Johannes Trojan
Das Wustrower Königsschiessen und andere Humoresken
Johannes Trojan

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Die neugierige Nachbarin.

Eines Tages begegnete ich auf der Strasse einem Bekannten, nachdem ich ihn lange nicht gesehen hatte. Es fiel mir sogleich auf, dass er blass und abgemagert aussah, und sein ganzes Wesen hatte etwas so Gedrücktes, dass ich ihn nach einiger Zeit geradezu fragte, was er auf dem Herzen habe.

Er sah mich mit einem zweifelnden Blicke an und schien zu überlegen, ob er mich zum Vertrauten seines Kummers machen dürfe. » Ja« begann er dann, »vielleicht ist es das Beste, wenn ich mich 116 einmal ausspreche. Du siehst in mir das Opfer weiblicher Neugier. Höre!

»Vor einem Jahre etwa bezog ich ein hübsches Zimmer in der N.-Strasse. In derselben Etage wohnte, wie ich vom Hauswirth erfuhr, eine anständige ruhige Beamtenwittwe mit mehreren Kindern. Eben war ich eingezogen und schlug den ersten Nagel ein, als von der andern Seite der Wand her ein leises Klopfen ertönte, welches zu sagen schien: »Ja, ja, ich höre schon. Hier wohnen auch Leute. Wir werden bald miteinander bekannt werden.« – Bald darauf erschien ein kleiner helläugiger Junge in meiner Stube, um mich im Auftrage seiner Mutter, der Beamtenwittwe, um den Wohnungsanzeiger zu ersuchen. Ich drückte mein Bedauern aus, das gedachte Werk nicht zu besitzen, und der Knabe empfahl sich wieder, nachdem er in aller Eile mit seinen Augen ein Signalement meiner Person und ein 117 Inventar meines Eigenthums aufgenommen hatte.

»Das war der Anfang meiner Leiden. Von diesem Tage an verwendete meine Nachbarin den grössten Theil ihrer Zeit darauf, mich zu studiren. Ich bin der Ansicht, dass sie sich, sobald ich eingezogen war, ein Buch in Folio anlegte, in welches alles, was meine Person und meine Lebensverhältnisse betraf, mit der grössten Genauigkeit eingetragen wurde. Das Geringste, was auf mich Bezug hatte, war für sie von höchstem Interesse. Ich bin überzeugt, wenn eine Fliege sich aus meinem Zimmer in das meiner Nachbarin verirrte, sie ist von derselben befragt worden, ob ich den Kaffee mit Zucker trinke.

»Seit jener Zeit lebte ich unter dem drückenden Gefühl, beständig beobachtet zu werden. Mein Kommen und Gehen, meine Kleidung, mein Benehmen – 118 alles wurde beamtenmässig genau verzeichnet.

»Wir wurden bald soweit miteinander bekannt, dass wir uns grüssten, wenn wir uns auf der Strasse oder im Hause trafen oder wenn wir – was nicht selten vorkam – zu gleicher Zeit den Kopf aus dem Fenster steckten. Bei solchen Gelegenheiten machte ich die Erfahrung, dass meine Nachbarin mit grossem Geschick dasjenige, was sie grade zu wissen wünschte, von meinem Gesicht herunternahm. Mir wiederum wurde es dann nicht schwer, aus ihrem lebhaften Mienenspiel die Antwort auf das, was sie erfahren hatte, herauszulesen. So z. B. las ich in ihrem Gesicht: ›Gestern wieder sehr spät nach Hause gekommen! Ich weiss ja alles. Der Geburtstag des Freundes mit dem spitzen Filzhut. Ist wohl ein lockerer Vogel? Nun, nun! man ist ja nur einmal jung!‹ Oder: ›Also 119 betrübende Nachrichten in dem gestrigen Briefe?! Der Grossonkel – nicht wahr? Der Schlag – nicht wahr? Nun, nun! wir müssen ja alle einmal sterben!‹ Auf diese Weise führten wir oft längere lautlose Unterhaltungen, und ich hatte das Gefühl, dass sie mich vollständig auskundete, ohne dass ich auch nur ein Wort sagte.

