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7. Kapitel.
Goldköpfchen rächt sich

Nachdem Bärbel ihre seelische Ruhe allmählich wiedergefunden hatte, und nachdem sie auch darüber hinweggekommen war, daß sie sich Harald gegenüber wenig vertrauensvoll gezeigt hatte, kehrten ihre Gedanken zu der Anstifterin ihres Kummers zurück. Das temperamentvolle junge Mädchen bedachte Fräulein Pertis nicht gerade mit zärtlichen Ausdrücken, und im Atelier machte Bärbel der Empfangsdame unbemerkt manche lange Nase. Die glückliche Braut konnte es nicht unterlassen, hin und wieder, wenn Fräulein Pertis in ihrer Nähe war, ihrem Kollegen, Herrn Münzinger, zu erzählen, wie herrlich doch die Brautzeit sei und wie glücklich sie sich fühle.

»Es ist wie im Paradiese,« sagte sie mit weithin schallender Stimme, »und sogar die Schlange fehlt nicht. Aber mein Bräutigam und ich zertreten ihr gemeinsam das Haupt. Noch sind wir erst heimlich verlobt, aber dabei unheimlich glücklich, und zu Ostern, wenn ich für einige Tage Urlaub bekomme und heimfahre, verloben wir uns laut und öffentlich. Bis dahin wird man wahrscheinlich versuchen, zwei liebende Herzen auseinanderzureißen, aber es glückt nicht, Herr Münzinger. Wenn man zueinander Vertrauen hat, kann einem niemand etwas anhaben. Kein Fremder, kein Verwandter, keine mißgünstige Kollegin.«

»Es ist sehr hübsch, daß Sie solch großes Vertrauen haben, Fräulein Wagner.«

»Und mein Verlobter hat es auch zu mir. Man hat ihm freilich schon allerlei Häßliches hinterbracht. Wir beide sollten zusammen auf den Bummel gehen, aber Harald hat dazu gelacht. Oh, ich weiß, was er sich denkt. Andere wollen ihn haben, weil er ein schöner Mann ist, eine hervorragende Stellung hat. Aber mein Verlobter lacht dazu und meint, wir zwei passen so herrlich zueinander, daß wir die Schlange gar nicht zu fürchten brauchen.«

»Wollen Sie noch länger Ihre Privatunterhaltungen führen?« rief Fräulein Pertis aus dem Empfangszimmer herüber.

»Wenn wir nichts zu tun haben, können wir uns doch ein wenig unterhalten,« gab Bärbel zurück.

Fräulein Pertis hielt es für das Richtigste, in einen der hinteren Räume zu gehen, wo sie Bärbels Worte nicht mehr hören konnte.

Aber Bärbel hatte einen viel zu großen Grimm auf die Kollegin im Herzen, und der ließ sie nicht ruhen. Sie hatte lange überlegt, ob sie die Zwillinge vor ihrer Abreise nochmals aufhetzen sollte, um Fräulein Pertis zu ärgern. Aber sie hielt es vom erzieherischen Standpunkte für falsch, den Knaben eine derartige Aufgabe zuzudiktieren. Sie würde der Kollegin selbst alles heimzahlen.

Herr Brausewetter konnte sich nicht recht erklären, aus welchen Gründen Fräulein Wagner öfters bat, man möge doch einmal eine Gesamtaufnahme der Atelierangestellten machen. Es sei das für später doch ein recht nettes Andenken.

»Am liebsten machte ich diese Aufnahme selbst, aber das geht nicht; doch will ich sie allein entwickeln und kopieren.«

So gab Herr Brausewetter nach, und an einem Morgen, als wenig zu tun war, wurde im Atelier von ihm selbst diese gewünschte Aufnahme gemacht. Fräulein Pertis saß lässig hingegossen in einem Sessel, neben ihr standen Bärbel und Herr Münzinger, dahinter Willi.

