Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Puck

Mit dem Gefühl größten Unbehagens sah Pucki am nächsten Tage der Literaturstunde bei Studienrat Regelius entgegen. Am liebsten wäre sie heute nicht in den Unterricht gegangen. Sie nahm sich vor, recht aufmerksam zu sein. Apoll würde bestimmt in der heutigen Goethestunde nichts von dem Besuch im »Maiglöckchen« erwähnen. Er würde von dem Weimarer Altmeister schwärmen, und das Gewesene war vergessen.

Puckis Herz schlug wie ein Hammer in der Brust, als Apoll die Klasse betrat. Durch die Reihen der Schülerinnen ging ein Ruck. Wenn Er kam, schien das Zimmer voller Sonne zu sein. Nur Anna Nickel ließ sich nicht stören, sie nagte weiter am Federhalter.

Allmählich wich der Druck von Hedi Sandler. Apoll sagte kein Wort von dem gestrigen Vorfall. Wahrscheinlich zerbrach er sich noch den Kopf darüber, wie der Zettel und der Füllfederhalter in seine Manteltasche gekommen waren. So wagte Pucki in der zweiten Stundenhälfte, dem Studienrat schwärmerisch in die Augen zu sehen.

Er sprach heute von den Frauen um Goethe, er sprach von jener Zeit der höchsten Kulturblüte in Weimar und von der Verehrung, die Goethe genoß.

»Es war eine Schwärmerei, wie sie der damaligen Zeit entsprach. Es würde niemand gewagt haben, dem Dichterfürsten in taktloser Weise nahezukommen. Eine Keckheit oder gar eine Dreistigkeit hätte sich niemand erlaubt.«

Puckis Augen waren nicht mehr groß, sie blinzelten nur noch.

»Wir wissen«, fuhr Studienrat Regelius fort, »daß Goethe laute und leise Schwärmereien nicht liebte, daß er sehr ungehalten sein konnte, wenn wirklich einmal ein keckes Ding wagte, ihm gar zu deutlich seine Verehrung zu zeigen.«

Pucki schlug die Augen nieder. Apoll schien nur zu ihr zu sprechen.

»Mit Recht verurteilte Goethe solches Verhalten«, fuhr der Studienrat mit erhobener Stimme fort, »doch in damaliger Zeit hielt man streng auf Zucht und Sitte, und ein junges Mädchen, das sich dem Altmeister zu kühn genaht hätte, wäre allgemein verurteilt worden.«

Pucki war es, als säße ihr ein Kloß in der Kehle. Scheu blickte sie auf. Apoll fuhr sich gerade mit der rechten Hand durch die Locken. Seine Augen hafteten noch immer fest auf ihr. Es stand ohne Zweifel fest, daß Regelius in ihr die Urheberin jenes Zettels sah. – Ob er vielleicht doch hinter der Zeitung hervorgesehen hatte, ob er sich nur lesend stellte, um seine beiden Schülerinnen besser beobachten zu können? – Entsetzlich wäre das!

Als Doktor Regelius eine Frage an einen Schüler stellte, der auf der anderen Seite des Klassenzimmers saß, wagte Pucki aufzusehen. Wieder glitt seine Hand durch die wundervollen Locken, aber – was war das? Über den schlanken Zeigefinger war ein schwarzer Gummifinger gezogen. Apoll schien sich den Finger verletzt zu haben. Pucki starrte unentwegt auf die Hand. Sie war von dem schwarzen Gummifinger derart in Anspruch genommen, daß sie an nichts anderes denken konnte.

Sie wandte sich halb nach rückwärts. »Siehst du den Finger, Vera?«

Die Angeredete, die pfiffige Blondine, die an allen Streichen beteiligt war, nickte.

»Ein alter Handschuhfinger ist es.«

»Ob er sich geschnitten hat?«

»Kannst ihn ja mal fragen!«

»Um des Himmels willen, Vera, ich habe ohnehin – –.«

»Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit«, klang da die Stimme des Apoll. Es schien Pucki, als klänge sie heute scharf.

