkel zu begrüßen. Bald darauf hörte Pucki im Wohnzimmer die Stimme von Annas Onkel.

»Wollen wir hineingehen?« sagte Vera.

Sie öffnete die Tür zum Nebenzimmer, und alle drei betraten den Raum. Aber Carmen war die einzige, die Annas Onkel prüfend betrachtete. Pucki und Vera wichen scheu zurück; am liebsten wären sie in den Erdboden gesunken. Der große, kräftige Mann, der neben Anna Nickel stand, war beiden kein Fremder mehr. Das war die falsche Berühmtheit, die im »Maiglöckchen« an jenem fürchterlichen Augusttage neben einem anderen Herrn gesessen hatte. Das war der Viehhändler Fritz Müller, von dem Pucki ein Autogramm erbeten hatte und dem sie sich als Ausländerin ausgegeben hatte.

Auch Viehhändler Müller stutzte; dann ging ein gutmütiges Schmunzeln über sein Gesicht.

»Bütä, meine Damen, treten Sie ruhig näher. Sie sind also die Freundinnen meiner Nichte und wollen uns begleiten. – Bütä – –«

Pucki und Vera sagten kein Wort. Wie hatten sie sich auf den heutigen Ausflug gefreut, was hatten sie nicht alles von Onkel Fritz erwartet – und nun diese Enttäuschung! Nur die Fassung behalten, damit Tante Grete nichts merkte. Vera schickte einen flehenden Blick zu dem Viehhändler empor.

»Wohin soll es also gehen? Was hast du dir ausgedacht, Anna? Verehrte Frau, Sie erlauben doch, daß ich die jungen Damen sofort in mein Auto lade. Vier Stück, das wird eine vergnügte Sache geben.«

Während Frau Perler noch mit Herrn Müller sprach, krallte Pucki ihre Finger in Veras Arm. »Fahren wir mit oder sind wir plötzlich krank?«

»Wir fahren natürlich mit. Doch jetzt ziehen wir uns zurück und kommen erst wieder vor, wenn er am Steuer sitzt. Das wichtigste ist, daß Tante Grete nichts erfährt.«

»Ich setze mich natürlich auch mit hinten hin. Carmen mag neben ihm Platz nehmen, sie will ohnehin später Autofahren lernen. – Ob er nett ist, oder ob er uns unsere Dummheit noch öfters vorhält?«

»Komm, wir wollen uns rasch drücken.«

»Bütä, meine Damen, machen Sie sich fertig«, sagte da Herr Müller, »wir fahren gleich ab.«

Pucki und Vera eilten hinaus in den Flur, um sich die Mantel anzuziehen. Dann liefen sie hinunter und nahmen als erste hinten im Wagen Platz. Als Anna kam, sagte sie:

»Ich denke, du willst vorn sitzen, Pucki?«

»Laß mich lieber hier sitzenbleiben. Das Geburtstagskind nehmen wir in die Mitte. Carmen kommt vorn hin.«

Sehr interessiert wurde die eigenartige Wagendecke betrachtet, die Herr Müller den drei jungen Mädchen über die Füße legte.

»Es sieht aus, als läge ein Tiger auf uns«, stellte Carmen fest. »Mein Vater hat mal eine Tigerjagd mitgemacht. Er erzählte mir im Sommer viel davon. Aber ein Fell ist das nicht, es ist Stoff, der wie eine Tigerhaut gewebt wurde.«

Es war eine herrliche Fahrt. Da Onkel Fritz am Steuer saß, konnte er sich nicht viel um die jungen Mädchen kümmern. Wohl unterhielt er sich mit Carmen, denn der Viehhändler war ein humorvoller Mann, der das junge Volk von Herzen liebte. Er hatte beschlossen, den vier Backfischen einen schönen Tag zu bereiten, mochte es kosten, was es wolle. Daß die beiden übermütigen jungen Dinger, über die er im »Maiglöckchen« so herzlich gelacht hatte, mit von der Partie waren, bereitete ihm ein ganz besonderes Vergnügen. Die sollten heute noch tüchtig geneckt werden!

Währenddessen überlegte Pucki, wie sie sich Onkel Fritz gegenüber verhalten sollte. Vor allem durfte sie nicht als die Blamierte dastehen. Dutzende von Plänen schossen ihr durch den Kopf.

»Wie waschen wir uns rein, Vera?« flüsterte sie der Freundin zu.

