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IX. Floristisches

Auch große Städte haben ihre Flora von wildwachsenden Pflanzen. In Berlin z. B. finden solche sich auf Bauplätzen, in Gärten und Vorgärten, hier und da am Spreeufer und vor allem auf den Holzcementdächern, wo sie durch den Wind und durch Vögel angesiedelt worden sind. Ähnlich sind die Verhältnisse in anderen großen Städten, die Stadt Toronto aber besitzt eine wilde Flora ganz eigentümlicher Art. Sie stammt zu nicht geringem Teil aus der Zeit, als der Boden, den jetzt die Stadt bedeckt, noch mit Urwald bestanden war. In den Gärten und in den öffentlichen Parks sind in großer Zahl Bäume aus der Urwaldszeit zu finden, wenn auch nicht sehr alte, denn die sehr alten sind überall unter dem Beil gefallen. Ja, auch ein Rest von der Kräuterflora des Urwaldes hat sich hier und da noch mitten in der Stadt erhalten. Eines Tages kam ich in einen ansehnlichen Garten, der selbst ein Urwaldsrest war; von anderen Gärten solcher Art aber unterschied er sich dadurch, daß ein Teil von ihm wild erhalten worden war und daß auf diesem Stück sich in den hundert Jahren des Bestehens der Stadt noch etwas von der ursprünglichen Kräuterflora erhalten hatte. Die Besitzerin des Grundstückes, eine liebenswürdige alte Dame, gestattete mir dort zu botanisieren, und freute sich mit mir über die Funde, die ich machte. Mit einem großen Strauß wilder Blumen verließ ich ihr reizendes Besitztum, in dem Strauß aber befand sich u. a. das schon einmal genannte Podophyllum, ferner die virginische Physalis, die eine nahe Verwandte unserer Judenkirsche oder Schlutte ist, und eine sehr eigenartige Uvularia.

Der andere Teil der wilden Flora Torontos besteht in Unkräutern, die sich auf wüsten Plätzen, an Zäunen und Straßenrändern, in wenig begangenen Straßen und in Gärten niedergelassen haben. Diese Unkräuter machen durchaus den Eindruck unserer heimischen Unkrautflora und sind ohne Zweifel mit den Europäern erst dahin gekommen, wo sie jetzt wuchern, wie auch wieder ein großer Teil unserer Ackerunkräuter und Schuttpflanzen zu uns mit der Kultur zusammen aus fremdem Lande gekommen ist. Auf einem wüsten Platz in Toronto fand ich den Stechapfel, der zu uns aus Asien – mit den Zigeunern, wie es heißt – eingewandert ist. Von Europa ist er dann über das große Wasser nach Amerika gekommen. Die Indianer nennen ihn die »Pflanze des weißen Mannes«. Vogelfutterpflanzen verwildern überall. Das Kanariengras, das auf den Canarischen Inseln heimisch ist, fand ich auf den Straßen Torontos, wie ich es früher, als Berlin noch Rinnsteine hatte, an einem Rinnstein in der Leipzigerstraße wachsend gefunden habe. Unser niedlicher Gundermann ist offenbar als Gartenpflanze in Toronto eingeführt und dann über die Gartenzäune gesprungen und wild geworden. Von unseren roten Lamiumarten oder Tauben Nesseln, die in Amerika ursprünglich nicht heimisch sind, haben sich ihrer drei dort heimisch gemacht, und dazu entdeckte ich in einem Garten in Toronto unsere gewöhnliche weiße Taube Nessel, von deren Anwesenheit noch nichts bekannt gewesen war. Wie sie dahin gekommen ist, wer kann das sagen? Es giebt Proletarierpflanzen, die aus fremden Landen kommen und überall leicht sich festzusetzen wissen. Eine solche ist die aus Peru stammende Galinsoga, die in Berlin überall in Vorgärten und auf den Balkons sogar, wo Blumen gezogen werden, als Unkraut zu finden ist. Nach Canada scheint sie noch nicht gekommen zu sein, in den greulich vernachlässigten Vorgärten auf dem Broadway in Neujork aber habe ich sie in großer Menge zusammen mit unserm Wegeblatt, dem »Fußtritt des weißen Mannes« aufgefunden. Drei solcher Proletarierpflanzen sind aus Canada nach Europa gekommen und dort gemein geworden: die Wasserpest (Eladea canadensis)i, das canadische Berufkraut (Erigeron canadensis) und der gelbblütige Sauerklee (Oxalis striata). Nur die zuletzt genannte dieser drei Pflanzen habe ich in Toronto gefunden und zwar in einem Garten, und sie dem Gartenbesitzer, bei dem ich zu Gast war, als eine Berliner Bekanntschaft vorgestellt. Er selbst hatte auf das Pflänzchen noch gar nicht geachtet.

Die zu der Stadt gehörenden Parks, alles Urwaldreste, bieten Gelegenheit, den einheimischen Baumbestand kennen zu lernen; Nadelholz und Laubholz von zahlreichen verschiedenen Arten, die den unseren ähnlich, aber nicht dieselben wie die unseren sind. So sind Eichen in einer ganzen Anzahl von Arten, von denen die scharlachrote Eiche bei uns häufig angepflanzt wird, eine Buche und eine Hagebuche, mehrere Birken, Ulmen und Pappeln, eine Erle und zahlreiche Weiden zu finden, alle etwas anders als diejenigen Arten, die bei uns denselben Baumgeschlechtern angehören. Für unsere vier deutschen Ahorne giebt es fünf andersgeartete canadische. Unserer deutschen Linde entspricht dort die amerikanische, die bass-wood, d. h. Bastholz genannt wird, wie denn auch unsere deutsche Linde ein Bast liefernder Baum ist. An nußtragendem Holz sind zwei Hasel- und drei walnußartige Bäume zu finden. Den wertvollsten Waldbestand aber bildet das Nadelholz, Tannen und Kiefern, darunter Pinus resinosa (Red pine), ein Baum erster Größe, von dem man gewaltige Stumpfe zu sehen bekommt. Die großen canadischen Nadelhölzer sind es, die zu der maßlosen Waldverwüstung Anlaß gegeben haben.