In dieser Stunde konnte Pucki zweimal keine Antwort geben. In ihrem Hirn wirbelte es bunt durcheinander. Sie sah Goethe, wie seine Verehrerinnen ihm kleine Zettel in den Mantel steckten, und sie sah schwarze Finger, die durch blonde Haare fuhren.

Endlich war die Stunde beendet. Das Läuten ertönte. Studienrat Regelius legte die Bücher zusammen.

»Ich wollte dir noch deinen Füllfederhalter zurückgeben, Hedi Sandler. Wenn auch des öfteren meine Bleistifte verschwinden«, setzte der Studienrat scherzend hinzu, »möchte ich doch nicht fremdes Eigentum behalten. Hier!«

Es war für Pucki, als habe der Blitz neben ihr eingeschlagen. Zwei Schritte vor ihr stand Apoll und hielt Melittas Füllfederhalter in der Hand, hielt ihn mit dem schwarzen Gummifinger fest.

Erst wurde sie weiß wie die Wand, dann glühend rot.

»Er gehört dir doch?«

Pucki rührte sich nicht. Apoll wußte, daß sie den Zettel geschrieben hatte – es war fürchterlich! Apoll machte sie lächerlich vor allen Mitschülern.

Da sich Pucki noch immer nicht rührte, trat Doktor Regelius an die Bank heran und legte, ohne ein Wort zu sagen, den Füllfederhalter vor Pucki Sandler nieder. Dann verließ er das Klassenzimmer. Alle Mitschülerinnen umdrängten sie.

»Was ist denn los?« klang es.

»Warum bist du so erschrocken?«

»Wie kommt er zu deinem Füllfederhalter?«

»Na, Pucki«, sagte Fred Aßmann, »du scheinst da was Schönes ausgeheckt zu haben. – Erzähle mal.«

Pucki hatte sich auf ihren Platz gesetzt. Sie war derart verstört, daß sie auf keine der Fragen zu antworten vermochte.

»So sage doch, was los ist!«

Auch jetzt kam kein Wort über die Lippen des jungen Mädchens. Noch in der nächsten Stunde war Pucki so geschlagen, daß der Lehrer verwundert den Kopf schüttelte.

Erst auf dem Heimwege kamen einige Andeutungen über Puckis Lippen. »Unschuldig für andere leiden? – – Die Schmach auf sich nehmen müssen? – Was tue ich – was tue ich?«

»Pucki, du mußt etwas Entsetzliches erlebt haben«, sagte Carmen mitleidig. »Sprich dich aus, ich will verschwiegen sein wie das Grab.«

»Was tut man, wenn man von einer anderen fürs Leben blamiert wurde? Wenn sich eine andere feige fortschleicht und die ganze Schuld auf die Zurückbleibende fällt?«

»Man stellt die andere zur Rede.«

Pucki rollte die Augen; es war fürchterlich anzusehen. »Ja, ich räche mich, und furchtbar soll meine Rache sein! – Carmen, hast du auch gesehen, daß er einen schwarzen Gummifinger hat?«

»Wer denn?«

»Apoll! – Kannst du dir Apoll mit einem schwarzen Gummifinger vorstellen?«

»Du bist übergeschnappt, Pucki. Warum soll sich Herr Studienrat Regelius nicht auch einmal in den Finger schneiden?«

»Nein«, klang es zurück; und ein tiefer Seufzer entfloh dem Munde.

Als Pucki kurz vor dem Mittagessen Melitta erblickte, stieg wilder Groll in ihr hoch. Sie schleuderte ihr den Füllfederhalter zu.

»Ich muß ausessen, was du mir eingebrockt hast. Du blamierst mich. Ich mußte den Zettel in seine Tasche stecken, ich mußte die Schmach erleben, daß du nicht bezahlen konntest, ich mußte den Federhalter in Empfang nehmen, und du bekommst keine höhnische Rede von ihm. – Du bist in meinen Augen ein Feigling!«

»Was willst du eigentlich von mir?«

»Ich verachte dich! Aber es wird dir schon einmal ebenso gehen wie mir. Noch weiß ich nicht, wie ich mich rächen werde, – aber ich räche mich!«

Noch am selben Tage wurde Melitta eine große Freude bereitet. Tante Grete teilte der Obersekundanerin mit, daß ihr Vetter Martin heute vormittag vorgesprochen habe. Er sei auf der Durchreise und werde gegen drei Uhr wiederkommen.