»Ich hab's«, klang es ebenso leise zurück. »Pucki, ich habe eine großartige Idee. Das Nähere sage ich dir später. Aber es geht nicht ohne einen kleinen Schwindel ab.«

»Ich mache alles mit«, erwiderte Pucki leise.

Man fuhr immer weiter. Endlich kam die Waggerburg in Sicht. Pucki hatte während der Fahrt mehrmals sehnsüchtig nach Westen geschaut. Weit drüben blieb Rahnsburg liegen. Auf halbem Wege bog der Weg rechts ab, zuletzt fuhr man genau denselben Weg, den sie einst mit dem Leiterwagen zurückgelegt hatte.

»Wenn es dort nur was Rechtes zu essen gibt.« Das waren Annas Sorgen.

Pucki hingegen betrachtete voller Entzücken die Ruine, die von dem Berg hinunter ins Tal grüßte.

Das »Gasthaus zur Waggerburg« war zwar ein bescheidener Gasthof, doch Mittagessen gab es dort schon.

»Wollen wir nicht sogleich hinauf zur Burg gehen?« fragte Pucki. Das Verlangen, die Ruine wiederzusehen, war mächtig in ihr geworden.

»Ich möchte erst ein gutes Frühstück essen«, sagte Anna.

»Es ist gar nicht weit, Anna«, sagte der Onkel. »Ich möchte auch hinauf zu dem alten Bau.«

»Was soll ich dort oben«, klang es langsam zurück. »Man muß hinaufgehen und dann denselben Weg wieder hinuntergehen. Das ist zwecklose Mühe. Ich möchte lieber erst was essen. – Carmen, bleib doch bei mir, wir frühstücken zusammen.«

Carmen wäre viel lieber mit hinauf zur Ruine gegangen. Da sie aber von dem Geburtstagskind gebeten wurde, unten im Gasthaus zu bleiben, gab sie schweren Herzens nach. Vera und Pucki dagegen warteten voller Ungeduld darauf, den Hügel zu ersteigen und die alte Burg zu besuchen.

»Herrlich«, flüsterte Vera der Freundin zu. »Eine bessere Gelegenheit konnte sich uns nicht bieten.«

»Bütä, meine Damen, wer führt?« fragte Herr Müller.

»Ich«, sagte Pucki, »ich kenne jeden Weg, jeden Stein. Hier bin ich schon vor Jahren gegangen. Damals war auch Onkel Oberförster dabei und sein Sohn, der jetzt als Arzt an einem großen Hamburger Krankenhaus tätig ist. Herr Doktor Claus ist einer meiner vielen Freunde.«

»Ich glaube«, begann Vera und blitzte Pucki von der Seite an, »wir beide haben uns schon einmal gesehen, Herr Müller.«

»Das glaube ich auch«, lachte der Viehhändler. »Die beiden jungen Damen sind mir nicht fremd. Ich freue mich, daß Sie inzwischen so gut deutsch gelernt haben. Die Verständigung wäre sonst schwer geworden. Wir hätten uns nicht so angenehm unterhalten können, wie wir es tun wollen.«

»Sie irren, Herr Müller, ich bin Ihnen gewiß eine alte Bekannte aus dem ›Maiglöckchen‹, aber meine Freundin Pucki kennen Sie noch nicht.«

»Bütä – –« lachte Onkel Fritz, »ich kenne auch Ihre Freundin Pucki. Ich habe ihr sogar ein Autogramm gegeben.«

»Da haben wir es wieder«, gab Vera mit nachsichtigem Lächeln zurück, »es ist immer dasselbe. Meine Freundin Pucki ist Ihnen tatsächlich eine Fremde. Jene reizende junge Dame, die damals mit mir im ›Maiglöckchen‹ saß, ist nämlich Puckis Zwillingsschwester und heißt Hedi – Hedwig. Die beiden werden ständig verwechselt.«

»Ja«, rief Pucki erleichtert, »ich bin die Zwillingsschwester von Hedi! Sie glauben mich zu kennen, Herr Müller? Mir waren Sie ganz fremd.«

»So, so – das war also Ihre Zwillingsschwester?« sagte Onkel Fritz. Um seine Lippen zuckte es bedenklich. »Ihre Zwillingsschwester ist wohl im Ausland geboren?«