Dann ging Bärbel an die Arbeit. Mit größter Liebe fing sie die Retusche an, aber bei Fräulein Pertis strahlten ihre Augen besonders auf. In das sonst recht hübsche Gesicht der Empfangsdame schattierte Bärbel verschiedene Runzeln und Falten ein. Wie würde sich Fräulein Pertis darüber ärgern! Doch das machte nichts.

»Ich habe mich auch ärgern müssen, ich habe sogar eine schlaflose Nacht verbracht. – Sie soll an mich denken!«

Bärbel machte mehrere Kopien von dem Bilde und brachte am nächsten Nachmittage freundlich lächelnd einem jeden das fertige Bild. Sie zwinkerte dabei Herrn Münzinger verschmitzt zu und wartete dann auf die Äußerungen von Fräulein Pertis.

Die Empfangsdame nahm das Bild, legte es bald wieder zur Seite und sagte verächtlich:

»Man merkt die Stümperin. – Ich begreife nicht, daß Herr Brausewetter soviel Geduld hat. Kleinchen, Sie haben sich wieder einmal gründlich blamiert!«

Bärbel wurde dunkelrot. Sie hatte gedacht, Fräulein Pertis zu ärgern, und jetzt fiel alles auf sie zurück. Seufzend ging Goldköpfchen in die Dunkelkammer.

»Es stimmt schon mit den Sprichwörtern: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein! – Jetzt wird sie Herrn Brausewetter meine Arbeit zeigen, und der wird denken, ich bin so dämlich!«

In der Tat! Herr Brausewetter betrachtete das Bild seiner Elevin und sagte freundlich:

»Das Retuschieren ist eine schwere Kunst, Fräulein Wagner. Es wäre besser gewesen, wenn Sie sich nicht soviel Arbeit damit gemacht hätten.«

Diese geplante Rache war also völlig mißglückt. Bärbel ärgerte sich schließlich über sich selbst und grollte um so heftiger mit der Empfangsdame, zumal Fräulein Pertis allerlei spitze Bemerkungen für die Kollegin hatte.

An einem Abend, als Bärbel aus dem Atelier heimging, traf sie mit Gerhard Wiese zusammen. Gerhard Wiese hatte sie als Backfisch sehr verehrt, hatte ihr manches Gedicht gesandt, worauf Bärbel sehr stolz gewesen war. Späterhin hatte sie allerdings feststellen müssen, daß Gerhard Wiese diese Gedichte stets abgeschrieben und nur ein wenig geändert hatte, trotzdem verwahrte sie seine Verse noch heute als Andenken an ihre Backfischzeit auf.

Es bereitete den beiden große Freude, sich wiederzusehen. Bärbel berichtete sofort, daß sie schon verlobt sei, und fragte Gerhard Wiese, ob auch er schon eine geeignete Wahl fürs Leben getroffen habe.

»O nein, Fräulein Bärbel, ich hatte auf dem Gymnasium Pech und habe erst zu Ostern mein Abiturium gemacht. Nun bin ich in einer Bank als Lehrling, und wenn ich auch manchmal schon den Gedanken erwogen hatte, zu heiraten, lassen es die pekuniären Verhältnisse nicht zu.«

»Als Banklehrling geht es freilich nicht, Herr Wiese. Haben Sie es sehr schwer?«

»Es geht, aber ich freue mich riesig, Sie einmal gesehen zu haben. Wie wäre es, Fräulein Bärbel, wenn wir uns öfters träfen. Sie wissen doch, daß ich Sie stets verehrte.«

»Ich habe Sie auch immer recht gern gemocht, Herr Wiese, aber jetzt ist das aus, ich bin verlobt.«

»Mond, Sonne und Sterne holte ich für Sie herunter, ich möchte Ihr Diener sein, Ihr Sklave!«

Bärbel blieb stehen und schaute den Jugendfreund strahlend an.

