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XI. Montreal

Es war ein Mißgeschick für uns, daß das Hunger- und Durstschiff »Persia« erst am späten Abend in Toronto die Anker gelichtet hatte. Dadurch verloren wir einen ganzen Tag und behielten zur Besichtigung von Montreal, wozu zwei Tage vorgesehen waren, nur einen Tag, von einem Abend zum anderen. Diesen Tag mußten wir nun ausnutzen, so gut es möglich war. Zunächst nahmen wir uns ein Cab und hatten das Glück, als Lenker desselben einen Mann zu erwischen, der seiner Physiognomie nach unzweifelhaft indianischer Abkunft war. Dieser Abkömmling der Irokesen oder Huronen war übrigens ein guter Rosselenker und außerdem vertraut mit dem Wert des Geldes. Er landete uns nach unserem Wunsch an den »Roman Baths«, einem Hotel, in dem wir uns sehr wohl aufgehoben fühlten. Wir waren kaum dort angelangt, da schlug auch zu unserer großen Freude schon die Stunde des späten Mittagessens, das in einem hübschen geräumigen Saal an kleinen Tischen eingenommen wurde. Alles war in hohem Grade sauber und nett, das konnte aber besonders gesagt werden von der Bedienung, ausschließlich jungen Frauenzimmern, die, einfach aber hübsch gekleidet und überaus bescheidenen Wesens zwischen den einzelnen Tischen sich hin- und herbewegten, unhörbar leise wie Abendfalter. Es gab allerhand Gutes zu essen, und ein Gang bestand in Pastinak – es mußte noch vorjähriger sein – der in ganzen Wurzeln auf eine gewisse Art gebacken aufgetragen wurde. Ich fand ihn nicht schlecht schmeckend, wenn ich auch die westpreußische Art der Pastinakzubereitung der canadischen vorziehe. Zu trinken gab es, vom Wasser abgesehen, nur Kaffee oder Thee, zwischen denen man die Wahl hatte. Man brauchte aber auch gar nichts zu trinken, und die in dieser Beziehung dort drüben waltende Freiheit ist mir bedeutend lieber als der bei uns in schlechten Tischweingegenden waltende Weinzwang.

Nach dem Essen, als schon Licht angezündet war, wanderten wir eine Zeit lang in der Stadt umher. Die Straßen waren belebt, die Läden noch offen, und so gewannen wir noch ein Bild von der Hauptstadt der Provinz Quebec und des französischen Teils von Canada.

Montreal macht einen durchaus anderen Eindruck als Toronto. Dieses hat trotz seiner Größe doch etwas von einer Landstadt, dagegen fühlt man in Montreal sogleich, daß man sich an einem bedeutenden Geschäfts- und Handelsplatz befindet. Ein solcher ist Montreal, ja man kann es wohl eine Seestadt nennen, denn durch den gewaltigen Lorenzstrom ist es dem direkten Seeverkehr geöffnet und steht durch verschiedene Dampferlinien in Verbindung mit den großen Hafenplätzen der Alten Welt, Hamburg, Liverpool und Antwerpen. Wohl nicht so groß an Umfang wie Toronto, weil nicht so weitläufig angelegt, ist es an Einwohnerzahl größer und ist die größte Stadt Canadas. Zur Zeit hat es etwa 250 000, mit den Vorstädten 350 000 Einwohner. Davon sind mehr als die Hälfte Franzosen, die übrigen Iren, Engländer und Schotten, Schotten weitaus in der Mehrzahl. Andere Nationalitäten sind in der Stadt so schwach vertreten, daß sie nicht in Betracht kommen. Zu drei Vierteln gehören die Bewohner dem katholischen Glaubensbekenntnis an. Der Osten der Stadt wird hauptsächlich von Franzosen, der Westen von Briten bewohnt, in dem einen Teil sind die Straßennamen französisch, in dem anderen englisch.