»Jawohl, in Spanien. Sie kann kaum ein Wort deutsch.«

»Und Sie wurden in Deutschland geboren?«

»Ja – in einem Forsthaus.«

»Hm – – da sind Sie wirklich ein recht merkwürdiges Zwillingspaar.«

Onkel Fritz hielt im Steigen inne, um sich zu verschnaufen. Da stieß Vera Pucki heftig in die Seite. »Du Schaf – weißt du denn nicht mehr, was du redest? Wenn ihr Zwillingsschwestern seid, kann doch die eine nicht in Spanien und die andere in Deutschland geboren sein.«

»Himmel – – –«

»Wie soll ich dich reinwaschen, wenn du so dämlich bist?«

Eine Weile herrschte tiefstes Schweigen, dann wandte sich Pucki zu Onkel Fritz.

»Im schönen Spanien, wo die Goldorangen blühn, hat meine Schwester Hedi das Licht der Welt erblickt. – Ich auch. – Es war natürlich eine spanische Försterei. Die Palmen hingen bis in die Fenster des Schlafzimmers hinein, wir konnten sie mit den Händen greifen. Und – nun sehen Sie, dort zeigt sich schon die erste Mauer der Waggerburg. Uralt ist sie, in der Raubritterzeit gebaut. Hier gingen die wilden Männer ein und aus. Ich werde Ihnen die Geschichte der Burg erzählen.«

»Warum haben wir eigentlich Ihre Zwillingsschwester nicht mitgenommen, Fräulein Pucki? – Ist das Ihr Taufname? Heißen noch andere Kinder in Spanien so?«

Das junge Mädchen sandte einen hilfesuchenden Blick zu Vera hinüber, die sich sogleich einmischte. »Natürlich, es war damals in Spanien Mode, die Kinder Puckinella zu taufen. Diesen Namen trägt auch meine Freundin.«

»Also die Zwillinge Hedi und Puckinella.«

»So ist es«, pflichtete Pucki bei. »Meine Zwillingsschwester Hedi ist der deutschen Sprache völlig fremd. Man kann sich nicht mit ihr verständigen. Bitte, erzählen Sie doch, wie Sie ihre Bekanntschaft machten?«

»Das kann Ihnen Ihre Freundin Vera sagen. Mir tut es doch zu leid, daß Fräulein Hedi nicht mitgekommen ist. War ein reizendes Ding! Von der können Sie noch viel lernen, Fräulein Pucki. Man merkte sofort das spanische Blut. Hundert Mark würde ich zum besten geben, wenn ich mit der kleinen Spanierin noch mal zusammen sein könnte. Wenn ich wieder nach Rotenburg komme, lade ich Ihre Zwillingsschwester ein.«

»Leider ist Hedi vor wenigen Tagen zu ihrer Mutter nach Madrid gereist.«

Man hatte die Waggerburg erreicht. Pucki zeigte die Ruine und erzählte altklug von dem Leben und Treiben der Ritter und von der Weißen Frau, die noch heute durch das Gemäuer geht, weinend und klagend.

»Manch einer hat sie gesehen. – Sind Sie vielleicht ängstlich, Herr Müller?«

»Ich zittere schon bei dem Gedanken, daß mir die Weiße Frau begegnen könnte. – Ich denke, wir kehren nun um und gehen zu unserem Geburtstagskind zurück. Inzwischen wird das Mittagessen fertig geworden sein. – Was haben Sie für sich denn bestellt, Fräulein Pucki?«

»Gänsebraten mit Rotkohl. – Vor acht Tagen war ich bei den Eltern, da hat Mutti auch eine Gans gebraten.«

»In Madrid?«

Wieder bekam Pucki einen Seitenstoß. »Sie meint doch die Pflegemutter«, sagte Vera. »Wenn die richtige Mutter in Madrid ist, kommt ins Forsthaus eine Pflegemutter.«

»Hm«, brummte Herr Müller, »bei solch verzwickten Familienverhältnissen wie bei Ihnen, kleiner Puck, müssen unbedingt zwei Mütter sein.«

»Daß du so dämlich bist, Pucki, hätte ich nicht gedacht«, flüsterte Vera beim Abstieg. »Ich habe eine so herrliche Idee, und du quasselst nur dummes Zeug. Vor Carmen hältst du den Mund! Erzähle meinetwegen von dem Raubritter, aber nichts mehr von deiner Zwillingsschwester.«

Doch der Viehhändler ließ nicht mehr locker. Zu Mittag gab es Wein. Er stieß mit Pucki auf Hedi an. Pucki aber übertönte durch lautes Auflachen seine weiteren Worte. Carmen machte ein warnendes Gesicht. Wohl zehnmal fing Pucki an, von dem Raubritter zu erzählen, und ebensooft fragte Onkel Fritz, wie tief die Palmen eigentlich ins Schlafzimmer in Madrid ins Fenster gehangen hätten.

