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Immer noch eins auf den Deckel

Schon am nächsten Tage rief Frau Perler Pucki und Carmen in ihr Zimmer.

»Ich hoffe, daß ihr der Wahrheit gemäß mitteilt, was sich in der vorigen Woche ereignet hat.«

Die beiden jungen Mädchen senkten die Köpfe.

»Von dir, Carmen, mag ich nicht glauben, daß du abends gegen elf Uhr den Hausschlüssel an einem Bindfaden hinuntergelassen hast. Es ist gesehen worden, doch ich glaube es nicht recht, da ich weiß, daß du niemals etwas hinter meinem Rücken getan hast. – Weißt du etwas davon?«

Carmen stotterte einige Worte. Frau Perlers Augen gingen zu Pucki, die schuldbewußt neben der Freundin stand.

»Vielleicht erzählst du es mir, Pucki. Dein Mund ist doch sonst nicht stumm, wenn es gilt, Herren im Hotel zu besuchen und sie um ein Autogramm zu bitten. Ich werde mich leider genötigt sehen, über euer Verhalten nach Hause zu berichten.«

»Tante Grete«, klang es wie aus einem Munde. Besonders Pucki erschrak. Frau Perler war die Schwester des Oberförsters Gregor, die Tante von Claus. Er würde alles erfahren. Claus tadelte sicherlich ihr Betragen. Aber auch von den Eltern kam bestimmt ein Brief mit Vorwürfen. »Ich will dir alles erzählen«, begann Pucki erregt. »Wir bereuen, was wir taten. Bitte, schreibe nicht an die Eltern, wir sind übergenug gestraft.«

Wahrheitsgetreu erstattete Pucki Bericht. »Sieh mal, Tante«, schloß sie, »es ist etwas Großes und Erhabenes um den Sport, er stählt den Körper und Geist. Ist es da zu verwundern, wenn ein Mann wie Ikonda uns berauscht?«

»Drücke dich nicht immer so überschwenglich aus, Pucki.«

»Die anderen waren doch auch dabei – –«

Dann gab es eine ordentliche Strafpredigt.

»Damit ihr wißt«, fuhr Tante Grete fort, »daß euer Verhalten unstatthaft gewesen ist und daß ihr euch wie zwei ganz dumme Mädchen benommen habt, wird auch die Strafe, die ich euch zudiktiere, dementsprechend sein. Ihr habt acht Tage lang keinen Ausgang; ohne meine Begleitung wird kein Weg gemacht. Ihr habt direkt aus der Schule, und zwar auf dem kürzesten Wege, heimzukommen. Die Nachmittage stehen unter meiner Aufsicht. Ihr werdet sogar die Schulaufgaben acht Tage lang im Wohnzimmer machen, damit ihr nicht auf dumme Gedanken kommt.«

»Ich verspreche dir, Tante Grete, daß ich in der nächsten Zeit keine Dummheiten machen werde, doch den Arrest erlasse uns. Was müßten Melitta und Anna von uns denken – –«

»Das schadet euch gar nichts. Melitta und Anna sind nicht die einzigen, die sich über euch lustig machen. Ihr habt euch vor vielen Rotenburgern zu schämen. Man hat euch vor dem ›Deutschen Haus‹ genau beobachtet, und du, Pucki, bist eigentlich unmöglich geworden.«

»Hinterher habe ich alles eingesehen, Tante Grete.«

»Was nützt das! Ich finde, du bist alt genug, um deine Handlungen vorher zu überlegen.«

Reuevoll versprachen die beiden jungen Mädchen, sich zu bessern, aber der Stubenarrest wurde nicht aufgehoben. »Von dem Bericht nach Hause will ich diesmal absehen«, sagte die Tante, »wenn ich jedoch noch einmal etwas Ähnliches von euch höre, schreibe ich es sofort an eure Väter. Ihr habt es gehört, und ihr wißt, ich halte mein Wort.«

Am Nachmittag, als die beiden Mädchen im Wohnzimmer arbeiteten, kam Melitta herein und lachte schadenfroh vor sich hin. Frau Perler saß am Fenster und stickte. Pucki empfand alles als Schmach. Acht Tage lang war sie eine Gefangene! Nein, sie würde überhaupt nicht mehr ausgehen! Da sie sich in Rotenburg blamiert hatte, durfte sie niemand mehr sehen.

