Albert Trentini
Goethe
Albert Trentini

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»Ich habe,« sagte Goethe nach dieser Nacht in der Morgenfrühe des borghesischen Gartens zum buckligen Checchino, »gestern einen Mann getroffen, der mich für Zeit und Ewigkeit verdammt hat. Was sagst du?«

Der Checchino war Gärtner im Kloster auf der Trinità und Gärtner bei Angelica; er kannte ihn gut. Im borghesischen Garten hatten die Franziskaner drei Freibeete: eines mit Artischocken, eines mit Spargel und eines mit Erdbeeren. In diesen Beeten arbeitete Checchino. Er war ein Zwerg, hatte einen Dromedarhöcker, spitzigen Kopf und grauen Ziegenbart. Niemals ging er ohne braunen Frack mit Knöpfen, die das Wappen der Lambertini trugen, und niemals, ohne die schmierigen Strümpfe unterhalb der Hosenschnallen mit dreifarbigen Bändern zugebunden zu haben, die den Boden schleiften.

»Checchino, also? Hm? Was sagst du?«

Umständlich humpelte der Zwerg aus seinem Beet heran. Im Grase, seitlich vom Platze, worauf Goethe saß, lag ein Heft. »Schreiben Sie?«

»Nichts,« lächelte Goethe.

»Zeichnen?«

»Auch nicht.«

Mit gespreizten Beinen stellte sich Checchino vor ihm auf. Gierig zielte das kleine Verbrecherauge in das heitere, große. »Sagt,« krächzte er endlich, lauernd, »was macht Ihr mit Eurem Leben?«

»Du! Ist's eine Nachtigall, die da singt?«

»Amsel!« antwortete der Krüppel, ohne sich zu rühren. »Los also: was macht Ihr mit Euerem Leben?«

Ist die gesamte Menschheit in diesem häßlichen Zwergleib eingewachsen? Schaut mir aus ihm die ganze Welt ins Auge? Der Himmel aller Erden aus dem Himmel über diesen Pinien auf mich nieder? Und aus den Halmen, steigt mir aus den Halmen auf das Lied von aller Erde in die Brust? Der nie erfragte Sinn von allem, was da schafft in dunklem Drang? Und pocht? Und pocht?

Woran?

»Glaubt Ihr an Gott? Sagt! Schnell!«

Ja! Alles pocht! Ja, alles pocht! Woran jedoch?

»An den Teufel?«

Mir braust ein Meer im Grund des Herzens drin. Und wer's vermag, mit seinem Pochen den Damm zu sprengen, der dies Meer noch hält, – dem springen Fluten . . .

»An nichts?«

. . . Flut, Fluten, Bäche, Ströme, rot vom Blut der Menschheit, Glut der Himmel, Mark der Erde, Mut der Geister! »Sag: pochst du, Checchino?«

»Sagt Ihr!« Vertraulich beugte sich der Zwerg zu ihm herab. Sein Atem stank. Die Kleider stanken. Auch das Gemüt roch zweifelhaft. »Was ist denn nach dem Tode? – Beichtet Ihr?«

Diese Amsel sang. Pocht diese Amsel? Wird die Welt geboren?

Wie ein Kind, auf dessen Leib der Kopf des Riesen sitzt, dem alles Schwarze und Weiße bis ins Letzte schon bekannt ist, lehnte sich Checchino an die fremden Kniee. Frechheit im gespitzten Auge; schnell drauf, im angstvoll aufgerissenen Auge, Bangnis. »Ich – fürchte mich!« Dumm tat der breite Mund sich auf, verleugnete mit ungeschickten Zähnen das gewitzte Auge. »Hie und da entsetzlich! Wenn ich dem Pater Benedictus beichte, – das ist nichts! Einem Lumpen, der jede Sünde wider den heiligen Geist getan hat, müßte man beichten! Luzifer selber, – wenn dieses Luder von einem Teufel einen noch einmal ausließe! Hört!« Den Spitzkopf schief erhoben, blinzelte er mit unverschämten Lidern. »Ihr, mein' ich, kennt Euch aus? Magie, Kabbala, Satan, Blutpapier?«

Gewiß! Die Welt ist schön gebaut! pries Goethes großes Auge, aufhorchend andachtvoll dem ungestümen Laut, der aus den Pinien, Eichenkronen, den Himmelsflügeln, Strahl im Waldgewirk, der fernen Villa, Blumen, Duft und Frühe ganz in sein Herz herein, aus seinem lichtgewordenen Sinn in alle Welt hinaussang. »Groß gebaut! Apoll: ein schönes Werk. Die Transfiguration: ein großes Werk. Die Messe Palestrinas: ein hohes Werk. Der Zwerg jedoch vor mir: ein Wunder! Wer aber, dem im Kern von seinem Wesen das Wesen aller dieser Werke pocht, muß nicht Herr, Meister werden wollen über alle sie? Ein Nehmer, Zwinger, Schlinger und Verzehrer aller . . .«

Faust?

»Siehst du, Checchino,« sagte er, – jetzt war der Damm gesprengt, es flutete das Meer! – »es gibt zwei Arten großer Existenzen. Die eine will, was ist, in ihr versammeln, um es verneinend zu vernichten. Die andere: es in ihr zusammenpacken, um höchst gemäßen Sinn daraus zu formen. Aufs eine oder andere kommt es an, – dem Teufel gegenüber!«

Checchino aber war hartnäckig. »Läßt Euch, wird Euch der Teufel je noch lassen? Dieses sagt! Denn eines hab ich lange schon heraußen.« Noch näher, stinkender, ausnahmslos irdisch trotz dem Brand in seinem Auge, winkte er Goethen. »Verwandte riechen sich. Ihr habt es mit dem Teufel!«

»Hm,« lachte Goethe.

»Wird er Euch jemals wieder lassen?«

Mutwillig schüttelte Goethe das Haupt. »Er soll es gar nicht, eh ich ihn nicht lasse!«

»Jesus, Maria!« Wie Schlamm im Donner zitterte der schlechte Leib. »Und wenn Ihr – abberufen werdet, eh Ihr ihn gelassen?«

Der Lächelnde ergriff den Halm, der ihm am nächsten wuchs. Unschuldige Welt! Ein süßes Licht brach aus dem Halm: ich bin! Ein heller Schimmer goß sich aus der Scholle aufwärts: ich werde! Ein Chor von liebevollen Vögeln taute nieder aus dem Himmel, troff durch die Pinienbüschel, rechtfertigte den sanften Prunk der fernen Villa, die grüne Wiesenbreite, die roten Stämme, das zwiegespaltne Menschenherz im wüsten Leib – und seines, und verkündete: und werde sein! »Du fassest es falsch auf, Checchino,« sagte er gütig und drückte mild die mißgeformte Hand. »Von deinen Sünden lösen kann dich auch kein Gott! Das kannst nur du allein! Treib dir den Teufel selber aus, wenn dir schon graut vor ihm! Mir graut noch nicht.«

»Warum noch nicht?«

»Treib dir ihn aus!«

»Womit?« In atemloser Gier kam es heraus. »Womit?«

Den Arm streckte Goethe aus ins Grüne, das von dem Himmel nieder auf die Erde der Vogelchor durchwallte. »Weil ich bei dir, bekannter Dieb, Wachshölzchen kaufe seit einem Jahr, willst du mich kennen? Kenne ich dich?« Im Übermaß von Wonne über Flut und Fluten, die jauchzend die gesprengten Dämme schwemmten, strahlte er. »Hätt'st du gesehn, wie ich mich da in Rom von ihm verführen ließ! Von Dach zu Turm. Von Turm zu Obelisk. Von einem Schattenreich tollkühn ins andere. Mir klang sein Lockruf: eritis sicut Deus!«

»Hihihihi.« Unbändig rieb der Zwerg die nassen Hände.