Trotzdem schmeckte es Pucki trefflich. Gänsebraten und Rheinwein dazu! Onkel Fritz war ein prächtiger Mensch. Das Lachen wollte kein Ende nehmen, die Stimmung wurde immer ausgelassener. Der ungewohnte Wein verfehlte seine Wirkung nicht, obwohl jedes der Mädchen nur ein Glas getrunken hatte.

»Jetzt machen wir noch einen Waldbummel, um uns die Köpfe wieder ganz klar zu machen«, schlug Onkel Fritz vor.

Pucki tuschelte mit Vera. »Wollen wir den Dicken erschrecken? Wollen wir uns als Tiger verkleiden und aus dem Gehölz hervorbrechen?«

»Das glaubt er uns doch nicht!«

»Aber einen Ulk können wir uns trotzdem machen.«

Die Wagendecke wurde zusammengerollt. Pucki und Vera gingen in einem größeren Abstand hinter Onkel Fritz her. Sie wollten eine günstige Gelegenheit abpassen.

»So geht es nicht«, sagte Vera nach einiger Zeit. »Ich schließe mich jetzt denen da vorne an und sage dem Onkel, du wärest zurückgegangen. Dann führe ich ihn auf dem nächsten Wege wieder zurück, und inzwischen machst du den Tiger. Du brichst aus dem Gestrüpp hervor und brüllst.«

»Au, fein!«

Onkel Fritz schlug zwar vor, man wolle gemeinsam zum Gasthaus zurückgehen, um Fräulein Pucki nicht allein zu lassen, doch Vera drängte energisch zum Weitergehen, so daß er sich fügte. Er machte dabei ein pfiffiges Gesicht. Es war ihm klar, daß die kleine Schwindlerin etwas plante. Diesen Spaß wollte er ihr nicht verderben.

Pucki schlängelte sich durch das Gebüsch. Sie freute sich darauf, den dicken Onkel Fritz zu erschrecken. Wenn er sich vor der Weißen Frau fürchtete, hatte er vor einem Tiger weit mehr Angst. Sie würde sich zwischen zwei Bäumen niederlegen, so, als ob ein Tiger zusammengeduckt auf seine Beute wartete.

Nun lag sie auf dem Waldboden. Als sie sich dort niederhockte, kam ihr dieser Spaß selber recht dumm vor. Doch das Glas Rheinwein hatte in dem blonden Lockenkopf bereits Verwirrung angerichtet. Von Zeit zu Zeit knurrte Pucki und fand, daß sie es täuschend echt nachmachen konnte.

Jetzt hörte sie Schritte. Sehen konnte sie nichts, da sie den Kopf in die eingewickelten Arme gedrückt hatte. Nur ihr leises Knurren tönte durch den stillen Wald. – Die Schritte kamen näher. – Das Knurren wurde lauter. Wahrscheinlich hatte man Onkel Fritz allein gehen lassen. Die gerissene Vera hielt wohl die drei anderen zurück. Bald würde sein entsetzliches Geschrei ertönen.

»Krrrrrrr, – krrrrrr, – krrrrr –«

Der junge Forsteleve Engelbert Steigum, der seit dem ersten Oktober in der bei Rahnsburg gelegenen Försterei Birkenhain als Hilfskraft eingestellt worden war, blieb stehen und betrachtete mit leisem Lachen die knurrende Plüschdecke.

»Krrrr –, krrr – – krrrr – –«

Was bedeutete das? Hier machte sich ein Spaßvogel einen Scherz. Ihm galt es bestimmt nicht, denn hier kannte ihn niemand, und Birkenhain lag viel zu weit entfernt. Er hatte heute mit dem Rade eine Fahrt nach der Waggerburg gemacht. Förster Sandler hatte ihm den Besuch der Ruine angeraten, die er nun besucht hatte. Jetzt schlenderte er zurück durch den Wald und fand die knurrende Decke.

