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XVII. Die Heimfahrt

Am 5. Juli sollten wir mit der »Bremen« von Neuyork nach Europa zurückfahren. Am Sonnabend, dem 30. Juni, zerstörte eine Feuersbrunst den Pier des Norddeutschen Lloyd in Neuyork, wobei viele Menschenleben verloren gingen und von drei Schiffen zwei vernichtet wurden, eines aber, die »Bremen«, starke Beschädigungen erlitt. In Toronto werden Zeitungen am Sonntag weder ausgetragen noch verkauft, so erfuhr ich von dem Unglück erst, als ich mir am Montag früh auf der Straße die Sonntagsnummer des »Globe« kaufte, und mein Schreck war nicht klein. Unsere Sachen waren schon gepackt, und wir hatten schon Bahnbillets nach Neuyork genommen. Nun half nichts, wir mußten in Toronto bleiben und zusehen, uns von dort aus Plätze auf einem anderen Schiff zu verschaffen. Das war so leicht nicht, weil wegen der Pariser Ausstellung auf den für die nächsten Wochen zur Überfahrt bestimmten Schiffen alles schon besetzt war. Jede Hoffnung aber braucht man in solchem Fall noch nicht aufzugeben, weil stets einige Billets von Leuten, denen etwas dazwischen gekommen ist, der Gesellschaft wieder zu Gebot gestellt werden, und so gelang es uns denn nach längerem Bemühen zwei Plätze auf der »Maria Theresia« zu erhalten, deren Abfahrtstag der 17. Juli war. Wir mußten also zwölf Tage länger, als vorgesehen war, in Toronto bleiben, und um diese Zeit überschritt ich notgedrungen meinen Urlaub. Ich benutzte diese zwölf Tage dazu, möglichst viel noch zu sehen, längere Fußwanderungen aber habe ich nicht mehr gemacht, weil dafür die Sommerhitze schon zu groß geworden war. Familien, die es haben konnten, fingen schon an nach der Wald- und Seengegend des Nordens zu flüchten, wo sie ein Landhaus besaßen oder ein Quartier gemietet hatten. Bei Familien mit kleinen Kindern ist damit häufig das Mieten einer Kuh verbunden.

Durch die Verspätung der Rückreise wurde es herbeigeführt, daß mein Moselwein eher zu Ende ging, als vorauszusehen gewesen war. Mit einer gewissen Feierlichkeit wurde eines Tages die letzte Flasche entkorkt und geleert. Von den hundert Flaschen, die ich mir hatte nach Canada vorausschicken lassen, haben wir achtundneunzig getrunken, zum Teil in Gesellschaft guter Freunde und Temperenzler. Eine Flasche hatten die Zollbeamten geleert zum Zweck der notwendigen genauen Abschätzung des Weines. Sie wollten dann noch eine haben, um noch genauer abschätzen zu können, erhielten sie aber nicht. Eine Flasche mußte ich nach dem ersten Schluck stehen lassen, weil sie – was ich in diesem Fall für ein besonderes Unglück hielt – nach dem Kork schmeckte. Es that mir leid, daß die Zollbeamten nicht gerade diese Flasche getroffen hatten. Sie würden den Korkgeschmack für die sogenannte Blume gehalten und den Wein danach niedriger eingeschätzt haben, als sie wirklich thaten. Nein, ich will mich nicht schlechter machen, als ich bin, ich gönne anderen auch etwas Gutes. Ich nehme zurück, was ich gesagt habe und erkläre: es thut mir nicht leid. Ja, ich füge hinzu: wenn ich selbst mit den Zollbeamten zu verhandeln gehabt hätte, würden sie wahrscheinlich auch die zweite Flasche Moselwein bekommen haben.

Am 15. Juli gegen Abend fuhren wir von Toronto ab. Unsere Kinder und ein paar Freunde gaben uns bis zur nächsten Station das Geleit, dann wurde Abschied genommen, und allein fuhren wir weiter. Es war noch hell, als wir durch die fruchtbaren Gelände des Südens von Canada kamen. Überall war der Weizen schon geschnitten und stand in kleinen Hocken auf den Feldern. Dann wurde es Nacht, und als der Tag aufdämmerte, bekamen wir eine Landschaft zu sehen, von deren großen Reizen wir auf unserer Hinfahrt in der Dunkelheit nichts bemerkt hatten. Ich hatte nur ab und zu ein Wasser, den Hudson, aufblinken gesehen. Nun sahen wir im Licht des jungen Tages diesen Strom wieder und dazu an seinem rechten Ufer eine Kette von hohen Bergen, die wundervoll anzusehen waren. Die Berge gehören dem Apalachengebirge an, diese ganze Landschaft aber gilt in Amerika für eine hervorragende Sehenswürdigkeit. »Der amerikanische Rhein« heißt der Hudson, und wie unser herrlicher deutscher Strom wird er im Sommer mittelst der auf ihm verkehrenden Dampfschiffe von zahllosen Vergnügungsreisenden befahren.

