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3. Kapitel.
Du Ring an meinem Finger

»Aber, Bärbel, – du wirst dir die Zähne verderben, laß das Nüsseknacken sein!«

»Großmama, verbiete mir das Knacken nicht, ich muß etwas zum Zermalmen haben. Ich bin ja so glücklich, – ach, es ist schrecklich!«

»Was ist denn schrecklich?«

»Daß die Brust so eng ist. Darin sitzt so viel Glück, alles spannt, es tut mir ordentlich weh, ich möchte mich dehnen und recken. Großmama, alles Glück, was es auf der Welt gibt, sitzt darin.«

»Als du noch ein kleines Mädelchen warst, Bärbel, sagtest du mir mal: mein ganzer Bauch ist voller Freude.«

»Alles ist heute voller Freude, liebe Großmama, denn alles Glück kommt auf einen Tag zusammen. Nun gibt mir auch noch Herr Brausewetter für heute nachmittag frei, abends kommen unsere Bekannten, wir feiern Silvester mit Punsch und Pfannkuchen, gießen Blei, und Martin und Kuno sind hier. – Sage doch selbst, Großmama, gibt es noch ein größeres Glück?«

»Und dazu der Korb mit roten Rosen, der vorhin geschickt wurde.«

»Na, wie gesagt, Großmama, der heutige Silvester ist der schönste Tag meines ganzen Lebens.«

»Dabei haben dich deine lieben Zwillingsbrüder doch reichlich geärgert.«

»Das macht nichts, heute ärgere ich mich grundsätzlich nicht. Es ist so wunderschön, daß die Eltern die Brüder hergeschickt haben. Schade, daß sie nicht selbst kommen konnten. – Großmama, heute wird es eine Silvesterfeier werden, wie noch keine dagewesen ist.«

»Das scheint mir auch so, als wolltet ihr mir die Wohnung auf den Kopf stellen. Kuno und Martin sind schon wieder fortgegangen, um noch einige Überraschungen zu holen. – Treibt es nur nicht gar zu arg, sonst kommen uns die Untermieter auf den Kopf.«

»Paradox, Großmama, Untermieter können einem niemals auf den Kopf kommen. Außerdem ist dieses Haus dein Eigentum, und die Mieter müssen froh sein, daß sie bei einer solch netten alten Dame wohnen dürfen. Sie sollen sich 'mal so 'nen Wirt suchen. Und dann – – du kannst ganz beruhigt sein, Großmama, ich habe Webers, die unter uns wohnen, zugeredet, heute abend ins Theater zu gehen. Sie machen es auch. – Ach, Großmama, wir können herumtrampeln, soviel wir wollen.«

Frau Lindberg seufzte tief auf. Es würde heute abend in ihrer Wohnung laut hergehen. Man hatte Bärbels Bekannte eingeladen, dann kam Frau Lindbergs zweite Tochter Agnes, die in Schandau mit dem Studienrat Dr. Wendt verheiratet war, mit ihrem Gatten, Edith Scheffel mit ihrem Verlobten, Anita Schleifer, Fräulein Redlich, Herr Wendelin, der noch einen Bekannten mitbrachte, und die beiden Brüder Bärbels, die fünfzehnjährigen Zwillinge.

»Wenn sich Anita heute wieder eklig macht, Großmama, muß sie Harald 'rauswerfen. Auf die Redlich bin ich furchtbar neugierig. Wenn sie sich nur nicht zu jugendlich anzieht!«

»Wenn mein Bärbel heute nur nicht zu übermütig wird.«

»Großmama, das wird bestimmt geschehen. Wenn es innerlich so zuckt und zappelt wie heute, kann ich unmöglich still sein. – Nun aber muß ich an die Vorbereitungen gehen. Liebe Großmama, Toni darf mir doch helfen, die Möbel umzustellen?«

»Bärbel, was soll das heißen?«

»Tanzdiele mit Lampionbeleuchtung. Wir schlagen ganz vorsichtig Haken in die Wände, dann ziehen wir Draht, daran kommen die Lampions. Die Teppiche rollen wir zusammen. Ich wollte eigentlich, daß Harald eine elektrische Anlage machte, doch sagte er, Kerzenlicht sei viel stimmungsvoller.«

»Muß denn die Lampionbeleuchtung sein, mein liebes Kind?«

Goldköpfchen hing am Halse der Großmutter.

»Nun habe ich noch eine ganz besondere Bitte an dich, nur eine ganz kleine Bitte. – Dein Schlafzimmer möchte ich ausräumen, darin soll ein Wahrsagesalon errichtet werden.«

»Nein, Bärbel, das geht nicht.«

»Ach – Großmama, es ist doch Silvester. Es soll etwas ganz Großartiges gemacht werden. Wozu habe ich denn mit Kuno und Martin geheime Sitzungen abgehalten? Die Badewanne wird mit Tüchern und Brettern zugedeckt, in der Mitte ein Platz freigelassen, rechts und links setzt sich je einer, dann laden wir Anita oder Fräulein Redlich ein, in der Mitte Platz zu nehmen, und bei drei stehen die beiden Eingeweihten auf – Großmama, es wird herrlich sein, wenn sie in die Badewanne fällt.«

»Nein, Kind, das geht nicht. Bedenke doch, daß du nun bald zwanzig Jahre alt wirst. Du bist doch eine junge Dame und keine wilde Range mehr. Heiratsfähig bist du längst und bald großjährig, fast ausgelernt. – Willst bald ein eigenes Atelier in Dillstadt – –«

»In Heidenau, Großmama!«

»Was würde Herr Wendelin von dir denken, wenn du gar so übermütig oder gar ungezogen bist? Dann gefällt ihm natürlich Fräulein Redlich besser.«

Bärbel lachte laut auf und drehte sich auf dem Absatz mehrfach um sich selbst.