Manchen kleinen Ausflug habe ich in die Umgebung der Stadt und besonders nach den Parks gemacht und bin immer mit reichen Pflanzenschätzen zurückgekehrt. Einer der hübschesten Ausflüge war derjenige, den ich wenige Tage nach meiner Ankunft in Toronto mit meinem Schwiegersohn am Don-Flüßchen hinauf machte. Don wird dies Gewässer geschrieben, aber Dan ausgesprochen, wie denn die Canadier das o in einer großen Anzahl englischer Wörter geradezu wie a sprechen. Wir gingen zuerst zwischen den Schienen der kanadischen Pacific-Bahn hin und passierten dabei eine Brücke, die über eine tiefe Schlucht, in der unten das Wasser hinfließt, gespannt ist. Zu beiden Seiten der Bahn war der alte Hochwald niedergebrannt, wahrscheinlich durch Schuld der Lokomotiven, und zwischen den geschwärzten Stumpfen war junger Wald emporgewachsen. In diesem fanden wir allerhand Blühendes und beobachteten auch zwei canadische Vögel, die Katzendrossel (catbird) und einen Specht oder woodpecker. Hinter der Brücke stiegen wir in das Thal hinunter, in dem der kleine Fluß in reißender Strömung über Felsplatten hingeht. Zwischen den Ufern des Flüßchens und den steil aufsteigenden mit Wald bedeckten Thalwänden sind schöne natürliche Wiesen. Wo Wald und Wiese aneinandergrenzen, fanden wir eine Flora niedlicher Frühlingsblumen: blau und gelbe Veilchen, einen reizenden Phlox, der bei uns in Gärten gezogen wird, und auch zwei internationale Blumen aus dem Anemonengeschlecht, die ich noch wenige Tage vor meiner Abreise in der Umgegend von Berlin blühend gesehen hatte, das blaue Leberblümchen und die weiße Hainanemone wurden von uns angetroffen. Über die Wiesen, auf denen Vieh weidete, wanderten wir an dem Don-River hin, das war aber ohne einige Schwierigkeit nicht auszuführen. Damit das Vieh, das ohne alle Aufsicht war, sich nicht verliefe, hatten die Farmer der Gegend ihre einzelnen Weidegründe mit Stacheldraht eingehegt, und wenn wir weiter wollten, mußten wir immer aufs neue unter den Drähten weg oder zwischen ihnen durchschlüpfen. Ein wahres Glück, daß ich schon auf meinen Wanderungen in der Heimat es zu einiger Fertigkeit darin gebracht hatte, Stacheldrahtzäune zu nehmen, ich wäre sonst schwerlich mit heiler Haut und unzerrissenen Kleidern durchgekommen. Dann aber kam ein Hindernis, dem gegenüber ich versagen mußte. Von der Bergwand rieselte ein Bach herunter und floß durch aufgeweichten Thonboden in den Don. Aufgeweichter Thon ist nirgendwo angenehm für den Fußgänger, weder an der pommerschen Ostseeküste, noch in Unterfranken, noch in Canada. Bei einem Probeschritt sank ich mit dem Versuchsfuß augenblicklich so tief ein, daß ich den Fuß schleunigst zurückzog. Es war offenbar, daß ich, wenn ich weiter ginge, in dem nassen Thon spurlos verschwinden würde. Das sah denn auch mein Gefährte ein. Nun mußten wir entweder umkehren, oder uns an der steilen Thalwand so hoch hinaufarbeiten, daß wir auf festem Boden das Wässerchen überschreiten konnten. Wir wählten das letztere, und nach einer halsbrecherischen Kletterpartie gelang uns der Übergang. Dann schlugen wir uns durch den dichten jungen Urwald durch, der zum größten Teil aus Hemlocktannen bestand, und gelangten endlich ins Freie und an eine Farm. Vor dem Hause stand ein Mann mit Kindern, Menschen von auffallender Schönheit, wie man sie nicht selten in den Farmen dort wie bei uns in den einsam gelegenen Forsthäusern findet. Wir baten um Wasser zur Löschung unseres Durstes, denn es war ein sehr heißer Tag, erhielten es, tranken, bedankten uns und kehrten über weites offenes Gelände nach Toronto zurück.

Ich habe viele Pflanzen in Canada gesammelt und einen Teil von ihnen dort bereits bestimmt. Die übrigen nahm ich nach meiner Heimkehr in die Botanische Gesellschaft mit, wo verschiedene davon mir bestimmt wurden, aber nicht alle.

Sieh, da halfest du mir, ehrwürdiger Pfarrer von Böhne,

der du mit deiner unsäglichen, bewundernswerten Pflanzenkenntnis alles zu bestimmen und zu benennen weißt, mag es auch noch so weit von Böhne bei Rathenow gewachsen sein. Zu dir brachte ich die für mich noch namenlos gebliebenen Kinder der canadischen Flora. Die meisten benanntest du mir sofort, die übrigen brachtest du mir kurze Zeit darauf sicher und richtig bestimmt nach Berlin. Dazu gehörten die vier von mir mitgebrachten canadischen Bacccinien oder Blaubeerarten, die auch ein tüchtiger Botaniker von Fach nicht gar so leicht auseinanderkennen wird.


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