Johannes Trojan
Das Wustrower Königsschiessen und andere Humoresken
Johannes Trojan

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Das letzte Menschenpaar.

Von dem letzten Menschenpaar ist schon geredet worden, und zwar von Dichtern, welche zu der Annahme neigen, dass ein Mann und eine Frau, gleichsam die Wiederholung von Adam und Eva, die letzten Bewohner der gealterten Erde sein werden. Das mag, von poetischem Standpunkt betrachtet, viel für sich haben, und es ist ein anmuthender Gedanke, dass das Ganze in ähnlicher Weise aufhöre, wie es angefangen hat; aber die Wahrscheinlichkeit spricht für etwas anderes. Nicht ein Mann und eine Frau, sondern zwei Männer, glaube ich, werden das letzte 133 Menschenpaar bilden. Ja, zwei Männer, von denen der eine alle Macht und der andere alles Geld besitzen, und von denen der eine ebenso hilflos sein wird wie der andere.

Sehen wir doch die Dinge an, wie sie wirklich sind. Trotz unsrer schönklingenden Redensarten von Humanität, Fortschritt und Aufklärung, welches ist das Ziel, dem wir zusteuern? Antwort: die Vertilgung der Menschheit durch finanzielle und militärische Operationen. Alles arbeitet darauf hin, dass endlich alle Herrschergewalt der Erde in eine Hand und alles Capital auch in eine Hand kommt. Es ist dies das natürliche Ende, welches die Aera der grossen Kriege und der grossen Schulden nehmen wird. Das Schwert und die Couponscheere werden, von unten anfangend, nach und nach mit den verschiedenen Schichten der Gesellschaft aufräumen, und eine Berufsklasse 134 nach der andern wird, weil man das Leben ihr unmöglich macht, verschwinden.

Dieser Kampf ums Dasein kann lange dauern, aber er wird damit enden, dass endlich nur noch die beiden Menschen, von denen oben die Rede war, übrig bleiben. Und dann werden auch diese beiden aneinander gerathen. Es wird zugehn wie in einer Gesellschaft von Spielern, welche die Zeche auswürfeln. Anfangs sind ihrer viele, aber einer nach dem andern spielt sich los und geht nach Hause. Zuletzt sitzen noch zwei da, von Aufregung glühend. Die Lichter sind tief herabgebrannt, das Lokal ist verödet.

Es ist nur der Unterschied, dass beim Aussterben der Menschen der zuletzt Bleibende nicht der Verlierer, sondern der Gewinner von allem sein wird; aber ein Gewinner von Dingen, die, sobald er sie gewonnen hat, ohne Werth sind.

Abends zu später Stunde war es, als 135 solche Gedanken mich überfielen. Düstere Bilder stiegen vor meinem Geist auf: ich sah, wie Habgier und Herrschsucht ihr Ziel verfolgten, die Erde entvölkernd und verödend.

Da kam es, dass ein Ring von blauem Cigarrenrauch, den ich unwillkürlich verfertigt hatte, längere Zeit vor mir hin und her schwebte, ohne seine Form zu verlieren. Endlich zog er sich nach dem Hintergrunde, dehnte sich bedeutend aus und bildete den Rahmen oder die Einfassung zu einer anfangs schwarzen, dann mit grauem Nebel erfüllten Scheibe. Nach und nach schien der Nebel sich abzuklären und es trat hervor eines der seltsamsten Bilder.

Das letzte Menschenpaar erschien mir. Ich sah den letzten Fürsten und den letzten Banquier beieinander in einem Raume, welcher der Bude eines Trödlers glich. Das Gemach war erfüllt von Dingen, die 136 einst die grössten Kostbarkeiten der Welt gebildet hatten, jetzt aber durch Staub und Moder fast unkenntlich geworden waren. Kronen hingen, an Schnüre gereiht, von der Decke herunter. In einer Ecke stand ein Kartoffelmaass mit Reichsäpfeln gefüllt. An den Wänden waren Kleinodien aller Art aufgeschichtet und Gemälde, von den grössten Meistern herrührend, standen umher, verräuchert und von Ratten zerfressen. In den Fenstern befanden sich nur noch wenige Glasscheiben, die meisten waren ersetzt durch geölte Werthpapiere.