»Ich weiß was, Großmama!«

»Nun?«

»Ich gefalle dem Harald besser. Fräulein Redlich mag viel tüchtiger sein als ich, aber graue Haare passen nicht für ihn. – Ach, Großmama, ich bin ja so glücklich. Leider habe ich jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken, wir haben noch furchtbar viel zu tun.«

Bärbel eilte schon wieder davon, doch Frau Lindberg heftete sich an die Sohlen ihrer Enkelin. Sie fürchtete, daß Bärbel in ihrer überglücklichen Stimmung allerlei Unüberlegtes beginnen würde.

Die Eltern hatten, um Bärbel eine besondere Freude zu bereiten, die beiden Zwillingsbrüder Martin und Kuno am dritten Weihnachtsfeiertage nach Dresden geschickt, dort sollten sie bis Anfang Januar bleiben. Das war für Bärbel eine große Freude, aber noch viel glücklicher war sie durch die häufigen Besuche Harald Wendelins. Der junge Ingenieur war an jedem der Weihnachtsfeiertage bei Frau Lindberg Gast gewesen und hatte auch den gestrigen Sonntag dort verbracht. Frau Lindberg stellte schweigend fest, daß sich die Herzen zweier junger Menschen überraschend schnell gefunden hatten, und daß Bärbels Glücksempfinden in der Hauptsache daher rührte, daß sie sich wiedergeliebt wußte. Wer wußte, was der heutige Silvestertag brachte? Es war nicht unmöglich, daß Harald Wendelin heute noch an Goldköpfchen die entscheidende Frage richtete.

Abermals kam ein banger Seufzer über Frau Lindbergs Lippen. Wenn Bärbel jetzt schon vor innerem Glück allerlei Nüsse knackte, wie närrisch durch die Stuben wirbelte, was würde dann erst geschehen, wenn ihr Harald den goldenen Ring an den Finger steckte? Dem temperamentvollen jungen Mädchen war alles zuzutrauen.

In stundenlangen Vorbesprechungen war das Programm für den heutigen Abend unter den Geschwistern festgelegt worden. Frau Lindberg wurde ausgeschaltet, sie sollte ebenfalls überrascht werden. Als sie jetzt aber hörte, daß man sogar die Zimmer ausräumen wollte, verlangte sie energisch, zu wissen, was die drei eigentlich planten.

Die Brüder kehrten beladen mit kleinen Paketchen von ihrem Ausgange heim. Bald quietschte und knarrte es hier und dort, so daß sich Frau Lindberg schon Gedanken über den ohrenbetäubenden Lärm machte, der wahrscheinlich um Mitternacht in ihrer Wohnung einsetzen würde.

»Großmama,« begann Kuno, »du wirst nicht böse sein. Wir haben eine Extraüberraschung. – Ich muß rasch nochmals fortgehen, bitte, gib mir den Hausschlüssel.«

»Jetzt um vier Uhr den Hausschlüssel?«

»Einer wartet darauf.«

»Wer denn? Du wirst doch keinem Fremden den Hausschlüssel geben! – Was ist das für eine Überraschung?«

»Strengstes Geheimnis.«

Frau Lindberg wehrte ab.

»Nein, Kuno, ich gebe den Hausschlüssel nicht eher, als bis ich weiß, wozu du ihn brauchst?«

»Großmama, so gib mir dein heiligstes Ehrenwort, daß du allen anderen gegenüber schweigst.«

»Es genügt, mein Junge, wenn ich dir die Hand darauf gebe.«

»So höre, Großmama. – Immerfort nach dem Klavier tanzen, ist langweilig, das Grammophon ist zu leise, denn wir wollen mächtigen Krach machen. Nun wollte es das Glück, daß wir am Nachmittag einen Leierkastenmann trafen, den haben wir bestellt. Um halb zwölf nachts tritt er an. Ich habe ihm den Haus- und den Wohnungsschlüssel versprochen, damit die Überraschung glückt. Nun stelle dir 'mal vor, Großmama, was das für ein Jux ist, wenn der Mann plötzlich die Treppe herauf und durch den Korridor georgelt kommt.«

»Einem fremden Leiermann willst du die Schlüssel geben? Junge, bist du denn närrisch geworden?«

Aber Kuno ließ sich nicht beirren.

»Ich habe mir seinen Namen sagen lassen, Großmama, er heißt Friedrich Lange, er macht einen durchaus ehrenhaften Eindruck. Bei uns in Dillstadt kommen die Leute auch ins Haus. Dem Manne kannst du vertrauen.«

»Nein, mein Kind, das geht nicht.«

»Aber, Großmama, der Mann wartet unten. Wir haben doch einen Vertrag mit ihm abgeschlossen.«

Es bedurfte erst längerer Auseinandersetzungen, ehe Frau Lindberg ihren Enkel Kuno von seinem Vorhaben abbringen konnte. Schließlich mußte sie selbst hinuntergehen und mit dem Manne verhandeln. Es wurde ihm eine Entschädigung von einer Mark geboten, die er auch sogleich annahm.