Pucki kannte diesen Vetter. Melitta pustete sich stets sehr auf, wenn sie mit dem jungen Mann in Rotenburg spazierenging. Auch jetzt erzählte sie wieder mit überlauter Stimme von Vetter Martin, der bereits ein eigenes Geschäft hätte.

»Wir werden einen netten Nachmittag verleben«, schloß sie.

»Zum Abendessen bist du natürlich zurück, Melitta.«

»Liebste Tante Grete, ich glaube, mein Vetter wird mit Bitten nicht nachlassen. Wir wollen gemeinsam zu Abend essen. Das mußt du uns heute schon erlauben.«

»Die Schularbeiten dürfen nicht vernachlässigt werden, Melitta. Dein Vetter kommt häufig nach Rotenburg, er will außerdem mit dem Abendzug weiterfahren.«

»Iß du ruhig abends bei uns«, sagte Pucki höhnisch, »der Vetter Martin ist gewiß froh, wenn er dich abends wieder los ist.«

»Neidhammel«, klang es wegwerfend.

Dieses Wort kränkte Pucki. Und als am Nachmittag Vetter Martin kam, als im Wohnzimmer verabredet wurde, was die beiden heute nachmittag beginnen wollten, erstand in Pucki der Racheplan. Sehr rasch wurden heute die Schularbeiten gemacht, dann eilte sie nach dem »Deutschen Haus«, um Vera Klingler abzuholen.

»Willst du gemeinsam mit mir Abrechnung halten?«

»Worüber?«

»Man hat mir einen Schimpf angetan, der muß Sühne haben. – Wollen wir heute wieder ›bankeln‹ gehen?«

»Haste einen auf dem Kieker?« klang es freudig.

»Ja, Vera! Augenblicklich sitzen zwei in süßer Plauderei in der abscheulichen Konditorei ›Maiglöckchen‹. Dann wollen sie in den Stadtpark.«

»Au fein! Bankeln gehen, – herrlich! Weißt du noch, Pucki, wie man uns das letztemal geradezu mit Blicken spießte?«

»Heute kommt Melitta an die Reihe.«

»Das ist fein! – Du, Pucki, ich weiß etwas ganz Neues und Hochinteressantes. Wir wollen erst einmal zu der Koppschen Villa gehen, die ist kürzlich verkauft worden.«

»Das ist mir total gleichgültig.«

»O nein, das wird dir gar nicht gleichgültig sein, denn ich weiß, wie verrückt du nach ›Berühmtheiten‹ bist. Die Koppsche Villa ist von den Eltern eines berühmten Mannes gekauft worden.«

Nun horchte Pucki doch auf. »Sag rasch, von wem?«

»Von Ikonda! Ingo Ikonda ist dir doch nicht unbekannt!«

»Ingo Ikonda? Weißt du das genau?«

»Ja, ganz genau. Er war doch mit seinem Vater hier, da wurde der Kauf perfekt. Nun ziehen seine Eltern bald her. – Pucki, vielleicht kommt er mit. Ingo mit dem weißen Rennwagen. Erst kürzlich ist er in einer Zeitschrift abgebildet gewesen, weil er einen Preis bekommen hatte.«

»Einmal hätte ich ihn beinahe gesehen«, sagte Pucki düster. »Auch dieser Name erinnert mich an einen Reinfall.«

»Bütä, bütä«, lachte Vera, »weißt du noch, Pucki, wie du die Ausländerin gespielt hast?«

»Schweig still, denn noch blutet mein Herz, wenn ich daran denke.«

Trotzdem machten sich die beiden Backfische auf den Weg nach der etwas vor Rotenburg gelegenen Koppschen Villa. Es war ein schöner, vornehm wirkender Bau, der in einem gut gepflegten Garten stand.

