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4. Kapitel.
Die Schlange im Paradiese

»Gnädige Frau, ich kann nicht plätten, das Eisen ist entzwei.«

Toni stand vor Frau Lindberg und hielt ihr das elektrische Plätteisen hin. Frau Lindberg faltete nur stumm die Hände. Wenn sie sich nicht täuschte, war Bärbel wieder an diesem Mißstand schuld. Vor drei Tagen hatte in der ganzen Wohnung das elektrische Licht versagt, dann funktionierte die Klingel nicht, heute war das Plätteisen an der Reihe. Bei Licht und Klingel hatte Bärbel schuldbewußt zugegeben, daß sie als Braut eines Elektro-Ingenieurs sich in dessen Materie ein wenig hineinknien müsse. Sie hatte sich Licht und Klingel angesehen, ein wenig daran herumgeschraubt und dabei alles verdorben. Das Plätteisen war sicherlich auch auf ihr Konto zu setzen.

»Ich muß es ihr untersagen, sich noch weiter in diese Materie zu knien, sonst gibt es einmal ein Unglück.«

In der Tat hatte Bärbel auch das elektrische Plätteisen ein wenig untersucht; da sie aber von allen diesen Dingen so gut wie gar nichts verstand, nur Schaden angerichtet. Aber sie war der Meinung, daß sie unbedingt von Elektrotechnik etwas lernen müsse, wie könnte sie sonst als Kameradin eines Ingenieurs durchs Leben gehen?

»Großmama,« hatte sie gesagt, als man ihr wegen der Klingel Vorwürfe machte, »in deinem eigenen Bücherschrank steht ein Buch, und darin habe ich gelesen, daß eine gute Ehefrau sich immer für den Beruf des Mannes interessieren müsse, sonst ginge die Ehe kaputt. Harald wird das Licht wieder heilmachen, er kann es.«

Bärbel fühlte sich als Braut unendlich glücklich. Sie hatte zwar geglaubt, daß sie von den Menschen von nun an mit weit größerer Aufmerksamkeit angesehen werde, aber die Leute gingen ebenso fremd an ihr vorüber wie einst, sie schienen es nicht einmal zu bemerken, daß sie an der linken Hand, über die kein Handschuh, trotz strenger Kälte, gezogen wurde, der goldene Reif prangte. Bärbel bemühte sich sogar, möglichst links zu hantieren, aber der Reif blieb von vielen unbemerkt oder erregte zumindest kein Interesse.

Nur im Atelier Brausewetter fiel das natürlich sofort auf. Bärbel nahm herzliche Glückwünsche von seiten des Chefs und seiner Gattin entgegen, auch Herr Münzinger sprach seine Glückwünsche aus; Fräulein Pertis sagte über die Achsel hinweg einige verbindliche Worte, nur Willi, der Hausdiener, wiegte bedenklich den Kopf.

»Es ist fraglich, Fräulein Wagner, ob Sie das Rechte getan haben. Eine Ehe ist immer ein Risiko, – ich überlege mir den Fall schon seit zwei Jahren.«

»Aber, Willi, Sie sind doch heute erst achtzehn Jahre.«

»›Jung gefreit, hat nie gereut‹, so heißt das Sprichwort. Aber wissen Sie, ich habe ein probates Mittel. Ich weiß ganz genau, ob eine Ehe glücklich oder unglücklich wird.«

»So, was wissen Sie darüber? Wollen Sie mir das Mittel nicht sagen?«

»Das kann ich wohl, – probieren Sie es einmal, ich habe es von einer alten Frau. In allen Fällen ist es zugetroffen.«

»Was ist das?« Bärbels Augen glühten vor Neugier.

»Wenn der Verlobte oder der, mit dem man sich verloben will, zehnmal nacheinander einen Satz richtig sagen kann, wird es gut mit der Ehe. Wenn er sich aber dabei verheddert, geht die Sache schief aus.«

»Was ist das für ein Satz, Willi?«

»Passen Sie jetzt gut auf, Fräulein Wagner: zwischen zwei Zwetschgenbäumen zwitschern zwei Spatzen.«

»Ach, Willi, das ist ja Unsinn!«

Der Hausdiener schüttelte ernsthaft den Kopf.

