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9. Kapitel.
Bestanden!

»Solch eine Behandlung läßt du dir gefallen? Mein Just dürfte derartiges nicht wagen! Dem würde ich den Ring vor die Füße werfen. Ich kann alles vertragen, aber eine Vernachlässigung nicht. Du mußt deinen Harald frühzeitig erziehen, sonst hast du später in der Ehe verspielt.«

Mit ihren großen, klaren Augen blickte Goldköpfchen auf Edith, ihre Freundin. Sie hatte ihr eben gesagt, daß Harald seit vier Tagen nicht mehr im Hause der Großmama gewesen sei, daß er erst heute für zwei kurze Abendstunden käme, und daß sie sich auf dieses Zusammensein herzlich freue. Darauf hatte Edith entrüstet die obige Äußerung getan.

»Der Bräutigam gehört zu seiner Braut, ich verlange von Just, daß er mir jede freie Stunde opfert.«

»Wenn er aber zu tun hat?«

»Er hat alles zurückzustellen. Kavalierdienste gehen vor.«

»Ich habe aber auch sehr viel zu tun, Edith, du weißt doch, daß ich Ende dieses Monats mein Examen machen will. Hurra, – dann habe ich ausgelernt, das heißt, wenn ich es bestehe! Ich bin schon tüchtig mit den Prüfungsarbeiten beschäftigt. Ach, es ist doch nicht so leicht!«

»Schließlich ist es doch gar nicht schlimm, wenn du durchfällst. Du wirst heiraten, und kein Hahn kräht mehr nach dem Photographieren.«

»Ich möchte aber das Examen machen, und auch Harald ist der Meinung, daß es so ganz richtig ist. Und weil er weiß, daß ich jetzt viel zu tun habe, deswegen kommt er nicht so oft.«

»Na, ist das nicht nur eine Ausrede, Bärbel?«

»Harald hat nicht nötig, mir gegenüber Ausreden zu machen. Er hat mir offen und ehrlich gesagt, daß ich mich jetzt mit Feuereifer meinen Examenarbeiten widmen soll, damit ich die Prüfung bestehe. Und da er weiß, daß ich wirklich viel zu lernen habe, sind seine Besuche seltener geworden.«

»Du bist zu nachgiebig, Bärbel, ich fürchte, du wirst in deiner Ehe stark untergebuttert werden.«

Bärbel schüttelte den Kopf. Ein verträumtes Lächeln spielte um ihre Lippen.

»Wir beide verstehen uns, Edith, jeder gibt dem anderen alles an Liebe, wir brauchen nicht einmal Kompromisse, wir sprechen uns aus, und dabei finden wir immer wieder, daß wir im Grunde genommen die gleichen Gedanken haben. Harald ist nur viel verständiger und reifer als ich, und wenn er mir etwas auseinandersetzt, was mir noch unklar ist, dann fühle ich genau wie er. Ich fürchte mich daher nicht vor dem Unterbuttern, wie du sagst.«

»Wenn du es später nur nicht bereust. – Ich würde es nicht dulden, daß mein Verlobter drei Tage fernbleibt.«

»Ich habe aber an jedem Abend zu arbeiten und zu lernen. Ich möchte nicht durchfallen. In der Schule bin ich immer ein faules Mädel gewesen, dort habe ich ungern gelernt und mir eingebildet, daß nur Fräulein Greger und Fräulein Fiebiger Vorteile davon haben. Aber allmählich wird man klüger. Laß mich nur lernen, Edith, man kann nie wissen, wozu man es später brauchen kann. Harald hat ganz recht, wenn er meint, daß wir nach bestandenem Examen noch glücklicher sein werden als bisher.«

Edith ließ sich jedoch nicht überzeugen und verließ schließlich die Freundin mit der nochmaligen Ermahnung, den Verlobten ein wenig kürzer zu halten.

»Er gewöhnt sich sonst an eine andere, oder er geht mit anderen aus. Verlobt ist noch nicht verheiratet.«

»Hast du bei deinem Just derartiges zu befürchten, Edith?«

»Man lebt doch ständig in Angst und Sorgen, und eine Entlobung ist eine große Blamage.«

Aus Goldköpfchens Augen brach ein leuchtender Strahl.