Die beiden letzten Menschen sassen an einem Tisch einander gegenüber, der Geldmann auf einem goldnen Stuhl, auf dessen Rücklehne ich das päpstliche Wappen bemerkte, der Herrscher in einem gewöhnlichen, schon sehr defecten Lehnstuhl. Der Herrscher spielte mit Bleisoldaten, der Financier zählte Geld. Ich 137 hörte deutlich, wie er murmelte: »999,998 Millionen.«

»Moses!« rief das Gegenüber des Zählenden.

»St!« machte Moses und zählte weiter: »999,000 – 100,000 Millionen.« Dann machte er einen Strich auf eine Tafel und sagte aufblickend: »Was befiehlst du, Beherrscher der Erde?«

»Wie lange ist es doch her, Moses,« sagte der Universalfürst, »seit wir den letzten Socialdemokraten hinausgeworfen haben?«

»Das mögen dreissig bis fünfunddreissig Jahre her sein.«

»Wie doch die Zeit vergeht! Ich vermuthe, dass besagter Socialdemokrat ausser uns der letzte Mensch war und es thut mir deshalb leid, dass wir ihn hinauswarfen. Wir haben seitdem gar keinen Besuch gehabt.«

»Mir,« sagte der letzte Banquier, »ist 138 es recht lieb, dass wir endlich unter uns sind.«

»Ich muss dich bitten,« bemerkte der Herrscher gereizt, »deine Ausdrücke etwas besser zu wählen. Es steht dir keineswegs zu, von ›unter uns‹ zu reden. Du darfst nicht vergessen, was ich bin und was du bist. Ich habe mich leider schon mit dir viel zu gemein gemacht. Dass ich an meinem letzten Geburtstage mit dir Schmollis trank, geschah, wie ich dir nicht verhehlen will, in einem Augenblicke der Schwäche. Offen gestanden, es wäre mir lieb, ausser dir noch einen andern Menschen um mich zu haben, schon damit wir Scat spielen könnten, oder Whist mit einem Strohmann. Das ewige Piquet und Sechsundsechzig ist mir schon sehr zuwider, zumal da du immer gewinnst. Ich langweile mich und möchte einmal etwas Neues hören.«

»Ich,« sagte Moses, »habe viel zu viel 139 zu thun, um mich langweilen zu können. Ich habe noch sehr lange zu zählen, und wenn ich mit dem Zählen fertig bin, werde ich mich daran machen, das angelaufne Geld zu putzen. – Wieviel, o Gebieter, denkst du wohl, dass ich besitze – das was du mir schuldig bist und noch nicht bezahlt hast, mitgerechnet?«

»Ich habe gar keine Meinung darüber.«

»Nun, du weisst doch, wie gross die Bahn ist, welche die Erde um die Sonne beschreibt?«

»Ungefähr,« erwiderte der letzte Kronensohn etwas verlegen.

»Nun, so stelle dir vor, die ganze Strecke wäre mit Ducaten gepflastert, so dass ein Ducaten dicht neben dem andern läge.«

»Hm.«

»Oder noch besser, stelle dir vor eine Million Eisenbahnwagen und jeden davon« –

140 »Hör' auf!« unterbrach ihn rauh der Herrscher. »Das sind die alten Scherzchen, die ich tausendmal in dem ›Vermischten‹ der Zeitungen gelesen habe, als noch Zeitungen erschienen, und schon damals fand ich dergleichen albern. Es interessirt mich durchaus nicht zu wissen, wie viel Geld du hast, und auch dir selbst kann es im Grunde ganz egal sein. Mit allen deinen Millionen mal Millionen kannst du dir doch keine Cigarre kaufen.«

»Du weisst, dass ich aus Princip nicht rauche.«

»Seit wir keine Cigarren mehr haben. Ich weiss aber, dass du, als unser letztes Kistchen auf die Neige ging, einige bei Seite gebracht und heimlich draussen geraucht hast. O, ich habe eine feine Nase.«

Moses schwieg verlegen und machte sich wieder ans Zählen.