»Würden Sie mir einen großen Gefallen tun?«

»Ich wäre glücklich, Ihnen einen Dienst leisten zu dürfen.«

»Haben Sie morgen abend um sieben Uhr Zeit?«

»Für Sie immer! Meine Bank schließt um vier Uhr, – Sie machen mich zum glücklichsten Menschen der Welt, daß Sie mich wiedersehen wollen.«

»Dann kommen Sie morgen um sieben Uhr vor das Atelier des Herrn Brausewetter. Es wird zuerst eine Dame herauskommen, mit einem hellen Wintermantel und einen breiten Skunks-Kragen. Dieser Dame sehen sie recht lange ins Gesicht, und dann dürfen Sie auf mich warten, ich komme zwei Minuten später.«

»Ja – aber – –«

»Fragen Sie nichts weiter. Wenn Sie mir einen großen Dienst erweisen wollen, Herr Wiese, dann sehen Sie sich diese Dame recht genau an, – nicht böse, sondern so voll brennendem Interesse. Mir liegt furchtbar viel daran.«

»Es handelt sich wohl um einen kleinen Scherz?«

»Ach, Herr Wiese, es handelt sich um viel mehr, doch das erfahren Sie später. Jedenfalls ist es reizend von Ihnen, daß Sie mir beistehen wollen. Sie kann ich gerade brauchen, Sie waren schon in der Schule der einzige, der sich zu Mogeleien eignete.«

»Aber, mein gnädiges Fräulein!«

»Ich will Sie natürlich nicht kränken,« meinte Bärbel treuherzig, »wirklich nicht, ich habe Sie ja wegen Ihres Betruges immer gern gemocht. – Also, morgen abend, Punkt sieben Uhr sind Sie da.«

Gerhard Wiese versprach es zögernd, wollte dann noch etwas genauer wissen, um was es sich handle, doch Bärbel lachte dazu nur geheimnisvoll und meinte:

»Sie wollten mein Sklave sein, jetzt zeigen Sie, daß Sie wenigstens mein Helfer sind.«

An diesem Abend war Harald Wendelin wiedergekommen, der mehrfach den Kopf über Bärbels Übermut verwundert schüttelte.

»Ist dir heute etwas besonders Angenehmes widerfahren, mein Bärbel?«

»Harald, ich will ein Ding drehen.«

»Was?«

»Aber das ist noch strengstes Geheimnis, ich sage dir, es gibt einen Spaß! Rache – Rache – Rache!«

»Bärbelchen – du bist mitunter ein wenig unüberlegt. – Was hast du denn vor?«

»Morgen wird mir der Wurf gelingen! – Großmama, kann ich 'mal in deinen Bücherschrank gehen?«

»Freilich, mein Kind.«

Bärbel zog Harald mit sich fort, dann kauerte sie vor dem Bücherschrank nieder und suchte nach Gedichtbänden. Sie nahm ein kleines, rotes Büchlein heraus und wandte sich an den Verlobten:

»Der Dichter Albert Traeger ist schon lange tot, – er ist wohl nicht so bekannt wie Schiller und Heine? – Würdest du wissen, daß es ein Gedicht von ihm ist, wenn ich dir etwas zitiere?«

»Nein, mein Liebling, ich würde es nicht wissen, obwohl ich den Dichter Albert Traeger in seinen Gedichten ein wenig kenne.«

»Dann ist es das Rechte. – Wollen gleich 'mal nachsehen, ob der Mann auch Liebesgedichte geschrieben hat.«

Sie setzten sich zusammen nieder und durchblätterten das Büchlein; plötzlich lachte Bärbel belustigt auf.