»Ich widerstand ihm nicht. Ein freier Geist und guter Wille, in seinem dunkeln Drang, ist sich des letzten Ausgangs wohl bewußt. Lach' nicht, Karikatur! Nur: wer sich strebend immerdar bemüht, den können sie erlösen!«

»Und, um erlöst zu werden, sich just zuerst dem Teufel übergeben? Mit Blutpapier? Beschwornem Pakt?«

»Das Streben meiner ganzen Kraft
Ist grade das, was ich verspreche!«

Wollust, gemischt aus Todesfurcht und Lebenssucht, schoß in den Zwergenleib. »Dennoch!« pfiff der verdorbene Mund. »Ihr werdet verspielen, wie ich!«

»Und riß er mich von jeder vorgetäuschten Höhe zurück in meine wahrste Tiefe wieder, jedesmal, und fand ich mich, auch jedesmal, anstatt als Gott, als Wurm, – sooft ich nur mich wieder frei erhob, demütig, dumpf und dumm, um neu zu schaffen, – hat er verspielt!«

»Was schaffen? Schaffen? Ich kann doch nichts schaffen!«

»Das Grottchen dort im Artischockenbeet?«

Das Auge des Krüppels, wie es in das Beet hinüberschielte, ward katzengrün. Im schattigsten Eck des Artischockenbeets hob sich von Tuffstein ein gehöhlter Berg aus der lockeren Erde. Die dicken Blätter der Staude strichen bis vor den finster überhangenen Eingang. Am Feld des Eingangs saß auf verquältem Block Hieronymus. Ein Steinpult, quaderlich gebaut, trug den Folianten, worin er emsig schrieb; der gelbe Löwe, fein aus Wachs gebildet, leckte ihm die heiteren Zehen.

»Kinderulk!« Die Zwergenstimme spuckte Geifer.

»Wenn es das Beste ist, was du erschaffen konntest?«

Wie eine Flamme, der das Öl ausgeht, schrumpfte der bucklige Leib zusammen. Einen irren Blick schossen die Augen in die Höhle, auf den Hieronymus und auf den Löwen; in das strotzend grüne Beet. Mit gebrochener Hand versuchte er einen Griff. Fand keine Hand, die faßte; nur Fließen der Lüfte. Nun, in raschem Sturz, sank er zu Goethes Füßen nieder. Sein Gesicht wies immer noch die gallige Kälte. Aber die Brust ging keuchend wie ein Blasbalg. Die Finger, schlaff scheinbar niederhängend, klaubten Erde unterm Gras hervor. Die dreifarbenen Strumpfbänder schlotterten mit dem entsetzten Schlottern der gekrümmten Beine. Der Höcker stieg und fiel wie Lastschiff in der See. Der ganze Mensch, weil die Lider, zwanghaft zugepreßt, die Augen schlossen und Röcheln, steigend laut und lauter, aus der Brust kam, fühlte schaudernd: verächtlich schwebt der Himmel über mir. In unbarmherzigem Weiter-Höherfluge des Lenzes Wunderfülle von mir weg. Zurück weicht angewidert, exklusiv, das sanft prunkvolle Frontviereck der Villa. Die grüne Erde, die verzweifelt meine Sohlen klopfen, rollt tückisch unter meinen Knieen fort. Die Welt, die ganze Welt, – ja, alle Welt verleugnet mich, das Scheusal!

»Weil Ostern kommt,« brach die gekrampfte Brust endlich ihr Grauen aus, »ist mir so bang! Weil Christus wieder aufsteht . . .«

»Die Stunde des Lenzes!«

»Nein, Christus!«

»Die Stunde des Lenzes!«

»Mensch!« schrie der Gefolterte mit wahnsinnigem Blick. »Du schaust auf mich herab wie Satan selber! Hörst du denn nicht, wie meine Sünden in den Himmel schreien?«

Kein Zweifel! Licht und sicher blickte Goethe rundumher. Die ganze Welt verleugnete das Nein, das Nichts in dieser Seele. Kein Schöpferodem nahte sich versöhnend, seine eigene Schöpferschuld bekennend, dieser armen Seele. Nur das Blut, das neben ihrem Leibe rollte, wallte auf. Wirklich? Umschließt das Herz der Kreatur den ganzen Schöpferwitz vom Alpha bis zum Omega? Ist Gott wahrhaftig nur, solange dieses Herz ihn fühlt? Ist drin in diesem angstverzehrten Menschlein: die Morgenröte Asiens, des Nordpols kalter Schatten, der Liebe schönste Blume und ihr Dornenkranz? Geburt, Vermählung, Kindschaft, Tod, Staubwerden, Auferstehen, Apoll, verklärter Heiland, Ur-Blatt, Wirbelknochen, Wasserschaffung und Vulkan, – der ganze Kosmos? Und alle Form nur Täuschung? Und die Seele alles?

Und hieß es Faust sein, wenn man diese Allmacht spürt? Ein Menschenherz, in Qualen, schindet sich, würgt gierig lebenlang geschluckten Staub aus seiner übersatten, endlich blitzerhellten Kammer, lechzt nach dem Gottwort: »Ich vergebe Dir!« – und neben ihm ein anderes, Johann Wolfgang Goethens, lacht heiter auf, fühlt jeden Mut in sich, ins Reich der Mütter neu hinabzusteigen, und – schafft am »Fauste« endlich, endlich, wieder?

Und – ist dasselbe doch wie dieses hier?

»Laß dich nicht stören, Checchino!« sagte er mit frommer Jugendstimme. »Es ist, was ist, ein Wunder. Aus einer zaubervollen Nacht kam ich in diesen wunderreichen Morgen. Aus meinem Zufall in den deinigen. Wir nutzen ihn! Laß dich nicht stören, wenn ich jetzt an einen riesigen Kater friedvoll denke, an eine Hexe, die siebenzehn Warzen auf der Nase hat, und an den Becher voll von Frühlingstrank.«

»Mir diesen Becher! Mir, gebt mir zu saufen! Macht mich noch einmal leben!«

»Was war, das war! Nur mutig immer weiter, heißt es drüben!«

»Und wenn der Weg verrammelt ist?«

»Dann, wenn's dir wohltut, beichte!«

»Euch?«

»Die schwerste Sünde!«

»Schlagt Euch den Alphons von Liguori auf; da drin ist keine, die ich nicht getan!«

»Die schwerste sag!«

Der Zwerg spuckte aus. Die Finger rissen den Ziegenbart. Die Wangen zuckten mit dem Bart. Das Auge, wie an einer Schnur, die unerbittlich zog, lief in den Kelch der blauen Anemone hinüber, die mitten unterm Amselsang sich grünumschaukelt nicht bewegte, aber deutlich winkte. »Es zog mich gestern abend zu einer guten Tat,« krächzte er endlich. »Bring's über dich, sagte ich mir ernsthaft vor, und geh zum Franceschinochen hinüber! Und leg ihm ein Stück Bärenzucker in die Finger! Der Franceschino ist meiner Maddalena Enkel. Vier Jahre. Vom Vater her mit der Neaplerkrankheit behaftet – oder von der Mutter her. Wahrscheinlich wohl von beiden. Die Augen Blut und Eiter. Die Lunge Kehrichtklumpen. Nicht ein Glied mehr ganz. – Ich ging. Zio! blöckte er mir schon, als ich noch im Türspalt war, entgegen. Vieni zio, porta dolce! Er roch den Zucker schon von weitem, das verdammte Luder! Ich mach die Tür zu, krieche näher . . .«