»Ich hab's gewußt«, sagte sie am Abend zu Carmen, »daß wir noch eins auf den Deckel bekommen würden. Wäre der dämliche Rennfahrer doch niemals hergekommen! Nun baut er sich sogar hier eine Garage. – Schrecklich!« –

Am Sonntag kam Hans Rogaten.

»Tante Perler, du erlaubst doch, daß ich heute mit Pucki einen Spaziergang nach dem Stadtwald mache? Ich bringe sie zum Abendessen pünktlich zurück.«

»Nein, Hans, das erlaube ich nicht, Pucki hat Arrest!«

»Wegen des ›Deutschen Hauses‹?« lachte Hans. »Ach, Tante Perler, du darfst doch nicht vergessen, daß Pucki mitten in den Lümmeljahren steckt. In dem Alter haben wir es ähnlich getrieben.«

»Pucki hat Arrest«, klang es streng zurück, »sie darf heute nicht mit Ihnen ausgehen. Am nächsten Sonntag habe ich nichts dagegen, heute bleibt sie zu Hause. Wenn Sie Zeit haben, trinken Sie eine Tasse Kaffee mit uns.«

»Schade«, lachte Rogaten, »ich hatte mich wirklich auf einen kleinen Bummel gefreut. Bei Ihnen, Tante Perler, erreicht man mit Bitten aber leider nichts, das weiß ich aus meiner Pensionszeit.«

Pucki wurde gerufen. Wieder strahlte ihr Gesicht, als sie Hans Rogaten erblickte. Er würde sie sicher aus dieser unwürdigen Gefangenschaft erlösen. Tante Grete hatte gewiß nichts dagegen, wenn sie in seiner Begleitung spazierenging. Daß sie sich in Rotenburg unmöglich gemacht hatte, wie sie sagte, war längst vergessen.

Frau Perler verließ das Zimmer mit den Worten: »Also Hans, Sie trinken mit uns den Kaffee.«

Die Tür schloß sich. »Schade, Pucki«, sagte der junge Apothekergehilfe, »ich hatte mich auf den Bummel mit dir gefreut. Nun wird er nicht erlaubt. – Du hast Arrest?«

Pucki fühlte einen Stich im Herzen. Sie war vor Hans Rogaten blamiert, sie, eine junge Dame von fünfzehn Jahren, hatte Arrest. Das war furchtbar.

»Ich habe dir was mitgebracht«, fuhr Hans fort. »Mein Chef läßt dir sagen, du möchtest ihm den grünen Karton zurückgeben, den du kürzlich gekauft hast, er braucht ihn.«

Pucki wurde glühendrot. »Den habe ich gekauft«, erwiderte sie trotzig, »ich brauche ihn auch.«

»Du redest ja Unsinn, Pucki. Wozu brauchst du ein Haarfärbemittel?« Dabei strich er ihr über das blonde Lockenhaar. »Das ist glücklicherweise alles Natur und nicht so scheußlich zurechtgemacht.«

»Du weißt – –?« stammelte sie verwirrt. »Ich sage ja, mir geht alles quer!«

Rogaten zog aus der Westentasche einige Münzen und legte sie vor Pucki nieder. »Hier schickt dir der Chef zwei Mark achtzig Pfennige, und dann gibst du mir den kleinen Karton zurück.«

Begehrlich schaute das junge Mädchen auf das Geld. Oh, es würde ihr recht zustatten kommen. Ihr roter Mund verzog sich jedoch trotzig.

»Ich habe es richtig gekauft, dabei bleibt es.«

»Sei nicht kindisch, Pucki, gib mir den Karton zurück, und alles ist gut. Davon braucht niemand was zu wissen.«

»Ich würde ihn dir gerne geben, Hans, ich könnte die zwei Mark achtzig auch so gut brauchen, aber – – es geht doch nicht.«

»Warum denn nicht?«

Puckis Stimme wurde weinerlich. »Weil ich eben entsetzliches Pech habe, weil mir alles in der letzten Zeit schief geht. Den grünen Karton kann der Apotheker nicht mehr brauchen, ich habe – – ich hatte – – ich brauchte – – aber das ist ja gleichgültig – er ist schmutzig geworden. – Nun muß ich das olle Haarfärbemittel behalten, und ich könnte das Geld doch so gut brauchen.«

»Das ist freilich schlimm, Pucki. Aber bringe den Karton nur mal her. Vielleicht können wir ihn dann etwas billiger verkaufen«, tröstete Rogaten, dem der Jammer der Freundin ins Herz schnitt.