»Ach, wie unendlich glücklich bin ich, Edith, ich habe derartiges nicht zu fürchten. Harald liebt mich, er denkt an keine andere. Und wenn er wirklich noch andere liebe Bekannte hat, mit denen er seine freie Zeit verbringt, so denkt er doch zu jeder Minute an mich.«

Edith zuckte die Schultern und verließ die Freundin.

Die Worte Ediths hinterließen in Bärbel keinen Mißton. Im Gegenteil; ihr Verlöbnis mit Harald war so ganz anders als das der Freundin. Sie wußte ganz genau, daß Harald gern täglich zu ihr gekommen wäre, aber sie dankte ihm gerade deswegen für seine zarte Rücksichtnahme. Kam er dann, so fühlte sie aus jeder Miene seines Gesichtes, daß er glücklich sei, sie wiederzusehen, und daß ihm selbst dieses aufgezwungene Fernbleiben schwer wurde. Aber tapfer bekämpften die beiden Verlobten ihre Sehnsucht, und lachend nahmen sie jedesmal voneinander Abschied. Bärbel meinte freilich jedesmal, daß eine Trennung von drei Tagen länger sei als eine Lehrzeit von drei Jahren. Aber wenn ihr Harald dann wieder von dem Examen sprach und von der Freude, die sie über ihre abgeschlossene Ausbildung haben werde, nickte sie ihm verständig zu.

In der Tat hatte Bärbel in der letzten Zeit viel und schwer zu arbeiten. Gegen Schluß des Monats September mußte sie in der Fachschule vor einer Prüfungskommission ihr Examen ablegen. Wenn auch diese Prüfung nur etwa einen halben Tag dauerte, galt es doch, die beträchtlichen Vorarbeiten zu machen, für die Bärbel sechs Wochen Zeit bekommen hatte. Diese sechs Wochen eilten nun mit Riesenschritten dahin, und Bärbel brummte mitunter der Kopf. Aber sie merkte selbst, daß sie in ihrer Lehrzeit gut achtgegeben hatte, daß sie mit Ernst und Eifer alles erlernt hatte, was zu lernen war, und so wurden ihr auch die Arbeiten, die die Unterlagen für die Prüfung abgaben, nicht besonders schwer. Allerdings wußte Bärbel, daß die Prüfungskommission streng war, und so zitterte doch in dem jungen Mädchen eine gewisse Unsicherheit, ob es sein Examen auch bestehen würde.

Herr und Frau Brausewetter sprachen der jungen Elevin Mut zu. Bärbel war ordentlich stolz darauf, daß der Chef ihr neulich gesagt hatte, sie sei eine seiner tüchtigsten Elevinnen, die er jemals ausgebildet habe. Er übertrug ihr gerade in den letzten Wochen vor der Prüfung schwierige Aufgaben; aber was Bärbel auch begann, es fiel zu seiner vollen Zufriedenheit aus. Sogar in der komplizierten Farbenphotographie zeigte sich Bärbels künstlerischer Sinn, und manches Lob erntete sie von seiten ihrer Lehrer.

Nur eine machte ihr auch jetzt noch das Leben schwer, das war Fräulein Pertis. Wenn auch Bärbel nichts mehr im Empfangszimmer zu tun hatte, sondern nur im Atelier beschäftigt war, suchte Fräulein Pertis doch jede Gelegenheit, um Bärbel zu beunruhigen und zu kränken. Aber Goldköpfchen hatte sich eine ruhige Sicherheit angeeignet und begegnete der Empfangsdame mit kühler Liebenswürdigkeit, wie sie sich überhaupt in ihrem Betragen auffallend geändert hatte. Das war heute nicht mehr die temperamentvolle Elevin, die gleich den Kopf verlor, wenn mehreres auf sie einstürmte, ihr Können gab Bärbel die nötige Sicherheit, und oftmals sagte Herr Brausewetter lächelnd:

»Sie haben sich recht zu Ihrem Vorteil entwickelt, Fräulein Wagner. Ein liebes, junges Mädchen waren Sie immer; jetzt sind Sie eine gewandte und anmutige junge Dame geworden.«

Wenn solche Worte fielen, wurde Bärbel freilich noch immer verlegen, aber sie freute sich doch darüber. Noch vierzehn Tage bis zum Examen. Dieser 28. September stand vor Bärbels Augen wie ein vielköpfiges Ungeheuer mit giftiger Zunge und feuersprühenden Blicken. Äußerlich bemühte sie sich, ruhig zu erscheinen, doch der Großmama gegenüber sprach sie unverhohlen von ihrer Angst, ihrer Sorge.

