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XIII. Auf den Seen von Kawartha

Die Seen von Kawartha im Norden des großen Ontariosees sind zuerst am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts von dem Franzosen Champlain, dem Gründer Quebecs, befahren worden. Champlain besuchte diese Gegenden, um mit indianischen Pelzjägern Verbindungen anzuknüpfen. Indianer und Pelztiere hausten damals dort noch in Menge. Nun ist längst an den Seen von Kawartha die Kultur eingezogen, viele Bewohner der benachbarten kleinen Städte im Süden und Osten haben sich an den Seeufern Landhäuser gebaut, um in der köstlich frischen Luft zwischen Wald und Wasser die heißeste Zeit des Sommers zuzubringen, und auf dem Wasser selbst herrscht in der guten Jahreszeit ein regelmäßiger Dampfschiffsverkehr. Alle diese Seen sind miteinander verbunden durch Stromschnellen oder Fälle, die zur Ermöglichung der Schiffahrt mittelst Schleusen umgangen werden. Die drei Dampfschiffe, die den Verkehr besorgen, heißen »Esturion«, »Manita« und »Ogemah«. Um die Zeit, da die Irokesen mit den Huronen im Kriege lagen, verliebte sich ein junger Irokesenhäuptling Ogemah in Manita, die Tochter des Huronenhäuptlings. Das konnte natürlich nur ein unglückliches Ende nehmen und nahm auch ein solches: »Sie mußten beide sterben, sie hatten sich viel zu lieb.« Ogemah wurde meuchlings von einem Nebenbuhler aus dem Huronenstamm ermordet, worauf Manita sich selbst den Tod gab. Die beiden Liebenden sind am Seeufer von Sturgeon Point begraben, das in der Indianersprache »Namasahgaegua« heißt. William Mc Donell hat daraus ein rührendes Gedicht »Manita« gemacht.

Eines der oben genannten Schiffe wurde uns von seinen Besitzern für die Fahrt auf den Seen zur alleinigen Benutzung überlassen, ohne daß eine Entschädigung dafür verlangt wurde. Man ist Fremden gegenüber drüben in solchen Dingen von einer Höflichkeit und Zuvorkommenheit, die alles Lobes würdig ist und nachgeahmt zu werden verdient. Wir traten die Fahrt von Sturgeon Point am Sturgeon Lake an, wohin mein Begleiter und ich am Ende unserer Wanderung durch die wilden Wälder gelangten und wo wir mit unseren Frauen und der Lindsayer Freundschaft zusammen trafen. Für uns, die das viertägige Wandern ermüdet hatte, war diese Wasserfahrt gerade das Rechte, uns in angenehmster Weise Erholung zu bieten. Ehe wir aber abfuhren, hatte ich noch den Genuß einer Canoefahrt. Bei uns war ein Studiosus der Theologie aus Lindsay, von schottischer Abkunft, ein hochgewachsener starker junger Mann, der in Sturgeon Point ein Canoe hatte, keines von solchen, wie sie jetzt massenhaft in Fabriken hergestellt werden, sondern ein altes indianisches aus Birkenrinde. Das hatte er seit dem vergangenen Sommer nicht gebraucht, er sah es sich zuerst genau an, und als er einige Löcher darin fand, ging er ans Werk, es mit Hilfe eines Stückes Harz und einer glühenden Kohle zu dichten. Als er mit dieser Arbeit fertig war, fragte ich ihn: »Ist es nun ganz dicht?« »Ich denke,« erwiderte er. Darauf hob er das Boot auf, stülpte es sich wie einen Hut über den Kopf, trug es nach dem Ufer hinunter und setzte es ins Wasser. Dann stiegen wir ein. Er hatte für mich mittels eines Brettchens einen kleinen Sitz hergerichtet, er selbst kniete, während er das Ruder führte, auf dem Boden des Canoes. So fuhr er mich eine halbe Stunde auf dem herrlichen See umher und bereitete mir dadurch ein großes Vergnügen. Einige Schwierigkeit machte nur nachher das Anlanden an dem steilen Ufer. Bei dem Übertritte aus dem federleichten Fahrzeug auf das Land läuft man Gefahr, alles Feste unter den Füßen zu verlieren und fällt dann vielleicht in das Wasser, was zwar kein großes Unglück ist, aber doch einige Weitläufigkeiten verursacht.

