Albert Trentini
Goethe
Albert Trentini

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2. Buch

Flucht

»Also Iphigenien erwarte ich in längstens vierzehn Tagen?«

»Ich denke, ich darf es versprechen.«

»Und Werther wirst du gewiß nicht liegen lassen? Nicht vor der Mühe erschrecken und Reißaus nehmen? Es wäre jammerschade.«

»Der Kerl ist mir zuwider wie Stachelbeersulze. Aber in Gottesnamen will ich's noch einmal versuchen.«

»Es ist mir eine wahre Erleichterung, denken zu können, daß die vier ersten Bände der gesammelten Schriften nun endlich in Ordnung sein werden. Man will doch einen Überblick haben. Und diese unbezahlten Nachdrücke! Daß du aber dem Göschen ordentlich auf die Finger schaust! Der beluxt dich sonst auch noch! Ich meine überhaupt . . . .«

Nervös unterbrach Goethe: »Dich friert ja!« Er hatte Frau von Stein, die nach vollendeter Kur heimfuhr, vom Karlsbad bis Schneeberg herübergeleitet. Sie gingen, indes der Postillon im Gasthof drin sein Halbmittag löffelte, auf den Katzenköpfen der engen Gasse auf und nieder. Der Omnibus stand mit scharrenden Pferden in einer großen Regenpfütze parat, die den südwindgejagten Blankhimmel blauweiß widerspiegelte. »Du bist immer das gleich unvorsichtige Geschöpf, das nach dem Kalender und nicht nach dem Wetter geht!« Umständlich legte er ihr die Federnboa, die sie um den Hals trug, unter dem zylinderartigen Maschenhut enger an. »Als ob's Mitte August in Böhmen nicht hundekalt sein könnte! Und wenn dir gerade jetzt, wo du dich erholt hast, ein Schnupfen anfliegt?«

»Mein Zahnweh, höchstens, fürchte ich.«

Wie er sie ansah, mit kummervoll großen nachdenklichen Augen, konnte er für ihren Mann gelten. Der glücklich war. Gattenhaft fürsorglich sah er aus im grauen Reiseüberrock, in den festen Kalblederstiefeln und dem dicken Halstuch. Das Gesicht sonnverbrannt, die Gestalt zwar hager, aber verjüngt gegen Weimar. »Die paar Wochen«, sagte Frau von Stein froh hin, sie hielt die Hutkrämpe gegen den lustigen Wind, der an den altgrauen und altgelben Hauswänden hinstrich, den Hahn auf dem Kirchturm tanzen und die grünen Fensterläden klappern machte, und lachte gesundet, »will ich's schon fertig bringen, mich zu schonen. Und dann kommst du ja wieder! – Mon Dieu! Fährt er schon ab?« Sie liefen zum Omnibus zurück. Nein, der Herr Postillon hatte noch einen Schnaps zu trinken! Aber die Passagiere waren schon drin im Wagen. »Sage!« fragte Frau von Stein lebhaft und legte ihren Arm so in seinen Arm, daß die Hand im safranfarbenen Handschuh gerade seine Hand fand; »was für eine Arbeit wirst du nun vornehmen? Steine, Pflanzen, Osteologisches? Oder Tasso?«

Er vermochte nicht gleich zu antworten. Verlegen blickte er weg. Stieß die Spitze des Stockes zwischen Katzenkopf und Katzenkopf in die Erde. Weißgott! Wenn er es unnachsichtig betrachtete, war es eine Feigheit – und Falschheit – ohnegleichen, ihr nicht zu sagen, daß er nach den »paar Wochen« nicht nach Hause zurückkehrte, sondern nach Italien fuhr! Daß er's allen anderen nicht verriet, gut! Aber ihr?