Eines Abends kam Bärbel ganz aufgeregt heim, umklammerte die Arme der Großmutter und stieß bebend hervor:

»Großmama – jetzt weiß ich es genau, ich falle durch!«

»Anscheinend hast du im Atelier einen Fehler gemacht und verlierst wieder einmal den Mut. Wer die ganzen Jahre so brav gelernt hat wie du, mein Bärbel, wird auch das Examen bestehen.«

»Bis gestern habe ich gehofft, Großmama, jetzt ist es aus! – Vollständig aus, – es gibt für mich keine Rettung!«

»Dann erzähle einmal.«

»Denke dir, Großmama – – etwas Schlimmeres konnte mir nicht passieren. – In der Prüfungskommission sitzt ein Herr Beese. Schon der Name sagt, daß er es nicht gut mit uns meint. Aber abergläubisch bin ich nicht, obwohl das ein Omen ist. Aber das Schlimmste kommt noch, Großmama, – ich sage dir, es ist aus! Ich bestehe nicht, denn alles hat sich gegen mich verschworen.«

»Was ist denn nun mit diesem Herrn Beese?«

»Die Pertis kennt ihn, – Großmama, begreifst du jetzt, was das bedeutet? Die Pertis hat sich an ihn herangemacht, heute hat sie mir höhnend ins Gesicht gerufen, daß Herr Beese ihr bester Freund ist, daß sie am 27. September mit ihm zusammen ins Theater geht. – Großmama, an diesem Abend werden die beiden vom Theater nicht viel haben. Die Pertis wird ihn instruieren, wird Rache nehmen. – Ach, Großmama, es ist wirklich alles aus!«

»Die Herren von der Prüfungskommission lassen sich nicht beeinflussen, mein liebes Kind.«

»Wenn er sie aber liebt? Ein Mann, der liebt, tut seiner Braut alles zu Gefallen, und die Pertis wird ihm sagen: du darfst mich nur heiraten, wenn Bärbel Wagner durchfällt. Machen wir uns also keine Hoffnungen mehr, liebe Großmama, ich falle durch.«

Bärbel faltete die Hände im Schoß und saß wie ein Bild des Jammers auf dem Stuhle.

»Närrchen, wer wird denn die Flinte gleich ins Korn werfen? Der Herr Beese wird dich mit anderen prüfen, und wenn er sieht, daß du etwas leistest, kann er dich nicht durchfallen lassen.«

Aber Goldköpfchens Sorgen ließen sich nicht so leicht zum Schweigen bringen. Sie kannte den rachsüchtigen Charakter der Empfangsdame, sie wußte, daß Fräulein Pertis alles tun würde, um Bärbel noch im letzten Augenblick zu schaden. Und wenn dieser Herr Beese wirklich ihr Freund war, mußte sie sorgenvoll in die Zukunft sehen.

Als Harald kam, berichtete sie auch ihm von dem furchtbaren Unglück.

»Konnte sie nicht einen anderen Mann kennenlernen? Sie piesackt mich jeden Tag neu, sie verhöhnt mich schon. Und immer sagt sie mir, daß sie dem Herrn Beese von mir erzählt habe. – Ob ich wohl noch zurücktrete?«

»Nein, Bärbel, so kleinmütig darfst du nicht sein. Die Herren sind gerecht. Sie müssen gerecht sein! – Laß dich nur nicht verängstigen.«

Obwohl Harald ebenfalls tröstend auf seine Braut einsprach, wurde Bärbel das Herz nicht leichter, denn jeder neue Tag brachte neue Unruhen. Herr Beese rief sogar einmal im Atelier an und unterhielt sich telephonisch mit Fräulein Pertis. Da wußte Goldköpfchen, daß ihr Brot gebacken sei, daß dieser Mann sie zu Fall bringen werde.

Mit noch größerem Eifer erledigte sie ihre Pflichten, aber der 28. September kam immer näher, und Bärbels frisches Gesicht wurde immer blasser.

Frau Lindberg hatte größtes Mitleid mit ihrer Enkelin, die sich wegen des bevorstehenden Examens so erregte. Da sie inzwischen Herrn und Frau Brausewetter aufgesucht hatte, erkundigte sie sich, ob Goldköpfchen Aussicht habe, das Examen zu bestehen. Beide Brausewetters erklärten auf das bestimmteste, daß Bärbel wahrscheinlich ein gutes Examen ablegen werde, weil es ihr an Pflichttreue und Aufmerksamkeit keine Zweite gleichtue. Auch die Arbeiten, die sie gemacht habe, seien so vorzüglich ausgefallen, daß selbst beim Mündlichen und bei der Praxis vor dem Prüfungsausschuß ein Auge zugedrückt werden müsse, falls Fräulein Wagner wirklich ein wenig versagen sollte.