Kuno maulte zwar und überlegte, auf welche Weise er wohl aus Dillstadt noch rasch eine Ziehharmonika bekommen könnte. Leider war das unmöglich, und etwas verärgert erklärte er:

»Du ziehst den Kürzeren, Großmama, ich habe eine Radauflöte, damit pfeife ich dir gerade um Mitternacht die Ohren voll. Der Leiermann wäre für deine Nerven besser gewesen.«

Die Stunden rückten vor. Bärbel wurde immer erregter. Die Tanzdiele mit Lampionbeleuchtung war bewilligt, für den Wahrsagesalon war ein großer Kleiderschrank leergemacht worden.

Bärbel lief mit den Brüdern prüfend durch die Räume, dekorierte mit geschickter Hand noch einiges um und lief immer wieder zu der großen Standuhr im Eßzimmer.

»Nun könnte er bald kommen!«

Harald Wendelin war der einzige, der schon um sieben Uhr zum Abendessen geladen war. Die anderen sollten sich erst gegen neun Uhr einfinden. Als die Standuhr sieben Schläge ertönen ließ, sagte Bärbel weinerlich:

»Warum ist er heute nur so furchtbar unpünktlich, Großmama, ob er vielleicht gar nicht kommt?«

»Es ist doch gerade erst sieben, mein Kind.«

»Ach,« seufzte Goldköpfchen, »ich glaube, der Harald hat keine große Sehnsucht nach mir, sonst wäre er schon hier!«

Aber dann kam er doch. Bärbel, die heute ein helles, festliches Kleid trug, schaute den Freund voller Erstaunen von oben bis unten an.

»Oh – den Smoking – fabelhaft! Du hast dir doch in den letzten Jahren viel anschaffen können, Harald.«

»Ich wollte dir doch gefallen, Bärbel.«

»Dann hast du also für mich den Smoking angezogen?« fragte sie glücklich. »Nun komm aber schnell 'mal durch die Zimmer und sieh, was wir alles haben.« Und leise fügte sie hinzu: »Harald, hast du auch was mitgebracht?«

»Ja, Bärbel,« erwiderte er, und durch seine Stimme klang die innere Bewegung. »Ja, mein Bärbel, ich habe etwas mitgebracht.«

Das junge Mädchen schlug vergnügt in die Hände. »Hoffentlich macht es viel Lärm.«

Sie hatte in der Einladung gebeten, daß jeder eine kleine Überraschung mitbringen möge, möglichst Lärminstrumente.

Harald Wendelin aber dachte an etwas ganz anderes, was er in der Tasche trug. Einen schlichten, goldenen Reif, den er, wenn sich eine passende Gelegenheit dazu bot, noch heute an Bärbels Finger stecken wollte.

»Auf dich rechne ich heute ganz besonders,« fuhr Bärbel fröhlich fort, »ich habe meinen Bekannten erzählt, daß du ein famoser Mensch bist. Fräulein Redlich mit dem grauen Kopf kennt dich ja schon lange. – Harald, den Smoking hast du also für mich angezogen und nicht für Fräulein Redlich?«

»Wenn ihr eine Silvestergesellschaft gebt, Bärbel, werden alle Herren im Smoking kommen.«

Sehr bald ging man zu Tisch. Bärbel war heute besonders lebhaft, auch die Zwillingsbrüder machten geheimnisvolle Andeutungen, die auf Silvesterüberraschungen hinzielten.

»Merkst du was?« Kuno stieß den Bruder heftig in die Seite.

»Ich beobachte schon lange. – Wie er sie immerzu ansieht. – Du, das fingern wir heute noch. Pfänderspiel – er muß ihr 'nen Kuß geben. Wir werden das schon so schieben.«

»Ja, ich löse die Pfänder aus, und dann gebe ich dir 'nen Puff, wenn es sein Pfand ist.«

»Was flüstert ihr denn immerfort zusammen?« mahnte die Großmama. »Man spricht laut, wenn Gäste anwesend sind.«

»Der Herr Wendelin ist doch kein Fremder in diesem Hause,« sagte Martin, und Kuno setzte mit listigem Augenzwinkern hinzu:

»Lieber Himmel, er gehört doch so halb zur Familie.«

Während des Essens hatten die Zwillinge noch mehrfach Gelegenheit, sich gegenseitig anzustoßen.

»Hast du gehört – liebstes Bärbel hat er gesagt.«

»Ich würde etwas anders vorgehen – –«

»Nein, ich finde es so ganz richtig. Er geht aufs Gefühl.«

»Die Mädchens wollen derber behandelt sein. – Is nischt für mich. Du mußt die Meine werden – –«

»Ihr sollt nicht so viel zusammen flüstern, Jungens.«

Wieder zwinkerte Kuno mit den Augen und wies mit dem Kopfe auf Bärbel.

»Großmama – ich meinte nur – –«

Frau Lindberg zog sorgenvoll die Stirn in Falten. Sofort gab sie dem Gespräch eine andere Wendung und fragte nach den Silvesterüberraschungen. Aber damit hatte sie gerade das Verkehrte getroffen.