Pucki holte den Karton. Er sah freilich nicht mehr schön aus.

»Ich mache dir einen Vorschlag«, fuhr Rogaten fort, »ich gebe dir zwei Mark sechzig zurück, der Rest wird für Abnutzung gerechnet.«

Pucki schlang voller Entzücken beide Arme um Rogatens Hals. »Du bist ein Engel, du weißt immer einen Ausweg! – Ach, nun wage ich den Kopf wieder ein wenig höher zu tragen. Jeder gibt mir eins auf den Deckel, nur du bist mein wahrer Freund, Hans.«

Pucki griff nach dem Geld. Zwanzig Pfennige ließ sie liegen. »Ich bin recht froh, daß ich den kleinen Kasten wieder los bin, denn manchmal kontrolliert Tante Grete unsere Sachen. Lieber Himmel, was würde sie sagen, wenn sie das Haarfärbemittel bei mir fände.«

Rogaten steckte lachend die zwanzig Pfennige ein. Er nahm sich vor, in Kürze seiner kleinen Freundin einen Kasten Konfekt zu schenken, um sie für alles Ausgestandene zu entschädigen. Er hatte mit seinem Chef herzlich über Hedi Sandler gelacht, als er den Vorfall mit dem Haarfärbemittel hörte.

Puckis frohe Stimmung bekam aber bald wieder einen Dämpfer. Gemeinsam saß man am Kaffeetisch. Melitta wippte auf dem Polsterstuhl hin und her.

»Kannst du mir sagen, Tante Grete«, fragte sie, »womit diese Stühle gepolstert sind?«

»Zum Teil mit Werg, zum Teil mit Roßhaar.«

»Kann man nicht auch Menschenhaare als Polsterung nehmen?« Melittas Augen bohrten sich förmlich in Puckis Gesicht.

Frau Perler, die ahnungslos war, denn sie wußte nichts von dem Gedicht, das Ikonda als Autogramm gegeben hatte, sagte ruhig: »O nein, Menschenhaar wird dafür nicht verwendet.«

»Wenn einer aber recht viel ausgekämmte Haare hat, oder wenn sich vielleicht jemand eine Lockensammlung angelegt hätte, – ich könnte mir schon denken, daß Menschenhaar zum Polstern Verwendung findet.«

»Wie kannst du nur solch dummes Zeug reden, Melitta«, sagte Tante Grete.

Pucki hielt noch im letzten Augenblick an sich. Am liebsten hätte sie der Mitschülerin irgend etwas ins Gesicht geworfen, doch Tante Grete sah zufällig zu ihr hinüber. So begnügte sie sich damit, einen Pfannkuchen in der Hand zu zerdrücken. Fred Aßmann, der scheußliche Bengel, mußte geplaudert haben! Ihre Schande war somit offenbar geworden! –

Ob sie die Eltern bat, sie aus Rotenburg fortzunehmen?

»Du machst ja so spitze Augen, Puck«, sagte Melitta. »Wir nennen Pucki von jetzt an nur noch ›Puck‹, Tante Grete.«

»Warum denn?«

»Weil das besser zu ihr paßt. Puck ist ein Kobold, der nur Unnützes treibt.«

»Wir wollen nicht hoffen, daß Pucki nur Unnützes treibt.«

»Wie ich dich nenne«, rief Pucki erbost, »will ich lieber für mich behalten. Ein schöner Name ist es natürlich nicht.«

Rogaten wollte unter dem Tisch Hedis Hand drücken. Er faßte die mit Pflaumenmus beschmutzten Finger und zog die Rechte rasch wieder zurück, um sie verstohlen abzuwischen.

Pucki war froh, als das gemeinsame Kaffeetrinken beendet war. Sie bat Hans Rogaten leise, er möge bei Tante Grete noch einmal ein gutes Wort für sie einlegen, um wenigstens ein Stündchen spazierengehen zu können. Doch Rogaten schüttelte den Kopf.