Am Morgen kamen wir in Neuyork an und quartierten uns wieder im Belvedere House ein. Am Vormittag wanderte ich noch ein wenig in den Straßen umher, kam aber nicht sehr weit, denn die Hitze war so groß, daß man sich scheute, auch nur ein paar Schritte im Sonnenschein zu machen. Hie und da an einer Straßenecke stand ein Händler mit großen Pfirsichen, die wohl eben aus dem Süden oder aus Californien gekommen sein mußten. Diese prachtvollen Pfirsiche, von denen ich einige sogleich auf der Straße verzehrte, waren sehr billig, und also gab es doch in Neuyork etwas, das billig war und zugleich gut. Ich nahm dann mit Bekannten einen Frühschoppen zu mir in einer deutschen Schenke, wo wir einen Wein tranken, der – ich weiß nicht, aus welchem Grunde – Moselwein genannt war. Am Nachmittage wurde noch eine stundenlange Spazierfahrt auf der Straßenbahn unternommen, wobei man allerhand Merkwürdiges, u. a. die wirklich großartige Brooklyn-Brücke, zu sehen bekam. Den Abend brachten wir mit guten Freunden und deren Frauen wieder bei Lüchow zu und erfrischten uns mit dem kühlen Würzburger Bier. Diese Erfrischung war sehr willkommen, denn es war ein ungemein heißer Tag gewesen. Man hat oft gelesen von der Hitze in Neuyork, die Menschen und Tiere in den Straßen tot umfallen läßt – eine solche Hitze war es, die damals dort herrschte. Noch nie in meinem Leben war mir etwas Ähnliches vorgekommen. Dem Freunde, mit dem ich in gebundener Rede über meine Reiseerlebnisse korrespondierte, schrieb ich:

Ein heißer Tag war's und ein Tag der Qual.
»Bei solcher Hitze« – hört' ich sagen – »ist
Neuyork die Hölle!« und das fand ich auch.
Wir Menschen aus dem Norden sind gewohnt,
Uns heiß zu denken der Verdammten Ort
Und heiß war, unerträglich heiß Neuyork!
Gebratne Fliegen klebten an den Wänden,
Die Hühner legten hartgekochte Eier,
Und aus dem Flusse, der schon nahe war
Dem Siedepunkt, erscholl Gebrüll nach Eis,
Denn auch die Fische, die so schweigsam sonst,
Schrein, wenn so große Hitze sie bedrängt.

Von den Menschen waren, die es vermochten, hinausgeflohen in die Seebäder, aber wie viele mußten in der ungeheuren Stadt bleiben und die Höllenglut ertragen. Am meisten litten die armen Familien, die in den oberen Stockwerken der großen Häuser zusammengepfercht waren. Es hieß, daß manche ihre kleinen Kinder für die Nacht in den Bettchen auf die Straße stellten, wo es doch etwas kühler war. Das konnten sie ruhig thun, denn Neuyork wimmelt zwar von Dieben, aber dazu sind auch diese zu ehrlich, als daß sie ein Kindchen sich angeeignet oder es aus dem Bettchen genommen, auf die Straße gelegt und dann das Bettchen gestohlen hätten. So etwas würde höchstens ein Bankdirektor fertig bringen. Auch in Neuyork war das legitime Geschäft hartherziger als das Verbrechen, und die Eistrusts trieben mit zunehmender Hitze die Preise des Eises, nach dem auch der Ärmste mehr als Brot verlangte, zu immer größerer Höhe empor. Darüber zeigten verschiedene Blätter sich empört, manche davon aus dem Grunde vermutlich, weil sie an dem Gewinn der Trusts nicht beteiligt wurden.