»Lotte!« sagte er heiser, während ihm das Herz in der Brust drin wie einem Verbrecher schlug; »es waren schöne Tage? Nicht?«

»Sag!« drängte er ängstlich, weil sie in plötzlicher, unbewußter Angst in die Weite blickte, »warst du nicht zufrieden?«

»Sehr!« Zuversichtlich kam ihr Blick zurück. Geborgen drückte sie seine Hand. »Sogar sehr! Ungetrübte Tage waren es!«

Erleichtert richtete er sich empor. Man muß die Sachen sehen, wie sie sind! Es war vollkommen richtig, ihr nichts zu sagen! Gewiß, so viel hatte er an sich schon erfahren: wo es darum ging, daß er sich entwickelte, mußten die anderen leiden. Aber sollte er verdorren? »Selten noch, siehst du«, begann er übereifrig, wie um den plötzlichen Mut noch zu erhöhen, »habe ich es so erkannt wie in diesen Tagen: wir sind – ja! lach' nur so süß!« – oh unseliges Dilemma! Er liebte sie und floh von ihr weg! – » . . . im wahren Sinne des Worts: unzertrennlich sind wir! Dein Wesen und meines, jetzt erst, überhaupt dann immer erst ganz besonders, wenn wir den Schauplatz Weimar los sind, kommt es zutage: in allen Fudamentalartikeln des Lebens durchaus eins sind sie. Oder hältst du es auch nur für möglich, daß sich der Augenblick ereignen könnte, in dem wir einander nicht mehr wechselseitig das Nächste, Verwandteste, einzig Ergänzende wären? Nicht wahr: nein? Elf lange Jahre gehen wir nun nebeneinander, so eng und verschwistert wie wohl nicht oft ein anderes Paar Menschen, und es hat, mein' ich, genau so viel Kampf und Widerstand und auch Trennendes zwischen uns gegeben, wie zwischen allen anderen, die lieben. Aber: über die Möglichkeit einer inneren Scheidung sind wir doch heute auf ewig und endgültig hinaus! Wenn ich mir, zum Beispiel, vorstelle,« – ja, es war so! es war so! In hartnäckigem Glauben daran riß er den Kopf hoch – »vorstelle: du verreistest, auf Jahre, weißgott wohin, und ich würde dich lange nicht wiedersehen. Ja! Entbehren, vermissen, rufen, herbeiflehen würde ich dich, wie . . . . .«

Gefoltert setzte er aus. Grenzenlos wird sie leiden!

» . . . . . wie die Luft zum atmen«, fuhr er trostlos fort, »den Stab des Tags, die Ruhe der Nacht! Aber: daß sich dabei der Grundinhalt unseres Verhältnisses verändern, verschieben, verlieren, verflüchtigen würde . . . ?«

»Und dennoch ist mir bang!«

»Wovor?« Totenbleich zuckte er zusammen. »Wovor ist dir bang?«

Aber erst nach einer langen, unentschlossenen Pause, in der er entsetzt sah, wie ihr die Angst an der Kehle faß, antwortete sie zögernd: »Du verbirgst mir etwas!«

»In all den drei Wochen, die wir nun zusammen waren«, setzte sie stockend fort, »bin ich den Eindruck nicht los geworden, daß du uns allen – nicht nur mir – etwas verbirgst!«

Als ob ihn der Schlag getroffen hätte, fiel ihm das Gesicht auf die Brust herab. Wußte er beim besten Willen nichts anderes zu tun, als mit dem Stock in die Luft zu schlagen und mit verdammt künstlichem Lächeln zu lächeln: »Aber, Kind!«

»Sage, daß ich mich täusche!«

Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Felsenfest stand es: dieses Schweigen wird sie mir niemals verzeihen! Wenn jemand auf der Welt, so darf sie sich ein Recht auf meine Geheimnisse anmaßen. »Ich bin, so töricht es sein mag«, stotterte er, ringend zwischen Zweifel und Zweifel, »ein abergläubischer Mensch. Es gibt Entschlüsse, die ich mir vornehme, in mir fasse, und die ich nur deshalb nicht verraten will – und kann, weil mich die Furcht plagt, die panische Furcht davor: daß sie dann nicht zur Tat werden!«

»Versteh' ich nicht!« Mit plötzlich ganz und gar fremd gewordenem Gesicht, die etwas scharfe Nase pikiert nach aufwärts gezogen, sah sie an ihm vorbei. »Ein Mensch wie du, und abergläubisch!« Und bevor er noch, mitten drin im wildesten Kampf, den er noch nicht entschieden hatte, einen Laut tat, zog sie den Arm aus dem seinigen und trat fest von ihm weg. »Also habe ich ja recht gehabt!«