Der Forsteleve Steigum war ein übermütiger junger Mann.

»Hu – – ein Tiger«, sagte er.

Die Decke begann zu wackeln.

»Flinte ab!« rief er. »Anlegen, – das Vieh muß ich erschießen. Jetzt rasch den Hahn spannen – –!«

Pucki hörte seine Worte. Ein lähmender Schreck erfaßte sie. Im nächsten Augenblick richtete sie sich auf, warf die Decke ab und rief:

»Nicht schießen, – ich bin kein Tiger!«

Steigum, der gar keine Flinte bei sich hatte, verhielt nur mühsam ein herzliches Lachen, als aus der Decke ein blonder Mädchenkopf zum Vorschein kam. Angstgeweitete Augen starrten ihn an.

»Ach, – entschuldigen Sie – –«

Nun lachte er laut auf. »Ich habe wirklich gedacht, ein Tiger hätte sich hierher verlaufen.«

Als Pucki das fröhliche Lachen hörte, war alle Angst verschwunden. Sie sah die geliebte Försteruniform vor sich; schon allein ihr Anblick beruhigte sie schnell.

»Einer von der grünen Farbe«, rief sie strahlend. »Ich wollte mir einen Spaß machen. Habe ich wirklich wie ein Tiger ausgesehen?«

»Freilich, ganz genau so!«

»Das ist herrlich. Dann erschrecke ich den Dicken doch noch.«

»Aber jetzt sehe ich eine reizende Waldfee vor mir. Fürchten Sie sich nicht, schöne Fee, so allein im Dickicht umherzugehen?«

»Ich fürchte mich im Walde nicht, ich bin doch ein Försterkind.«

»Aber das ist ja herrlich!«

Pucki stellte sich übermütig vor den Eleven hin und deklamierte:

»Auf dieser Erde Breiten halt ich vor allem wert
des Weidmanns Herrlichkeiten und was zum Wald gehört!«

»Bravo, Weidmannsheil, schöne Waldfee.«

»Weidmannsdank!«

Aus der Entfernung wurden plötzlich Stimmen laut.

»Bitte, gehen Sie«, rief Pucki erregt, »ich muß meine Rolle wieder übernehmen.«

»Wenn der andere nun aber wirklich schießt?«

»Er hat nichts zum Schießen bei sich. – Sie haben ja auch kein Gewehr. Na, warten Sie, mich so zu erschrecken. Das streiche ich Ihnen an! – Könnten Sie nicht auch nach dem Gasthaus Waggerburg kommen? Vielleicht können wir dort tanzen.«

»Wird gemacht«, erwiderte der junge Forstmann.

»Au, fein, – können Sie nicht noch einen mitbringen? Wir sind nämlich vier junge Mädchen.«

»Das wird schlecht gehen, schöne Waldfee.«

»Für den ersten Walzer – – Ach, gehen Sie rasch weiter, man kommt.«

»Soll ich Ihnen nicht helfen?«

»Nein, nein! Bitte, gehen Sie schnell weiter!«

Pucki warf sich wieder auf den Waldboden, und der übermütige junge Forstmann breitete die Decke über das junge Mädchen. Pucki begann sofort wieder zu knurren.

Es war die höchste Zeit. Der Forsteleve schlich leise seitwärts in die Büsche, denn den Weg entlang kamen Onkel Fritz und Vera. Ihnen folgten in einiger Entfernung Carmen und Anna.

»Krrrrr, – krrrrrr, – krrrrr – –«

Onkel Fritz blieb stehen. Er erkannte sofort seine Wagendecke. Nun wußte er, aus welchem Grunde Pucki fortgegangen war. Also gut, er wollte auf den Spaß eingehen.

»Herr Müller – – ein Löwe, – nein, ein Panther – nein, ein Tiger!«

»So gehen wir heute auf die Tigerjagd.«

»Das sagen Sie so ruhig?«

»Oh, ich weiß, wie man solchen Bestien zu Leibe geht.« Er bückte sich und hob einen dicken Ast auf. »Dreimal dem Vieh kräftig was übers Leder gezogen. Dann ist es entweder besinnungslos oder – rückt aus.«

»Herr Müller – –!« Vera stellte sich vor den Viehhändler hin, um ihn am Weitergehen zu hindern.