»So, nun habe ich den richtigen Jakob gefunden. – Jetzt höre 'mal recht gut zu, Harald.«

»Also los!«

»Die Welt weiß deinen Namen nicht,
Sie kennt auch nicht dein lieb' Gesicht,
Die Welt ist zu beklagen.
Es sollen drum zu jeder Frist,
Wie lieblich du, mein Schätzchen, bist,
Ihr meine Lieder sagen.«

»Sehr hübsch,« nickte Harald Wendelin, »aber was willst du mit diesem Gedicht beginnen?«

»Es heißt: im Verborgenen! Aber ich würde es taufen: Rachegedanken von Bärbel Wagner.«

»Du bist heute gar so geheimnisvoll, mein Kleines, und ich möchte doch auch gern wissen, wie sich deine Rache äußert. Wer wird denn davon betroffen?«

Bärbel gab dem Verlobten einen stürmischen Kuß.

»Harald, morgen sage ich dir alles, – ich muß das Ei erst allein ausbrüten. Man soll andere nicht mit hineinziehen, und der Schwache ist am mächtigsten allein. So sagt schon Schiller.«

Harald Wendelin lachte, trotzdem richtete er nochmals ein warnendes Wort an seine junge, übermütige Braut, weil er fürchtete, daß sie in ihren Racheplänen ein wenig zu unvorsichtig sein könnte.

Voller Ungeduld sah Bärbel dem Abend des nächsten Tages entgegen. Würde Gerhard Wiese kommen? Aber er verehrte sie und würde sich glücklich preisen, wenige Augenblicke mit ihr zusammen sein zu können.

Als es Abend geworden war, wurde Bärbel immer nervöser und half schließlich Fräulein Pertis beim Zusammenpacken. Goldköpfchen hatte ja nur den einen Wunsch, daß die Empfangsdame heute recht pünktlich das Atelier verließ.

Es geschah. – Als sich Punkt sieben Uhr die Tür hinter der Kollegin schloß, stieß Bärbel einen Freudenruf aus, eilte beglückt ins Empfangszimmer zurück, stieß dort vor Erregung einen kleinen Marmortisch um, dann machte auch sie sich zum Heimgehen fertig.

Ob Gerhard Wiese wohl unten stand und den seelenvollen Blick schon auf Fräulein Pertis geworfen hatte?

Genau fünf Minuten später fuhr Bärbel mit dem Fahrstuhl hinab. Gleich am Ausgang stand Gerhard Wiese.

»Herrlich!« rief Bärbel strahlend, »haben Sie geblickt?«

»Ich habe sehnsuchtsvoll auf Sie gewartet, Fräulein Bärbel.«

»Das ist ja Nebensache, mein lieber, junger Freund, ich möchte nur wissen, ob Sie die Dame im hellen Mantel gesehen haben?«

»Freilich, ich habe Ihren Wunsch erfüllt, habe sie angeschaut, bin ihr sogar ein wenig nachgegangen, sie schaute sich nach mir um, da lächelte ich sie an. – Ist es Ihnen so recht?«

»Sie sind ein Engel,« rief Bärbel so laut, daß sich soeben Vorübergehende nach dem temperamentvollen jungen Mädchen umwandten.

»Nun will ich nur noch Sie anblicken, Fräulein Bärbel, ich bin so unsagbar glücklich, mit Ihnen ausgehen zu dürfen, und lade Sie für heute zum Abendbrot ein.«

»Gänzlich ausgeschlossen, Herr Wiese, aber ich habe noch eine Bitte an Sie. Ich habe hier ein Gedicht, ein ganz entzückendes Gedicht. Es ist nicht bekannt. Sie brauchen also nicht zu fürchten, daß Sie ertappt werden. Ich habe es wunderschön niedergeschrieben, auf feines Elfenbeinpapier, und einen Umschlag habe ich auch mitgebracht. – Wollen Sie Ihren Namen daruntersetzen?«

Gerhard Wiese wurde verlegen.