Das steinige Seeufer, an das der Wald dicht herantritt, war mit mannigfachen Blumen geschmückt, unter denen auch die große weiße Winde unserer Heimat sich befand. Zwischen den harmlosen Blumen aber standen viele blühende Exemplare des berüchtigten Gift-Sumachs, den nur zu berühren schon für manche Menschen, nicht für alle, empfindliche Folgen hat. Da ich nicht wußte, wie er sich mir oder ich mich ihm gegenüber verhalten würde, so zog ich mir, ehe ich ihn für mein Herbarium einheimste, Handschuhe an, und das war das erste und einzige Mal, daß ich während meines Aufenthaltes auf der anderen Seite des großen Wassers überhaupt Handschuhe anzog.

Am späteren Nachmittag brachen wir, unser sieben im ganzen, auf und fuhren in nordöstlicher Richtung über das schöne Wasser hin. Am Abend erreichten wir die erste Schleuse und damit Bobcaygeon, das aus einer Insel zwischen dem Sturgeon- und dem Pigeon-See gelegen ist. Bobcaygeon ist ein Dorf, das aus Gehöften und zahlreichen für Sommerfrischler eingerichteten Quartieren besteht. Es wird auch gern von den Camping-Gängern und von den Freunden des Angelsports besucht, die hier reiche Beute finden. Ich hörte erzählen, daß eine Lady und ein Gentleman, als sie abends vom Fischen nach dem Hotel zurückkehrten, nicht weniger als fünfundzwanzig Barsche mitbrachten, von denen mancher fünf Pfund wog, und dazu zwei große Hechte – jeder zweiundzwanzig Pfund schwer – von der Art, die drüben »Maskinonge« genannt wird. In solchen Sommerfrischen ist es billig leben, selbst für eine große Familie. Wir kehrten in einen vortrefflichen Gasthof ein, wo wir gute Gesellschaft fanden. Nach dem Abendessen saßen wir noch in bester Unterhaltung während eines schweren Gewitters draußen auf der Veranda. Endlich wurden die Damen durch einen niederfallenden Kugelblitz in die Zimmer zurückgescheucht, und bald folgten die Männer ihnen nach.

Am anderen Morgen fuhren wir bei schönem Wetter, nachdem die Schleuse passiert war, zuerst über den Pigeon-Lake und kamen in einsamere Gegend hinein, der es aber auch nicht an Reiz fehlte. Wasser und Wald, allerhand Vogelvolk, das sich zeigte, und unsere eigene gute Stimmung sorgten schon für Unterhaltung. So gelangten wir aus dem Pigeon-Lake in den Buckhorn-Lake und nachdem wir diesen, in dem zahlreiche Inseln liegen, durchfahren hatten, an die zweite, die Buckhorn-Schleuse. An dieser liegen einander gegenüber Buckhorn und Halls Bridge, letzteres nach der Brücke genannt, die hier über das Wasser geht. In Buckhorn, wo wir ans Land stiegen, fanden wir eine Gesellschaft von Flößern, die sich ein Zelt gebaut hatten und, da es auf Mittag ging, gerade beim Essen waren. Als wir von ihnen als Fremde erkannt waren, wurden wir freundlichst zum Mitessen eingeladen und kosteten gern von ihren Speisen. Sie hatten gebratenes Fleisch, weiße schmackhaft zubereitete Bohnen, Kartoffeln, ausgezeichneten Pudding mit großen Rosinen, Weißbrot und zum Getränk Thee mit Zucker. Ich mußte an die armen Flissaken auf der Weichsel in meiner Heimat denken. Was für Augen würden die wohl zu Weißbrot und Pudding mit großen Rosinen machen! Sie würden wohl fragen, wo der König säße, an dessen Tafel sie gekommen wären. Als wir weiterfuhren, bekamen wir ein Holzfloß zu sehen, wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf, da es sich um etwas handelt, das sich von unseren norddeutschen wie süddeutschen Flößen wesentlich unterscheidet. Bei uns werden die Baumstämme fest miteinander zu »Traften« verbunden, wie wir bei mir zu Hause sagen, auf den Seen von Kawartha aber liegen sie im Wasser lose bei einander. Sie werden wie bei uns im Winter gefällt und dann in Logs nach den größeren Gewässern hinuntergeschafft, wo sie zunächst der Strömung und dem Winde überlassen bleiben. Endlich aber müssen sie zum Behuf ihrer Verarbeitung doch an einen bestimmten Platz geschafft werden, und das geschieht auf folgende Weise. Sie werden mit einer Einfassung oder einem Kranz von Stämmen umgeben, die durch Ketten miteinander verbunden sind. Die Enden dieser Einfassung werden dann auf einem kleinen Dampfboot vereinigt, das dadurch in Stand gesetzt wird, das Ganze zusammenzuziehen und fortzubewegen. Auf solch ein durch verkettete Baumstämme eingefaßtes schwimmendes Holzlager stießen wir, nachdem wir Buckhorn verlassen hatten, und unser Schiffsführer geriet in Verlegenheit, weil er nicht daran vorbeizukommen wußte. Es wurde viel hin- und hergerufen und verhandelt und versucht, uns Platz zu machen. Ich hatte aber dabei Gelegenheit zu bemerken, daß die canadischen Flößer mit derselben Sicherheit und Leichtigkeit auf den im Wasser liegenden Baumstämmen umherliefen, wie es unsere polnischen Flößer auf der Weichsel thun. Freilich bedienen sie sich eines Bootshakens als Balancierstange dabei. Endlich verlor unser Kapitän die Geduld und ging außerhalb des eigentlichen Fahrwassers an den Floßhölzern vorbei, langsam und vorsichtig, der vielen Klippen wegen. Er fand sich aber glücklich durch und am Nachmittag erreichten wir die Lovesick-Schleuse und Burleigh Falls, wo wir unser Dinner einnahmen.