Außer Rand und Band vor Ohnmacht stampfte er den Boden hinein. Nein! Jetzt sag' ich's ihr nicht. Gerade nicht! Eigens nicht! So sind sie ja alle, immer, wenn ihnen etwas nicht behagt! Schmollen und Reizen ist ihr ganzes Verstehen! »Ich kann eben genau so wenig wie jeder andere aus meiner Haut. Das ist das Ganze.«

»Streiten wir doch nicht!« Kalt drehte sie sich auf dem Absatz um. Im selben Augenblick riß ein Peitschenschlag die Luft entzwei: der Herr Postillon, ein dicker Fünfziger mit riesigem Schnurrbart im versoffenen Mondgesicht, war aus dem Haustor getreten. »Einsteigen, meine Herrschaften!« schrie er fett in den Platz hinein und peitschte, daß der Platz knallte. »Einsteigen!«

Wie ein Pfeil fuhr ein Engländer, die Pfeife zwischen den Zähnen, in den Omnibus hinein, der zum Bersten voll war.

»Lotte!« stammelte Goethe, verzweifelt an den weitfaltigen Mantel aus blauem Schnursamt gepreßt, »laß uns um Gotteswillen nicht so auseinandergehen! Fühlst ja doch, weißt ja doch, daß mir die ganze Welt nichts zu sagen hat, wenn du mich nicht lieb hast, und daß ich in einer Viertelstunde schon untröstlich, unheilbar . . . Lotte!«

»Wenn du nur bald zurückkommst!« lächelte sie wehmütig mit heroischen Lippen, die Tränen liefen ihr armselig über die Wangen herab. »Wann wird's denn sein?«

Todverachtend bestimmt, während er, von Vorwurf und Ahnung zerrissen, die gebrechliche Gestalt auf den Tritt emporhob: »Heut ist der vierzehnte. Wenn es gut geht, bin ich Ende des Monats mit den vier Bänden fertig. Dann möchte ich noch auf eine Zeitlang – – irgendwohin.«

»Wohin?«

Aus verzerrten, verzogenen Zügen, kein Wort nah am anderen: »Ich sagte doch schon: ich möchte für eine gewisse Weile in eine andere Luft – in ein neues Stück Welt.«

»Abfahrt!« schrie der Postillon wütend und sprang auf den Bock.

»Liebstes!«

»Du!« Wie im Schauer von Schmerz und von Rosen: Kuß und Umarmen.

»Schreibe!«

»Du auch!«

»Vergiß mich nicht!«

»Grüß mir die Buben!«

Jetzt winkt noch ihr Auge. Jetzt winkt ihre Hand noch. Mit dröhnendem Trab schaukelt der Wagen über die Buckel der Pflaster. O! Fing die Hegire so an? »Und ich Ausbund! Ich Scheusal!« Und in der brennenden Scham ein herzhafter Sprung, und er stand schon im Wagen; auf dem Trittbrett. »Bitte!« schmeichelte er, höflich den Hut gezogen, und sah dem Engländer unwiderstehlich ins verblüffte Gesicht. »Wollten Sie wohl die große Entsagung üben, nicht zu rauchen? Die Dame« – ein Blitz nur von Blick – »kann Tabak nicht vertragen.« Und im Nu wieder herabgesprungen, aus unheimlich weitoffenen Augen, sah er dem Wagen nun zum zweitenmal nach. Jetzt rollte er in den Engpaß der Gasse. Jetzt verschlang ihn einschärfend der Bauch, den mit eigensinnig austretender Mauer das Stadthaus in die Gasse hinein wölbte. Und jetzt . . . .