»Warum erinnern Sie mich immer wieder an die Dummenjungenstreiche von einst! Ich hatte es doch sehr gut gemeint.«

»Wir schmieden jetzt zusammen ein Komplott, Herr Wiese, – Sie müssen mich nämlich rächen.«

Der junge Bankbeamte wollte zunächst nicht recht heran, weil er nicht wußte, was daraus werden sollte. Doch Bärbel wies ihn immer wieder auf seine gemachten Äußerungen hin, daß er für sie Sonne, Mond und Sterne vom Himmel herunterholen wolle. So erklärte sich Gerhard Wiese schließlich bereit, seine Unterschrift zu geben.

Auf der Straße setzte er mit seinem Füllfederhalter seinen Namen darunter, worauf ihm Bärbel das Blatt entriß, in den Umschlag steckte und in den nächsten Briefkasten warf.

»Aber, Fräulein Wagner, was ist denn eigentlich los?«

»Es macht nichts, – es ist nur ein Spaß. Nun danke ich Ihnen, daß Sie gekommen sind. Ich muß jetzt heim.«

»Aber wir wollen doch gemeinsam zu Abend essen?«

Bärbel lachte übermütig. »Ich werde doch nicht mit einem anderen Herrn ein Lokal besuchen, wo ich verlobt bin. Es war wirklich sehr nett, daß ich Sie wiedergesehen habe, doch jetzt brauchen Sie sich nicht weiter zu bemühen.«

»Da irren Sie sich aber doch,« sagte Gerhard Wiese ärgerlich. »Sie haben mir zu verstehen gegeben, daß Sie noch immer Sympathien für mich haben – –«

»Ich habe Ihnen gar nichts zu verstehen gegeben.«

»Ich bestehe jetzt auf meinem Recht, Fräulein Bärbel. Denn ich bin heute nur Ihretwegen hierhergekommen, habe Ihre Wünsche erfüllt, jetzt sind Sie mir verpflichtet.«

»Ja, was fällt Ihnen denn nur ein, Herr Wiese? Wenn ich das meinem Verlobten sage, fordert er Sie auf Pistolen. Drei Schritt Distanz, Kugelwechsel, bis einer tot ist, und das werden Sie sein. – Also, nehmen Sie sich in acht, ich bin heute nicht mehr eine schutzlose Sekundanerin, ich trage einen goldenen Ring am Finger.«

»Ein Dummerchen sind Sie, Bärbel, und mit euch Mädels muß man kurzen Prozeß machen. Ich lasse mich doch nicht von Ihnen an der Nase herumziehen!«

Obwohl Bärbel sehr eilig weiterging, blieb Gerhard Wiese an ihrer Seite. Als man in eine wenig belebte Nebenstraße einbog, riß Wiese plötzlich Bärbel an sich und drückte ihr einen Kuß auf die Wange.

In Bärbel flammten Zorn und Entrüstung auf.

»Das ist eine Gemeinheit,« rief sie ergrimmt, »das lasse ich mir nicht gefallen! Aber warten Sie, ich werde mich auch an Ihnen rächen.« Und dann stürmte die jetzt zwanzigjährige junge Dame im Laufschritt wie ein Schulmädel davon. Es war Gerhard Wiese unmöglich, der Dahineilenden zu folgen.

Vor dem Hause der Großmama blieb Bärbel endlich stehen.

»Dummer Junge,« sagte sie entrüstet, »was bildest du dir eigentlich ein? Warte, dir streiche ich es gehörig an!« Aufs neue wälzten sich hinter Bärbels Stirn Rachegedanken. Es war unerhört, sie zu küssen, noch dazu auf offener Straße.

Die tollkühnsten Pläne entstanden in dem Mädchenkopf. Harald war heute verhindert zu kommen, so konnte Bärbel ungestört ihre Pläne schmieden. Unüberlegt, wie sie nun einmal war, glaubte sie endlich das Richtige gefunden zu haben.

Am anderen Tage erzählte sie wieder mit Herrn Münzinger.