Burleigh Falls ist vielleicht der reizendste Platz, den ich überhaupt auf der bewohnten Erde gesehen habe, abgesehen natürlich von einigen in der Nähe Danzigs gelegenen Orten. Das Wort Falls deutet schon darauf hin, was dort die Hauptsehenswürdigkeit ist, der Wasserfall, der zwar nicht sehr hoch ist, aber eine Fülle von Wasser hat und mit außerordentlicher Gewalt über die Klippen heruntergeschäumt kommt. Am besten ist er von dem Ufer gegenüber Burleigh Falls zu betrachten, zu dem eine Brücke führt. Dort stand ich lange Zeit auf den Granitblöcken am Ufer – es tritt hier plötzlich Granit an die Stelle des Kalksteins – und weidete meine Augen an dem wundervollen Anblick, den das herabstürzende Wasser gewährte. Oben aber an dem Wasserfall stand der lange Schotte und rollte ganz respektable Baumstämme in den Gischt hinunter, in dem sie verschwanden. Schöne Blumen fand ich dort, darunter die wilde Waldlilie oder rote Lilie, die unserer Feuerlilie ähnlich sieht, und manches Interessante aus der Familie der Heidelbeergewächse, an denen die nordamerikanische Flora so reich ist. Auf dem Rückwege nach dem Gasthof in Burleigh Falls begegnete ich einem Indianer, der europäisch gekleidet war, aber in Hautfarbe und Gesichtsbildung unverkennbar den Indianertypus zeigte, und kam mit ihm in Gespräch. Er war getauft, hieß Richard Cornelius und trug mir seinen Namen mit durchaus leserlichen Zügen in mein Taschenbuch ein. Seines Zeichens war er Frogcatcher, d. h. Froschfänger, und hatte von der Froschfängerei sein gutes Auskommen. Er war aber nicht ganz zufrieden damit und äußerte, er könnte seine Frösche wohl noch besser in den Vereinigten Staaten los werden, wo die Leute mehr Geld hätten als in Canada. Die Liebhaberei für Froschbraten haben wohl die Franzosen nach Amerika gebracht. Frösche sind dort als Speise sehr beliebt, auch in Toronto sah ich sie in vielen Läden liegen, und zwar die ganzen abgehäuteten Wasserpatscher, doch vermute ich, daß auch dort nur ihre Schenkel oder Keulen gegessen werden.