»Vielleicht steht einmal ein Rennwagen hier«, sagte Pucki. »Jetzt müssen wir gut aufpassen, ob er nach Rotenburg kommt, denn ich muß ein Autogramm von ihm haben, koste es, was es wolle.«

»Nun komm aber. – Wo wollen wir bankeln?«

»Im Stadtpark. Ich hörte, daß Melitta mit ihrem Vetter dorthin gehen wollte.«

Die beiden Backfische machten sich auf den Weg. Es war heute nicht das erstemal, daß die beiden übermütigen Mädchen ihre Mitmenschen dort ärgerten. Das Bankeln war im Schiller-Gymnasium längst bekannt. Überall da, wo man ein Pärchen auf einer versteckten Bank sitzen sah, nahm man ebenfalls Platz und freute sich, wenn dadurch die Unterhaltung gestört wurde. Besonders auf Brautleute hatte man es abgesehen. Da diese meistens in den Stadtpark gingen, weil es dort gar viele lauschige Plätzchen gab, bankelte dort auch das Schiller-Gymnasium. Man kannte jede verschwiegene Bank; sie wurden alle aufgesucht, und die Gesichter der Störenfriede strahlten, wenn sie zwei darauf erwischten.

Pucki wußte, daß sich Melitta von ihrem Vetter anschwärmen ließ. So gingen die beiden Backfische durch den Stadtpark, um sie aufzustöbern. Ihr Gang wurde immer rascher. Alle kleinen Seitenwege wurden im Sturmschritt durchrannt. Bald trennte man sich, bald vereinigte man sich wieder. Und jetzt hörte Pucki den verabredeten Pfiff. Vera mußte Melitta gefunden haben.

»Dort hinter dem Gebüsch sind sie!«

»Aha«, sagte Pucki, »auf der lauschigsten Bank! – Warte, die Rache ist schon auf dem Wege!«

Arm in Arm schritten die Freundinnen auf dem schmalen Weg dahin, immer lauter wurde Puckis Stimme.

»Goethe verbat sich jede dreiste Annäherung. In jener Blütezeit des Anstandes und der Sitte wäre niemals ein junges Mädchen auf den Gedanken gekommen, dem Verehrten einen Zettel in die Manteltasche zu stecken. – Sieh, Vera, da ist eine Bank! Ich bin müde, wir wollen uns ein wenig niedersetzen.«

Die beiden nahmen keine Notiz von dem Pärchen. Melitta warf Pucki einen bösen Blick zu, der aber nicht beachtet wurde. Sehr bald erhob sich Melitta, um mit ihrem Vetter weiterzugehen. Eine Minute später gingen auch Vera und Pucki weiter. Auf der übernächsten Bank sahen sie das Pärchen wieder sitzen.

Pucki machte in unmittelbarer Nähe halt. »Ich kann dir von jedem Baum sagen, wie er heißt. – Sieh mal, das hier ist eine Birke, man erkennt sie an dem weißen, glatten Stamm. Dort drüben stehst du eine Platane. Sieh dir einmal ihr eigenartig gezahntes Blatt an.«

Weiter und weiter ging der Vortrag. Melitta scharrte ungeduldig mit dem Fuß. Würden die beiden abscheulichen Mädchen nicht endlich weitergehen?

Doch nun fing Pucki an über Blaubeerensträucher einen Vortrag zu halten, dem Vera interessiert lauschte. Schließlich zog es Melitta mit ihrem Begleiter vor, auch diese Bank zu verlassen. Sie sah sich um; Pucki und Vera schienen nicht mehr zu folgen. So nahm die Obersekundanerin mit ihrem Vetter nach kurzer Wanderung auf einer dritten, verborgenen Bank Platz. Doch kaum hatten sie ein Gespräch begonnen, als man schon wieder Puckis helle Stimme vernahm.

»Eine Wanderung durch den Stadtpark tut den Lungen gar gut. Ich glaube, ich habe ein Steinchen im Schuh und muß mich setzen.«

»Wer sind denn die beiden?« flüsterte Martin seiner Kusine zu, »sie folgen uns doch mit Absicht.«

»Ach«, sagte Melitta laut, »das sind zwei kleine Mädchen aus der Untertertia. Sie sind in ganz Rotenburg bekannt.«

Ein Ruck ging durch Puckis Körper: »Hast du diese Frechheit gehört, Vera? Untertertia sagte sie, – kleine Mädchen – –!«

»Komm«, sagte Melitta, »wir wollen ein Glas Wein bei Buchholz trinken. Dort sind wir ungestört, dort ist der Eintritt solch kleinem Kroppzeug untersagt, dort dürfen Kinder nur mit ihren Kindermädchen hinein.«

Sie erhob sich. Als sie mit ihrem Vetter einige Schritte von den Tertianerinnen entfernt war, wandte Melitta den Kopf zurück und lachte Pucki zu.