»Und?«

» . . . schlug ihm die ausgereckte Pratze nieder, daß er – krepierte. Keine Stunde später.«

»Gottesmord!«

»Ich weiß es!« Wie ein erschossener Vogel blieb der Schrei im Pinienzweige hängen. »Weiß es! – Ergo. Also?«

»Und dennoch ist es nicht die schwerste Sünde! Was hast du mit dem Stein der Weisen angefangen?«

Der Krüppel sprang empor. Ein Ladstock wuchs in seinem Leib. Dünn, gaunerlienig, preßten sich die Lippen aufeinander. »Ich hab ihn nie bekommen.«

»Du hast ihn mir am Lichtmeßtag gezeigt!«

»Was – tätet Ihr damit?«

»Sag, wo hast du ihn?« Am Kragen, wütend, packte ihn Goethe. »Wo ist er?«

Der Leib des Zwergs bekam die Gräue des Chamäleons. Umringelte für einen Augenblick die ganze Welt mit der erlogenen Höhnung seiner unbeteiligten Farben. »Im dreckigen Bauch der Barberina halt' ich ihn versteckt. – Jetzt wißt Ihr's!«

Nach einer Weile erhob sich Goethe. Er sah die Sonne, hörte ihren Donnergang, die Lüfte steigen, sinken, sah Engel in morgensilberne Posaunen blasen, Teufel Fetzen reißen aus dem blauumdrehten Globus, und ringsumher, mit weisen Sternen, lächeln einen großen Meister. »Der Stein muß aus dem Bauch, muß weg!«

»Das glaub ich!« Unverschämtes Meckern. »Aber wohin dann? Vielleicht Hieronymuschen in die Nase?«

»Lump!« Wie ein Bündel Reisig riß Goethe den Zwerg an seinen Leib hin, preßte ihn, daß das zitronengelbe Fratzengesicht blaurot wurde. »Hast du nicht eine Kraft, ein Werk, das allerschäbigste, aus dir zu schaffen?«

»Einen Madonnenaltar bauen möcht ich,« keuchte der geschundene Atem. »Es kommt der Mai.«

»So bau ihn!«

»Aus Zuckerbrot?«

Mit plötzlich fremden Fingern ließ ihn Goethe los. Nahm das Heft vom Gras auf, den Bleistift und fuhr fort, zu schreiben.

»Und: wohin? Vielleicht hinauf in diese Pinie?« Wie ein zertretener Käfer klebte der Zwerg am Stamm der Pinie. »Zwischen die zwei Wangen aus lebendigem Holz da?«

Goethe hob das Auge. Aber sah nur: mit weisen Sternen lächeln einen großen Meister. Und unter diesem Lächeln: den riesigen Kater, die Hexe mit den siebenzehn Warzen auf der Nase, und den Becher.

»Von mir aus,« schrie Checchino gallfahl auf, »stell ich der Madonna die nackte Aphrodite gegenüber! Mir handelt es sich nur um einen Schlag in diese Teufelsvisage? – Was tun?«

»Was du mußt.«

»Ich muß gar nichts!«

»Dann, was du kannst.«

Nach langem Zögern, entschlossenen Schritts, kehrte Checchino zu den Beeten zurück. Wie um sich der Maße ihrer Grenzen zu versichern, umschlich er sie mit kleinen Trippeltritten. Nahm dann drei dicke Bündel Spargel, den Korb mit den gebrochenen Artischocken und die Spatel aus dem Boden auf und trat getrieben vor die Tuffsteinhöhle hin. »Soll ich?«

Goethe hörte nur: die Sonne rollen; Engel in morgensilberne Posaunen blasen; Teufel Fetzen reißen aus dem blauumdrehten Globus; und den Meister lächeln.

»Soll ich?« rief der Zwerg zum zweitenmale; drohend.

Ein Katzenreigen tanzte vor Goethes Augen. Die Hexe tat unflätigen Spaß. Zwei Welten paarten sich in ihrem Motto. Der stinkende Beizrauch der einen löckte gegen die kristallne Luft der anderen. Während sich im Antlitz eines Weibes, das dem neugeborenen Auge rein entstieg, der Blick des Ewig Weiblichen gebar.

»Soll ich, du Luzifer?«

Keine Antwort.

In den Boden, ohne Echo, stampfte der Krüppel. In den Himmel aufwärts ohne Widerstrahl riß sich sein Wille. Plötzlich – der Körper drehte sich, ein Krampf erfaßte ihn – fand sich sein Arm, die Hand magisch gezogen. In sicherem Griff erfaßte sie den Hieronymus, hielt ihn wägend, dem stachelscharfen Auge folgend, wider das Licht; nun den Löwen, hielt auch diesen probend, dem erbarmungslosen Blick gehorchend, in das Helle; warf nun, streng senkrecht, beide in die Erde. »Fertig!« Und zertrat sie.

Nach einer Weile, schleichend, kroch der Zwerg zurück zum Bruder. »Haben wir da vorhin,« keuchte er, widerlich vertraut über den so fernen Rücken gebeugt, »im Ernst geredet oder im Spaß?«

Nicht auf sah Goethe von dem Blatte. »In vollem Ernst. Wirf ihn in die Cloaca maxima!«

»Wen?«

»Den ungebrauchten Stein.«

»Den ungebrauchten Stein!« Und wie ein Dieb, dem der scharfsinnigste Einbruch gelang, kicherte der Zwerg. Mit Spottblick, tänzelnd, scheppernd, hüstelnd, Spargel, Artischocken, Spatel wie ein Bajazzo an den Bauch gepreßt, schob sich der Leib am Bruder vorbei, ins Grüne. Denn nun – nahm ihn das Grüne auf. Die Halme lachten mit den dreifarbenen Bändern, die drollig niederhingen, lustig. Der Himmel blinzelte: »spiel nicht aus Scham mit Akrobatenstücklein!« Die Erde glättete sich freundlich seinem Schritte. Der sanfte Prunk der Villa grüßte lieb herüber, vor den verglänzten Zweigen strahlte Rom, die Welt voll Morgen, und verfemte nicht! »Geht ihn nicht suchen!« rief der Verwandelte zurück, als er schon heil entronnen war. »Ich hab ihn eben totgetreten. Er stak im After des Hieronymus. Ihr stahlt ihn sonst! Einmal müßt ja auch Ihr der Jungfrau ein Altärchen bauen! Einmal! Ich bau es heut. Arrivederci!«

Nicht auf sah Goethe von dem Blatt. Die Wände stürzten, jede Torheit fiel. Zu vollem Eins vermählten sich zwei Welten. »Sei still, du!« rief er lächelnd auf in den erschlossenen Himmel, dem Vogel zu, der ohne Hindernis auf goldener Leiter in die Höhe stieg und triumphierend sang: die Stunde der Geburt. »Sei still! Die Stunde war schon! Jetzt – sing mir mein Leben!«

Und faltete das Heft zusammen, schob den Stift ein und erhob sich.

Trug die Erde? Ja! Festes, starkes Gehen!

Wehte der Himmel?

Ja! Süßer, blutlebendiger Atem!

Rollte das Ganze?

Ja! Rom hinter den verglänzten Zweigen, Welt voll Wunder, aber ohne Rätsel, rollte!

