Johannes Trojan
Das Wustrower Königsschiessen und andere Humoresken
Johannes Trojan

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Die Schildkröte.

»Wir sassen am Sommerabend in dem hübschen Garten eines Wirthshauses in Hildesheim. Nachdem manches besprochen war, ergriff ein alter Herr, der bis dahin geschwiegen hatte, das Wort. »Kennen Sie schon« – fragte er, indem er die Gesellschaft scharf musterte, – »kennen Sie schon die Geschichte von meiner Schildkröte?«

Es sassen am Tisch einige, die sie offenbar schon kannten, sie waren aber gesittet genug, wenigstens nichts zu sagen. Mir war die Geschichte unbekannt. Lebhaft drang ich in den alten 175 Herrn, sie zu erzählen. Nachdem er einen tiefen Zug aus seinem Glase gethan hatte, begann er also:

»Ich war Fischhändler damals, als ich ihre Bekanntschaft machte. Mit dem Fischhandel, meine Herren, verhält es sich ähnlich wie mit dem Obsthandel: man hat mit einer Waare zu thun, die heute viel, morgen wenig, übermorgen vielleicht nichts mehr werth ist. Zu einem solchen Geschäftszweige gehört ein klarer Kopf, eine schnelle Hand, ein gut Theil Schlauheit und vor allen Dingen Glück. Das letztere fehlte mir. Mit wie grossem Eifer ich auch mein Geschäft betrieb, ich konnte es doch nicht weiter bringen, als dass es mir weder schlecht noch gut ging.

Meine Specialität waren Seefische. Von Zeit zu Zeit reiste ich nach Bremen und kaufte dort meine Waare ein, die ich dann auf meinem eigenen Fuhrwerk 176 in das Binnenland hinein und bis auf die Berge hinauf verführte. Ja, bis hoch auf den Harz hinauf! Eisenbahnen waren damals noch selten, und die Menschen waren noch nicht so verwöhnt wie heutzutage. Es ist wahr, dass die Seefische, wenn sie auf die Berge kamen, einen Geruch und Geschmack angenommen hatten, welche beide nicht zu ihren berechtigten Eigenthümlichkeiten gezählt werden konnten. Hätte aber einmal dieses pikante etwas ihnen gefehlt, ich bin fest überzeugt davon, meine Gebirgskunden wären sehr verwundert und ungehalten gewesen.

Das war eine Abschweifung, – ich eile, zu meiner eigentlichen Geschichte zu kommen.

Einst, als ich wieder an die See gegangen war, gelang es mir nicht, ein Vortheil versprechendes Geschäft abzuschliessen. Wie ich nun müssig in Bremerhaven umherschlendere, ruft ein 177 Schiffskapitän, den ich von früher her kannte, mir zu, ob ich nicht eine grosse Schildkröte von ihm kaufen wolle. – Eine Schildkröte? Was soll ich mit ihr anfangen? fragte ich; denn mir waren bis dahin noch keine Schildkröten durch die Hände gegangen. – Mit einer Schildkröte, entgegnete der Kapitän, lässt sich viel, beinahe alles anfangen, zumal wenn sie, wie diese, direkt aus Brasilien gekommen und ungewöhnlich gross und schön ist.

Erstens ist sie eine Sehenswürdigkeit, welche nur betrachten zu dürfen jeder gern ein Stück Geld anwendet. Zweitens bildet sie, auf mannigfache Art zubereitet, einen ebenso seltenen als köstlichen Leckerbissen. Endlich dienen die Schalen, in denen sie wie der Kern in der Nuss steckt, zur Anfertigung sehr geschätzter Kammwaaren. Diese Worte machten Eindruck auf mich. Ich sah mir die Schildkröte an und fand, dass der Kapitän zu 178 ihrem Lobe nicht zu viel gesagt hatte. Sie war gross, schön gezeichnet, sehr fremdartig von Gesichtsausdruck und für ein von Natur träges Geschöpf ungemein lebhaft in ihren Bewegungen. Als Preis forderte ihr Eigenthümer zwanzig Louisd'or; für so viel hätte sie allein schon auf der Seereise an Nahrung zu sich genommen. Ich fing an, mit ihm zu handeln, und nach einer Viertelstunde hatte ich sie für zwei Louisd'or erstanden. Alsbald liess ich das Meerwunder in meinen Gasthof schaffen und überlegte nun, wie ich es am besten in Geld verwandeln könne. Da schien es mir gut, es nacheinander auf die drei Arten, welche der Kapitän mir angegeben hatte, zu versuchen.