»Für manchen wird es 'ne Überraschung sein, Großmama, aber wer so helle ist wie ich – – lieber Himmel, wir Männer beobachten doch scharf.«

»Ich wundere mich, daß die Schandauer noch nicht hier sind.«

Frau Lindberg suchte krampfhaft nach einer Ablenkung.

Da klang es plötzlich über den Tisch:

»Hast du gesehen, Mensch?«

Eben hatte Harald Bärbel das gewünschte Salz gereicht und dabei zärtlich ihre Hand gedrückt. Bei dem lauten Ausrufe Kunos blickte er erstaunt hinüber. Kuno wurde etwas verlegen und stopfte rasch ein großes Stück Brot in den Mund.

Frau Lindberg atmete erleichtert auf, als das Abendessen beendet war.

»Martin und Kuno, kommt einmal mit, wir wollen die Bowle probieren. Ihr sollt mir sagen, ob sie süß genug ist.«

Wieder zwinkerte Kuno. »Ja, Großmama, wir wissen schon.«

Sie gingen hinaus. Draußen angekommen, meinte Martin:

»Ein bißchen auffallend, Großmama, aber du weißt wohl, daß er jetzt die entscheidende Lebensfrage an sie richten wird. – So wird es doch wohl immer gemacht. Man läßt die Verliebten allein, dann stürzest du ins Zimmer und sagst: Ich segne euch, meine Kinder!«

»Ihr seid doch ein paar ganz dumme Jungens,« entgegnete Frau Lindberg ein wenig ärgerlich. »Was redet ihr für albernes Zeug! Es geht schon den ganzen Abend so. Wenn ihr den Mund nicht halten könnt, geht ihr zu Bett, und wir andern feiern dann allein Silvester.«

»Schlafen, Großmama? Das Fremdenzimmer ist doch das Orakel von Delphi. Mein Bett ist 'rausgetragen. Also – nischt zu machen!«

»So betragt euch manierlich, das bitte ich mir aus. Ihr seid beide noch ganz dumme Jungens und müßt es euch zur Ehre rechnen, daß ihr heute mit Erwachsenen Silvester feiern dürft.«

»Ist schon gut, Großmama. – Nun komm', wir werden die Bowle probieren.«

Martin hakte in der Küche den Wasserschöpfer ab und wollte damit soeben in den großen Bowlentopf tauchen. Da hielt ihn Frau Lindberg zurück.

»Was soll denn das nun wieder, ich hole den Schöpfer.«

»Jetzt spricht er mit ihr,« flüsterte Kuno dem Bruder zu, »geh doch 'mal ein bißchen horchen.«

»Erst will ich kosten – geh' du!«

Da kam schon wieder die Großmama zurück und hielt die beiden Knaben in der Küche zurück.

»Wenn der Kosthappen nicht größer ausfällt, Großmama, lohnt die Probe kaum. – Nun wollen wir rasch wieder ins Wohnzimmer gehen.« – –

Bärbel war mit Harald Wendelin allein im Zimmer zurückgeblieben, und während Toni im Eßzimmer das Abendbrotgeschirr abräumte, schmückte Bärbel im Wohnzimmer den Tisch mit Tannengrün und Blumen.

»Ich habe dir noch nicht 'mal für die Rosen gedankt, Harald. Sie sind wunderbar schön.«

»Ich dachte, du würdest eine davon anstecken, Bärbel.«

»Dann welken sie zu rasch. – Aber wenn du es willst – –«

»Es würde mich sehr freuen.«

Sie traten gemeinsam an den prachtvollen Rosenkorb heran.

»Du bekommst auch eine,« meinte Bärbel und wählte eine duftende, halb erschlossene Blüte aus. »Sie steht dir fabelhaft.«

»Willst du sie mir nun auch selbst ins Knopfloch stecken?«

»Wird gemacht!«

Während sie sich bemühte, die Blume zu befestigen, beugte er sich nieder, hielt die kleine Mädchenhand fest und drückte einen langen Kuß darauf.

»Ich habe mich so sehr auf den heutigen Abend gefreut,« flüsterte er ihr zu. »Ist es mir doch wieder vergönnt, mit meinem lieben Bärbel zusammen zu sein. Du weißt es ja längst, daß ich dich herzlich lieb habe.«

Sekundenlang schloß Bärbel die Augen. Sie wäre ganz gern fortgelaufen, aber noch lieber blieb sie vor ihm stehen. Ihre Rechte ruhte noch immer zwischen seinen Händen, leises Zittern durchlief sie.

»Ich habe dich so lieb, Bärbel, daß ich gar nicht wieder von dir weggehen möchte, daß ich dich ein ganzes Leben lang festhalten will.«

»Ich – – ich – – ich glaube, es kommt Besuch.«

Bärbel bebte vor Erregung, sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Aber irgendetwas mußte sie sagen, wenn es auch noch so töricht war.

»Es kommt Besuch!«

»Nein, es kommt niemand, Bärbel. – Willst du mir denn fortlaufen?«

»Nein – aber – – aber – –« dann schwieg sie wieder voller Erwartung.

Er schaute strahlend auf sie nieder, die in holder Verwirrung den Kopf gesenkt hatte.