»Genau so habe ich auch gesagt und mein Freund ebenso. Aber es stimmt genau.«

»Unsinn ist es doch, Willi, – aber ich werde meinen Verlobten, – wissen Sie, Willi, es ist mein richtiger Verlobter, auch Bräutigam genannt, – also ich werde meinen Verlobten fragen, er kann es sicherlich sagen.« – –

Die Zwillinge Martin und Kuno, die noch immer bei der Großmama zu Besuch weilten, denn die Weihnachtsferien waren erst am siebenten Januar beendet, hatten beschlossen, Bärbel im Atelier aufzusuchen. Da sie schon viel von Fräulein Pertis gehört hatten, nahmen sie sich vor, die Empfangsdame ein wenig zu ärgern oder zumindest einen Spaß mit ihr zu machen. So begaben sie sich denn kurz vor Schluß hinauf ins Atelier und betraten das Empfangszimmer.

Fräulein Pertis, die die Brüder Bärbels nicht kannte, kam ihnen mit dem üblichen Lächeln entgegen und sagte liebenswürdig:

»Was haben die beiden jungen Herren für Wünsche?«

»Si gego numas pilizli?«

Fräulein Pertis lächelte liebenswürdig. »Die Herren sind Ausländer?«

»Gego geschito zilapsi.«

Fräulein Pertis fragte auf englisch nach ihren Wünschen, und wieder wurde ihr eine rätselhafte Antwort. Sie versuchte es mit ihrem geringen Französisch; aber auch jetzt war es unmöglich, eine Antwort zu bekommen. Da bediente sie sich der Zeichensprache, worauf Kuno aufsprang, die Hände hoch in die Luft streckte, den Mund aufriß, mit dem Zeigefinger hinein zeigte, sich dann auf ein Bein stellte, mit dem erhobenen Bein einen Kreis beschrieb und schließlich einen Sprung machte.

Die Empfangsdame schien plötzlich zu begreifen.

»Die Herren sind Artisten, – jetzt verstehe ich. – Wollen mir die Herren hinüber ins Atelier folgen. Vielleicht betrachten Sie zunächst diese Bilder, um mir zu sagen, was für eine Aufnahme Sie wünschen.«

Fräulein Pertis hatte rasch einige Artistenbilder aus dem Album genommen und lächelte wieder die beiden Knaben liebenswürdig an.

Während Kuno abermals die merkwürdigsten Gesten machte, hatte Martin die größte Mühe, sich das Lachen zu verbeißen.

»Bitte, einen Augenblick, ich werde Herrn Brausewetter rufen, er versteht die spanische Sprache ein wenig.«

Fräulein Pertis ging hinaus.

»Mensch,« sagte Kuno, »jetzt wird die Kiste faul, der Brausewetter ist doch der Chef. – Was machen wir nun?«

»Wir kneifen!«

Und schon war Kuno an der Tür, gefolgt von Martin.

»Komm' schnell und ganz leise!«

Aber sie hatten nicht damit gerechnet, daß draußen an der Eingangstür Willi, der Hausdiener, stand, der gerade die Klinken putzte. Er hatte die letzten Worte Kunos gehört und stellte sich ihnen in den Weg.

»Nanu, – wo willst du denn hin?«

Kuno stemmte beide Arme fest in die Hüften, sah Willi von oben bis unten an und sagte sehr stolz:

»Du könntest auch Sie zu mir sagen.«

»Ihr seid doch eben erst gekommen?«

Fluchtartig stürmten die beiden Knaben die Treppe hinab, und erst unten auf der Straße begannen sie aus vollem Halse zu lachen.

»Mensch,« begann Kuno, »ich habe meine Mütze obengelassen.«

»Ich auch!«

»Was nun?«

»Wir warten auf Bärbel, sie muß jeden Augenblick kommen, sie muß nochmals hinaufgehen und unsere Mützen holen.«

Im gegenüberliegenden Hausflur hielten sie sich versteckt und warteten auf die Schwester. Pünktlich erschien sie auch. Da stürmten ihr die Zwillinge entgegen und verlangten, Bärbel möge ihre Mützen holen, die oben im Korridor hingen.