O! Dieses Augenblicks, da er, wie zwischen Gestern und Morgen, einer Welt, die versank, und einer Welt, die neu aufstand, im Schneeberger Platzpflaster gestanden hatte, zu Mittag des vierzehnten August, den Hut in der Hand, an allen Gliedern zitternd und nicht fähig, umzukehren, und nicht fähig, fortzugehen, nein! in willenlosem Warten gebannt, bis ein Mann an ihn herantrat, der fragte, was er begehre, und den er nun fragte, ob er ihm wohl die Wohnung des Bergverwalters Beer zeigen könnte, – dieses Augenblicks mußte er sich oft noch mit Grausen erinnern!

»Hast du von Lavater nichts weiter gehört?« fragte ihn, ein paar Tage nach der Rückkehr, der Herzog auf dem Morgenspaziergang hinter Karlsbad, im sanft ansteigenden Walde.

»Nichts!« erwiderte er blutrot, als wären ihm die Kleider vom Leibe gerissen worden; noch vor wenigen Wochen, in Weimar, hatte er den einst so Vergötterten wie einen räudigen Hund behandelt.

»Und von Frau von Stein?«

Und da saß schon der Stich, der erinnerte Augenblick, dolchspitzig im Herzen. Über ein Wieschen und die Tannen zur Rechten in das nackte Gestein empor, das sich in ungleichen, wagrechten Lagern unter dem makellosen Himmel talaus schob, schielte hilflos der Getroffene. »Daß sie gut ankam in Kochberg. Und Ernst große Schmerzen leidet.«

Der Herzog, barhaupt, die Sonne im Gesicht und auf dem verräterisch ausgesuchten dunkelvioletten Kleide mit Goldstickerei, lachte derb. Er hatte einen guten Tag, gute Zeit überhaupt jetzt: ferne von Weimar, dazu von Preußen herab – trotz dem Tode des Königs – die angelegentlichste Werbung. »Wenn ich nicht irre«, schmunzelte er teuflisch und blickte herüber zu Goethe, »hast du, vor Jahren, meine Bekanntschaft mit Lavater ›Siegel und oberste Spitze‹ unserer damaligen Schweizerreise genannt und eine ›Weide am Himmelsbrot.‹ Nicht? Und jetzt?«

Als ob ihm ein Riese auf den Fuß getreten wäre, zuckte Goethe empor. »Tempora mutantur,« gab er stotternd zurück.

»Nos autem mutamur in illis!« war die schlagfertige Antwort. »Als du neulich Abends aus der Iphigenie vorlasest . . .« – Karl August blieb stehen, schickte das Auge in den Himmel hinauf und ließ es darin festsitzen, als ob die goldene Bläue alle Bilder widerspiegelte, die eine plötzliche Erinnerung wachrief – »kam mir das gewaltig zum Bewußtsein. Was sind neun Jahre! Als ob es heut wäre, steht mir der Abend vor Augen, an dem ich den Pylades am Ettersberg spielte. Es war im April, um den zwanzigsten herum . . . .«

»Den zwölften war's.«

»Kalenderfuchs! April ist April! Und wir hatten damals beide noch wirklich April!« Derber noch lachte er. O, er sah es sehr wohl, wie den Mann neben ihm da der Name »Iphigenie« noch viel blutiger ritzte als der Name »Lavater« und der Frau von Steins; wie er das Gesicht verzog, Ameisen in die Glieder bekam, wie unter Felsen wild atmete, und ihn knirschend verfluchte und verwünschte. »Natürlich gefiel mir das Stück. Was gefiel mir denn nicht von dir? Aber von Verständnis war doch keine Spur da. Eine edle, humane, griechische Fabel in humanen, edlen Versen – von J. W. Goethe. Jetzt hingegen . . . .?« Stolz, ohne jeden Rückhalt von übertreffender Fürstlichkeit wandte sich der sprechende Blick Goethen zu. »Jetzt . . . dämmert es mir sehr beträchtlich, was da gewollt und erreicht ist. Weib und Frau, – welch unendlicher Unterschied! Ich habe noch immer – sei's geklagt! – für die Weiber viel übrig. Aber gerade die Unzufriedenheit mit mir selber darüber ist der stärkste Grund meiner Verehrung für die Frauen. – Was lachst du?«