»Das ist ganz unnötig! Wenn Tante Grete einmal nein gesagt hat, bleibt es dabei.«

»Findest du nicht, daß sie uns gar zu sehr deckelt?«

»Ich glaube, kleine Pucki, daß du ihr später sehr dankbar dafür sein wirst. Für heute bleiben wir hier beisammen.« –

Noch war der Stubenarrest für Hedi Sandler nicht beendet, als sich ein seltener Besuch im Perlerschen Hause einstellte. Der Bauernhofbesitzer Teck, Puckis Bekannter von der Schmanz, mußte Besorgungen in Rotenburg machen. Er hatte, um Pucki zu erfreuen, seine Hausgehilfin Rose Scheele mitgebracht. Während er seinen Besorgungen nachging, sollte Rose bei Pucki bleiben, um mit ihr zu plaudern.

Die sechzehnjährige Rose Scheele war Tante Grete keine Fremde. Von jeher sprach Pucki mit größter Herzlichkeit von der um ein Jahr älteren Freundin. Rose Scheele war vor Jahren als blasses Stadtkind zu den großen Ferien ins Forsthaus Birkenhain gekommen. Die beiden Kinder freundeten sich an, und seit jener Zeit kam Rose Scheele fast alljährlich zu Sandlers, um sich während der Sommerferien zu erholen. So hatte sie auch die Bauersleute auf der Schmanz kennengelernt, und immer größer wurde ihre Liebe für das Landleben. Alles Sehnen des heranwachsenden Kindes ging dahin, einmal für immer auf dem Lande leben zu können. Der sonst mürrische und wortkarge Bauer schloß das blasse Mädchen gar bald in sein Herz, und als Rose mit fünfzehn Jahren die Schule verließ, war es längst abgemacht, daß sie auf die Schmanz kam, um in Haus, Hof und Garten zu helfen.

»Jetzt bin ich eine Magd«, hatte Rose mit glücklich leuchtenden Augen gesagt, »jetzt darf ich auf den Feldern helfen, darf in die Ställe gehen; all das Schöne, was dem Schmanzbauer gehört, darf ich hegen und pflegen. Oh, was für ein glückliches Mädchen bin ich geworden!«

Für Rose Scheele gab es nur Arbeit, doch die Arbeit machte sie glücklich. Sie war froh, daß sie helfen durfte. Abwechslung brauchte sie nicht, denn das Landleben bot ihr so viel Schönes, daß sie sich nach Zerstreuungen nicht sehnte.

Freilich, auf die heutige Fahrt nach Rotenburg freute sie sich von Herzen, vor allem darauf, Pucki wiederzusehen. Pucki, die in die hohe Schule ging und so vieles lernte, was Rose Scheele nie gelernt hatte, war aber gar nicht stolz, sie nannte Rose nach wie vor ihre treue Freundin.

Frau Perler freute sich über das frische, gesunde Mädchen, das so glücklich von seiner Tätigkeit erzählte, und auch Pucki fiel Rose jubelnd um den Hals und küßte sie herzlich. Wie schrecklich, daß sie noch immer Stubenarrest hatte. Wenn Rose das hörte, war Pucki sogar auf der Schmanz blamiert.

»Wie schön, daß du zu mir kommst. Wir bleiben den ganzen Nachmittag hier, da läßt es sich besser erzählen, als wenn man durch die Straßen läuft«, sprudelte Pucki heraus. »Und nun erzähle mal, wie es allen geht.«

»Ich bin sehr glücklich«, begann Rose, »denn es ist wunderschön auf der Schmanz. Jeden Tag danke ich dem lieben Gott, daß ich dort tätig sein darf. Eine Helferin auf dem Lande! Pucki, du glaubst gar nicht, wie glücklich mich das macht, eine Magd zu sein.«

Pucki machte eine Schnute. »Eine Magd muß doch all die schweren Arbeiten leisten.«

»Ich kann alles leisten«, rief Rose glücklich, »meine Kräfte werden immer größer. Weißt du noch, wie schwach ich war, als ich zum erstenmal zu euch in den Wald kam? Du konntest einen dicken Ast heben, ich nicht. Und ich war doch ein ganzes Jahr älter als du.«