Auch in unserer Herberge vier Treppen hoch über dem Pflaster der Stadt war die Hitze grauenhaft. Nach schlafloser Nacht begaben wir uns am anderen Morgen nach dem Pier der Cunard-Linie, von dem, da der Norddeutsche Lloyd den eigenen Landungsplatz verloren hatte, vorläufig seine Dampfer abfuhren, und gingen an Bord. Liebe Freundschaft brachte uns noch Blumen aufs Schiff. Dann wurde Abschied genommen und die »Maria Theresia« setzte sich mit uns in Bewegung. Kurze Zeit waren wir gefahren, da wehte uns von der See her der erste kühlende Hauch entgegen. O welche Wonne, davon berührt zu werden! Das war Erquickung, das war das Leben, und hinter uns lag der glühende Tod.

Die »Maria Theresia«, die damals vom Kapitän Richter, einem wackeren Oldenburger, gefahren wurde, ist ein Schnelldampfer und ein sehr lobenswertes Schiff. Sie ist hervorgegangen aus dem kleinen Dampfer »Berlin« dadurch, daß dieser in der Mitte durchgeschnitten und zwischen die beiden Hälften ein großes Stück hineingesetzt wurde. Was die »Maria Theresia« besonders auszeichnet, ist ihr auch bei bewegter See ungemein leichter und ruhiger Gang. Daß doch einige seekrank wurden, konnte dadurch freilich nicht verhindert werden, denn es giebt Menschen, bei denen schon ein geringes Schwanken des Schiffes genügt, sie krank zu machen, und ein durchaus wirksames Mittel gegen dies garstige Leiden scheint nicht zu existieren. Als ich im Herbst 1901 auf dem Lloyddampfer »Kronprinz Wilhelm« die Probefahrt mitmachte, befand sich unter den Schiffsgästen auch ein bekannter Parlamentarier. Dieser war bei stürmischem Wetter, das wir zwischen Norwegen und Schottland bekamen, einer der nicht vielen, die sich zur Mittagstafel einstellten. Als da die Rede auf die Seekrankheit kam, sagte er: »Es giebt ein Mittel dagegen, das ich oft schon an mir erprobt habe, das ist der feste Wille. Ich nehme mir vor, nicht seekrank zu werden und ich werde« ... So weit war er gekommen, da lief sein Gesicht plötzlich grün an, und was dann folgte, male ich lieber nicht aus.

Nun gab man sich auf dem Schiff wieder dem angenehmen Nichtsthun hin, das jeden Morgen aufs neue seinen Anfang nahm, wenn mit der schönen alten Weise »Freut euch des Lebens« von den Schiffsmusikanten zum Aufstehen geweckt wurde. Das Schiff war vollbesetzt, und deshalb konnte sich nicht ein so ungezwungener und gemütlicher Verkehr unter den Passagieren entwickeln, wie es bei unserer Hinfahrt auf dem schwach besetzten »Großen Kurfürsten« der Fall gewesen war. Doch machten wir ein paar angenehme Bekanntschaften, und es fehlte uns nicht an Unterhaltung. An der Tafel hatten wir wieder unsere Plätze beim Kapitän und freuten uns, daß wir dadurch Gelegenheit erhielten, mit diesem wackeren und liebenswürdigen Mann näher bekannt zu werden. Das Wetter blieb andauernd gut bis darauf, daß starker Nebel einfiel, als wir dem Kanal uns näherten. Eine ganze Nacht hindurch ertönte das Nebelhorn, und das wird nicht gern von den Mitfahrenden gehört. An den letzten Abenden aber, die wir auf dem Ozean zubrachten, genossen wir eines Schauspieles, das allein die ganze Reise wert war: wir bekamen das wundervollste Meeresleuchten zu sehen. Es erschien in zwei Formen: entweder blinkten die Wellenkämme grüngoldig auf, oder es waren über die Wellen einzelne grüngoldene Sterne ausgestreut, die kamen und wieder verschwanden. Ich dachte dabei an die lebenden Sterne, die ich an dem einen Abend in den wilden Wäldern hatte aufleuchten, erlöschen und wiederkommen sehen, aber der Anblick des leuchtenden Meeres war noch um vieles großartiger als das.

Der 22. Juli war für uns der letzte Tag auf dem Weltmeer, und an diesem Tage fand das Captainsdinner statt. Als es auf seiner Höhe war, erhob ich mich, schlug ans Glas und brachte einen Toast auf den Kapitän aus in folgenden Versen:

»Bald langen am Ziel der Fahrt wir an,
Bald geht es ans Abschiednehmen,
In Cherbourg erst, in Southampton dann,
Und dann zuletzt noch in Bremen.