»Mein Direktor hat mir heute mitgeteilt, daß man mich zum Oberingenieur ernannt hat. Du bist die erste, die es erfährt. Meine Stellung ist jetzt eine durchaus gesicherte, mein liebes Bärbel. Nun weiß ich aber nicht, ob die kleine Photographin bereit wäre, ihren Beruf aufzugeben, um ihn mit einem anderen zu vertauschen, mit dem meiner lieben Frau.«

Bärbel schlug die leuchtenden Blauaugen voll zu ihm auf.

»Hast du mich denn ein wenig lieb, Bärbel?«

Da pochte es an die Zimmertür. »Ich frage nur an, ob ich nicht störe.« Es war Kunos Stimme.

»Draußenbleiben,« rief Bärbel voller Aufregung, dann wandte sie sich an Harald. »Es darf doch jetzt keiner hereinkommen!«

»Bärbelchen!« Der junge Ingenieur legte den Arm um sie.

»Der kommt aber doch herein, Harald.« Damit löste sich Bärbel aus den Armen des geliebten Mannes. Sie schaute nach der Tür. Ein kleiner Spalt war offen, durch den Kuno schaute.

»Was willst du denn hier, dummer Junge?«

Bärbel war wie mit kaltem Wasser übergossen. Eben hatte sie so liebe Worte von ihrem Harald vernommen, nun kam der Bruder und störte.

Sie ging zur Tür, machte sie energisch zu, hörte aber draußen die Stimme Martins:

»Sie haben sich wohl eben geküßt?«

Da war für Bärbel die weihevolle Stimmung jäh zerrissen. Sie wurde glühendrot und sagte mit abgewandtem Kopf zu Harald:

»Ich komme gleich wieder, ich muß die Brüder nur zur Vernunft bringen.«

Die Zwillinge ahnten, daß Gericht gehalten werden sollte, da verschwanden beide in die Badestube und riegelten sie hinter sich ab.

So ging Bärbel zur Großmama, drückte sie stürmisch an sich und sagte:

»Es wird immer schöner, liebe, liebe Großmama!«

Onkel Otto und Tante Agnes aus Schandau stellten sich ein, und in kurzen Abständen kamen auch die anderen Gäste. Für Harald fand sich keine Gelegenheit mehr, allein mit Bärbel zu sprechen. Die Zwillinge kamen vorsichtig aus dem Badezimmer hervor, jetzt fühlten sie sich wieder sicher. Kuno konnte es nicht unterlassen, der Tante zuzuflüstern:

»Mit den beiden da gibt es heute noch was, paßt nur gut auf!«

Als Fräulein Redlich erschien, war Bärbel beruhigt. Das war ja schon ein alte Dame, es konnte die Mutter Haralds sein. Ihr hatte er sicherlich noch niemals die Hand geküßt und noch niemals gesagt, daß sie ihren Beruf aufgeben möchte, um – –

»O–o–o–o–o!«

Die Anwesenden wandten sich erstaunt nach Bärbel um, die diesen langgezogenen Ruf hatte hören lassen. Es war wirklich schwer, so viel Freude und Glück im Innern zu verarbeiten. Es war kein Wunder, daß sich dieser Jubel einen Ausweg suchte.

»Fehlt dir etwas?« fragte Edith, die neben ihrem Verlobten stand.

»Ich bin so furchtbar glücklich!«

»Aha,« erwiderte Edith, »ich habe es ja schon lange gewußt!«

Da zog sich Bärbels Stirn in Falten. Sie ging davon.

Der kleinen Gesellschaft hatte sich sehr bald eine frohe Stimmung bemächtigt. Spiele und Scherze, Silvester-Überraschungen, alles wechselte in buntem Durcheinander.

Punsch und Bowle sorgten dafür, daß die Stimmung immer heiterer wurde. Alle Räume waren von Lachen und Lärmen erfüllt.

Die Zwillinge ließen nicht eher nach, als bis ein Pfänderspiel einsetzte. Pfänder wurden reichlich kassiert, Kuno und Martin sammelten sie und nahmen auch für sich das Recht in Anspruch, sie dann wieder zu verlosen.

Während dieses Spieles zeigte sich wieder einmal recht deutlich der Unterschied zwischen Bärbel und Anita. Goldköpfchen konnte sich über alle harmlosen Späße freuen, fand es reizend, wenn jemand unter dem Tisch durchkriechen oder auf einem Beine hüpfen mußte, Anita rümpfte zu all diesen Sachen nur die Nase. Wurde sie gefragt, wie dieses oder jenes Pfand auszulosen sei, so spielte stets das Küssen bei ihr die Hauptrolle. Schon zum zweiten Male sagte sie neckisch:

»Dem dies Pfand gehört, der soll mir einen herzlichen Kuß geben.«

Aha, daher wehte der Wind!

Kuno betrachtete sich rasch das Taschenmesser, das er in der Hand hielt. Es gehörte Wendelin. Das ging natürlich nicht. Was würde die Schwester für ein Gesicht machen, wenn der Mann, der doch sicher ihr Bräutigam werden sollte, die Anita küßte!

Nein, das durfte nicht geschehen.

Da nahm er rasch einen Tausch vor und hielt eine Stahlfeder hoch, die er kürzlich selbst gegeben hatte.

»Ich habe die Ehre,« sagte er gespreizt. »Darf ich um den Vorzug bitten.«

Auf Anitas Antlitz erschien eine Wolke. Sie hatte auf einen anderen gehofft und war verstimmt, daß sie von solch einem »dummen Jungen« geküßt werden sollte.