»Endlich, endlich – bin ich!«

Ruhvoll – lacht nicht rundum mit weisen Sternen der vertraute Meister? – hielt er vor der Villa Medici ein; in seinem Rücken rief ihn jemand. »Ein Eilbrief!« rief es. Moritz war's. »Vor einer Stunde abgegeben,« meldete der Erhitzte. »Ich ahnte, wo Sie wären. Ist's nicht die Schrift von Herdern?«

Goethe nickte. Steckte den Brief gemütlich ein. Nahm gern des Anderen Arm. Ach, Menschen gingen. Die Stadt liebt sich im Sonnenschein. Der Mandelbaum, das Pfirsichbäumchen sprießen. Gras wächst so jung. Der Vogel singt noch heller. Geräusch des Lebens aus den tieferen Häusern. Der Himmel weit. Das Land angstlos hinausgedehnt in seine Grenzen. Draußen: Kuppel von Sankt Peter. »Ach, lassen Sie doch!« bat er demütigst erschrocken: das Heft war ihm entglitten, Moritz hob es auf.

»Ge–zeichnet?«

»Nein. Ein Stück vom »Faust«.«

»Vom – alten?«

»Nein. Jetzt gemacht. – Pst!« Streng riß er an Moritzens Arm. »Nicht reden!« Und noch aufrechter, stärker und gewollter schritt er. Der unerbittlich trotzige Rhythmus, der ihm Geist, Herz und Leib durch alle Engen und Weiten getrieben hatte, monatelang, schwang lind in diesem Schritte. »Ich habe,« begann er endlich mitten in der Straße, »den Umweg jetzt vollendet. Für jeden andern war es sicher leichter, ans Ziel zu kommen. Ich aber mußte ihn eben gehen. Bei Apoll habe ich angefangen, und bei Apoll kam ich wieder an. Der Schluß ist: Erstens, das Rezept paßt. Ja, es paßt! Jedoch nur für das Handwerkliche; für die Prämissen. Hinter dem Kunstwerk aber steckt – genau so inkommensurabel, wie der Schöpfergenius hinter dem Gebäude der Welt – der Genius des Künstlers. Nur, wer ihn hat, kann das Rezept benutzen! Zweitens aber,« – er zog den Brief aus der Tasche –: »auch wenn eine Statue, ein Gemälde Erzeugnis der Naturkraft ist, nichts anderes als Natur, wie alles andere auch, – diese Kraft muß eben dann im Menschen stecken, der die Bilder oder Statuen schafft! Und in mir steckt sie nicht. Ich bin ein Dichter.«

»Nicht reden!« befahl er schamrot, weil Moritzens Gesicht von ungeheurer Sonne überstrahlt ward, und riß den Brief auf. »Ja, von Herdern.«

»Moritz!« schrie er leichenblaß auf; als ob im Brief drin stünde, die Mutter sei gestorben, bebte er. »Lesen Sie! Da! Das!«

»Immerhin,« las Moritz, jagenden Herzschlags über das Blatt gebeugt, » gewährt er dir auch alles, was du begehrtest, die volle Freiheit in der Wahl der Geschäfte, denen du dich widmen willst: er wünscht doch, dich jetzt bald zu sehen. Bald!«

»Ich war zwar vorbereitet« hauchte, ins Herz getroffen, Goethe. »Aber . . .«

Schaudernd lehnte er sich an den Pfeiler des Tors.

»Wir wollen oben,« brachte Moritz endlich heiser heraus, »beraten, ob nicht doch ein Aufschub . . . .?«

Vom Pfeiler fort, zurück in die Straße, trat Goethe. »Nehmen Sie mir das Heft hinauf. Ich kann jetzt nicht empor. Ich muß noch . . .«

»Was?«

Nur eine Handbewegung, und er lief schon. Ja, jetzt! Wo? Wo war jetzt der Meister, der mit weisen Sternen rundum lachte?

Auf der Treppe, die zum Kapitol hinaufführt, machte er zum erstenmale Halt. »Das Auge wenigstens muß ungetrübt bleiben!« Allein das Auge, ob es noch so tapfer schaute, sah nur den Meister rundum lachen mit allen seinen weisen Sternen, heiter lachen. Nachmittags, er hatte nirgends zu Mittag gegessen, lief er den Hang des Monte Mario hinauf. Im Ohr die ungeheure Melodie, die in den heißen Weg vom Vatikan zurück über den Petersplatz geklungen hatte; »popule mi, quid feci tibi?« rief sie mit ungeheurer Klage aus der Kirche ins süße Blaß des Karfreitaghimmels hinaus. Und draußen, wo sie starb, da lebte schon die Fahnengier der Vorbereitung auf den Ostertag, die Pforten, Fenster, Tore warteten auf Kränze, die Metzger schliffen ihre Messer, die Bäcker kehrten ihre Öfen aus, die Mädchen bügelten die Festgewänder, in zappliger Eile schusterten die Schuster, schneiderten die Schneider, schmiedeten die Schmiede, ein Duft floß in der Luft, der Mandelbaum, der Pfirsichbaum, die Myrthe und der Lorbeer wiegten sich vom fernsten Weh herüber zu der nächsten Wonne. »Meister,« schluchzte er, unterm Pfirsichbaum der höchsten Vigna knieend, in die werdende Glorie hinauf, »was hab ich dir getan, daß du mich jetzt abrufst? Nach diesem Morgen?« Der Meister aber, wehlos, lächelte mit allen seinen weisen Sternen: »Jetzt bist du doch geboren? Geduldete ich nicht lange?« Da sprang er auf und lief von neuem. An der Ripetta stand er lange. Mit Brust und flachen Händen an ein Haus gepreßt. Plötzlich kletterte er den Damm zum Fluß hinab, hockte nieder, zog Schuhe und Strümpfe aus und steckte die Füße in die schmutzige Woge. »Nun noch die Hände!« rief die Stimme, die ohne Unterlaß auf Rettung sann in der betäubten Brust, »versuch's! Die Hände!« Aber während er die Hände in die Welle tauchte, sang von dem Engel des Hadrian-Grabmals herüber der große Meister: »Kind, was soll das noch? Ergib dich drein! Du bist ja schon geboren!« Da fuhr er mit den Händen aus dem Wasser. Schnell in die Schuhe! Und nach Hause! Wenn da kein Gott hilft, hilft vielleicht ein Mensch! Und wahrlich: er fühlte sich für einen Augenblick gerettet, als er die Freunde genau versammelt fand wie jene Jünger um den Herrn, der scheiden mußte. Mit Wollust las er Trauer in den Mienen. Er lächelte sogar, als einer nach dem andern vor ihm stehen blieb, die Hand ihm drückte, daß sie wehtat, und es dabei zu keinem Blicke brachte. »Hören Sie!« stieß Bury wild hervor, mit aller Mühe schleuderte er die Tränen ab, die in ungeheurem Zorn seit Mittag immer wieder aus den Augen sprangen. »Wir sind heut abend alle bei Angelica. Halbzehn. Ich hab's bestellt. Es muß mit allem Raffinement ein Trick, und wär' es der infamste, gefunden werden, der Sie uns da behält! Sie sind, magari, krank, todkrank, ja sterbend. Oder . . .« Da tat die Stimme nicht mehr mit. Vernichtet, die Arme fassungslos gebreitet, fiel er an Goethes Brust. »Sie dürfen nicht weg! Um keinen Preis! Das gibt's nicht!«

»Gibt's nicht!« schrie er in den Boden stampfend: Goethe hatte sich von ihm gelöst, ihn weggeschoben.