Im ganzen war's eine gute Fahrt,
Das ist wohl jedes Gedanke.
So oft zu Tische geblasen ward,
Gab's nur sehr wenige Kranke.

»Maria Theresia« hat's gut gemacht
Und zeigte sich wohl gezogen;
Sie ist übers Wasser so schnell und sacht
Wie eine Schwalbe geflogen.

Der Passagier hat es wahrlich gut,
Er legt sich ruhig zum Schlafen;
Er denkt: Das Schiff ist in bester Hut
Und erreicht schon glücklich den Hafen.

Den Kapitän unterdessen zwingt
Sein Amt, für andre zu wachen,
Und wenn es »Freut euch des Lebens« klingt
Muß er sich oft Sorgen machen.

Fällt nun noch ein dichter Nebel ein,
Wie diesmal es ist geschehen,
So muß er wohl auf dem Posten sein,
Um doch seinen Weg zu sehen.

Als einer von echtem Schrot und Korn
Steht er wie auf grünem Rasen,
Möcht' er auch lieber ein andres Horn
Als just das Nebelhorn blasen.

Heil ihm, der uns mit sicherer Hand
Durch Nacht und Nebelgrauen
Geführt entgegen dem festen Land,
Das morgen wir werden schauen.

Nun wollen vorm Auseinandergehn
Wir dankbar das Glas erheben,
Ein Hoch zu bringen dem Kapitän.
Unser wackrer Führer soll leben!«

Freudig stimmte die große Tischgesellschaft in das Hoch ein. Am Nachmittag des folgenden Tages wurden Anker geworfen auf der Reede von Cherbourg, das mit seinen gewaltigen Forts einen sehr anziehenden Anblick gewährt. Die Ausstellungsbesucher wurden abgesetzt, dann ging es weiter, und als es dunkel wurde, kamen wir vor Southampton an. In Folge des Nebels hatte aber die »Maria Theresia« so viel Verspätung erlitten, daß der Dampfer, der Passagiere und Güter von Southampton bringen und dorthin abholen sollte, die Geduld verloren hatte und weggegangen war. Es wurde signalisiert, da kam er endlich zurück, als es schon Nacht war. Als er dann expediert war, blieb unser Schiff noch liegen, und weshalb es noch liegen blieb, dahinter kamen wir bald. In dunkler Nacht hatte sich ganz leise ein kleines Dampfboot der »Maria Theresia« genähert und sich neben sie gelegt. In dieses kleine Schiff wurden lange Zeit hindurch aus der »Maria Theresia« nicht große, aber augenscheinlich sehr schwere Kasten hinübergetragen, einer nach dem anderen, eine sehr große Zahl. Alle diese Kasten waren gefüllt mit Gold, das wir aus Amerika, vermutlich für die Bank von England, mitgebracht hatten. Glücklicherweise hatten wir nichts davon gewußt, uns wäre sonst vielleicht etwas unheimlich dabei geworden. Auch die See muß nichts davon gewußt haben, sonst hätte sie am Ende eines Tages gesagt: »Das Gold ist mein!« und hätte es, unbekümmert um das was noch mit dabei war, hinunter genommen und es zu dem anderen gelegt, das schon in ihrer großen Schatzkammer liegt, wohlaufgehoben und bewahrt davor, Unheil zu stiften.

Am 25. Juli in der ersten Stunde des Tages legten wir am Bollwerk von Bremerhaven an, nachdem schon lange vorher der Wind uns vom Lande Heuduft gebracht hatte. Wir konnten noch auf dem Schiff schlafen bis fünf Uhr. Dann wurde zum letzten Male geweckt, und es gab noch ein gutes erstes Frühstück mit Gebratenem. Nachdem dieses verzehrt war, stiegen wir ans Land. Von Bremerhaven ging es nach Bremen und von Bremen nach Berlin.

Dies war meine erste Fahrt nach der anderen Seite unserer kleinen Erdkugel, ich denke und hoffe aber, nicht meine letzte, denn ich möchte noch mehr drüben kennen lernen. Viel haben wir ja in den acht Wochen, die wir dort verlebt haben, gesehen, alles aber noch lange nicht. Dazu ist Amerika zu weitläufig angelegt. Und nun kann es kommen, daß einmal einer unserer Söhne, der jetzt auf einem der Schulschiffe des Norddeutschen Lloyd zum Seemann ausgebildet wird, uns über das große Wasser hinüberführt. Läßt sich etwas Hübscheres denken?


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