»Im Gegenteil!« versicherte Goethe, sofort, tief erlöst: Gottseidank war die Klippe umschifft, die Gefahr vorbei, und hatte er überdies den Herzog jetzt dort, wo er ihn gerade heut haben wollte. »Ich freue mich vielmehr ganz besonders . . .«

»Was man in sich selber nicht hat«, unterbrach rasch Karl August, »das begehrt man am meisten. Ich muß einen Charakter wie Iphigenien verehren, weil mir die Reinheit, die Unbedingtheit, Sicherheit, – Selbstverständlichkeit ihres moralischen Instinkts leider Gottes abgeht. Rettungslos abgeht! Ich mußte immer an Louisen denken, als du lasest. Es ist eine Ironie sondergleichen, daß mich das Temperament des Bluts von einem Menschen entfernt, den der ethische Sinn aufs Bewußteste immer neu suchen geht. Welche Vorwürfe ich mir oft mache! Du hast keine Ahnung! Aber auch das tat mir wohl: jetzt, im Zuhören, zu erraten, daß du, ganz ähnlich wie ich, zum Dithyrambus auf die edle Frau eigentlich nur dadurch kamst..«

»Wodurch? Schnell! Also?« fiel entsetzt Goethe ein.

» . . . daß du dein eigenes Ideal von Sittlichkeit«, antwortete ohne Schonung Karl August, »in dir selbst nicht erreichtest. Daß du anders lebst, als du innerlich möchtest. Und, von diesem Gesichtspunkt gesehen – da kommt die Erzherzogin!«

»Darf ich Ihnen«, lächelte er wunderschön nach der Verbeugung, die er mit duftiger Frisur über dem Handschuh der jungen Maria Anna gemacht hatte, »meinen Freund und Minister Herrn von Goethe vorstellen?«

Erzen, bolzengerade, das gefrorne Lächeln restloser Hofetikette in den zusammengerafften Zügen, stand Goethe vor dem verlegenen Prinzeßchen.

»Sie würden es verschmerzen dürfen, kaiserliche Hoheit«, fuhr der Herzog übermütig wie in einem Champagnerschwips fort, »keinen Sprudel in Karlsbad getrunken und mich und andere Barbaren mit Krönchen nicht gesehen zu haben. Aber ihn nicht gesehen zu haben . . . . . . .«

Alle, wie verabredet, lachten: die Erzherzogin sanft und ahnungslos; die Fürstin Dietrichstein und die Gräfin Bellegarde furchtsam; der Herzog inbrünstig; Goethe steinern.

»Und Sie können sich's erst noch zum Glück anrechnen. daß Sie ihm mit mir da begegnen! Denn er hat eine heillose Angst vor allem, was Hof ist, weil er schon elf Jahre bei Hof ist, und flieht, was nach Thron riecht, wie den leibhaftigen Teufel! Haben Sie seinen Werther gelesen?« – Da, unheimlich rechtzeitig, trat Goethe vor. »Kaiserliche Hoheit haben einen anmutigen Spaziergang gemacht?« lächelte er wie von kirchturmhoher Höhe herab, daß es dem Herzog schien, er höre die Scherenspitzen klappern überm zerschnittenen Faden. »Die Umgebung Karlsbads ist ja so unendlich abwechslungsreich, so für jeden Geschmack und für jede Konstitution genießbar . . .«

»Und das sagt ein Goethe!« schüttelte sich der Herzog vor Lachen, kaum daß der verdutzte Hofstaat die Erzherzogin wieder entführt hatte, und rang die Hände: »sagt mein Goethe!«