Gegen Toronto ist Montreal eine alte Stadt. Gegründet wurde es 1642 von Maisonneuve (eigentlich Paul de Chomedy Sieur de Maisonneuve), nachdem 1608 Quebec gegründet war. 1672 war Montreal noch ein Städtchen von vielleicht 2000 Einwohnern, umgeben von einem Palissadenzaun von fünfzehn Fuß Höhe zur Abwehr räuberischer Indianer. 1759 im englisch-französischen Kolonialkrieg wurde Quebec von den Engländern genommen, nachdem in einer für England günstigen Schlacht die Heerführer beider Teile, der französische General Montcalm und der tapfere englische General Wolfe gefallen waren. Ein Jahr darauf fiel auch Montreal an England. Sieht man sich den Plan von Montreal an, so fällt einem alsbald auf, daß es nicht so regelmäßig karriert ist wie die neuen amerikanischen Städte. Das alte Montreal, das den Hauptgeschäftsteil umfaßt, hat enge und winkelige Straßen; es macht, möchte man sagen, einen europäischen Eindruck.

An dem Tage, an dem wir in Montreal ankamen, war auch dorthin die Nachricht von der Einnahme Pretorias gelangt, von dem Siegesrausch aber, der Toronto an jenem Tage vorübergehend um alle Besinnung gebracht hatte, war dort am Ufer des Lorenzstromes nichts zu merken. Kaum war in einigen Schaufenstern etwas, das auf den fabelhaften Erfolg hindeutete, und daran war ohne Zweifel die französische Majorität der Einwohnerschaft schuld. Gute britische Unterthanen waren diese Franzosen gewiß auch, aber die Unterjochung eines freien Volkes durch die Engländer wollten sie doch nicht mitfeiern, dazu war das französische Canada noch nicht lange genug unter englischer Herrschaft. Ja, es war ihnen auch nicht recht gewesen, daß Canada der englischen Regierung im Transvaalkrieg mit einem Freiwilligenkorps zu Hilfe gekommen war. Dabei ist das Merkwürdige, daß der wichtigste Beamte im Dominium von Canada, der Premierminister, ein Franzose ist, allerdings ein englisch gesinnter Franzose. Laurier heißt er, seine Landsleute aber finden nicht, daß er Lorbeeren verdient.

In einer Straße fanden wir viele Menschen zusammenstehend, sie hatten sich aber nicht versammelt, um den unerhörten Erfolg der englischen Waffen zu feiern, sondern um etwas zu sehen, das wirklich sehenswert war. Auf der Straße hatte sich ein Mann mit einem photographischen Projektionsapparat postiert und warf auf die Mauer eines Gebäudes unablässig Bilder, deren jedes auf eine Reklame für eines der Geschäfte der Stadt hinauslief. Eine derartige Reklame war mir noch nicht vorgekommen. Ich vermute, daß sie neuerdings erst in den Vereinigten Staaten erfunden und von dort nach Canada importiert ist.

Am andern Morgen holten wir mit einem Cab eine englische Dame ab, der wir empfohlen waren und die uns als Führerin dienen sollte. Mit dieser ging es zunächst durch die Vorstädte nach dem Berge hinauf, dem Mont oder Mount Royal, von dem die Stadt ihren Namen hat. Es ist ein recht ansehnlicher Berg von 230 m Höhe über der See. Man kann auch mit einem »Elevator« hinaufgelangen, der in gerader Linie zum Gipfel hinaufführt, wir zogen es aber vor, die Höhe im Wagen auf Schlangenlinien zu gewinnen, um uns in Ruhe an der schönen Landschaft erfreuen zu können, die noch mit allen Reizen des Frühlings geschmückt war. Schön war die Fahrt durch den Wald oder Park vielmehr, der den Berg bedeckt bis oben hin und hie und da mit gärtnerischen Anlagen geziert ist. Wir fuhren nur langsam der Steigung wegen, und wenn ich vom Wagen aus am Waldrande etwas blühen sah, das ich noch nicht kannte, stieg ich ab und holte es. Oben auf dem »Mount« oder »Mountain« findet man Ruhebänke und ein paar Pavillons. Man kann Erfrischungen erhalten und Photographien sowie Andenken aller Art einhandeln, die in einer etwas aufdringlichen Weise angeboten werden. Man hat einen schönen Blick auf die Stadt und ihre Umgebung und sieht, wie die Stadt liegt auf einer Insel am Lorenzstrom, die durch die beiden Mündungsarme des Flusses Ottawa gebildet wird. Das einzig Störende in dem schönen Bilde war die schwarze Rauchwolke, die stets über dem Hafenteil der Stadt zusammengeballt liegt. Das aber ist ja dasselbe überall. Ach, wie sehr verunziert schon der Rauch eines einzigen Fabrikschornsteins eine herrliche Rheinlandschaft, und wie viel schöner als jetzt war unsere Ostsee einmal, als noch nicht über ihr der Rauch der Dampfboote meilenweit sich hinzog!