Ich schrieb meiner Frau, die daheim war, sie solle sofort zu mir kommen. Sie kam, und als sie aus dem ersten Staunen heraus war, schenkte sie meinem Vorhaben vollen Beifall. Nun machten wir drei 179 uns auf und zogen im Lande von Ort zu Ort umher, indem zwei von uns, meine Frau und ich, das dritte und merkwürdigste Mitglied unserer Gesellschaft, die Schildkröte, für Geld sehen liessen.

In jener Gegend mochten bis dahin lebende Wunderthiere aus der Tropenwelt, besonders Riesenschildkröten, noch nicht für Geld gezeigt worden sein. Der Zulauf, den wir erhielten, war ungeheuer. Am dritten Tage schon konnten wir das Eintrittsgeld erhöhen, ohne fürchten zu müssen, dass diese Massregel unter den Bauern böses Blut machen werde. So sehenswerth aber die Schildkröte war, ich behaupte doch, ohne mir schmeicheln zu wollen, dass die vortreffliche Beschreibung von ihrem höchst gefährlichen Treiben in den Gewässern Brasiliens, die ich den Besuchern zum Besten gab, die Anziehungskraft unseres Meerwunders um ein Bedeutendes verstärkte.

180 Jeden Abend waren wir im Stande, ein gut Stück Geld zurückzulegen. Wir nahmen viel ein und gaben wenig aus. Meine Frau und ich, wir waren von Hause aus sehr sparsam, und was die Schildkröte anbetrifft, so genoss sie zu unserm Leidwesen auch nicht das geringste. Wir boten ihr an, was uns einfiel und was wir nur auftreiben konnten: gekochtes und gebratenes Fleisch, Fische, Regenwürmer, Zwieback, Ameiseneier, Zucker, Gemüse, Salat und Eingemachtes – sie verschmähte alles. Sie beschnupperte weder, was wir ihr vor den Mund legten, noch wandte sie den Mund davon ab; sie legte Essbarem gegenüber eine Gleichgiltigkeit an den Tag, die uns zur Verzweiflung brachte. Ich bin auch fest überzeugt davon, dass sie auf der Reise von Brasilien nach Bremen keinen Bissen zu sich genommen hat.

Diese hartnäckige 181 Nahrungsverweigerung machte uns grosse Sorgen. Wir sagten uns, dass ein lebendes Wesen ohne jede Nahrung längere Zeit nicht bestehen könne, dass wir früher oder später unser prächtiges Zinsthier verlieren müssten. Ein Professor der Naturwissenschaft in Göttingen, den wir um Rath fragten, schüttelte den Kopf und sagte: Dabei ist nichts zu machen. Die Schildkröte hat das Heimweh und wird nicht eher wieder fressen, bis sie nach Brasilien zurückgebracht und dort vorsichtig ins Wasser gesetzt ist. Dieses Thier besitzt einen sehr festen Willen, und was es sich vorgenommen hat, das führt es durch mit Gefahr des Lebens. – Endlich gab er uns den Rath, ihr ein mit Wasser getränktes Tuch in die Falte zwischen Kopf und Rückenschild zu legen. Wenn wir das thäten, könne sie wohl noch vier bis sechs Wochen am Leben bleiben. Wir folgten diesem Rath und es war erstaunlich, 182 wieviel Lebenskraft das Thier aus dem feuchten Tuche herauszog. Acht Wochen noch diente sie uns treu und redlich, ohne dass wir, den nassen Umschlag abgerechnet, ihr irgend einen Gegendienst zu leisten im Stande waren. Es waren doch Wochen voll banger Sorge. Wie oft in der Nacht sprangen wir auf, von schweren Träumen erschreckt, und eilten an das Lager der armen Kröte, um nachzusehen, ob sie noch lebe. Wie oft am Morgen, wenn wir sie zur Schaustellung hervorholten, schlug uns das Herz vor Angst, dass es der letzte Morgen dieser Art sein möchte.