»Habt ihr mich denn besucht?«

»Ja,« sagte Martin, »wir wollten aber nicht stören, du warst noch tätig.«

»Dann springt nur selbst hinauf und holt eure Mützen.«

»Ich habe es im Knie,« murmelte Martin, »sei doch gut und fahre du hinauf, du stehst mit dem Fahrstuhlführer auf freundlichem Fuße.«

Ehe Bärbel noch eine zweite Frage stellen konnte, stoben die beiden Brüder auseinander und waren wie weggeweht. Beim Umblicken sah Bärbel soeben Fräulein Pertis aus dem Hause treten.

»Wer waren denn diese beiden Knaben?«

»Meine Brüder,« erwiderte Bärbel ahnungslos.

»So – Ihre Brüder? Das scheint ja eine nette Familie zu sein.«

»Die Zwillinge sind ein wenig wild, aber gute Jungens. Sie haben ihre Mützen oben vergessen, ich will sie schnell holen.«

»Lassen Sie sie nur,« sagte Fräulein Pertis giftig, »ich muß ohnehin noch mal hinauf, ich bringe die Mützen mit.« Und schon war sie an den Fahrstuhl getreten, drückte auf den elektrischen Knopf und fuhr hinauf.

Bärbel war ein wenig verlegen. Was sollte nun werden? Die Brüder würden sich nicht mehr sehen lassen. Was mochten sie nur gemacht haben? Wahrscheinlich würde sie nun ihre Mützen heimtragen müssen.

Endlich erschien Fräulein Pertis wieder und brachte die Mützen.

»Wo sind die Gebrüder Unart?«

»Was haben sie denn verbrochen?«

Entrüstet erzählte die Empfangsdame, wie man sie angeführt habe.

»Das ist freilich nicht nett,« sagte Bärbel, »aber es ist doch nur ein Dummerjungenstreich. Sie haben es bestimmt nicht böse gemeint.«

Fräulein Pertis sagte ziemlich ungnädig:

»In Ihrer augenblicklichen Laune entschuldigen Sie alle Unarten, Fräulein Wagner. Wenn man so in Glück und Wonne schwimmt wie Sie, – nun, hoffentlich hält die Sache. – Aber Sie sind ja ein Goldfisch, und die andere, die er gern hat, besitzt gar nichts. Ich kann es keinem Manne verdenken, wenn er bei den heutigen schweren Zeiten ein vermögendes junges Mädchen zur Lebensgefährtin wählt.«

Verständnislos schaute Bärbel auf.

»Ich habe noch eine Besorgung zu machen, – leben Sie wohl!« Dann schwenkte Fräulein Pertis nach links ab und ließ Bärbel allein stehen.

Gedankenvoll schritt das junge Mädchen weiter. Die Worte der Empfangsdame gingen ihr durch den Kopf. Was hatte Fräulein Pertis damit gemeint? – Es war doch alles Unsinn, Harald liebte sie, das war ein großes Glück.

Plötzlich tauchten rechts und links die Zwillingsbrüder auf. Sie rissen der Schwester stürmisch die Mützen aus der Hand und eilten wieder davon. Bärbel ließ sie gewähren, ihre Gedanken gingen immer wieder zu dem soeben Gehörten zurück. Man nannte sie reich. – Auch Anita Schleifer hatte einmal geäußert, daß Bärbel ein Goldfisch sei. Harald Wendelin war gewiß nicht der Mann, der nur auf Geld und Besitz schaute. – Was meinte Fräulein Pertis aber mit dem anderen jungen Mädchen?

Ein wenig stiller als gewöhnlich saß Bärbel heute beim Abendessen mit der Großmama und den beiden Brüdern zusammen.

»Am Nachmittage ist ein Brief an dich gekommen, Bärbel, es ist wohl ein Glückwunsch von Bruder Joachim.«

In ihrem Zimmer las Goldköpfchen das Schreiben. Der große Bruder gratulierte ihr zur Verlobung und sprach offen seine Freude darüber aus, daß sich Harald und Bärbel gefunden hätten.