Da war die alte Dame ziemlich beruhigt.

Harald Wendelin wäre gar gern in diesen schweren Tagen recht oft um seine geliebte Braut gewesen; aber auch jetzt bezwang er sich, weil er deutlich merkte, daß Bärbel am liebsten immer noch über den Büchern saß. Er ersehnte den Tag der Prüfung, denn seine Braut, die sich so aufregte, tat ihm herzlich leid. Aber das Examen mußte abgelegt werden, und Bärbel würde es bestehen.

Tags vorher war er freilich gekommen. Bärbels Gesichtchen schaute schmal aus, die Blauaugen hatten einen leichten Fieberglanz.

»Diese Ungewißheit ist furchtbar. Wenn es doch erst morgen abend wäre. Dann weiß ich, daß ich durchgefallen bin.« –

Dann kam der gefürchtete 28. September heran. Gegen neun Uhr morgens mußten sich die Prüflinge in der Fachschule einfinden. Die Prüfungsarbeiten waren einige Tage vorher eingereicht worden, heute kam das Letzte. Bärbel würde in wenigen Augenblicken jenen furchtbaren Herrn Beese von Angesicht zu Angesicht sehen.

Mit Herzklopfen betrat sie den Saal, die Zähne schlugen ihr aufeinander, als sie der Prüfungskommission ansichtig wurde. Jener Dicke mit dem freundlich lächelnden Gesicht war der gefürchtete Herr Beese. Er sah eigentlich gar nicht so aus, als ob er sie verderben wollte.

Dann war es soweit. Und jetzt geschah etwas ganz Merkwürdiges. Als die ersten Vorbereitungen getroffen wurden, schlug Bärbels Herz wie immer. Die Kälte schwand aus den Gliedern, sie sah im Zimmer nicht mehr weiße und graue Wolken, die sie beim Eintritt bemerkt zu haben glaubte, in ihr war es plötzlich still und ruhig geworden, die Herren dort vorn schienen nicht ihre Feinde zu sein. – Die Prüfung begann.

Dann ging es an die Apparate, Fragen wurden gestellt, Aufnahmen gemacht, Bärbel mußte einen verdorbenen Apparat wieder in Ordnung bringen, und alles erledigte sie mit sicherer Ruhe, ohne jedes Angstgefühl. Sie empfand beinahe Freude darüber, daß alles so gut glückte. Es kam ihr gar nicht mehr zum Bewußtsein, daß dieser Tag entscheidend für die Zukunft sei. Sie hatte alles das zu tun, was man bei Brausewetters von ihr verlangte, nur daß sie sich in einer anderen Umgebung befand.

»Sehr brav – sehr gut!«

Bärbel fuhr zusammen, als eine ihr fremde Stimme vernehmbar wurde. Sie schaute auf und sah den Photographen Beese neben sich stehen. Der lobte sie? Beinahe wäre noch ein Unglück geschehen, beinahe wäre Bärbel die Platte, die sie gerade in den Händen hielt, zu Boden gefallen.

Herr Beese war wieder fortgegangen, stand neben einem anderen Prüfling, und Bärbel schaute ihm fassungslos nach. War das alles ein Traum? Oder war das wirklich das gefürchtete Examen? Da kam auch schon ihre lächelnde Sicherheit zurück. Wie im Fluge verging ihr die Zeit, dann sagte man, nun sei alles zu Ende, die jungen Damen sollten warten, sie würden das Prüfungsergebnis in Kürze erfahren.

In diesem Augenblick sank Bärbels Mut wieder unter Null. Sie bildete sich ein, sie habe nicht genügend Aufmerksamkeit gezeigt, denn bei einem Examen müsse man Angstschweiß schwitzen, und das war bei ihr nicht der Fall gewesen. In Dillstadt würde man mit Fingern auf sie zeigen, wenn es bekannt wurde, daß sie durchgefallen war. Sie mußte dann noch ein halbes Jahr weiterlernen, um nochmals zur Prüfung zugelassen zu werden. Und was würde Harald sagen?