Bärbel warf von Zeit zu Zeit verstohlene Blicke auf die Schulkameradin. Wie konnte man sich nur so laut und so aufdringlich betragen! Sie merkte sehr wohl, daß Anita alle Hebel in Bewegung setzte, um sich zur Hauptperson des Abends zu machen. Vor allen Dingen wollte sie das Interesse des Ingenieurs erregen, aber das gelang ihr nicht, obwohl sie mehrfach nach dem Arm Wendelins faßte und ihm vielsagend in die Augen schaute.

Aber Harald Wendelin sah nur eine, das war sein Goldköpfchen.

Auch der Tanz kam zu seinem Recht. Kuno lag beständig auf der Lauer, und jedesmal, wenn Harald mit Bärbel tanzte, machte er seine Zeichen zum Bruder hinüber.

»Sieh 'mal, wie fest er sie hält. – Na, heute ist es entschieden.«

Mitternacht kam immer näher heran. Schon ertönte auf der Straße vereinzelt ein Pfeifen, Quietschen, auch einige Knallerbsen wurden schon geworfen, aber Bärbel stand vor der Uhr und meinte, der Unfug dürfte erst um Mitternacht beginnen. Immer wieder suchten ihre Augen die Haralds. Was er ihr vorhin gesagt hatte, war so wunderbar schön gewesen, daß es noch in ihr nachklang. Zu dumm, daß der Bruder diese Unterredung gestört hatte! Bärbel war ordentlich ärgerlich auf die Brüder, die heute beständig hinter ihr her waren, und jedesmal, wenn sie in ein anderes Zimmer ging, hoffend, daß Harald ihr folge, kam zuerst Kuno oder Martin, um ihr mit einem pfiffigen Gesicht zuzunicken.

Onkel Otto hatte bereits die Gläser neu gefüllt.

»Man darf nur mit einem gefüllten Glas auf das neue Jahr anstoßen.«

»Wir hören auch das Glockenläuten,« sagte Bärbel, »eine Kirche ist ganz nahe. Es ist wundervoll, wenn mitten in der Nacht das Geläut ertönt.«

Die Fenster wurden geöffnet, die Augen der Gäste gingen immer wieder zu der großen Standuhr hinüber, die jetzt mit dumpfen Schlägen die Mitternachtsstunde verkündete. Fast zur gleichen Zeit setzte unten auf der Straße der Lärm ein.

»Prosit Neujahr – Prosit Neujahr!«

Von allen Seiten, aus allen Fenstern der gleiche Ruf. Ein übermütiges Lachen und Lärmen, ein Gläserklingen, ein ohrenbetäubender Lärm neben Frau Lindberg, denn die Zwillinge tuteten, bliesen, knallten, schrien und gebärdeten sich wie zwei Närrische.

Die anderen Gäste standen an den Fenstern, warfen Papierschlangen hinunter, andere hatten Feuerwerk mitgebracht, aber dann wurde es für Augenblicke still, weil Frau Lindberg mit lauter Stimme sagte:

»Möge das neue Jahr meinen lieben Gästen Glück und Freude bringen!«

Auch jetzt klangen die Gläser wieder zusammen. Ein allgemeines Gratulieren begann, herzliche Händedrücke wurden gewechselt und ehrliche Wünsche gesprochen.

Da der Lärm etwas nachgelassen hatte, vernahm man auch das feierliche Geläut der Kirchenglocken.

Harald Wendelin stand neben Bärbel und stieß mit ihr an. Sie schauten sich tief in die Augen, bis Goldköpfchen den Blick senkte. Zwei Hände fanden sich in festem Druck.

»Bärbelchen,« sagte Harald leise, »was wird uns das neue Jahr bringen? Hat es für mich die Erfüllung meines innigsten Wunsches?«

Sie fühlte sich so glücklich und doch so verlegen. Der Gedanke, daß die Zwillingsbrüder wieder zu ihr herüberschauten, verwirrte sie aufs höchste. Noch immer stand Harald dicht neben ihr und schaute sie an, vielleicht auf eine Antwort wartend, die sie nicht fand. Sie merkte nur, daß ihr das Gesicht heiß brannte, und daß die Hand, die das Weinglas hielt, vor Glück und Freude zitterte. Sie schaute im Zimmer umher, sah Kuno, der beide Beine über die Lehne seines Stuhles gehängt hatte und mit dem Stuhle wippte, dabei die Schwester unausgesetzt ansah. Da griff Goldköpfchen rasch zu einer papiernen Pfeife. Sie mußte jetzt etwas tun, um Kuno zu zeigen, daß zwischen ihr und Harald nichts vorging. Sie steckte die Pfeife in den Mund.

»Hat mein Bärbelchen denn gar keine Antwort für mich?«

Blutrot ihr Gesicht, das Herz in wilden Schlägen pochend. Der schreckliche Kuno! Bärbel blies in die Flöte hinein, das Papier rollte sich auf und fuhr Harald mitten ins Gesicht. Bärbel erschrak selbst vor der Wirkung. Ihr war trotz alledem so feierlich zumute, doch der schreckliche Bruder machte sie immer verlegener.

»Ach je,« sagte sie, als Harald lachend ein wenig zurückwich, »komm weg!« Damit faßte sie ihn bei der Hand und zog ihn fort.

Alle anderen waren mit sich selbst beschäftigt, nur für Kuno und Martin gab es heute nichts Wichtigeres als die Schwester.