»Eine besonders wichtige Rubrik in dem Foliobuch meiner Beobachterin bildeten natürlich auch meine Bekanntschaften. Sobald jemand von mir fortging und bei mir die Thüre zugemacht wurde, öffnete sich das Fenster der Wittwe.

»In ausgedehntester Weise wurden die Kinder zum Auskundschaften verwendet. Ich hatte sie Anfangs leider mit Aepfeln und Pfefferkuchen an mich gelockt, und nun fielen sie mir bald dermassen lästig, dass ich meine Unvorsichtigkeit aufs Bitterste bereute. Besonders 120 wenn ich Besuch hatte, pflegten sie sich unter den nichtigsten Vorwänden einzustellen. Bald musste ich eine Feder schneiden, bald war ein Pferdchen, dem ein Bein (vermuthlich mit Absicht) zerbrochen war, wieder ganz zu machen, bald sollte ich mein Urtheil darüber abgeben, ob eine Frucht, die sie auf dem Spaziergang gefunden hatten, giftig oder geniessbar sei. Einmal klopfte der älteste Junge, der das Gymnasium besucht, dreiviertel Stunden lang ununterbrochen an meine Thür, und als ich ihm endlich öffnete, erkundigte er sich bei mir, ob habeo im Perfectum habavi hätte. In Wahrheit aber kam er Spionirens wegen.

»Du kannst dir denken, dass diese Verhältnisse angethan waren, mir mit der Zeit alle Freude am Leben zu vergällen. Aber es kam noch besser.

»Schon oft hatte ich mir gedacht, dass es der sehnliche Wunsch meiner 121 Nachbarin sein müsse, einmal mein Zimmer zu besichtigen. Eines Tages nun geschah es, dass ich beim Ausgehen vergass, den Schlüssel meiner Stubenthür abzuziehen. Sobald ich das bemerkt hatte, eilte ich nach Hause zurück, denn ich ahnte wohl, was sich ereignen würde. Was meine Vermuthungen bestätigte, war zuerst auf der Treppe ein kleiner, sehr geschickt angelegter Verhau. Wenn auf einer Treppe ein Eimer voll kochenden Wassers steht, so darf sich niemand wundern, denn der Eimer steht da auf dem Platz, der ihm in einem geordneten Haushalt zukommt. Findet man aber auf einer Treppenstufe ein Notenpult, eine Garnwickelmaschine, ein Fässchen und eine Epheulaube versammelt, so kann man daraus schliessen, dass in den oberen Geschossen des Hauses ganz absonderliche Dinge vor sich gehen müssen. Kaum näherte ich mich dem Verhau, so hörte ich hinter der 122 Epheulaube einen halbunterdrückten Mädchenschrei und oben auf dem Flur ein leises Huschen. In meinem Zimmer angekommen, fand ich dasselbe natürlich leer. Während ich mit der Wegräumung der Barrikade beschäftigt war, musste der Feind entwischt sein. Alles war wie ich es verlassen hatte; kein Buch stand auf dem Kopf. Aber auf dem Schreibtisch lag etwas, das ich in dem Augenblicke nicht um zwanzig Königreiche herausgegeben hätte. Der Gegenstand war an und für sich nicht bedeutend. Es war eine angefangene Stickerei, ein kleiner Kragen mit Bandarabesken von Spinnen und Vergissmeinnichtblüthen, wie sie jetzt so sehr beliebt sind. Längere Zeit betrachtete ich meine Beute mit dem innigsten Wohlgefallen, dann verbarg ich sie sorgsam in meiner Brieftasche mit dem Vorsatz, meiner neugierigen Nachbarin bei nächster Gelegenheit einen recht boshaften Streich 123 damit zu spielen. War dies ein böser Vorsatz, so bin ich genugsam dafür gestraft worden.