Bärbels Kopf sank immer tiefer, das frische Gesicht wurde fahl.

»Nun ist alles aus!«

Man rief die Prüflinge herein. Bärbel konnte kaum gehen, denn bei jedem Schritt knickten ihr die Knie ein. Zum Glück hatte sie ihre Handtasche bei sich, in der ein Fläschchen mit Kölnischem Wasser steckte. Damit würde man sie bespritzen, wenn sie ohnmächtig wurde.

Wieder sah Bärbel die Herren der Prüfungskommission. Oh, was für höhnische Gesichter sie jetzt hatten! Und nun schauten alle sie an, so recht voller Schadenfreude. – Man lachte sie aus.

Am liebsten wäre sie fortgelaufen, doch das ging nicht. Einer der Herren sprach.

»Lieber Himmel,« dachte Bärbel in Verzweiflung, »laß mich doch begreifen, was der Mann sagt, und laß mich nicht ohnmächtig werden, wenn ich höre, daß ich durchgefallen bin. – O weh, wie er mich anschaut!«

»Fräulein Barbara Wagner – –«

»Lieber Himmel – –«

Bärbels Finger waren so fest ineinander verkrampft, daß sie blau anliefen.

*

»Was hat er gesagt?«

»Daß Sie das Examen mit ›Gut‹ bestanden haben – als einzige!«

Bärbel saß in der Bank und schaute mit verklärtem Lächeln die Herren von der Prüfungskommission an, einen nach dem anderen. Sie vergaß aufzustehen, aber dieser Glanz, der von ihr ausging, zauberte auch ein Lächeln auf die Mienen der Herren vom Prüfungsausschuß.

»Ist's wirklich wahr?« Das klang so herzig, so verträumt, so glückselig, daß der Photograph Beese ihr zunickte und laut und vernehmlich sagte:

»Jawohl, Fräulein Wagner, Sie haben mit ›Gut‹ bestanden.«

Und nun tat die wohlerzogene junge Dame etwas, was sie so gern in der Kinderzeit getan hatte. Sie stemmte zwei geschlossene Fäuste vor den Mund und wippte mit dem Körper auf und ab.

Dann ging es heim. Die Großmama stand seit einer Stunde wartend am Fenster. Durch die stille Straße ein jauchzender Schrei:

»Großmama – mit ›Gut‹ bestanden!«

Harald wurde sogleich angerufen. Er beglückwünschte Bärbel und sagte ganz ruhig, daß er gar nichts anderes erwartet habe. Herr Beese sei sicherlich nicht »beese« gewesen.

»Er ist ein Engel, ich kann es verstehen, daß sich die Pertis in ihn verliebte!«

Man telegraphierte an die Eltern, an Bruder Joachim und nach Schandau an Onkel Otto.

An diesem Abend war Bärbel ganz besonders ausgelassen, aber man verstand ihre glückliche Stimmung.

»Wer hätte das gedacht! Als ich vor drei Jahren zitternd und bebend zu Brausewetters kam. – Mit ›Gut‹ bestanden! Ach, Harald, nun sind wir uns wieder gleich! – Du hast dein Examen ja auch – – ach nein, du hast es ja sogar mit Auszeichnung gemacht.«

»Ich freue mich mit dir, mein Bärbel, freue mich so recht von Herzen!«

»Das erste Bild, das ich jetzt mache, ist deines! Nun kann geheiratet werden!«

»Übers Jahr, mein geliebtes Bärbel.«

»Ach ja,« sagte sie seufzend, »nun beginnt das Lernen für den neuen Beruf.«

»Für den Beruf der Hausfrau, mein Bärbel,« sagte Frau Lindberg sanft. »Aber du wirst daheim sein, wirst alles das bei deiner guten Mutter lernen, denn kein junges Mädchen darf ohne hausfrauliche Kenntnisse in die Ehe spazieren.«

»Ich freue mich ja auch darauf, Großmama, ich werde immer die Lieblingsgerichte Haralds kochen. Nicht wahr, es wird fein sein!«

»O nein, mein Kleines, nicht immer die Lieblingsgerichte, wir wollen uns nicht jeden Tag als Festtag machen. Es muß Alltage und Feiertage geben, Tage der Arbeit, Tage der Ruhe, denn nur dann haben die Festtage ihren besonderen Wert.«

»Du hast wieder recht, Harald – ach, du hast doch immer recht! Was bekomme ich doch für einen klugen Mann! – Aber übers Jahr, Harald, ach, ein Jahr hat ja nur dreihundertfünfundsechzig Tage. Das ist gar nicht schlimm. Übers Jahr, dann ist unsere Hochzeit.«

Erst lange nach Mitternacht verließ Harald Wendelin seine glückliche Braut. Übermorgen wollte Bärbel nach Dillstadt fahren, um sich für den neuen Beruf vorzubereiten.