»Eine Neuigkeit ist es für mich nicht gewesen, liebes Goldköpfchen, schon als ganz junger Student habe ich bereits meinem Freunde gesagt, daß du die rechte Frau für ihn wärest.«

Langsam legte Bärbel das Schreiben auf den Tisch nieder. Sie atmete schwer auf. Anita und Edith hatten ihr schon vor der Verlobung damit wehe getan, daß sie meinten, Harald Wendelin sei verpflichtet, sie zu heiraten. Nun schrieb sogar Bruder Joachim, daß er schon lange auf diese Verlobung gewartet habe. – Wenn Fräulein Pertis recht hatte, wenn wirklich irgendwo ein anderes junges Mädchen lebte, das ihren Harald liebte, – – es wäre furchtbar!

Aber dann schüttelte Bärbel den Kopf.

»Er liebt nur mich,« sagte sie laut vor sich hin, »seine Worte, seine Augen sagen es mir, er ist wahr, er spricht keine Lüge aus. Es ist ja alles Unsinn.«

Sie nahm das zerrissene und wieder zusammengeklebte Bild des Verlobten zur Hand und küßte die Photographie herzlich.

»Fragen will ich ihn doch einmal, ob er den Satz von den Zwetschgenbäumen nachsagen kann. Aber ich glaube natürlich nicht daran, es ist Altweibergewäsch!«

Es ließ ihr keine Ruhe, und am nächsten Morgen rief Bärbel den Verlobten durchs Telephon an.

»Hast du einen Augenblick Zeit, Harald?«

»Für dich immer, mein Bärbel.«

»Weißt du Harald, eigentlich ist es ein Blödsinn, aber ich möchte es doch gern wissen, ob du rasch hintereinander zehnmal einen Satz sagen kannst, den ich dir jetzt vorsprechen werde. – Bitte, sage ihn gleich 'mal nach.«

»Also los!«

»Zwischen zwei Zwetschgenbäumen zwitschern zwei Spatzen. Zehnmal nacheinander, Harald.«

»Aber, Bärbel, was soll denn der Unsinn!«

»Bitte, lieber Harald, es steht viel auf dem Spiel.«

»Zwischen zwei Zwetschgenbäumen zwitschern zwei Spatzen. – Zwischen schwei Zwetzkenbäumen zwitschern zwei Spatzen.

Schwichen zwei Schwetzken – – nein, Bärbel, das ist zu schwer!«

»Ach, Harald –«

»Sage mir lieber, mein Liebling, wie du geschlafen hast.«

»Bitte, versuche es doch noch einmal, Harald.«

»Ich hole dich heute abend ab, mein Bärbel, dann sage ich dir auch einen Satz.«

»Ach – du weißt wohl auch um die Probe? Kannst du mich nicht gleich fragen?«

»Was denn für eine Probe?«

»Ach, schnell, sage doch, es ist gewiß dasselbe wie bei mir. Dir wird es auch die alte Frau gesagt haben, – also, wie heißt der Satz?«

»Kurze Kleider, kleine Kappen kleiden kleine Krausköpfe!«

»Kann ich,« meinte Bärbel zuversichtlich. Aber dann dauerte es gar nicht lange, so versprach auch sie sich, und seufzend hörte sie auf.

»Ach, Harald, du glaubst doch auch nicht an das bevorstehende Unglück.«

»Ich glaube nur an mein großes Glück, mein Liebling. – Jetzt wollen wir aber Schluß machen, denn die Arbeit ruft mich. Heute abend hole ich dich ab.«

»Ach, schön! – Schluß – Kuß – Bärbel!«

Mit der zweiten Post kam ins Atelier an Bärbel ein Brief. Sie besah sich das Schreiben von allen Seiten und öffnete es zaghaft.

»Sehr geehrtes Fräulein Wagner! Ich hörte, daß Sie sich mit dem Oberingenieur, Herrn Wendelin, verlobt haben. Wissen Sie auch, daß Sie einen Ehrlosen erwählten? Einen Mann, der einem armen, jungen Mädchen die Ehe versprach und der sein Wort brach, weil eine Reichere seinen Weg kreuzte. Wenn Sie nicht wollen, daß eine Unglückliche sich ganz und gar der Verzweiflung hingibt, lösen Sie dieses Verlöbnis wieder.