»Die nächste Zeit verlief auffallend ruhig. Wahrscheinlich hatte meine Quälerin nach der Inspicirung meines Zimmers ausserordentlich viel Neues und Wichtiges über mich in ihr Buch zu schreiben. Manchmal in stiller Nacht glaubte ich die Feder meiner Nachbarin schwirren zu hören und im Moment des Einschlafens traten mir ganze Sätze, welche sie niederschrieb, deutlich vor die Seele, z. B. ›Sein Vater gehört, der Photographie nach zu urtheilen, dem wohlhabenden Bürgerstand einer Provinzialstadt an. Die Mutter muss in früheren Jahren einmal recht hübsch gewesen sein. Wahrscheinlich heisst sie Adelheid mit Taufnamen; was sie für eine Geborene ist, habe ich noch nicht ermitteln können.‹ Oder: ›Die Schwefelhölzer pflegt er (gerade wie mein 124 Seliger) an der Wand zwischen der Thür und dem Ofen anzustreichen, obgleich Reibfeuerzeuge genug auf der Kommode stehen. Die gebrauchten Hölzchen wirft er auf den Fussboden. Seine Lampe ist schlecht gewartet; den Docht schneidet er mit der Papierscheere ab.‹

»Ein paar Wochen waren seit der Erbeutung der Stickerei vergangen, da begab sich Folgendes:

»Eines Nachts komme ich aus sehr lustiger Gesellschaft sehr spät nach Hause. Am andern Morgen, als ich ausgehen will, um mich an der frischen Luft zu erlaben, begegne ich auf dem Flur meiner Nachbarin. Als ich grüssend an ihr vorbeigehen will, macht sie eine Miene, als hätte sie mir etwas zu sagen. Ich bleibe also stehen. ›Da ist‹, beginnt sie, ›heute Morgens von meinem Mädchen auf der Treppe eine Brieftasche gefunden worden. 125 Möglicherweise ist es die Ihrige. Hier ist sie!‹

»Herr des Himmels! es war wirklich meine Brieftasche, und in meiner Gedankenlosigkeit hatte ich noch gar nicht bemerkt, dass ich sie verloren hatte. Der Vorfall war mir sehr unangenehm; aber wart' nur, dachte ich, ich will mich schon mit der Stickerei revanchiren. Da ging es mir wie ein Blitz durch den Kopf, dass ich das corpus delicti in meiner Brieftasche aufgehoben hatte. Das Herz stand mir ordentlich still vor Entsetzen. An einem sichern Orte untersuchte ich meine Tasche. Die Stickerei war verschwunden, und an Stelle derselben befand sich ein Zettel, welcher folgende Worte enthielt:

›Sie werden es mir nicht missdeuten, wenn ich den kleinen Kragen, den Sie so lange auf dem Herzen getragen haben, wieder an mich nehme.

Mein junger Freund! Ich halte Ihre 126 Absichten für wacker und ehrlich; dennoch kann nun und nimmermehr etwas daraus werden. Denn es ist meine Erfahrung, dass Ehen bei einem solchen Unterschied der Jahre niemals glückliche sind.

Werfen Sie sich nicht, wie Sie es vorzuhaben scheinen, in thörichtem Schmerz einem leichtsinnigen Leben in die Arme. Denken Sie an Ihre Eltern, an Ihre Grosseltern, falls dieselben, wie ich hoffe, noch leben.

Es sei dies zwischen uns das erste und letzte Wort in dieser Angelegenheit.

Ihre Nachbarin.‹

. . . . »Noch am Abende desselben Tages zog ich aus nach einer vom Schauplatz meiner Leiden weit entfernten Strasse.«

Von der Erinnerung an seine Pein tief ergriffen, machte mein Freund eine Pause.

»Was die Geschichte mit der Stickerei 127 anbelangt,« sagte ich, »so muss ich dir offen erklären, dass du dich meiner Ansicht nach auf eine unverantwortliche Weise benommen hast. Du hättest das gefundene Kleinod sofort mit einem verbindlichen und zierlichen Schreiben der Eigenthümerin zurückstellen sollen. Statt dessen überliessest du dich kleinlicher Rachsucht.«

»Sprich nicht weiter!« unterbrach er mich. »«Wenn ich je den bösen Vorsatz hatte, mich zu rächen, so bin ich auf das fürchterlichste dafür bestraft.«

»So ist dein Leiden nicht zu Ende?« fragte ich.

»Nein,« rief er, »denn auch sie ist ausgezogen, und der tückische Zufall hat sie nach derselben Strasse verschlagen, in die ich mich vor ihr geflüchtet habe. Sie wohnt jetzt mir vis-à-vis.« 128

 


 


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