»Du kamst auch aus der Großstadt. Ihr hattet eine häßliche Wohnung.«

»Und nun gehört das weite Feld mir, alle Bäume und der Wald. – Ach, Pucki, ich glaube ich bin viel zu dumm, um dir sagen zu können, was ich fühle, wenn ich arbeiten darf auf einem Stück Erde, das immer Neues hervorbringt. Der Schmanzbauer und die Bäuerin sind sehr gut zu mir. Nun ist auch der zweite Sohn, der Erich, heimgekommen. Er soll später den Hof übernehmen. Er muß natürlich die Landarbeit erst lernen, denn er war bisher Schlosser.«

»Und was macht Michael, der Seefahrer?«

»Der ist wieder auf dem Wasser, dem ist das Wasser viel lieber als die gesegnete Erde. Du hast immer Wald und Feld um dich gehabt, Pucki, dir erscheint das alles vielleicht nicht so wunderbar wie mir. – Ach, Pucki, ich wünschte, ich könnte recht lange beim Schmanzbauern sein.«

Rose Scheele wurde auch mit den beiden anderen Pensionärinnen bekannt. Anna Nickel, die gleichfalls die Tochter eines Bauern war, kam sogleich in eine lebhafte Unterhaltung mit Rose. Sie konnte jetzt beinah schwärmen; man brauchte nur das Gespräch auf Kuhställe und Schweineboxen zu bringen.

Melitta hingegen betrachtete den Gast sehr kritisch. Sie gab viel auf Äußerlichkeiten. Die einfache Kleidung Roses nötigte ihr ein Spottlächeln ab.

»Sie sind Haustochter bei einem Bauern?« fragte sie.

»Er behandelt mich wie seine Tochter«, erwiderte Rose schlicht. »Ich bin nicht Haustochter, ich habe mich als Magd vermietet.«

»Als Magd?« fragte Melitta, »Sie müssen Schweine füttern, den Hühnerstall säubern, Wasser tragen, graben und düngen?«

»Ja«, klang es glücklich zurück, »überall darf ich mithelfen! Und wenn wir abends müde heimkommen, so müde, daß wir kaum die Arme bewegen können, liest uns der Erich etwas vor, oder er spielt auf der Ziehharmonika. Ach, das ist herrlich!«

»Haben Sie denn Familienanschluß als Magd?« erkundigte sich Melitta neugierig.

Rose blickte fragend auf. »Wir alle auf der Schmanz sind eine Familie«, sagte sie treuherzig, »wir sitzen zusammen beim Essen und gehen zusammen zur Arbeit. Jeder hat seine Pflichten zu erfüllen. Oh, es ist wunderschön, in Gottes Natur zu schaffen. Als ich noch in der Stadt lebte, habe ich das nicht gewußt. Dort kennt man das alles nicht. Man muß erst einmal hinaus aufs Land gekommen sein. Ich bin sehr glücklich auf der Schmanz!«

»Glücklich über die Stellung, die Sie dort haben?« fragte Melitta erstaunt.

»Über die gesegnete Arbeit, die ich leisten darf. Das Land ist ein Großes, Ganzes. Der Schmanzbauer sagt, es sei die Nährmutter der Städte; dem Bauern sei eine heilige Aufgabe zudiktiert, die er mit allen Kräften erfüllen müsse, und ich darf dabei helfen und darf an dem Großen mitarbeiten.«

Erstaunt blickte Pucki auf die sonst so stille Rose. Deren Augen leuchteten heute gar sonderbar. Wie hatte sich das blasse Stadtkind verändert.

Melitta fühlte ein leises Unbehagen in sich aufsteigen. Mit welchem Stolz sprach dieses schlichte Mädchen von seiner Arbeit! Wie glücklich schien Rose in ihrer dienenden Stellung zu sein! Es war ihr unmöglich, noch ein weiteres Wort des Spottes zu sagen.