»Denken Sie doch, gestern abend habe ich einen Jugendfreund wiedergesehen. Er hat mich 'mal eine Zeit lang furchtbar verehrt, doch gestern hat er eine Dame erblickt, von der er den ganzen Abend über schwärmte. Wer mag sie nur gewesen sein. Ich bin fast eifersüchtig geworden.«

»Aber, Fräulein Wagner, Sie haben doch Ihren Verlobten.«

»Nun ja, aber man läßt sich doch gern von der Männerwelt verehren, und Gerhard Wiese, der im Bankhaus Horn angestellt ist, wird sicherlich nochmals ein bedeutender Dichter. Er hat eine fabelhafte Ader in sich. Wer den 'mal zum Manne bekommt, der hat in den Glückstopf gegriffen. – Aber er will erobert sein, er ist wie eine Festung.«

Bärbel erzählte immer lauter, denn sie hatte den dringenden Wunsch, daß Fräulein Pertis jedes ihrer Worte hörte.

Der Empfangsdame war auch wirklich keine Silbe entgangen. Angestrengt lauschte sie hinüber ins Nebenzimmer, denn in ihren Händen hielt sie einen Brief, der mit der Frühpost gekommen war. Man hatte ihr ein entzückendes Gedicht geschickt, das vortrefflich auf sie zu passen schien:

»Die Welt weiß deinen Namen nicht,
Sie kennt auch nicht dein lieb' Gesicht.«

Fräulein Pertis ging noch etwas näher an die Zimmertür und lauschte auf Bärbels Worte.

»Gerhard Wiese ist zwar noch ein junger Mann, aber er trägt sich bereits mit Heiratsgedanken. – Er küßt für sein Leben gern. Ja, wenn die jungen Mädchen wüßten, was das für ein Goldfisch ist, sie würden ihn nicht wieder aus den Fingern lassen. Aber erobern muß man ihn, – ich kenne Gerhard Wiese ziemlich genau, und ich glaube, er nimmt nur solch eine Frau, die ihn alltäglich bestürmt, die ihm nicht wieder von den Fersen weicht. Er stellt sich freilich sehr zurückhaltend, denn – – er will erobert sein!«

Bärbel strahlte über das ganze Gesicht, als sie mit ihrer Erzählung fertig war. – So, nun hatte sie diesem gräßlichen Menschen etwas eingebrockt. Bärbel wußte, daß Fräulein Pertis ohnehin eine aufdringliche junge Dame war, die sich nun auf Gerhard Wiese stürzen und ihn häufig belästigen würde. Das war ihre Rache an dem frechen Wicht!

Aber auch Gerhard Wiese hatte Rachegedanken und nahm sich vor, Bärbel am nächsten Tage vor den Kollegen ein wenig zu blamieren. So fand er sich pünktlich um sieben Uhr wiederum vor dem Atelier Brausewetter ein und wartete. Er wartete aber nicht allein, denn von der anderen Seite her kam ein Herr, der ebenfalls vor dem Atelier auf und ab schritt. War das vielleicht der Bräutigam oder noch ein anderer Verehrer?

Am heutigen Abend fuhren Bärbel, Fräulein Pertis und Herr Münzinger gemeinsam im Fahrstuhl hinab. Am Ausgang standen zwei Herren. Bärbel sah sofort die Wartenden und eilte auf den Verlobten zu. Gerhard Wiese wollte ihr den Weg vertreten, doch da legte sich schon eine Hand auf seinen Arm, und eine flötende Stimme sagte:

»Ihr Gedicht hat mich bezaubert, ich danke Ihnen.«

Es war Fräulein Pertis. Gerhard Wiese starrte ihr entgeistert ins Gesicht. Bärbel hatte den Vorfall natürlich bemerkt; es war ihr unmöglich, das Lachen zurückzuhalten, sie wurde von einem ähnlichen Anfall erfaßt wie damals, als der Direktor in der Schule den spindeldürren Oberlehrer Hering der Klasse vorstellte. Sie lachte, sie bog sich förmlich zusammen, die Tränen stürzten ihr aus den Augen, sie lachte, lachte, schöpfte nach Luft und erregte immer mehr die Aufmerksamkeit Wieses und der Pertis.