Als sie schwächer und schwächer wurde, begaben wir uns mit ihr an den Ort, an dem wir augenblicklich, meine Herren, uns befinden. Ich musste nun, so sauer es mir wurde, darauf denken, wie sie am besten auf die zweite Art, nämlich als Leckerbissen, zu verwerthen sei. Der erste Schritt dazu war der, dass ich in 183 der Stadt bekannt machen liess, nächstens werde die Schildkröte geschlachtet werden; Liebhaber einer so seltenen Delikatesse sollten rechtzeitig das Nähere erfahren. Drei Tage, nachdem ich durch diese Bekanntmachung die Stadt in Aufregung versetzt hatte, that unsere Wohlthäterin für immer ihre treuen Augen zu. Sie war todt, und ich that ihr nicht wehe mehr, als ich sie schlachtete. Während ich immerhin mit Bedauern dieser Arbeit mich unterzog, liess ich in der Stadt ausrufen, dass von Stund an Schildkrötenfleisch, zu einem Thaler das Pfund, bei mir zu haben sei. Das war um neun Uhr, und um halb zehn hatte ich vierzig Thaler eingenommen, und von der Schildkröte waren nur noch die leeren Schalen übrig. Den Kopf verkaufte ich noch besonders für fünf Thaler an einen Doctor, welcher damit, Gott weiss, was für Versuche anstellen wollte. Das war das Ende des guten Geschöpfes.

184 Nun hatte ich Geschmack gefunden an dieser Art von Gewerbe, weil wenig Arbeit und reicher Gewinn damit verbunden war. Alle meine Bemühungen aber, in den Besitz einer neuen Riesenschildkröte zu kommen, waren vergeblich. Später erwarb ich in Hamburg eine Seejungfer und zog auch mit dieser umher. Ich machte ein leidliches Geschäft mit ihr, aber der Schildkröte war sie in keiner Beziehung ebenbürtig. Ihr fehlte der Reiz der Neuheit, denn Seejungfern waren hier zu Lande schon oft auf Jahrmärkten und Schützenfesten dem Publikum vorgestellt worden. Nach einiger Zeit verkaufte ich sie wieder und habe mir dann mit Meerwundern nichts mehr zu schaffen gemacht. Dem Fischhandel hatte ich früher schon Valet gesagt. Mit Hilfe des Geldes, das ich gewonnen hatte, schwang ich mich jetzt in meiner Lebensstellung eine Stufe weiter empor: ich warb eine 185 Gesellschaft dramatischer Künstler an, ich wurde Theaterdirektor. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, meine Herren, dass uns an vielen Orten der lebhafteste Beifall aller verständigen und gerechten Menschen zu Theil wurde. Nachdem meine Gesellschaft sich wieder verlaufen hatte, wurde ich Gastwirth. Und so von Stufe zu Stufe mich erhebend, brachte ich es in Ansehen und Wohlstand immer weiter, bis dass ich mir zuletzt an hiesigem Orte ein hübsches Anwesen kaufen konnte, auf dem ich meine Tage in Ruhe und Frieden zu beschliessen gedenke.« –

Und die Schalen? bemerkte ich. Die sollten doch auch verwerthet werden.

»Richtig!« erwiderte er, »das war die dritte und letzte Verwerthungsart. Ich muss aber leider bekennen, dass es mir noch nicht gelungen ist, mit dem Kammmacher über den Preis zusammenzukommen. Die Schalen sind wohlerhalten 186 und sehr schön, sie würden für jedes Naturalienkabinet eine Hauptzierde abgeben. Wenn Sie ein Sammler von dergleichen Dingen sind, bin ich bereit, sie Ihnen zu einem Preise abzulassen, der nicht im Entferntesten ihrem Werthe gleichkommt.«

Ich bedauerte ein so vortheilhaftes Geschäft nicht abschliessen zu können, da ich nichts von der Art sammelte.

»Dies war« – fuhr er dann fort – »die Geschichte von meiner Schildkröte. Ich war immer der Ansicht, dass ich mit ihr mein Glück gemacht, mit ihr den Grundstein zu meinem jetzigen Wohlstand gelegt habe. Darum habe ich sie immer hoch in Ehren gehalten, und als sie geschlachtet war, konnte ich mich nicht überwinden, auch nur das kleinste Stückchen von ihr zu essen. Von andrer Seite erfuhr ich übrigens, dass ihr Fleisch nicht weniger zähe gewesen ist, als ihr Leben war.

187 Und nun, meine Herren, werde ich mich Ihnen empfehlen. Der Kalender zeigt heute den Tag, an dem ich sie einst aus den Schalen löste. An diesem Tage pflege ich zu Hause eine gewisse Anzahl von stillen Gläsern der dankbaren Erinnerung an sie zu weihen.«

Mit diesen Worten erhob er sich, und ich folgte seinem Beispiele. Die sonst noch am Tisch gesessen, hatten sich schon während der Erzählung einer nach dem andern leise davongeschlichen. Es war das nicht hübsch von ihnen, aber man muss bedenken, dass sie die Geschichte wohl schon recht oft gehört hatten. 188

 


 


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