»Beim Schmanzbauern hat es mir auch immer gefallen«, sagte Pucki. »Es sind gar liebe Leute. Wenn ich zu den Weihnachtsferien komme, besuche ich euch. Den Erich kenne ich noch gar nicht. Ist er nett?«

»Er arbeitet fleißig mit. Beim Schmanzbauern sind alle nett.«

»Warst du öfters bei meinen Eltern in Birkenhain?«

»Ich komme selten hin; im Sommer gibt es zuviel Arbeit draußen auf der Schmanz. Nur deinen Vater habe ich mehrmals gesehen.«

Pucki hatte ungezählte Fragen zu stellen. Die sorgenlose Kinderzeit stieg wieder deutlich vor ihrem Auge empor: das Leben im Elternhause, die Besuche auf der Schmanz, auf dem Niepelschen Gut und in der Oberförsterei. Immer fühlte sie einen schmerzenden Druck am Herzen, wenn sie an daheim dachte. Die Sehnsucht nach dem Forsthaus, nach dem geliebten Wald ließ sie nicht los, und wenn sie noch zwanzig Jahre in Rotenburg lebte.

»Was machen Waltraut und unsere Kleinste?«

»Oh, Agnes ist ein strammes Schulmädchen geworden, dem es in der Schule gut gefällt, und Waltraut ist seit Ostern in der Rahnsburger Privatschule.«

»Ach, die beiden haben es gut«, sagte Pucki seufzend, »als ich zehn Jahre alt war, gab es in Rahnsburg noch keine Privatschule. Ich mußte in die Welt hinaus.«

»Aber Pucki«, lachte Rose, »wir fahren mit der Bahn gar nicht lange und sind hier.«

»Ach je, Rose, was hast du für harte Hände. Sieh mal die meinen an, sie sehen ganz anders aus.«

»Der Schmanzbauer sagt dazu: Je härter die Hände, um so fester kann man das Leben anfassen und sich durchbringen. Ich bin froh, Pucki, daß ich die harten Hände habe. Es macht Spaß, damit kräftig zuzufassen.«

Als Rose Scheele vom Schmanzbauern wieder abgeholt worden war und längst im Zuge saß, um heimzufahren, dachte Pucki noch immer an die Worte der Freundin. Rose hatte den ersten Schritt ins Leben bereits gewagt. Pucki stand er noch bevor. Heute wußte sie noch nicht, wie sich ihr späteres Leben gestalten würde. Doch eines war gewiß: sie würde nicht müßig die Jahre verbringen. Auch sie wollte etwas Tüchtiges lernen und weiterkommen. Einen Beruf würde sie ergreifen, der sie befriedigte. Ob ihre Augen dann auch so hell leuchten würden, wie die der tapferen Freundin, wenn sie erzählte, daß sie dienen dürfe und viel arbeiten müsse?

Pucki schaute auf ihre weißen Hände.

»Je härter sie sind, um so fester kann man das Leben anpacken. – Mit diesen Händen kann ich nicht viel anfassen!«

Am nächsten Tage wurde nochmals von dem Besuch gesprochen. Pucki fürchtete, daß Melitta ein häßliches Wort über Rose Scheele sagen würde, aber es unterblieb.

»Ich fand sie herrlich«, sagte Carmen, »ich finde, sie ist gut, ehrlich und aufrecht. Sie steht weit über uns.«

»Hast recht, Carmen«, sagte Frau Perler, »Rose Scheele ist ein sehr braves Mädchen, das mit frohem Herzen ins Leben schaut und es meistern wird. Solch ein Mensch ist wertvoll!«

Am Abend geschah etwas ganz Sonderbares. Melitta kam zu Pucki.

»Ist Rose deine Freundin?«

»Ja.«

»Ich habe ihr nicht wehtun wollen, Pucki, ich habe nur alles anders gesehen. Wenn du mal wieder mit ihr zusammenkommst, sage ihr, daß ich sie nicht kränken wollte. Als sie erzählte, habe ich mich wirklich geschämt. Lieber Himmel, ich bin eben ein verwöhntes Stadtmädel, doch ich will mir in Zukunft einmal das Land und seine Bewohner genauer ansehen.«

»Du hast dich geschämt!« jubelte Pucki. »Nun ist alles gut! Das hätte ich nicht gedacht, daß dir unsere liebe Rose Scheele gefällt. Nun bin ich zufrieden. – So! Nun wollen wir uns wieder vertragen, Melitta!«


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