»Moses Hirsch« – nahm der Allfürst aufs Neue das Wort, und seine Stimme 141 klang weich – »ich habe ein Anliegen an dich. Ich muss wieder eine kleine Anleihe bei dir machen.«

»Schon wieder? Was bist du für ein Verschwender! Du hältst mich wohl gar für einen Krösus? Ich werde aber bald ein Bettler sein, wenn das so fortgeht.– Und wozu willst du das Geld haben? Du hast ja gar keine Gelegenheit es auszugeben.«

»Das ist wahr, Moses; – aber es ist zu schrecklich, so ganz ohne Geld zu sein. Ich möchte doch für alle Fälle etwas in der Tasche haben.«

»Hast du Unterlage zu bieten?«

»Ich will dir eine grosse Insel oder auch einen ganzen Erdtheil verpfänden. Soll ich dir Asien verschreiben?«

»Bleibe mir mit deinen Erdtheilen vom Halse! Ich weiss nichts mit ihnen anzufangen. Wie soll ich sie verwerthen? Ich kann nicht einmal hingehn, um mich 142 davon zu überzeugen, oh sie auch wirklich da sind. – Denke auf etwas anderes!«

»Du weisst ja,« jammerte der Grossmächtige, »dass ich nach und nach alle meine Werthsachen bei dir versetzt habe. Selbst meine Uhr, das Erbstück von meinem Vater, der noch über einige Hundert Unterthanen herrschte, hast du bekommen und es giebt mir immer einen Stich ins Herz, wenn ich sehe, wie du sie gemüthlos aufziehst oder sie in die Tasche deiner schmutzigen Weste einsperrst. – Borge mir Geld, Moses, und ich will dir eine Gnade erzeigen.«

»Und die wäre?«

»Das ist schwer zu sagen, denn ich habe dich schon von oben bis unten mit Gnaden überschüttet. – Wähle dir selbst etwas!«

»Nun denn,« sagte Moses nach einigem Bedenken, »so adoptire mich und ernenne mich zu deinem Nachfolger.«

143 Entrüstet war der letzte Herrscher aufgesprungen. »Elender,« rief er, »was wagst du von mir zu fordern? Nein,« fuhr er dann, nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte, fort, »nein, Moses, das geht nicht! Sieh, ich habe dir sonst in allem nachgegeben. Ich habe dich mit allen Orden behängt, die ich hatte und habe noch extra für dich einen neuen Orden gestiftet. Ich habe dir auf deinen Wunsch, wenn auch sehr ungern, den Adel verliehen. Ich habe dich, den Juden, zum Justizminister ernannt, und das wurde mir schrecklich sauer. Ich übergab dir endlich, was ich eigentlich gar nicht verantworten kann, auf dein unablässiges Drängen hin auch das Portefeuille des Cultus. Mehr kann ich nicht für dich thun. Zu meinem Nachfolger kann ich dich nicht ernennen.«

»Gut! dann kann ich dir auch mein Geld nicht geben.«

144 »Sieh, Moses, es kann dir ja ganz egal sein, ob du offiziell zum Thronfolger ernannt bist oder nicht. Wenn ich – was der Himmel verhüten möge – vor dir sterbe, so gehört dir ja doch alles was da ist und du bist unumschränkter Gebieter.«

»Das hört sich ganz gut an,« sagte Moses, »aber ich kann mich damit doch nicht zufrieden geben. Als ein Verehrer der Ordnung und des guten Rechts möchte ich doch gern meine schriftliche Bescheinigung in der Tasche haben. Es könnte sich noch irgendwo ein versprengter Prätendent aufhalten, dem ich dann mit dem Schein in der Hand gegenübertreten kann. Entscheide dich. Entweder stellst du mir die Urkunde aus, oder ich behalte meine Thaler.«

»Dann muss ich schon,« sagte der Erdherrscher seufzend, »in den sauern Apfel beissen. Es ist nur gut, dass kein 145 Zeuge der mir widerfahrenden Demüthigung hier ist.« Er nahm einen Bogen Papier, schrieb darauf das Adoptions- und Ernennungsdiplom nieder und übergab es dem Juden, der es zusammenfaltete und in die Tasche steckte.