Der neue Beruf! Sie würde heiraten, sie würde die Gattin Haralds und die Mutter von Kindern werden.

»Großmama – es ist zwar schon Mitternacht vorbei, aber darf ich heute noch ein wenig mit dir plaudern?«

»Gern, mein Bärbel, denn morgen ist Feiertag.«

»Nun habe ich ausgelernt, Großmama, nun habe ich einen Beruf, der mich ernähren könnte. Ich werde ihn nicht ausüben, ich werde heiraten. Ob ich in dem neuen Beruf auch soviel Böcke schieße wie zuerst in dem alten?«

»Das wäre schlimm, Bärbel. Du hast bei Brausewetters manches verdorben, du hast Platten zerschlagen, Säure vergossen, aber der Schaden ließ sich immer wieder beheben. Dafür gab es Ersatz. Aber nun tritt bald eine neue Aufgabe an dich heran, ein Beruf, für den man noch viel mehr Pflichttreue und Überlegung braucht als für den einer Photographin.«

»Das glaube ich auch, Großmama. – Ich weiß, daß es manchmal schwer ist, mit dem Ehemanne fertig zu werden.«

»Nicht dann, wenn euch die wahre, tiefe Liebe verbindet, wenn einer dem anderen alles zuliebe tut und bereit ist, die eigene Person zurückzustellen. Der Beruf einer Ehefrau ist freilich ein schwerer, mein geliebtes Kind, aber noch viel schwerer ist der der Mutter.«

»Großmama, eigene Kinderchen zu haben, welch ein Glück!«

»Ja, Bärbel, ein großes, unermeßliches Glück, aber auch eine hohe und verantwortungsvolle Aufgabe. Denke einmal zurück. Du hast bei Brausewetters eine Platte zerbrochen, die du in deinen Händen hieltest. Mit der Platte war es ein für allemal aus. Du wirst später in deinen Händen ein winziges Menschlein halten, das wächst und wächst und lauscht auf jedes Wort. Und dieses winzige Menschlein sollst du zu einem tüchtigen Menschen erziehen. Wenn da ein einziges Mal dieses Menschlein deinen Händen entgleitet, wenn es an Körper oder Seele zu Schaden kommt, fällt auf dich alle Verantwortung, alle Schuld. Man schenkte dir ein Kind, und man wird die Seele dieses Geschöpfes einstmals von dir zurückfordern. Es ist nicht leicht, Bärbel, ein Kind zu erziehen; man muß an sich selbst stündlich arbeiten und sich beobachten. Nur dann kann man diese große, verantwortungsvolle Arbeit leisten.«

»Du hast es verstanden, Großmama, meine Mutti ist sicher immer ein gar liebes und gutes Kind gewesen. – Ach, was waren wir für Rangen!«

»Denke an deine gute Mutter, mein Bärbel, wenn du einst selbst Kinder hast. Erziehe die Kinder in ihrem Sinne, vererbe ihnen alles das Gute, was du an ihr erkannt hast; bleibe so wahr, so fröhlich, so gewissenhaft, wie du dich in den drei Jahren deiner Ausbildung gezeigt hast, lege in deine Kinder Frohsinn und Zufriedenheit, daß du einstmals auch Freude an ihnen hast. Wie glücklich werden deine Eltern heute über die Nachricht des bestandenen Examens gewesen sein. Überaus glücklich, denn sie wissen, daß ihr Goldköpfchen im Leben seinen Mann stehen wird, daß es tapfer durch das Dasein schreitet, und daß es auch mit innerem Ernst an den neuen Beruf herangeht. Mit tausend Segenswünschen lasse ich dich, mein Liebling, in Kürze ziehen, und es ist mir auch gar nicht bange um dich, um deine Ehe, auch nicht bange um deine Kinder. Du hast in deinen Eltern ein leuchtendes Vorbild, tue es ihnen nach, dann wird auf eurem Bunde auch reicher Segen ruhen.«


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