»Aber, Bärbel,« mahnte Harald Wendelin.

»Mei – – ne Ra – – che, – hahaha, mei – – ne Rache!«

Bärbel schrie es fast heraus. So laut, daß die anderen ihre Worte hörten.

»So komm doch, Bärbel,« mahnte Harald, der die funkelnden Blicke von Fräulein Pertis sah. Er führte die noch immer Lachende mit sich fort und war froh, daß man durch eine Straßenecke den wütenden Blicken der Zurückbleibenden entzogen wurde.

»Hahaha, jetzt heftet sie sich an seine Sohlen.«

»Aber, Bärbel, – so sei doch vernünftig!«

»Die Welt weiß deinen Namen nicht, hahaha.

Sie kennt auch nicht dein lieb' Gesicht – hahaha! Ach, Harald, ich sterbe vor Lachen!«

Man mußte erst ein ganzes Weilchen gehen, ehe sich Goldköpfchen wieder soweit gefaßt hat, daß es dem Verlobten alles erzählen konnte. Aber merkwürdigerweise stimmte der Ingenieur nicht in das Gelächter seiner übermütigen Braut ein, er war sogleich ziemlich ernst geworden.

»Ich glaube, es wäre besser gewesen, mein Kleines, du hättest diese Rache unterlassen. Du vergißt stets, daß du mit Fräulein Pertis zusammenarbeiten mußt und daß sie dir deinen Beruf sehr erschweren kann.«

»Runzeln habe ich ihr ins Gesicht gemacht! Ach, Harald, sie war so eklig, und Rache ist süß!«

»Ich fürchte aber, mein Bärbel, daß du dir damit eine üble Suppe eingebrockt hast.«

»Und Gerhard Wiese hat es auch ordentlich abbekommen. Nun wird er Fräulein Pertis nicht mehr los. – Ach, Harald, es ist fein!«

Schließlich kamen Bärbel aber doch Bedenken, als ihr Harald die Folgen ausmalte, die solch ein Verhalten haben könnte.

»Die trüben Stunden, die dir Fräulein Pertis damals bereitete, mein Liebling, sind heute längst vergessen. Man soll nicht nachtragend sein. Ich würde es für richtiger halten, wenn du dich mit Fräulein Pertis auf freundlichen Fuß stellen würdest, denn noch mußt du fast dreiviertel Jahre mit ihr zusammenarbeiten.«

»Ach ja,« seufzte Bärbel, »ich habe ja zuerst daran gedacht, den ganzen Beruf aufzugeben. Ich bin doch jetzt verlobt, und wenn ich erst verheiratet bin, werde ich doch kein Atelier einrichten. Aber die Eltern meinen, ich soll erst auslernen.«

»Dasselbe meine ich auch, mein Bärbel. Das Leben ist so bunt, so merkwürdig, – Geld und Gut können verlorengehen, aber niemals das, was man durch Fleiß erlernt hat. Kenntnisse sind der einzige Schatz, der uns im Leben nicht mehr genommen werden kann. Denke doch nur an mich, mein kleines Bärbel. Ich war ein ganz armer Bursche, der sich mühsam, durch Stundengeben, das Studium erkämpfte. Ich habe es nicht leicht gehabt, aber der Gedanke, daß ich vorwärts will, vorwärts muß, hat mir über manche schwere Stunde hinweggeholfen. Heute habe ich, wie du weißt, eine sichere und gutbezahlte Stellung inne, und ich freue mich von Herzen darüber. Ich hoffe, daß ich dir ein frohes Leben bereiten kann, aber wir alle stehen in des Schicksals Hand. Und wenn es einmal passierte, daß mich ein früher Tod von deiner Seite reißt, wenn die Ersparnisse, die wir machen können, durch Krankheit verbraucht sind, – was würde aus dir, was würde vielleicht aus meiner Familie werden? Und dann würde auch an dich die Not herantreten, mein Bärbel. Wie ganz anders, wenn du dann etwas Ordentliches gelernt hast, und wenn du dir, falls das Schlimmste und Traurigste einträte, sagen kannst: Ich brauche nicht zu verzagen, mit meinen Kenntnissen baue ich mir ein neues Leben auf.«