Eine Verlassene.«

Bärbels Hände begannen heftig zu zittern. Noch niemals hatte sie einen anonymen Brief erhalten. Sie legte daher diesem Schreiben eine ganz besondere Bedeutung bei. Eine Unglückliche wandte sich an sie und verlangte von ihr, daß sie ihren geliebten Harald aufgäbe.

Die Blauaugen Goldköpfchens füllten sich mit Tränen. Hatte ihr Harald nicht gesagt, daß er schon als junger Student sie geschätzt und verehrt habe? Noch hörte sie deutlich die Worte in der Neujahrsnacht, die er zu ihr gesprochen: er hatte ihr versichert, daß ihm noch nie ein junges Mädchen begegnet sei, das solch einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht habe wie sein Goldköpfchen.

Was hatte ihr gestern Fräulein Pertis gesagt? Er hätte eine andere Freundin, die arm sei. Anita hatte geäußert, daß Herr Wendelin nach einem Goldfisch angle. Konnte es denkbar sein, daß er vor ihr schon eine andere geküßt hatte und jene verließ?

Bärbel lief in die Dunkelkammer, dort wußte sie sich allein. Die Augen brannten ihr, sie hatte Mühe, die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten.

»Das ist ja alles gar nicht wahr,« sagte sie, »Harald liebt mich, er tut nichts Schlechtes! Wenn ich nur wüßte, wo die andere wohnt, es muß ein Mißverständnis sein. Der Brief ist vielleicht gar nicht an mich.«

Sie nahm das Schreiben wieder zur Hand. Es konnte keine Verwechslung vorliegen, denn der Name Haralds war richtig geschrieben, und auch sein Beruf stimmte.

Bärbel preßte den schmerzenden Kopf zwischen beide Hände.

»Was tue ich denn? – Ob ich ihn frage? Wird er mir alles sagen?«

Bärbel fühlte sich immer elender, sie legte den Kopf in die Arme und schluchzte herzzerbrechend.

Ganz plötzlich stand Fräulein Pertis neben ihr.

»Was haben Sie denn?«

»Ich bin so unglücklich!«

Zum ersten Male zeigte sich Fräulein Pertis teilnahmsvoll. Sie strich Bärbel über das goldige Lockenhaar.

»Nicht weinen, Kleines, es wird sicherlich nicht so schlimm sein. Was haben Sie denn für Schmerzen?«

Bei diesen teilnehmenden Worten vergaß Bärbel, daß sie für Fräulein Pertis keine Sympathien hatte. Sie hörte jetzt nur das warme Herz heraus, hob den Kopf ein wenig und sagte, noch immer an den Tränen schluckend:

»Ich habe einen häßlichen Brief bekommen, – ach, es ist schrecklich!«

»Das wird ja nicht so schlimm sein, liebes Fräulein Wagner. – Was schreibt man Ihnen denn?«

»Ich möchte darüber nicht sprechen,« sagte Goldköpfchen, »aber es ist furchtbar!«

»Ich will nicht hoffen, daß Sie dieselben schlimmen Erfahrungen machen, die ich mit den Männern machen mußte, Fräulein Wagner. Ihr Verlobter hat das Verlöbnis gelöst?«

»Nein, o nein!«

»Dann ist vielleicht eine Dame im Spiel, die ältere Rechte an ihn hat?«

»Woher wissen Sie das?«

»Es ist immer dieselbe Geschichte, Fräulein Wagner, doch wem es passiert, dem bricht's das Herz entzwei.«

»Es ist ja nicht wahr, – es kann gar nicht wahr sein, Harald liebt mich, und er lügt nicht.«

»Sie müssen das nicht so tragisch nehmen, Fräulein Wagner, Ihr Verlobter ist gewiß ein ganz reizender Herr, ich habe ihn ja auch kennengelernt, aber er ist eben, wie alle Männer sind. Er hat irgendwo eine kleine Freundin, der er Treue gelobte, – nun hat er sich die Sache anders überlegt, von Ihnen weiß er, daß Sie eine gute Aussteuer und etwas Vermögen mitbekommen, so muß die andere eben zurücktreten.«

Mit starren Augen schaute Bärbel Fräulein Pertis an.