»Hier,« sagte Moses, nachdem er das Papier geborgen hatte, »hier ist das Geld.« Damit legte er ein Päckchen Papiergeld auf den Tisch. Der Herrscher zählte die Scheine, prüfte sie einzeln und suchte mehrere aus, die ihm verdächtig schienen. »Diese,« sagte er, »nehme ich nicht, das sind schlechte!«

»Du willst auch noch wählen?« fuhr Moses auf. »Nichts davon, sie müssen genommen werden, wie sie fallen, gute und weniger gute.«

»Nein, ich nehme die schlechten nicht – gieb mir andre dafür!«

»Dann bekommst du gar keine!« rief Moses ärgerlich, packte die 146 sämmtlichen Kassenscheine, gute und schlechte, zusammen und legte sie wieder in den Waschkorb, aus dem er sie genommen hatte.

»Dann gieb mir aber auch meinen Schein wieder!« schrie der Erdbeherrscher.

»Nein,« sagte Moses, »den Schein behalte ich. Und nun, hör' einmal, muss ich dir etwas sagen, was dir nicht lieb sein wird zu vernehmen. Es muss eine Aenderung in unsern Verhältnissen stattfinden. Die Conserven, von denen wir nun schon viele Jahre hindurch gelebt haben, gehen auf die Neige, und dein Appetit nimmt mit jedem Tage zu. Was soll daraus werden? Draussen etwa nach Früchten oder Wurzeln zu suchen ist sehr misslich und dürfte zu keinem günstigen Resultate führen. Schon längst ist draussen alles zugewachsen, rings um unsere Wohnung herum hat sich bereits Urwald gebildet. Das ist noch nicht alles. Ich habe bemerkt, dass sich Thiere 147 wieder eingefunden haben, welche seit Menschengedenken in diesen Breiten nicht gesehn sind, die aber vielleicht vor Menschengedenken, ehe noch die ersten Ansiedler gekommen waren, in dieser Gegend hausten. Von kleinerem Gethier ist schon allerlei sonderbares Zeug an mir vorbeigehuscht und vorbeigeflattert, dass mir die Haare darüber zu Berge standen. In der letzten Nacht sind aber ganz grosse Geschöpfe dicht vor unserer Thüre gewesen und haben den Boden furchtbar aufgewühlt. Ich fürchte, die alten grossen Dickhäuter sind schon da.«

»Und was soll das sagen?« fragte der Grossmonarch schaudernd.

»Das soll sagen,« entgegnete der Schlussbanquier kalt, »dass du noch heute ziehn musst. Du brauchst mir zu viel, und deine Art fängt an mir unangenehm zu werden. Begieb dich gefälligst hinaus und regiere draussen.«

148 »Wie, mich, deinen rechtmässigen Gebieter, willst du ausweisen?«

»Ich werde fortfahren, dich als meinen Gebieter zu verehren, wenn du ausserhalb dieser vier Wände deinen Thron aufschlägst. Dieses ist hier meine Privatwohnung und was du hier siehst, ist mein Eigenthum. Was davon dir früher gehörte, ist längst bei mir versetzt und verfallen. Du schuldest mir sogar noch eine enorme Summe an Zinsen. Mache keine Weitläufigkeiten, sondern ziehe! Räume dieses Quartier, wo du nichts mehr zu suchen hast.«

»Ich thu' es nicht!« rief der letzte Gekrönte trotzig. »Es ist mir zu graulich draussen.«

»Dann werde ich dich mit Gewalt exmittiren.« Mit drohender Geberde ging Moses auf den Fürsten zu. Dieser bewaffnete sich mit einem Zepter und war entschlossen sich zu wehren. Es schien, 149 als sollte es zu einem Handgemenge kommen. – Da begab sich etwas, was bewirkte, dass plötzlich die beiden Streitenden regungslos, mit kreideweissen Gesichtern und mit schlotternden Knieen einander gegenüber standen.

Die Thüre erzitterte von einem furchtbaren Stoss, dem ein zweiter folgte. Ein dritter Stoss, der die Thüre zertrümmerte – und in das Gemach herein streckte ein Rhinoceros seinen grossen scheusslichen Kopf.

In diesem Augenblick stiess meine Lampe, wie es mir vorkam, einen lauten Schrei aus und verlöschte. Das unheimliche Bild war verschwunden und Finsterniss war um mich her. 150

 


 


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