»Sie werden nie anders!«

»Du hast mich abgekanzelt!«

»Sie haben es provoziert!«

»Wie das arme Ding rot wurde! Ist sie jung? Ist sie alt? Bei den Habsburgern bringt kein Mensch mehr heraus, als: daß sie Habsburger sind. Ihr Land ist sympathisch. Aber sie? Übrigens vermute ich, daß ihnen Fritzens Tod wie ein Praterfest mit laufenden Backhendeln kam. Sage?« Aber Goethe – »Da schauen Sie her!« rief er begeistert, stand weit weg schon von Habsburg mit gespreizten Beinen in der gerölligen Halde, krallte mit eiligen Händen einen verwitterten Klumpen aus dem sandigen Gries, bröckelte den Schutt um den Kern herum ab; sprang zurück. »Sehen Sie den Kristall? Feldspat! Rhombischer! Wie er hier überall im Granit vorkommt. Das heißt: nur im grobkörnigen.« Atemlos, einen Strich unbändigen Glücks im Zug von den Wangen zum Kinn, klopfte er mit dem Taschenmesser den Kristall frei. »Ist das nicht köstlich? Ein vollkommen ausgebildeter Doppelkristall aus zwei Kristallen, die ineinander und übereinander greifen. Den einen ohne den andern könnte man gar nicht denken. So ein Kerl! Ich habe bisher keinen größeren und schöneren gesehen. Auch in der Müllerschen Sammlung steckt kein so frappanter. Unglaublich!«

»Stein ist Stein,« sagte der Herzog.

»Da heroben hat die Verwitterung schon begonnen. Sehen Sie? Weiße Porzellanerde. Aber abwärts, – die Farbe ist doch prächtig! Haben Sie nie die Trittsteine vor den Häusern in Karlsbad betrachtet, wenn sie vom Regen abgespült sind? Ihr porphyrartiges Ansehen haben sie nur von diesem Feldspat.«

»Du nimmst doch den Felsen nicht mit?«

Den Fund wie einen lebendigen Schatz an die Brust gedrückt, lächelte Goethe glückselig. Alles böse Gewissen, jeder hindernde Zweifel, jeder innere Streit war jetzt völlig gebannt. Leuchtend stand es im Herzen und in Himmel und Erde: ich geh nach Italien! »Die Welt gibt uns überall«, sprach er wie im Triumph aus, »die Ahnung eines Zentrums, aus dem ihre Wesenheiten geschaffen sind und sich weiterbilden. Diese Ahnung herzhaft erfaßt, den Gegenstand, der sie wachruft, das Gesetz, auf das sie deutet, vertrauensvoll betrachtet und mit Folge fortgeführt, – und der Geist hat es leicht, Kreis um Kreis zu bilden, die einzelnen Erscheinungen zu ordnen, und langsam aus allen die eine, allen einzelnen übergeordnete nachschaffend zu formen. – Ich sage das nicht«, fuhr er nach innigster Pause fort, »um meine Leidenschaft für den Granit als das Höchste und Tiefste im Erdbau zu rechtfertigen. Aber: alle natürlichen Dinge stehen in genauem Zusammenhang. Es hat mich mehr, als ich zeigte, beruhigt und erfreut, als Sie mir vorhin verrieten, daß Ihnen Iphigenie den Wert einer edlen Frauenseele als auch eines Zentrums inneren und äußeren Manneslebens empfinden ließ. Denn ich erblicke darin Ihr Verlangen nach Sammlung. Und Sammlung im Zentrum ist alles, aber auch das Einzige, wessen Sie noch bedürfen!« Geradezu gleichgewichtslos war er vor zwei Stunden dem frisch und blank daherstürmenden Fürsten in die lebenslustigen Arme geraten. Nun sah er nicht gemessen wie der Hofmann, nicht wichtig wie der Staatsmann, nicht dunkel und unberechenbar wie der Dichter, sondern sicher väterlich aus, auf der Mitte eines Lebens stehend, das unermüdete Fürsorge für die Seele des Anvertraut-Gewählten golden und inhaltecht gereift hatte. Während Karl August, als strahlte diese Wandlung auf ihn über, sinnend ging, die Hände auf dem Rücken, gewillt zu lauschen, und überzeugt, daß es gut wäre, zu gehorchen. »Ich darf wissen«, begann Goethe entschlossen von neuem, »Ihnen den Glauben an meine Liebe niemals durch Schmeichelei eingeimpft zu haben. Ich bin unabhängig und selbständig. Ich verhehle Ihnen nicht, daß mir der Hof nie Freude gibt, sondern nur Freude nimmt. Anderseits begreifen gerade Sie, daß bei meinem Dienste der Mensch gewinnt, was der Poet verliert. Sie aber glücklich zu machen im Bewußtsein, daß Sie ein Land glücklich machen, das Sauerteig sein kann im Mehl von Deutschland, ist nicht ein Bestreben aus dem Schaffenstrieb meines Geistes, sondern aus meinem Herzen. Sie sind ein ganzer Fürst, und werden ein immer richtigerer, je mehr Sie den Menschen in sich selbst vervollkommnen. Der Mensch bildet sich aber nicht von außen nach innen, sondern umgekehrt. Die Welt erwirbt man nicht, indem man über ihre Länder und Meere dahinfliegt, sondern indem man irgendwo auf ihr wie in seinem Mittelpunkt tätig Wurzel faßt. Gewiß hilft es dem Charakter, sich besser zu erkennen, wenn er, nach stetem Beharren auf seinem Platze, einmal einen anderen aufsucht, um die Wirkung neuen Himmels, neuer Erde, neuer Menschen und Sitten auf ihn zu erproben. Aber, kehrt er nicht mehr zurück,« – Buchstabe für Buchstabe, wie aus tropfenweise hergebendem Brunnen kam's heraus – »dann heißt das ebenso gewiß: daß der lang behauptete Platz falsch und die Kraft, die dort betätigt wurde, vergeudet war. Darf ich die Moral aus dieser Reihe für Sie ziehen?«