»Sie ist frech«, flüsterte Vera.

»Ich werde mir eine andere Rache ausdenken«, sagte Pucki, »ins Restaurant können wir alleine natürlich nicht gehen. Ja, wäre Doktor Gregor hier, mein Freund aus dem Hamburger Krankenhaus, aber vielleicht kommt er bald einmal her.«

So verließen die beiden Backfische den Stadtpark.

»Ich bin so wütend, ich muß mich erst beruhigen«, sagte Pucki. »Entweder muß ich Bonbons haben oder einen Menschen sehen, der es gut mit mir meint. – Warte mal ein wenig, ich springe rasch mal in die Apotheke, ich bin gleich wieder zurück.«

Sie mußte Hans Rogaten sehen, das war ein netter Junge. Er würde ihr, wenn er ihr den Kamillentee reichte, wieder die Hand drücken und ihr lieb in die Augen sehen. Hans Rogaten war doch viel netter als dieser Vetter Martin, mit dem sich Melitta so sehr brüstete.

Pucki betrat die Apotheke. Hinter dem hohen Schrank kam heute nicht Hans Rogaten, sondern der Apothekeninhaber selber mit der goldenen Brille hervor.

»Wieder Kamillentee gefällig, kleines Fräulein?«

Pucki wurde blutrot.

»Für zehn Pfennige oder heute mehr? Ist der Bedarf gestiegen?«

»Nein«, stotterte der Backfisch, »wer sagt Ihnen denn, daß ich Kamillentee haben will? – Ich will – –« Ihre Augen gingen hilfesuchend über die Auslagen in den Glaskästen hinweg. Sie tippte mit dem Finger auf einen grünen Karton. »Das will ich haben.«

»Das hier?«

»Natürlich«, sagte Pucki und warf den Kopf in den Nacken. – »Was kostet es.«

»Zwei Mark und achtzig Pfennige. – Aber mein kleines Fräulein – –«

»Hier ist das Geld«, stieß Pucki krampfhaft hervor. Sie wollte nur möglichst schnell wieder hinaus. Zwei Mark und achtzig Pfennige war eine Riesensumme, doch der Apotheker sollte nicht denken, daß sie wegen Hans Rogaten gekommen sei.

»Mein liebes, kleines Fräulein«, begann der Apotheker, »wollen Sie den Karton für sich haben? Sie müssen doch erst feststellen, ob die Farbe paßt. – Sie brauchen den Inhalt doch überhaupt nicht, und wenn Sie es für jemand besorgen sollen –«

»Bitte, hier zwei Mark und achtzig.« Pucki griff nach dem grünen Karton.

»Ich darf es doch einwickeln?« lachte der alte Herr. »Sie können den Karton später Herrn Rogaten zurückgeben.«

Pucki riß dem freundlichen Apotheker das Kästchen aus der Hand und eilte davon. Sie hörte das unterdrückte Lachen nicht mehr, das der Apotheker ausstieß. Er wußte genau, daß Pucki nur in ihrer Verwirrung nach dem Haarfärbemittel gegriffen hatte. Sie war bestimmt seines Lehrlings wegen gekommen. Nun, mochte sie daheim ruhig über den Verlust der zwei Mark achtzig jammern, morgen würde Rogaten alles wieder in Ordnung bringen.

»Was hast du gekauft?« fragte Vera.

Pucki verbarg den Karton ängstlich vor den Augen der Freundin, denn beim Hinausgehen hatte sie gesehen, daß sie sich ein Haarfärbemittel gekauft hatte. Nun würde der Apotheker in ganz Rotenburg erzählen, daß sie sich die Haare färben wollte, und auch Claus würde es erfahren. Wie oft hatte er gesagt, daß ihm das Blond ihres Haares so gut gefiele.