»Schwören Sie, – ich kenne Sie! – daß Sie heut abend kommen! Bei Ihrem »Faust!««

Der steinerne Mann jedoch, er hörte überm Scheitel dieses Jünglings, über den Häuptern aller treuen Seelen nur den Meister lächeln, mit seinen weisen Sternen lächeln: »Wenn ich dich rufe, wer kann dich noch halten?« Und floh von neuem.

Als die Sonne sank, lag er im Gras des verfemten Friedhofs der Ketzer vor der Pyramide des Cestius. Wohin ihn überall der Weg geführt und wie er ihn zuletzt hieher geführt, verstand er nicht mehr. Hier nämlich, rundum, lächelte kein Meister mit den weisen Sternen! Von San Paolo fuori herauf schnarrte die Karfreitagsratsche. Mit schwachem Flüstern beugten sich die Pinien, wenige, lieblos liebloser Einsamkeit gelassene Pinien dem Aventin entgegen. Bleich, sein zu lebendig übertagtes Blau in die sanftopalne Ruhe der Ferne rettend, stand der Himmel über dem rostbraunen Grabmal. Blumenlos, in sandig nackten Wellen, schwiegen die Gräberhügel. Plumpe Steinstelen, gebrochene Kreuze, ein Genius aus trüber Werkstatt, unordentlich im Gras. Der süße Schlag der Stadt so ferne. Die traurig öde Wüste der Campagna so nahe. Im Rücken, glanzlos fahl mit Schilf und Rohr, vom Tiberrauschen her noch müder eingeschläfert, der Monte Testaccio. Ein froher Karren auf der Straße draußen? Gelächter läutete in lustigen Stößen. Mann und Weib und Kinder?

Schon vorbei!

Wie mit dem sinkenden Licht sank ihm das Haupt tief in die Brust herab. Verlor er die Besinnung? Betraf das alles ihn? Stand dieser Abend entwicklungsinnig in der Reihe seiner Abende? Tat er nicht einen Riß in das Bisherige, so grausam unvermittelt, nie mehr heilbar, daß die gesetzgerecht gezimmerte Vergangenheit in Trümmer barst und das Gesetz nun Chaos schien? Die Zeit in Rom, – wie: war er viele Tage nun in Rom gewesen und, weil jetzt dieser Abend sie zerschnitt, war er nicht hier gewesen? Wer knüpft nun dies Vergangene an die Zukunft? Und füllt das unbegreiflich leere Loch? »Nein!« griff er mit verlorenen Händen in das Gras, preßte das Herz, den ganzen Leib an diese heißgeliebte Erde und küßte schluchzend Erde, Gras und wieder, immer wieder Gras und Erde. »Reißt mich nicht los von ihr! Jetzt, weil das Licht kam, weil du's gabst, Geliebte, Rom, – reißt mich nicht los!« Jetzt, da die Ähre stand, die mühsam täglich neu gepflügte Furche Saat verhieß, jetzt hieß es gehen? »Ja, noch, noch bist du da!« Ja, noch war Rom, die römische Erde da! »Geliebte! Auch morgen noch! Ich gehe durchs offene Tor zurück, du wartest lächelnd, breitest mir die Arme, ja! Noch bist du da! Aber . . . .«

Müde sank er zurück. »Aber nur noch zum Abschiednehmen!« »Lotte!« Wer, was rief jetzt die? Mit irren Fingern fuhr er sich durchs Haar. Damals, wie er von Lotte hatte scheiden müssen: nur drei Tage hatten ihnen gehört, in Kochberg. Viele Jahre her. Drei Tage nur. Und dennoch: Paradies! Was ist für Menschen der Himmel? »Mir war er das Gefühl, bei mir zu sein. Sie war, damals, ich selbst!« Reißt mich nicht los von ihr! hatte er mit aller Inbrunst dieses Himmels gebettelt, im dunklen Flur des Abschiedstors an ihrer Brust. Den Leib, der dies sein höchstes Ich barg, an sich geklammert mit wahnsinnigen Armen, geküßt die Augen, tausendmal geküßt, in denen sein Gesetz stand. Und trotzdem fortgemußt!

Und dennoch: trotz dem wilden Abschied, – war dann, nach vielen Jahren, nicht erst Rom gekommen? Die Erweckung?

Er schloß die Augen. Nur das Ohr noch lebte. Aber keine Stimme redete. Die Schnarre von San Paolo fuori tot. Die Ostienserstraße tot. Die Pinien tot. Der Boden tot. Kein Regen. Die Luft erdämmert in ein totes Schweigen. »Ich kann es so gut sehen,« flüsterte er mit kindlich süßem Lächeln, »wie in der Campagna jetzt die Sonne stirbt. Die Stadt erlischt ins Blaue. Sankt Peter wölbt sich seraphisch sanftgrün über den gezähmten Dächern. Wie Fliederwälder wachsen die Sabinerberge. Tivoli streng weiß. Der Monte Velino am nächsten der Nacht. Palästrina mild in Fahlnis zwischen Grün und Blau gebettet. Die Campagna aber hat noch Licht. Die Breiten glänzen. Hütten bauen sich rostbraun und spitz empor. Gelbe Wände schimmern, Bögen von Aquädukten glänzen, die Via Appia zieht mit Gräbern, Gräbern, Gräbern durch das hohe Gras, ein Mann, der noch den Funken Sonne auf der Stirn trägt, . . .«

Noch tiefer sank er zurück. Und wie verklärt vom Wahn des Abschieds, von der dämonischen Zugkraft schon vollzogener Trennung, lag die Geliebte jetzt in seinen Armen. »Du kennst doch meine Seele?« flüsterte sie mit liebevollster Stimme, doch nicht weinend, damit er nicht noch bitterer leide. »Bist mir vertraut, ach, urvertraut geworden! Was weißt du nicht von mir? Hat dieses Blut nur einen Schlag getan, den du nicht hörtest? Dies Auge einen Blick, den du nicht sahst? Dies Herz nur einmal Sehnsucht aufgezittert, Liebe, Flügelschlag nach oben, und du bliebst lahm?« Und mit der Wonne ihrer Glieder, während ihm die Wonne ihrer Seele, ihrer Glieder im Wahn des Abschieds, in der dämonischen Zugkraft schon vollzogener Trennung wie nie erschöpfbar urgeheime Pracht aufging, gab sie sich seinen tiefsten Armen hin. »Kann das vergehen? Erbleichen?« hauchte sie vergehend. »Kann Geist denn sterben? Wenn du im Norden dann das volle Licht, das ich dir schenkte, ausstrahlst, dich neu erzeugt bekennst, weil alle Zeiten dir zusammenklingen, die Räume nichts mehr scheidet, Zeit und Raum, die Welt und Überwelt, Lebendiges und Totes Wachs in deinen neugeborenen Händen sind, – nennt dann nicht jeder Pulsschlag, den du tust, nur mich? Sieh: ich bin ewig! Du, du wurdest es durch mich! Durch dich jedoch werd' ichs ein zweites Mal!«

»Worte! Worte!« klagte er in Tränen. »Wenn zwei sich lieben, wollen sie zueinander! Das ist Naturgesetz! Und reißt man sie entzwei, – natürlich bleibt der Geist von diesem Bündnis leben! Das Bündnis selber aber stirbt, wenn es nicht lebt! Was also hilft die seligste Erinnerung gegen Tod? Phantastisch vorgetäuschte Nähe gegen Ferne? Jetzt hör ich deine Stimme noch! Fühl noch den Herzschlag da aus deiner Brust! Kann dich noch fragen, weiß, du kannst noch antworten! Seh noch dein Antlitz, deine Seele drinnen, in deiner Seele jeden kleinsten Schmerz! Im nächsten Augenblick jedoch – ja, nur ein Augenblick ist der wahnsinnige Abschied! – seh, hör ich, fühl ich nichts mehr! nichts! Da, deine Hand, die einzig treue Hand . . .«