»Wenn ich den Tiger besinnungslos geschlagen habe, ziehe ich das Dolchmesser aus der Hosentasche und steche das Vieh ab. – Nun passen Sie gut auf.«

»Herr Müller! – – Pucki, fliehe!«

»Also los auf die wilde Bestie!«

Wie ein Pfeil war Vera nach vorn geschossen und riß von Pucki die Decke herunter.

Jämmerlich klang Puckis Stimme:

»Ich bin es – –«

»Bütä – –« sagte Onkel Fritz und ließ den Ast fallen. »Welch ein Glück, daß es kein richtiger Tiger war! Beinahe wäre Blut geflossen.«

Der Schreck war Pucki und Vera so in die Glieder gefahren, daß sie von nun an sehr gesittet nach längerem Spaziergang zurück in den Gasthof kamen.

Herr Limburg, der Eigentümer des Gasthofes, drehte das Grammophon an und schlug den jungen Mädchen vor, ein Tänzchen zu machen. Anna hatte wenig Neigung dazu, doch die andern drei klatschten stürmisch in die Hände.

»Mein Tänzer kommt auch bald«, flüsterte Pucki ihrer Freundin Vera zu, »ein pikfeiner Mann von der grünen Farbe. – Waldfee hat er mich genannt.«

»Du erlebst immer etwas, Pucki. – Ich tanze mit Onkel Fritz. Horch, ein feiner Walzer! – Onkel Fritzchen«, – Vera ging auf Herrn Müller zu – »darf ich bitten?«

Der Sohn des Gasthofbesitzers schaute zur Tür herein. Er war ein schmucker zwanzigjähriger Bursche. Schon nach wenigen Minuten ging er auf Pucki zu und forderte sie auf. Es dauerte auch nicht lange, da öffnete sich die Tür erneut, und der Forsteleve erschien.

Nun wurde rasend getanzt. Onkel Fritz zeigte sich als ein ganz famoser Tänzer. Es machte ihm sichtlich Spaß, die jungen Mädchen herumzuschwenken. – Nur Anna saß in der Ecke bei Kaffee und Kuchen.

»Sie sind ein prachtvoller Onkel«, rief Pucki, »hätte ich ein Glas Wein, ich würde sofort Brüderschaft mit Ihnen trinken.«

»Das kann gemacht werden«, lachte der Viehhändler. »Was soll es sein?« Onkel Fritz wandte sich an den Wirt. Herr Limburg empfahl einen abgelagerten Stachelbeerwein, der nicht schwer sei und wie Tokayer schmecke.

»Stachelbeerwein«, jauchzten die jungen Mädchen, »oh, der ist herrlich!«

Es dauerte nicht lange, so saßen alle beim Stachelbeerwein.

»Wie ist es nun mit der Brüderschaft?« fragte Onkel Fritz.

Der Wein rötete Puckis Wangen. Sie hing sich in Herrn Müllers Arm und nahm das Weinglas in die Hand. Dann trank man Brüderschaft.

Auch mit Carmen und Vera trank der Viehhändler Brüderschaft. Übermütig prostete Pucki darauf dem jungen Forsteleven zu: »Na?«

»Wollen Sie auch mit mir Brüderschaft trinken, schöne Waldfee?«

»Wie heißen Sie eigentlich?«

»Engelbert Steigum.«

»Engelbert?« lachte Pucki. »Engel – – ein Engel ist mir im Walde begegnet. Freilich trinke ich mit dem Engel Brüderschaft.«

»Ich auch«, rief Vera und drängte sich an den Forsteleven. Nur Carmen stand zögernd ein wenig abseits, doch hielt auch sie schon das Glas in der Hand.

»Prosit, Engelchen!« rief Pucki und rieb sich die Augen. »Engelbert, – wo hast du denn dein Bärtchen? Du bist ein Engel ohne Bart!«

»Der Engel hat kein Bärtchen«, rief Vera.

»Bleibt nur noch der Engel«, flüsterte Carmen.

»Ich kenne eure Namen noch immer nicht«, sagte der Forsteleve.

»Pucki, die Waldfee«, heiße ich.

»Carmen aus Spanien«, bin ich.

»Vera Rinaldini, die große Räuberhauptmännin! nennt man mich.«

»Oh, da bin ich ja in eine reizende Gesellschaft hinein geraten.«

Der Wirt stand am Schanktisch und lachte. So eine übermütige lustige Gesellschaft hatte er lange nicht mehr bei sich gesehen.