Nachdem wir oben uns an der Aussicht erfreut hatten, ging es wieder bergab und dann kreuz und quer in der Stadt herum. Vor Sehenswürdigkeiten wurde Halt gemacht, ausgestiegen und beaugenscheinigt. Das geschah vor dem Denkmal von Maisonneuve, vor der Universität, dem Rathaus, dem Hauptpostamt und anderen öffentlichen Gebäuden, von denen ich nichts behalten habe. Im Gedächtnis geblieben sind mir nur zwei Kirchen, die eine wegen ihrer Schönheit, die andere, weil ich sie nicht schön fand. Die schöne ist die Notre Dame-Kirche, in gotischem Stil erbaut und wahrhaft prächtig. In ihrem Innern findet man viele Bildsäulen der Jungfrau Maria, wie es ja natürlich ist in einer Kirche, deren französischem Namen die deutsche Benennung »Liebfrauen-« oder auch einfach »Frauenkirche« entspricht. Vor einem dieser Bildwerke stand ein schöner Blumenstrauß und darunter war auf einer Tafel in französischer Sprache zu lesen: »Sei gegrüßt, schöner Monat der Maria!« Das bezog sich noch auf den Mai, der als der lieblichste aller Monate der lieblichsten aller Frauen geweiht ist und darum auch Marienmonat heißt. Die andere Kirche, die mir nicht gefiel, ist die St. Peters-Kathedrale, eine getreue Nachbildung der St. Peterskirche zu Rom im kleinen. An dieser Kirche kann man sehen, wie gefährlich und wie verfehlt es ist ein solches gewaltiges Bauwerk en miniature zu wiederholen. Es kommt nichts dabei heraus, was imponieren oder erfreuen kann.

Etwas ermüdet kehrten wir, nachdem wir unsere liebenswürdige Führerin abgesetzt und uns bei ihr bedankt hatten, nach den »Roman Baths« zurück. Vor dem Lunch ging ich dann noch aus und kaufte Maiglöckchen, die ich im Vorbeifahren in einem Blumenladen bemerkt hatte. Sie sind in Canada wie in ganz Amerika nur Gartenblumen, wild kommen sie nicht vor, und das muß ich doch sagen: man kann sie in der Frühlingslandschaft nicht gut entbehren. Sie fehlen einem ebenso sehr wie auf dem Wiesengrün die Maßliebchen, die auch in der Neuen Welt nicht zu Hause sind. Der grüne Teppich ist ja auch ohne sie schön, und doch kommt es einem vor, als wäre er nicht ganz fertig, als wäre es vergessen worden, die Maßliebchen oder Marienblümchen, wie sie in meiner Heimat heißen, hineinzusticken.

Nach dem Lunch ruhten wir ein wenig, und dann war es auch Zeit, nach der »Persia«, die im Hafen lag und Ladung einnahm, sich zu begeben. Das thaten wir, machten aber vorher in der Stadt noch einige Einkäufe: wir kauften Früchte, Backwaren und auch einen kleinen Posten von rotem canadischem Weine ein. Alles das nahmen wir mit auf das Schiff. Lieber Himmel, wir konnten ja die Schiffsverwaltung nicht betrügen, denn Essen und Trinken auf dem Schiff war schon bezahlt von uns, trotzdem konnte ich mich, als wir über das Brett gingen, das vom Kai aus nach dem Schiff gelegt war, des Gedankens nicht erwehren, daß wir etwas einschmuggeln wollten, und eine leise Furcht beschlich mich, das Brett könne unter uns zusammenbrechen. Aber das Brett hielt. Darauf wurde in der Kabine ein verschwiegenes Speisekämmerlein und ein heimlicher kleiner Weinkeller angelegt. Das war sehr angenehm, so oft ich aber dabei ging und einen Schluck roten »Canadian« nahm, regte sich in mir doch etwas das Gewissen und ich dachte bei mir: Wenn der Kapitän dahinter kommt, wie wird er dich dann erst strafend ansehen! Ich glaube, er ist nicht dahintergekommen, in jedem Fall aber hatten wir eine gute Fahrt. Am Freitag, dem 1. Juni, abends verließen wir den Hafen von Montreal und erreichten am Sonntag um Sonnenuntergang – es war aber ein wundervoller Sonnenuntergang – glücklich Toronto.


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