Dann sagte sie stockend:

»So etwas Ähnliches haben Sie mir schon gestern gesagt. – Was wissen Sie davon? Wer ist die andere? Dieser Brief – –« Bärbel hielt Fräulein Pertis das Schreiben hin, »stammt jener Brief von jener Verlassenen?«

»Höchst wahrscheinlich.«

»Sie kennen sie? – Wo wohnt sie, ich will zu ihr gehen.«

»Das lassen Sie nur hübsch bleiben, Fräulein Wagner, das führt zu nichts. Ich habe nur davon gehört, daß dieses junge Mädchen, es soll Inge heißen, mit Herrn Wendelin verlobt war. Ein liebes, zierliches Geschöpfchen. – Natürlich geht die Kleine daran zugrunde, doch das darf Sie nicht stören, Fräulein Wagner. Halten Sie Ihr Glück fest, und geben Sie gut acht, daß Ihr Verlobter diese Inge nicht mehr zu oft wiedersieht.«

Ein heiseres Aufweinen kam aus Bärbels Brust. »Ich begreife das nicht recht, – alles ist so schrecklich. – Er hat mir doch gesagt, er liebt mich.«

»Das tut er ja auch, kleines Schäfchen, aber bekümmern Sie sich nicht um jene andere. Ich würde meinen Verlobten deshalb gar nicht erst zur Rede stellen, er wird doch alles leugnen. – Vergessen Sie das Schreiben, und leben Sie ruhig weiter.«

»Er will mich heute abend abholen,« sagte Goldköpfchen. »Soll ich ihn dann fragen?«

»O nein, mein Kleines, wo denken Sie hin!«

»Er darf aber kein Geheimnis zwischen uns sein. Einer muß wissen, was im Herzen des anderen vorgeht.«

»Das sind Backfischansichten, mein liebes Kind, es ist gut, wenn man zur rechten Zeit schweigen kann.«

Bärbel schüttelte den Kopf.

»Liebe und Vertrauen sind die Grundpfeiler zum Glück,« sagte sie leise, »das hat die Großmama immer gesagt. Ich würde auch nicht glücklich werden, wenn ich nicht vertrauen dürfte.«

»Klug müssen Sie sein, Fräulein Wagner. Mehr braucht man nicht zu einer glücklichen Ehe.«

»Nein, ach nein,« rief Bärbel verzweifelt, »ich will vertrauen können, ich will wissen, was Harald denkt!«

»Er wird es Ihnen selbst sagen, Sie müssen nur abwarten. Sie würden es bitter bereuen, wenn Sie durch unvorsichtiges Fragen Ihre Zukunft zerstörten. Erwähnen Sie nichts von diesem häßlichen Brief, nichts von der kleinen Inge. Er wird es Ihnen selbst einmal sagen.«

Bärbel hatte heute Mühe, ihren Pflichten nachzukommen. Das sonst so frische Mädchengesicht war heute blaß, die strahlenden Augen blickten trübe. Herr und Frau Brausewetter fragten mehrfach, ob sich Bärbel krank fühle. Aber sie schüttelte müde und traurig den Kopf.

»Bleiben Sie heute nachmittag daheim, Fräulein Wagner, es ist jetzt stille Zeit. Ruhe wird Ihnen gut tun.«

Abermals würgte Bärbel an den aufsteigenden Tränen. Sie fürchtete sich vor allen Fragen, vor den neugierigen Blicken, vor allen Dingen aber wich sie Fräulein Pertis aus. Sie hatte plötzlich das Empfinden, als gehe ein giftiger Hauch von der Empfangsdame aus, und sie bereute es, Fräulein Pertis zur Vertrauten ihres Kummers gemacht zu haben.