Wieder drehte sich die junge Gesellschaft nach der Melodie einer flotten Polka. Als die Musik verstummte, stürzten die drei jungen Mädchen auf Onkel Fritz zu.

»Onkel Fritz, wir haben immer noch Durst! Gibt es noch ein Fläschchen?«

»Jetzt gibt es nur noch Selterwasser. Ihr seid zu erhitzt.«

»Selterwasser, – – nein! Wir möchten Stachelbeerwein!«

»Schreit nicht gar so laut«, sagte Onkel Fritz. Er kraute verlegen seinen grauen Kopf. Den Stachelbeerwein hätte er besser doch nicht bestellen sollen. Die jungen Mädchen waren schon von dem Rheinwein, den sie zu Mittag getrunken hatten, recht lustig geworden. Und der Stachelbeerwein war ein gefährlicher Bursche, die jungen Mädel aber Alkohol glücklicherweise nicht gewohnt. So tat schon ein Glas seine Wirkung. Sie waren übermütig, eben wie losgelassene Backfische, die gar gern einmal über die Stränge schlugen.

»Bertchen, laß dir endlich ein Bärtchen wachsen.«

Carmen zog Pucki zur Seite. »Sei nicht gar so laut. Ich finde, du bist zu frech, Pucki.«

»Ach was, Carmen, hier kennt uns niemand, hier können wir uns einen Scherz erlauben. Mein Engel entschwebt mir heute wieder, und ich sehe ihn nie wieder! Du, das ist ja gerade das Schöne. – Au, mit dem mache ich noch viel mehr Ulk!«

Schließlich hielt es Onkel Fritz für angebracht, das Abendbrot schon um sechs Uhr zu bestellen. Die jungen Mädchen mußten unbedingt etwas Herzhaftes essen. Gegen acht Uhr wollte er an den Aufbruch denken, um rechtzeitig nach Rotenburg zu kommen. Das »Engelchen« wurde ebenfalls zum Abendbrot eingeladen, aber den sehnlichst verlangten Stachelbeerwein gab es selbstverständlich nicht mehr.

Auch diese Mahlzeit verlief sehr vergnügt. Das Necken nahm kein Ende. Auch der gutmütige Wirt ließ es sich gefallen, daß er mit verulkt wurde. Es schmeckte allen vorzüglich. Anna war schließlich die erste, die behauptete, sie sei müde und möchte heimfahren.

»Können wir das Engelchen nicht mitnehmen?« fragte Pucki.

»Das geht nicht, schöne Waldfee, ich fahre mit dem Rade heim.«

»Noch drei Tänze, inzwischen mache ich den Wagen fertig«, entschied Onkel Fritz. Dann ging er hinaus. Vera und Pucki tanzten noch einmal mit dem Forsteleven. Endlich kam Onkel Fritz wieder herein und mahnte zum Aufbruch.

»Leb wohl«, sagte Pucki schwärmerisch zu dem jungen Forsteleven und täuschte ein Schluchzen vor. »Vergiß die Waldfee nicht, die ewig an diesen Tag denken wird.«

Dann ein Tuscheln und Flüstern zwischen Pucki und Vera, ein unterdrücktes Kichern, und rasch eilten die jungen Mädchen hinaus, um ins Auto zu steigen. Carmen mußte wieder neben Onkel Fritz sitzen. Anna legte sich sogleich in die Wagenecke und schloß die Augen, Pucki und Vera aber drückten sich auf die andere Hälfte des Sitzes. Ihre Augen blitzten voller Übermut den am Wagen stehenden Forsteleven an.

»Hoffentlich sehen wir uns im Leben einmal wieder«, rief er in den Wagen hinein. – »Wo finde ich euch?«

»In Rotenburg, im ›Deutschen Haus‹«, sagte Vera, »dort gehen wir beide ein und aus!«

»Oh, wir werden uns schon wiedersehen«, lachte Pucki. Sie konnte ihre Ausgelassenheit kaum unterdrücken.

Dann fuhren sie davon. Anna sank bald in tiefen Schlaf.

»Du – du – –« Pucki schüttelte sich vor Lachen. »Was wird unser ›Engel‹ nur machen, wenn er weder Hut noch Joppe findet?«

Unter dem Sitz zogen die beiden einen grünen Jägerhut und eine Joppe hervor.