»Ich bin unglücklich«, flüsterte Pucki. »Jetzt helfen mir nur noch Honigbonbons.«

»Du bist heute recht komisch.«

»Wenn du alles wüßtest, du würdest Mitleid mit mir haben! Aber es ist schon wahr, Vera, ich bin nicht Pucki mehr, nein, ich bin ein Puck. – Als ich ganz klein war, sagte der Vater einmal zu mir: ›Du bist und bleibst eben ein Puck.‹ – Puck ist immer auf die Bäume gestiegen und hat die Menschen geärgert.«

»Und wir gehen bankeln und ärgern die Menschen auch. – Aber es ist doch recht spaßig!«

Man bummelte gemeinsam durch die Marktstraße. Vera wies mit dem Finger nach oben. »Sieh, dort wohnt er!«

»Ja«, sagte Pucki schwer atmend, »vielleicht läßt er sich jetzt von seiner Wirtin den Finger neu verbinden.«

»Jammre nicht immerfort. – Komm, hier ist ein Geschäft, hier kaufen wir uns Honigbonbons.«

»Eigentlich dürfte ich es nicht, denn ich habe eben zwei Mark und achtzig Pfennige vergeudet.«

»So kaufe ich, und wir teilen sie.«

Man betrat den Laden. Es waren mehrere Käufer darin. Pucki betrachtete interessiert die Bonbongläser. Die eingewickelten schmeckten ja viel besser, doch davon kostete ein Viertelpfund dreißig Pfennige. Diese Ausgabe konnte sie Vera nicht zumuten.

»Was wünschen Sie, Herr Studienrat«, klang da die Stimme der Verkäuferin.

Puckis Blicke verließen die Bonbongläser. Sie schaute zu den Kunden hinüber. Himmel, da stand einer – – sie hörte eine Stimme, die ihr schon oft ans Ohr geklungen war.

»Bitte für zehn Pfennige Mostrich.«

»Apoll – –« hauchte Vera und stieß Pucki in die Seite.

»Für zehn Pfennige Mostrich«, wiederholte die Verkäuferin und nahm eine Tasse.

Vor Puckis Augen tanzte plötzlich alles: eine Tasse, schwarze Gummifinger und dunkle Locken. – War das wirklich Apoll? – Apoll kaufte Mostrich in einer Tasse?

Mostrich – dieses Wort erschütterte Pucki. Eine antike Göttergestalt aus Marmor purzelte in sich zusammen. Pucki sah nur noch, wie man Apoll die Tasse gefüllt mit Mostrich reichte. Ein Seidenpapier war darübergedeckt. Er legte zehn Pfennige auf den Ladentisch und – ging hinaus.

»Mostrich – Mostrich –«, flüsterte Pucki. Ihr war jetzt wirklich elend geworden.

»Haben Sie eine Tasse mitgebracht?« klang die Stimme der Verkäuferin.

Pucki schaute noch immer entgeistert ihrem entthronten Apoll nach. »Mostrich – für zehn Pfennig Mostrich!«

»So werde ich einen Pappteller nehmen«, sagte die Verkäuferin, und dann reichte sie Pucki einen Pappteller mit Mostrich. Vera stieß sie in die Seite.

»Wir wollen doch Bonbons kaufen«, flüsterte Vera enttäuscht.

»Mostrich«, kam es wieder über Puckis Lippen. Dann legte sie zehn Pfennige auf den Ladentisch und ging wie im Traume hinaus, gefolgt von Vera.

»Du, das war unser Apoll!«

»Laß mich!«

Pucki ließ Vera stehen und eilte davon. In der einen Hand hielt sie den Pappteller mit Mostrich, in der anderen das Haarfärbemittel. – So kam sie bei Frau Perler an. Sie eilte in ihr Zimmer. Carmen war glücklicherweise nicht da. Eine Weile verharrte sie regungslos. Dann holte sie ihre Postkarten mit den Abbildungen Apolls hervor und riß sie in kleine Stücke.

Entgöttert! – Gummifinger und Mostrich – das ist zuviel!


 << zurück weiter >>