»Warum denkst du immer an das Schlimmste, Harald?«

»Wenn man stets das Schlimmste ins Auge faßt, mein Liebling, braucht man in keiner Lebenslage zu verzweifeln. Deine Eltern tun sehr recht, wenn sie darauf dringen, daß du deine Ausbildung erst vollendest. Ich würde es natürlich viel lieber sehen, dich schon heute an den Altar zu führen, aber es wäre töricht. Erst wird ausgelernt, dann – dann wollen wir weiter reden.«

»Nun ja, du hast ja recht,« meinte Bärbel, »meinst du nun wirklich, daß ich mir die Pertis ganz besonders verärgert habe?«

»Ich glaube es bestimmt, Bärbelchen, und du wirst in Zukunft viel vorsichtiger sein müssen. Es schadet nichts, wenn man frühzeitig sein Temperament etwas zügelt. Das bringt fürs spätere Leben großen Nutzen. Doch ich will dir das Herz nicht schwer machen. Wenn du Ärger und Sorgen hast, mein Kleinchen, komme zu mir, gemeinsam wollen wir dann beraten, wie wir diese Unannehmlichkeiten am besten aus der Welt schaffen.«

Der Ingenieur hatte recht behalten. Fräulein Pertis hatte anfangs tatsächlich geglaubt, daß Gerhard Wiese sie verehre. Sie hatte an jenem Abend immer wieder auf ihn eingeredet, bis er recht ärgerlich geworden war und erklärt hatte, die ganze Sache sei ein alberner Spaß des Fräulein Wagner. Er verbat sich energisch jede weitere Annäherung und erbitterte die Empfangsdame dadurch aufs höchste.

Deren ganzer Grimm richtete sich nun gegen Bärbel. Das merkte das junge Mädchen recht bald. Im Atelier wurde Goldköpfchen gröblich schikaniert. Fräulein Pertis entblödete sich sogar nicht, die junge Elevin vor den Kunden zu blamieren, so daß Bärbel manchmal die Tränen in die Augen kamen. Aber seufzend sagte sie dann zu sich:

»Ist mir ganz recht so, anderen habe ich die Grube gegraben, nun liege ich selber drin.«

Sie ertrug alle Schikanen mit bewundernswürdiger Geduld. Kam es einmal gar zu arg, klagte sie Harald ihr Leid, der sie herzlich tröstete.

»Ostern ist nicht mehr weit, mein Liebling. Dann fahren wir zusammen nach Dillstadt.«

»Jawohl, und dann wird Verlobung gefeiert, mit den Eltern und den Geschwistern, und in ganz Dillstadt sollen sie es wissen, daß Bärbel Wagner die glücklichste Braut auf der ganzen Erde ist.«

»Möge es immer so bleiben, mein geliebtes Goldköpfchen, und mögest du späterhin im ganzen Bezirk Dresden die glücklichste Ehefrau sein.«

Schwärmerisch verdrehte Bärbel die Augen.

»Ehefrau – wie das klingt! Ich kann mir gar nicht denken, daß ich 'mal eine Ehefrau sein könnte. Ehefrauen müssen doch stets würdig sein, ach, das liegt mir so gar nicht!«

Er strich ihr zärtlich über das goldene Haar hin.

»Wirst es schon lernen, mein Kleinchen.«


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