Erschrocken fuhr er auf. Die Stille war erdrückend. Der Abend schien den letzten Fetzen Lebens hinter die Mauern der Stadt getrieben zu haben. Selbst der verborgene Vogel sang jetzt nicht mehr. Die Pinien hoben sich als schwarze Dächer über dem verwobenen Dunkel, das Hügel, Tal und Steine zäh umstrickte. In lichtloser Blässe prahlte der Pyramide stummes Alter. Vom Aventin herüber schwebten, griffen Nebel. Und die Geliebte da in seinen armen Armen, die seine Folter wie sich selber wußte, – »erbarmungslos hinaus in ihr urewiges Geheimnis lächelt sie und läßt mich scheiden! – Nein!« schrie er rasend, in Stößen, die die Brust zerrissen, bebte das gehetzte Wort. »Reiß mich nicht fort von dir! Laß mich bei dir!« Verzweiflung aller Glieder. Rausch und Taumel. Wo noch Maß und Haltung? »Heut morgens erst das Licht geschöpft, und jetzt, am Abend drauf schon, soll ich gehn? Bei dir da ward ich ich! Da blüht' ich auf! Da kenne ich mich! Da kennt mich Gott! Da glänzt mir jeder Strahl! Erfüllt sich mir das Leben! Soll ich nicht leben? Einen Tag nur leben? Du!« Und wie das Kind, das höhnisch rohe Hände von der Mutter reißen, in ihren Schoß sich rettend: »Sei barmherzig, Du! Gib mich nicht her! Ich kann es nicht ertragen! Kann nicht!«

»Und – deine Pflicht? Das Vaterland?«

Wer hatte dieses Wort gesagt?

In raschem Kampf entspannten sich die Hände. Löste der Leib sich von dem heißgeliebten Leibe. Hob sich das tränenübergossene Haupt. Umfuhr der Blick das Grabmal, die Pinien, die Mauern, die Rachen der Caracallathermen, die über den Mauern glotzten; den Aventin. »Vaterland?« Er sah kein Vaterland. Straff wurde plötzlich seine Gestalt. Steifes kam in die Haltung. Die Tränen schüttelte die Miene ab. Und wurde kalt. »Hm?« machte er ein paarmal. Erhob sich. Stand fest. »Hm?« Und die Erde im Umkreis verlor das Römische. Der Himmel über ihm, so diamanthell er die steigenden Nebel überwuchs, das Italische. Was rundum mit unverkennbaren Malen von Rom redete, nur Rom sein konnte, – in Irrlinien, Zerrfarben, Unformen fiel es auseinander, die nie zum Bilde Roms geholfen hatten. Während er als einzige Wesenheit, die nun noch lebte, sich rasch ins ungeheuer Leergewordene stellte und umso zauberhafter zunahm drin an Maß und Kraft, je hoffnungsloser Erde, Himmel, Stadt im Nichts erloschen.

»Was ist?« rief er gemach herab. »Auch Tränen?«

Mit ungeheurem Grauen erhob sich zu ihm die Geliebte auf. Wie? Hatte er ihr schon gehorcht? Das Übermaß der Liebessehnsucht schon zertreten? Für Pflicht und Vaterland? »Du, sei barmherzig! Du!« Mit angstvoll großen Augen sah sie ihn an, darin die ungemessene Huld erglänzte, die sie noch schenken könnte. »Du!« Und mit der scheusten Hand, die hilflos gegen ihre Furcht rang, bat sie um die seine. »Du!«

Allein das Auge, das sie sah, blieb kühl. Die Hand, die sie berührte, starr. Mit Riesenkraft verschloß der Mann das Herz, daraus das Blut in schwarzen Tropfen quoll, vor der Geliebten.

»Du!«

Er wuchs noch höher.

»Du!« stammelte sie in Todesangst, mit aller Süßigkeit, die ihren Stolz zerschmolz, an ihn gehängt, »was ist das? Sag! Was blickst du so? Was sinnst du?«

Er tat nichts anderes dagegen, als daß er den Arm ausstreckte gegen die Senkung des Aventins. Und sogleich, wie von ihm selbst zurückgestoßen in ihr ewiges Geheimnis, wich die Geliebte schon zurück. Leicht atmete er auf. Griff nach der dunkelroten Skabiose im Gras, die die Verzweiflung seiner Küsse getrunken hatte. Aber nun war sie: Skabiose, wie in Deutschland, wie überall. Scabiosa officinalis. Dies also, lachte er, ist das Leben des Dichters? Die Rosengärten in seinem Herzen niederbrennen, die jungen Wipfel der Stunde des Lenzes kappen und aus dem Mord an ihnen die sanfte Flamme der Ewigkeit aufrufen? »So zeig dich, Ewigkeit! – O! Nicht die meine mein' ich!« setzte er, rot von Scham, hinzu. »Nur die verdammte Pflicht, das Leben zu ersticken, das man am liebsten lebte, damit es aufzufliegen mächtig werde – zu Dir! Ja, zeig dich, Ewigkeit!«

Und sie war da.

Wallend, ohne festes Gleichmaß, Sturmschnelle und bleischwer schleppender Gang zugleich, rauschte die Herde der Jahrhunderte einher. Von der Veglia am Fuß des Kapitols kamen sie und strebten nach der tragenden Woge des Meeres und den osthin, westhin, nordhin offenen Tälern. Und trugen in den ungewissen Mänteln, obwohl sie nur von Hellas kamen und Rom überschritten, doch alles Glück und Unglück aller Welt.

Zu ihren Seiten, bald ungeduldig spornend, bald nachhinkend mühsam, die Funken des Geistes. Flogen sie voran, dann lachten die Gesichter der Jahrhunderte mit übermütigem Spott. Blieben sie zurück, dann bangten die gefurchten Mienen, zu heiß erwartend wie die Sehnsucht jener, die den Messias hoffen; oder bestärkt in ihrer Hoffnungslosigkeit wie Seelen vor dem Tor des Hades. Wohl hob sich aus dem Qualm von Schein und Finster eine Fackel hoch und bleibend in die Luft auf und ward getragen von gut griechischer Hand; marmorner Hand, die . . .

»Apollon!« rief er hingerissen. Wie in der Morgensonne ging sein Auge auf. »Ja!« rief die Fackel lodernd über Zeit und Geistern ihm entgegen, »ich bin's! Dir leuchte ich! Du schaust mich! Ja!« Doch eh der Ruf in seiner Brust das Echo fand, erblickte er . . .