Harald sah die große Verlegenheit des geliebten Mädchens, er verstand sofort, daß sie in ihrer Zurückhaltung ihm die Antwort nicht im Beisein aller geben wollte. Aber als man das Nebenzimmer betrat, stand schon wieder Kuno in der Tür.

»Schere dich doch fort,« rief Bärbel ergrimmt. Sie zog Harald weiter, hinaus auf den Korridor. Dann machte sie die Tür zur Küche auf und sagte verschämt: »Wir wollen 'mal nachsehen, ob noch Bowle vorhanden ist. Die Toni ist nicht da.«

Lachend folgte ihr Harald. Bärbel schwang sich auf den Küchentisch und wartete mit gesenktem Köpfchen auf das, was nun kommen würde.

»Ein neues Jahr beginnt, Bärbel, ein Jahr, von dem ich soviel ersehne, erhoffe. Was ich dir sagen will, wirst du ahnen. Nur weiß ich deine Antwort noch nicht, weiß nicht, ob ich dir diesen goldenen Reif an den Finger stecken darf. Seit der arme Student zu euch ins Haus kam, steht Goldköpfchens Bild in seinem Herzen und wird dort durch nichts verdrängt werden können. Noch vor kurzem hat das kleine Bärbel zu mir gesagt, daß es niemals heiraten werde. So muß ich dich jetzt fragen, Goldköpfchen, willst du meine Braut, meine Frau werden, die ich bis an mein Lebensende achten und lieben werde?«

Noch lagen Bärbels Blauaugen in ihrem Schoß. Scheu falteten sich die Mädchenhände, und noch immer auf dem Küchentische sitzend, verlegen mit den Beinen schaukelnd, hob sie endlich ihre reinen Sterne auf.

»Ich möchte dir so vieles sagen, Harald – ach, Harald, Harald – –« Er fühlte sich von zwei Armen umschlungen, eine glühende Wange schmiegte sich an die seine. »Harald – ach, Harald!«

»Mein Liebling!«

Sie hielten sich stumm umschlungen, über Goldköpfchen kam eine so heilige, ernste Stimmung, die wollte es mit keinem Worte stören. Sie fühlte den Arm des geliebten Mannes und wußte, daß sie den jungen Ingenieur schon lange tief im Herzen trug, daß sie sich bisher über ihre Gefühle nicht klar gewesen war, weil sie sich mit der Liebe noch gar so wenig beschäftigt hatte. Außerdem war es ihr immer ernst damit gewesen, einen Beruf zu haben. Sie hatte nur damit gerechnet, Inhaberin eines photographischen Ateliers zu sein. Und heute kam einer, der ihr Hand und Herz anbot. Konnte sie sich denn etwas Herrlicheres denken, als mit Harald Wendelin zusammenzuleben, in einem eigenen Heim, ihm Glück zu spenden und Glück entgegenzunehmen?

Zärtlich und behutsam steckte er ihr den goldenen Reif an den Ringfinger der linken Hand.

»Willst du nun auch mir den Ring anstecken, mein geliebtes Bärbel?«

»Ich bin so glücklich, Harald – ach, so glücklich!«

Sie nahm den Ring und schob ihn in ihrer Erregung an seinen kleinen Finger.

»Das ist ja verkehrt. Ach je, wie bin ich dumm! Möchtest du wirklich eine so dumme Frau haben?«

»Ich weiß keine Bessere, mein Lieb, ich will eine gute Frau, eine, zu der ich aufsehen kann, weil sie für mich Holdseligkeit und Reinheit verkörpert. Wie kann ich mich glücklich schätzen, dich gefunden zu haben!«

Ganz plötzlich löste sich Bärbel aus seinen Armen, eilte zur Tür und drehte den Schlüssel im Schlosse um.

»Der Kuno kommt uns schon wieder nach!«

Harald lachte. »In der Küche sind wir, in der Küche habe ich um mein Bärbel geworben.«

»Das ist doch gerade schön – und nun – – weißt du, Harald, du hast noch eine Schuld an mich.«

»So – habe ich das wirklich?«

Verschämt schaute sie ihn an. »Vorhin, beim Pfänderauslösen, da hast du mir zehn Küsse geben sollen. Aber du hast gemogelt, nur auf die Hand hast du es getan. Der Martin sagte, das gilt nicht. Ich glaube, du mußt das nachholen.«

»Das mache ich gern, mein Bärbel. – Also – – eins – – zwei – – drei – –«

Sie lachten sich glücklich an, schauten sich selig in die Augen.

»So, das war der zehnte,« sagte Harald.

»Hast du dich auch nicht verzählt? Ich glaube, es waren erst neun.«

»Nein, mein Liebling, es waren zehn, aber – –«

»Wenn wir uns darüber nicht einigen können, müssen wir von vorn anfangen.« Und wieder bot sie ihm in süßer Lieblichkeit ihre frischen, roten Lippen. – – –

In diesem Augenblick fühlte er sich überaus glücklich. Er mußte unwillkürlich an Anita denken, an dieses kokette, herausfordernde junge Mädchen, bei dem jeder Blick ein stummes Werben war. Hier dagegen sein verschämtes Goldköpfchen, besten ungekünstelte Natürlichkeit ihn immer wieder aufs neue entzückte.