Mit Richard Cornelius begab ich mich an die Bar des Hotels, um ihm ein Glas Bier geben zu lassen, und er bekam dort auch etwas, das wie Bier aussah, in der That aber kein richtiges Bier war. Es war das sogenannte Ginger- oder Ingwerbier, das ein alkoholfreies Getränk ist. In Canada ist es den Wirten bei hoher Strafe verboten, den Rothäuten irgend ein alkoholisches Getränk zu verabreichen. Den weißen Männern aber dürfen sie so viel Gin oder Whisky geben, als sie haben wollen – vorausgesetzt, daß sie auch bezahlen können – oft bis sie umfallen und nicht mehr zu reden im stande sind. Dieser Cornelius aber, der ein nüchterner Mensch, ein geschickter Froschfänger und ein guter Geschäftsmann war, zeigt, wie leicht sich die Indianer civilisieren lassen, ohne dabei zu verderben. Den Beweis dafür liefern außer ihm viele andere. An den Kawartha-Seen wie in anderen Gegenden des Landes hat die canadische Regierung Niederlassungen von Indianern gegründet, die sich friedlich nähren und den Gesetzen gehorchen. Davon aber darf man mit den Yankees nicht reden, die behaupten, daß die Indianer wie schädliche Tiere ausgerottet werden müssen, und leider auch danach handeln.

Bei seiner entzückenden Lage ist auch Burleigh Falls ein Ort geworden, der von Sommerfrischlern und Ausflüglern gern aufgesucht wird. Es muß sich sehr angenehm dort eine Zeit lang leben lassen. Das Wasser ist, wie ich hörte, noch voller Fische, und im Walde giebt es wohl auch noch etwas Wild. In der Veranda des Hotels fand ich das neue canadische Wildschongesetz angeschlagen, das erst im Jahre vorher erlassen worden war zu dem Zweck, die gänzliche Ausrottung des Wildes im Norden des Landes – im Süden ist es schon ausgerottet – zu verhindern. In diesem Gesetz ist bestimmt, wie viele Moosetiere, Hirsche, Elche und Renntiere ein Jäger im Laufe der Saison erlegen darf, nämlich nicht mehr als zwei Stück. Von dem Biber ist nicht die Rede. Es folgt dann die Bestimmung über insektenfressende Vögel, die niemand fangen oder töten, verkaufen oder besitzen soll. Jeder Art von Verfolgung preisgegeben werden der Habicht, die Krähe, der Blackbird und der englische d. h. europäische Sperling. Dies Gesetz ist ja sehr gut, aber in dem ungeheueren, zum größten Teil überaus schwach bevölkerten Territorium, für das es erlassen ist, dürfte es nicht leicht sein, ihm Geltung und Beachtung zu verschaffen. Immerhin zeugt es davon, daß man auch in Canada anfängt, an die Schonung der heimischen Tierwelt zu denken. Auch an die Schonung der heimischen Pflanzenwelt wird gedacht. Im Norden von Ontario soll ein Quadrat unberührten Waldes in Seitenlänge von fünfzig englischen Meilen als Nationalpark reserviert werden. Wenn nur nicht um die Zeit, wo diese Bestimmung zur Ausführung gebracht werden soll, der Wald schon umgehauen ist!

Als wir zu Mittag gegessen, im Freien uns vergnügt und an der wunderbaren Landschaft uns erfreut hatten, wurden wir durch unsere »Manita«, die unten im Wasser lag, abgerufen. Wir stiegen von dem Granithügel hinunter, auf dem das Gasthaus steht, begaben uns an Bord und fuhren nun in den Stony Lake hinein, der reich an kleinen und größeren Inseln ist – es sind ihrer, glaube ich, achthundert oder noch mehr. Auf einigen waren hübsche Landhäuser zu sehen, auf anderen bescheidene Bootshäuschen, denn es blüht dort Wassersport aller Art. Gegen Abend kamen wir an die letzte Schleuse, die von Youngs Point, und es schien fast, als sollten wir nicht hineinkommen, denn davor lag im Wasser ein gewaltiger Baumstamm. Da waren aber schon zwei von unserer Mannschaft mit einer langen Säge auf den Baumstamm gesprungen und hatten ihn im Nu durchgesägt, so daß unser Schiff zwischen den beiden Hälften weiterfahren konnte. Daun fuhren wir auf schmalerem Wasser bis Lakefield, wo wir die »Manita« verließen. In Lakefield nahmen wir uns einen Wagen, der uns nach Peterborough brachte, und begaben uns von dort auf der Bahn nach Lindsay. Unsere Lindsayer Freunde hatten uns eingeladen, ein paar Tage dort bei ihnen in ihrem Heim zuzubringen, und gern sind wir der freundlichen Einladung gefolgt.


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