Erblich er. Ein Kreuz! Auf den Schultern eines unkenntlichen Mannes schwebte es, der, weil er es trug, von Wunden und von Seufzern troff. Erlichtete, wo seine Balken in den Himmel stießen, Nah und Ferne. Warf dieses Licht verschwenderisch, in Kegeln unerschöpflich reicher Leuchtkraft rund ins Land. Leicht zu erkennen, daß die Fackel mit ihm stritt. Verzweifelt. Wer wird da siegen? In raschem Wechsel, jetzt emporgetragen vom Riesenschein in die unsichern Horizonte, jetzt rauh zurückgepreßt vom Fackelkampflicht in die Muttererde, verfolgten Hügel, Täler, Berge dieses Spiel. Bis plötzlich, – leichtfüßig, um den Blick ganz frei zu haben, rannte er durch das Piniendickicht – ganz plötzlich ein andrer Glanz aufglomm. Pfeilgerade blieb er stehn. »Das ist er!« Wie Frösteln lief es ihm den Rücken nieder. »Ist Raffael!« Ein Jüngling, wahrlich, dem von der Sonne des Olymps der einzige Gott an seine Brust gelegt war, trug siegreich ein goldlockiges Kind an seinem Herzen. »Du, Sanzio!« rief er strahlend, Arme ausgebreitet, dem Jüngling zu. »Geliebter Meister, sieh mich! Nimm mich!«

»Fallt mir nur nicht in dieses Grab herein!« riß eine grobe Stimme ihn zurück. »Das ist für einen andern ausgegraben, mein ich.«

Er stutzte. Merkwürdig! Zu seinen Füßen ward ein Grab gegraben. Der Totengräber stand hemdärmelig in der Grube und warf, daß es schrill klirrte, Erde mit der Schaufel aus. Was war das? Mit dummer Hand führ er sich über die Stirn. Was aber war – erst dort? Jenseits des Grabes, über den Brocken der Erde, kam ein Greis gepilgert, umstreift von mildem Flimmer, langsam watend im grauen Nebel der Jahrhunderte, die zögernd trabten. Homer? Warum erst jetzt? Was heißt die falsche Reihenfolge? Jedoch nur wenige Schritte tat der Alte, und aus der träumerischen Ungewißheit, alles stürzend, entrollt aus Purpurdunkel und bescheidenem Gelb, tat sich ein Mantel auf; ein Antlitz, arg verstaltet, mit zerrissenem Knebelbart kam daraus hervor, und eine knöcherig harte Hand, – mit einem einzigen Griff ergreift sie, raubt sie Fackel, Leier, Kreuz und Kind, und trägt sie alle, überstark, allein.

»Ja! So hab ich's erlebt! In dieser Folge! So versteh ich's!«

»Ich würde, wenn ich's noch so gut verstünde,« polterte des Totengräbers Stimme, »den eklen Grabrand endlich doch verlassen? Die Leiche kommt. Hört Ihr noch immer nichts?«

Er hörte wohl. Allein, wer jagte da so knieejung, schenkelewig, Brust wild aufgebäumt, dem herrisch ziehenden Michelangelo nach? Welch großer Schein beglänzt das windgepeitschte Weißhaar? Und welches Lachen höhnt dem Furienernst im strengen Aug? Ist's wiederum Apoll? »Ja! 's ist Apoll!« Und ein verwegener Sprung, – und lockenschüttelnd, seine Fackel wieder in der Faust, stürzt sich Apoll dem Zugschritt wieder vor. Das Kreuz versinkt. Wie treuer Diener, der treu Platz gehalten, weicht Michelangelo zurück ins Dunkle. Die Leier schweigt. Sanft neigt das Kindlein sich von Sanzios Brust dem neuen Arm hinüber. Die Fackel aber, die der Arm jetzt trägt, – kein Dampf und Dunst mehr stört die hohe Flamme!

»So war's!«

»So ist es!« donnerte die Stimme aus dem Grabe. Und mit Getös, ein ungeschlachter Kerl, sprang schon der Totengräber in den Boden. »Macht Euch davon! Zum letztenmal! Der Ketzer riecht schon aus der Nähe. Ich höre Pferde trampeln.«

Und, wahrhaftig! Ein Wagen nahte. Fackeln kommen tiberher? Wer ist gestorben? Wen begräbt man heute? »Hört!« Aufgeregt fiel er den Totengräber an. »Was geht da vor?« Und ward von zwei beherzten Armen weggeschoben. Die Pforte in der Mauer ging jetzt auf. Ein schwarzer Mann trat ein. Ihm folgten fünf mit Fackeln. Nun, schwer mit »Hüh« und »Hoh« hereingezwängt durchs Tor: der Sarg.

»Da sind wir!« klang es hell. Verblüfft fuhr er zusammen. Woher kam diese Stimme? Wer, wer stand da strahlend? »Ihr?« riß er toll die Arme in die Luft. »Ihr seid es? Ihr?« Ja! Alle standen da: Apollo, Raffael, Homer, Michelangelo, das Kind, und die Jahrhunderte. Und reichten ihm die Hände. »Die Stunde des Lenzes!« rief der Vogel auf goldener Leiter ohne Hemmnis in die höchste Höhe. Gleich drauf ein Ruf – wer hatte ihn ausgestoßen? – und auseinander stob der Kranz. Was war? Ein Mann lief von der Halde des Aventins herab dem Kreise zu. Blitzschnell abwehrend schloß sich der. Eng flochten sich die Hände. Der Mann jedoch – er schien auf schwarzer Wolke knapp überm Boden herzufliegen – blies aus dem zeitlos schönen Mannsgesicht, nur einmal, nur ein Häuchlein Hauch aus, und war schon da. »Vergebt!« bat Goethe. Licht, das ungeheuren Sieg aussprach und ungeheure Angst zugleich, umstrahlte ihn. »Verzeiht, daß er sich eindrängt! Doch kommt er wohl so urgemußt wie Ihr! Er ist mein . . . . .«

»Ah, meine Herren! Und meine Zeiten!« lachte fröhlich Faust; tat einen Griff, ließ seinen Mantel flattern. Und sie verschwanden. Alle. Wie aufgefressen von der Glut in diesem Mantel.

»So!« lachte Faust mit Feuer groß umher. »Jetzt ist's getan! Jetzt laß uns gehn!«

Schaudernd blickte Goethe um. Und sah erstaunt: die Welt war jetzt geleert. Die Himmel riefen fordernd ihm herab: »jetzt gib uns du!« Die Erde flehte laut zu ihm empor: »jetzt treibe du!« Die Gärten ringsum mußten ohne Blüten, die Säle ohne Statuen, die Hallen ohne Bilder sein, und alle Menschen ihre Seelen nicht mehr finden; und oben, in den Sternen, sich der Meister fragen: »muß Ich nun warten, bis er – er, mein Knecht! – mir wieder winkt?«

»Du!«

Eisig blickte er um. Erkannte: frierend, ungeheures Weh, Rom, die Geliebte tief an seiner Schulter. »Du!« flehte sie, das Antlitz schmerzzerrissen zu ihm aufgehoben. »Du! Geh nicht fort! Ich kann es nicht ertragen! Kann nicht!«

»Auf einmal?« lachte er, barbarisch ferne.

Weinend kniete sie zu seinen Füßen nieder. Zehn Schritte ostwärts tanzten irr die Fackeln. Umhasteten die Männer, sinnlos hin und wider zuckend, das schwarze Grab. Trugen, in aussichtslosem Streit sich streitend, der Totengräber und ein zweiter den Sarg dahin, dorthin. Was fehlte? »Ich sagte mutig: verlaß mich!« schluchzte händeringend die Geliebte, »solang ich sah, du hast die Kraft nicht, ohne mich zu gehn. Jetzt, da ich seh, du hast sie . . . . .« Ohnmächtig floh sie auf. Umschlang ihn. Legte sich bettelnd ganz an seinen Leib. Den Herzschlag fühlte er, den heißgeliebten, wieder. Der Seele Zauber, aller Glieder Wonne, der Tage ungemessene Liebe rief ihn an: »Du! Sei barmherzig! Du!«

Und rief umsonst. Er schmolz nicht mehr! Er war schon weg!