»Wie herrlich ist dieses Jahr zu Ende gegangen, und wie herrlich steigt ein neues herauf! Ich hätte nie gedacht, daß mein Bärbel sich doch noch entschließen würde, die Heirat mit dem Photographenapparat aufzugeben und mich zu nehmen!« Lachend sah er ihr in die Augen.

»Heirat mit wem?« fragte Goldköpfchen erstaunt.

»Hast du mir nicht oft genug versichert, daß eine Heirat für dich nicht mehr in Frage kommt? Du hättest deinen Beruf, du hättest der Kamera Treue geschworen? Da habe ich zeitweilig alle geheimen Hoffnungen aufgegeben. Aber nun hab' ich es doch gewagt, und mein Goldkopf hat mich nicht fortgeschickt.«

»Ich rede manchmal schrecklich dummes Zeug, Harald. Du wirst oft beide Augen und beide Ohren zudrücken müssen.«

»Du redest aber auch oft sehr verständige Dinge. Und manchmal hast du mir sogar schon imponiert.«

»Ich dir? Ooooh!«

»Ja, Bärbel, du mir. Du hast mir einmal von der Dekoration, die über deinem Bett hängt, gesprochen. So eine Galerie müßte sich jeder Mensch an der Wand befestigen. Offen seine Fehler einzugestehen, aus ihnen zu lernen, sich seine Schwächen vor Augen zu halten, das zeugt von Seelengröße. Das hat mir so sehr an dir gefallen, mein Bärbelchen.«

»Ach du,« flüsterte sie errötend. »Du willst mir eben jetzt sehr was Liebes sagen. Wenn ich mir all die Dinge über meinem Bett ansehe, da schäme ich mich manchmal noch gewaltig. Sogar dich hab' ich in zwei Stücke gerissen.«

Er umschlang sie zärtlich. »Das ist ja gerade schön. Daran habe ich es doch schon damals gemerkt, daß ich dir nicht gleichgültig bin. Du glaubst gar nicht, wie mich das gefreut hat.«

»Ich weiß eigentlich selber nicht, wie das alles so mit einem Male kam. Aber es war sehr, sehr schön! Schon, als du damals am Klavier gesessen und gespielt hast, da sagte ich mir: Wenn ich das doch immer hören könnte!«

»So möge unsere Ehe wie ein wundervolles Lied sein, ohne jede Dissonanz, ein Lied, das uns erhebt und beglückt. Einer für den anderen. Vom ersten Kuß bis in den Tod sich nur von Liebe sagen. So heißt es in einem Gedicht, so möge es auch bei uns sein!«

Sie schmiegte sich an ihn, und in ihrem Herzen war der heiße und feste Wunsch, ihm dieses Glück, von dem er träumte, zu schenken.

Frau Lindberg hatte das Fortschleichen der beiden Liebenden bemerkt und hielt es für richtig, nach Bärbel ein wenig Ausschau zu halten. In den Zimmern war sie nicht zu finden. Sie drückte schließlich die Klinke der Küchentür nieder. Sie war verschlossen. Einen Augenblick wartete sie, dann hörte sie Haralds Stimme:

»Wollen wir nicht hinübergehen, mein Bärbel?«

»Hier ist es doch so schön – bleiben wir noch ein wenig.«

Da lachte Frau Lindberg vor sich hin und ging wieder zu ihren Gästen zurück.

Nachdem der erste Glücksrausch in Bärbel ein wenig abgeebbt war, kam ihr zum Bewußtsein, daß in dieser Stunde ein Mann um sie geworben hatte, daß sie nun eine wirkliche Braut geworden sei, genau wie Edith. Sie hatte ihr schon so viel von ihrem Just vorgeschwärmt, der immer so überschwengliche Worte für sie hatte.

Bärbel legte den Kopf ein wenig zur Seite.

»Nennst du mich nun auch 'mal angebetete Göttin oder so ähnlich, wie Herr Just seine Edith nennt? – Sage mir doch 'mal recht schöne Worte, so etwas, was ich noch niemals gehört habe. Ich bin doch nun deine Braut, und ein Bräutigam muß doch für seine Braut ganz seltsame Liebesbeteuerungen erfinden. – Denke doch nur daran, wie Carlos vor Elisabeth kniete und was er da alles in seiner Leidenschaft stammelte. Wie wirst du mich denn nun nennen?«

»Mein Goldköpfchen,« sagte er zärtlich.

»Und wie weiter?«

»Ich glaube, ich kann keine solchen Worte finden wie Herr Just, aber ich kann dir etwas sagen, mein Bärbel, das alles in sich schließt, was mir hoch und heilig ist.«

»So sage es.«

Er legte ihr beide Hände auf die Schulter und schaute ihr tief in die Augen:

»Ich habe dich lieb,« kam es in tiefer Bewegung von seinen Lippen, »etwas anderes weiß ich nicht zu sagen. Aber ich habe dich lieb, bis daß der Tod uns scheidet.«

»Ja, Harald, das ist schön. Das ist viel schöner als die Worte, die Herr Just seiner Edith sagte. Ich habe dich auch lieb, und ich behalte dich lieb. Mehr kann ich dir auch nicht sagen, mehr will ich dir jetzt auch nicht sagen – ich weiß nur, daß ich sehr glücklich bin.«

»Mein Goldköpfchen, mein reines, geliebtes Goldköpfchen!«


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