»Morgen packe ich ein Paket und schicke ihm alles wieder zu. Doch heute soll er suchen.«

»Wo wohnt er denn?«

»Weißt du es nicht, Pucki?«

»Nein, ich weiß nur, daß er Engelbert – – Engelbert – – heißt. Du, – Vera, wie hieß er denn noch?«

Das übermütige Lachen verstummte plötzlich. »Ich glaube, wir haben hier etwas sehr Dummes gemacht«, sagte Pucki.

Das Schaukeln des Wagens, der Wein, das Tanzen und Lachen machte die beiden Mädchen müde und immer müder. Regelmäßige Atemzüge verrieten bald, daß drei junge Mädchen im Innern des Autos fest eingeschlafen waren.

Auch Carmen war sehr müde geworden. Die Augen fielen ihr öfters zu, doch riß sie sie immer wieder energisch auf. Wenn sie doch erst daheim im Bett läge! An ihren Füßen schienen Bleigewichte zu hängen. Carmen hörte kaum, was Onkel Fritz sagte. Sie gab nur einsilbige Antworten.

»Müde genug scheint ihr ja alle zu sein. Doch nun Haltung, wir sind gleich in Rotenburg.«

Der Wagen hielt dann. Carmen stieg unter schweren Seufzern aus. Onkel Fritz öffnete die Wagentür, doch niemand kam heraus.

»Nanu, – was ist denn los? Aussteigen, wir sind am Ziel!« Und dann lachte er laut und herzlich. Das Bild, das sich ihm zeigte, war gar zu drollig. Zurückgelehnt lagen drei junge Mädchen, den Mund weit geöffnet, die Augen fest geschlossen, im Wagen.

Onkel Fritz rüttelte eine nach er anderen wach. »Haltung, ihr Mädel! Wenn euch Tante Grete so müde und verschlafen sieht, dürft ihr nie wieder mit mir einen Ausflug machen.«

Als erste hob er Pucki aus dem Wagen. Sie war so verschlafen, daß sie fast zu Boden gefallen wäre. Lachend stellte sie Onkel Fritz auf die Beine. Dann holte er Vera und schließlich Anna aus dem Innern des Wagens.

»Ich wasche euch mit kaltem Wasser ab, wenn ihr nicht sofort wach werdet.«

»Komm«, sagte Carmen verschlafen, »wir müssen hinaufgehen. – Anna, komm mit!«

Onkel Fritz ließ Vera wieder in den Wagen steigen und meinte: »Bleib sitzen, bis ich wiederkomme. Ich fahre dich zum ›Deutschen Haus‹. Erst muß ich die drei anderen besorgen. Und nun nehmt euch zusammen«, rief er laut.

Beim Treppensteigen mußte er nachhelfen, denn Pucki und Anna waren zum Umfallen müde. Pucki machte nicht einmal die Augen auf; sie ließ sich schieben. Oben angekommen, teilte das öffnende Hausmädchen Herrn Müller mit, daß Frau Perler Besuch hätte. Sie werde Herrn Müller melden.

»Nein, nein«, wehrte der Viehhändler erleichtert ab. »Sagen Sie der gnädigen Frau, ich brächte ihr alle Mädchen gesund zurück. Die jungen Mädchen gehen gleich zu Bett.« Dann entfernte er sich schnell, denn er hatte kein gutes Gewissen. Den Stachelbeerwein hätten die jungen Dinger eigentlich gar nicht trinken sollen.

Carmen schlich sich möglichst leise in ihr Zimmer und ebenso Anna. Angekleidet warf sie sich aufs Bett und schlief sofort weiter. Auch Carmen fühlte sich todmüde. Nur langsam legte sie die Kleider ab.

Pucki humpelte hinter den Freundinnen her. Sie sah ein Bett – – machte einige Schritte darauf zu – und warf sich hinein.

»Das ist – – mein Bett – –« wehrte Carmen leise ab, doch Pucki hörte nicht mehr. So entschloß sich Carmen in Puckis Bett die Nacht zu verbringen. Im Augenblick war ihr alles einerlei, nur schlafen, schlafen!

Als Onkel Fritz im »Deutschen Haus« ankam, hatte er mit Vera noch viele Mühe. Das junge Mädchen war kaum zu wecken. Frau Klingler nahm sich der Tochter an und brachte sie hinauf in ihr Zimmer.

Unten in der Garage stand ein Auto. Darin lag eine Joppe und ein grünes Jägerhütchen.


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