Kurz vor Mittag erschien ein Brautpaar, das eine Aufnahme wünschte. Bärbel war mit der Aufnahme betraut worden; als sie aber die beiden so zärtlich zusammenstehen sah, fühlte sie plötzlich einen Kälteschauer über sich hingehen, dann wurde ihr glühend heiß, mit beiden Händen hielt sie sich an der Lehne des Stuhles fest.

Frau Brausewetter war gerade mit im Atelier und sah, wie sich Bärbel verfärbte. Rasch schob sie der jungen Elevin einen Stuhl hin.

»Danke,« hauchte Bärbel. Sie hatte rote Punkte vor den Augen, und immer wieder bohrte der quälende Schmerz an ihrem Herzen.

»Legen Sie sich drüben auf den Diwan,« sagte Frau Brausewetter teilnehmend, half ihr beim Aufstehen und sah noch ein Weilchen dem davonwankenden jungen Mädchen nach. Dann machte sie sich selbst an die Aufnahme des glücklichen Paares.

Bärbel lag mit geschlossenen Augen im Nebenzimmer. Sie fühlte sich zum Sterben elend. Als Frau Brausewetter nach etwa zehn Minuten zu ihr hereinkam, versuchte sich Bärbel aufzurichten.

»Mir ist schon wieder etwas besser.«

»Ich lasse Sie heimfahren, Fräulein Wagner. Willi wird Sie begleiten. Heute nachmittag bleiben Sie daheim, und falls Ihnen morgen nicht wieder besser ist, gleichfalls. – Nun recht gute Besserung, hoffentlich ist es nur eine leichte Unpäßlichkeit.«

Frau Lindberg war erschrocken, als sie das totenblasse Bärbel erblickte.

»Ohnmächtig geworden,« sagte Willi, »wahrscheinlich zu viele giftige Dünste eingeatmet. Wir arbeiten mit vielen Chemikalien, die der Gesundheit nicht gerade zuträglich sind.«

»Müde, nur müde, Großmama,« hauchte Bärbel, »laß mich schlafen; ich will nur Ruhe haben.«

Zum ersten Male in ihrem Leben täuschte Bärbel die Großmama, denn als die besorgte Frau Lindberg nach einer halben Stunde in Goldköpfchens Zimmer trat, lag das junge Mädchen regungslos, mit geschlossenen Augen auf dem Diwan; Frau Lindberg beugte sich über das junge Mädchen. Wohl merkte es Bärbel, aber sie stellte sich schlafend. Nur jetzt nicht gefragt werden, nur keine Antworten geben müssen! Erst wollte sie selbst mit sich im klaren sein.

Am Abend wartete Harald Wendelin vergeblich vor dem Atelier. Er ging auf und ab, immer den Ausgang im Auge behaltend, aber Bärbel kam nicht. Endlich erschien Fräulein Pertis. Auf sie trat er zu. Er fragte nach Fräulein Wagner.

»Da warten Sie heute vergeblich, Herr Wendelin, ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, Fräulein Wagner hat sich heute mit jemandem verabredet. Sie ist auch schon früher fortgegangen.«

»Das bin ich wohl selbst gewesen, ich habe heute mit meiner Braut telephoniert.«

»Das waren Sie nicht, Herr Wendelin, aber,« fügte sie lachend hinzu, »ich weiß wirklich nichts Genaues, nein, nein, – ich weiß nichts.«

Ihre Augen schauten ihn schelmisch an.

»Haben Sie Dank.«

Er ging davon, weil er keine Lust hatte, noch länger mit Fräulein Pertis zu reden. Diese herausfordernden Blicke, dieses Vertraulichtun verstimmte ihn. Warum hatte ihn Bärbel nicht nochmals angerufen, da sie eine andere Verabredung hatte? Wahrscheinlich nahm man sie beruflich in Anspruch und wurde beschäftigt.

»Liebes, kleines Bärbel,« flüsterte er vor sich hin, »will mich Fräulein Pertis vielleicht glauben machen, daß du mit einem anderen Manne ausgingst? Da kenne ich dich doch besser, mußt sicherlich noch arbeiten, mein kleiner Liebling. – So muß ich mich eben zufrieden geben.«

Und in Gedanken sandte er seiner geliebten Braut herzinnige Grüße zu.


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