»Du!« rang sie blutend, mit der letzten Kraft zu hoffen und grub ihr ewiges Aug ein in sein Auge. »Bist doch – mein Kind!?«

Und er erlag. »Laßt mich hier sterben!« rief er rasend, als rollte plötzlich Gift in seinen Adern, den Männern und den Totengräbern zu. »Laßt mir den Platz in dieser Erde! Bettet den, wohin ihr wollt! Ich laß Zechinen rollen! Legt mich da hinein!« Und als er, fliegend umgedreht, erkannte, daß die Geliebte selig ohnegleichen an seiner Schulter lächelnd mit ihm flehte, mit ihrem Gott von Blick die Männer rührte, sprang er entschlossen auf den Totengräber los. »Gebt nach! Seid recht ein Mensch! Legt mich hinein!«

»Hm,« machte der Totengräber. Das Weiße seiner Augen blitzte listig den zweiten an, die ungewissen Fackeln und die Männer. »Es wär ein Fall. Denn der da drin liegt, nämlich, . . .« – gemütlos wies er auf den Sarg hinab – »es weiß gar niemand nämlich, wie er heißt.«

»Wir wissen's wahrlich nicht!« bekräftigte, als Goethe starr die Männer ansah, einer von den Männern. Ein zweiter, schnell darnach: »Wir wissen's nicht.«

Mit festem Schritt trat Goethe an den Sarg heran. Beugte sich mit einem Aug, das Deckel sprengen, Leintücher zerfetzen, das tote Herz aufwecken mußte, tief darüber. »Wie,« fragte er leise, »heißest du da drin?«

»Goethe,« kam es leiser noch zur Antwort. Mit einem blöden Fuß wich er nach hinten. »W . . ie?«

»Goethe,« kam es wieder aus dem Sarg.

»Dein Kind.«

»Dein Sohn.«

»Nach vielen Jahren.«

Warum – ergriffen nun die Totengräber gern den Sarg? Umtraten die Männer rasch entschieden die Grube? Ließen die Hemdärmeligen die schwarze Truhe in die Tiefe sausen? Und donnerte schon Erde auf den Sarg? Schwang Hand um Hand sich eilig, um eilig Scholl auf Scholle ihm hinabzuwerfen? Und löste sich aufeinmal der Geliebten süßer Arm von seinem Hals und trat auch sie heran an den verhaßten Rand und goß den Staub hinab so lang, so schrecklich herzlos lang, bis sich der kunstgerechte Hügel wölbte?

Weiß, als sie endlich, mit ihrem Siegeslächeln, vom Werk zurücktrat, starrte er sie an. Die ganze Welt des Leidens und des Wissens stand mit entsetzten Zeichen weh auf seiner Stirn. »Warum . . . . tust du . . . mir . . . dies?«

Sie weinte schon. Das Lächeln ihrer armen Herrschaft, kaum daß sie diesen Blick erfühlt, war schon gewandelt in den Sieg des Schmerzes. »Du bist schon ewig!« hauchte sie; die Kniee wankten ihr, der letzte Strahl verlaßner Liebe küßte ihn noch. »Du brauchst kein Kind. Ich nahm es mir. Ich kann nicht so allein sein! Denn du – jetzt weiß ich's – gehst! Du gehst von allem!«

Langsam, mit einer Hand, die marmorn war, verhüllte er sich das Haupt. »Lebwohl!« Und keinen einzigen Blick, indem er aufrecht in das Dunkel trat, tat er zurück. Kein Wort mehr an das Grab, an die Geliebte, die stumm im Sieg des Leids in ihre Erde niedersank. Nichts mehr!

»Jetzt – ist's getan!«

Steif und gemessen schritt er durch die Nacht. Durchs tote Rom.

»He! Ihr spaziert schon eine Stunde lang da auf und nieder! Was gilt's?« trat ihm im Finster der Ripetta eine Sbirre in den Leib.

Da schüttelte er sich und nahm den richtigen Weg. Ging schnell. Im Corso angekommen, dort, wo die Via Convertite mündet, schüttelte er sich ein zweitesmal. »Ach so!« Und noch getriebener ging er jetzt. Die spanische Treppe sprang er wie eine fremde, ohne je einzuhalten, aufwärts. Den Weg hinüber zu Angelica rannte er. Im eiligen Gange durch den Garten fühlte er: das Herz saust so entsetzlich bang. Es fürchtet sich. Ein Zweig der Zeder schlug ihm ins Gesicht. Da ward das Herz noch banger. Das Tor war offen. »Sie erwarten mich!« Im Flur – es fröstelte ihn, als er das sah – stand auf dem Wandtisch ein Kandelaber mit fünf brennenden Kerzen. Getroffen schickte er das Aug hinweg. Krampfhaft hielten beide Arme den Mantel auf der Brust zusammen. Nur rasch die Stiege aufwärts! Aber – auch die Tür zur Wohnung war geöffnet. Lichtschein wie Sehnsucht flog ihm draus entgegen. Wer spielte am Harmonium? Süß überschwebte eine Stimme alle anderen Stimmen. »Sand wird das Leben wieder sein, wenn Ihre Quelle uns versiegt!« Wann hatte sie das Wort gesagt? Er stand im Vorsaal. Zitternd. »In einer Minute werden sie mir entgegenstürzen! Mit Augen, worin der Abschied, nichts als Abschied . . . .«

Schwindel faßte ihn. Die Hand fuhr aus dem Mantel. »Geliebte!« stöhnte er; griff nach dem nächsten Sessel.

»O, Exzellenz?«

Hoch schoß er auf. Und ließ den Sessel fallen. Glotzte sinnlos ins beglückte Gesicht des alten Dieners, der wie ein Vater angelaufen kam. »Bartolomeo,« stammelte er, »sage drinnen, daß ich . . . . . .«

Und machte blitzschnell kehrt. Und rannte. Wie ein Verbrecher, der verfolgt wird, aus dem Saal. Durchs Haus hinab, durch Flur und Tor und Garten in den Weg hinein. Die spanische Treppe wie ein Sturzbach nieder. Empor bis zur Piazzo del popolo im Sturmschritt. Erst vor der Pforte angekommen, hielt er ein. »Sie müssen's mir verzeihen! Es überstieg die Kraft!«

Und ging nun langsam, mit herrisch dem erwürgten Herzen abgerungenen Schritten durch die Pforte; zurück nach Norden.

Als er, weit überm Ponte Molle, umdrehte, graute schon der Tag. »Jetzt ist's getan! Tret ich nun noch einmal ein, – ist's nur noch dieser Leib!« Was? Hinter diesen Toren stand noch immer Rom? »Eis!« kommandierte er heiser. »Nein, Eisen!« Und wahrhaftig: Eisen, Eis, in kaltem Fluß stieg in den Leib herein. Den Geist erfaßte es nicht. Das Herz jedoch . . .

»Ja! Stirb!!«

Hoch, ohne jede Träne, schritt er durch das Tor. Ohne mit der Wimper zu zucken, unterm Bogen durch. Sah schon, mit stahlgewordenem Blick, den Schein des Platzes endgültig verwandelt winken, als er, wie angerufen, stutzte. Was – regt sich dort im Dämmer? Löst sich aus der Nacht der Nische? Blickt mich, leis näherschleichend, so ver« . . traut . . . . . .?

Im nächsten Augenblick, urselig jauchzend, mit Armen, die sie wild in seine rissen, hing er am Halse der Geliebten wieder. »Du! Du! Du! Du!! Kommst noch einmal! Kommst einmal noch!« Und wie ein Paar, das nichts mehr trennt, in letzter Hochzeit, einten sie sich; ewig.


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