»Ich bitte darum.«

Tiefatmend blieb Goethe stehen. Was er verlassen wollte, lag als Berg von Verantwortung auf der stürmisch bewegten Brust. Was ihn erwartete, befahl mit beschwörender Eindringlichkeit: bestelle vorerst, nach deinem Gewissen, dein Haus! Dir sind nicht Landfetzen anvertraut, abstrakte Geschäfte und Leute, die Material eines Regimes sind, sondern Seelen, die wiegen. Und bissig marternd im innersten Innern ging die Wunde jenes grausigen Augenblicks wieder auf: des verlogenen Abschieds von Charlotte. Umsoweniger durfte ein zweitesmal geschwiegen, gelogen werden! »Ich maße mir kein Recht darauf an, Ihrem Einflußdrang Grenzen zu setzen. Jeder bewegt sich gern, wie die Glieder es verlangen. Ich kenne Sie so gut, um ganz zu wissen, wie nur ein hoher Begriff von Ihrem Amte Sie dazu treibt, für die Fürstenbundsache so hitzig zu fechten.«

»Da wären wir also!« lachte Karl August nicht ohne Verlegenheit auf.

»Da sind wir. Jawohl! Ich habe mich, soweit nicht Sie mich zur Anteilnahme verpflichteten, von diesem Problem ferngehalten. Ich bin kein politischer Geist. Ich gehe also auch jetzt in die Einzelheiten des Zwecks und der Technik zu seiner Erreichung nicht ein. Ich sage nur so viel: auch wenn der Erfolg die Bemühungen gerechtfertigt haben wird, – Eines bleibt gewiß: der Herzog von Weimar hat seine beste Kraft seinem eigenen Land entzogen!«

»Weimar ist doch in Deutschland?«

»Trotzdem sehe ich die Gefahr: Deutschland zu nützen, ohne Weimar zu nützen.«

»Weil du kein Nationalgefühl hast!«

»Ich erblicke die deutsche Nation in der deutschen Kultur. Im Geistig-Sittlichen erfüllt sie ihre Sendung.«

»Kein Mensch lebt von der Seele allein; geschweige denn eine Nation!«

»Aber alle die Experimente der Fürsten und Staatsmänner, die sich um den Leib der Nationen kümmern, fragen gewöhnlich keinen Deut darnach, ob diese Experimente auch vom moralischen Schritt der Nation gefordert werden. Und darum geschehen sie denn auch fast alle und immer zu Abbruch des Innerlichen, lenken die Entwicklung der Nation von der Seele ab und erweisen sich am Ende – eines wie das andere – als simple Wiederholungen der sogenannten Weltgeschichte . . .«

»Von der du, sehr hochmütig, behauptest, daß sie keinen höheren Sinn habe, als den, dem dramatischen Dichter als Repertoire zu dienen!«

»Als Repertoire der immer gleichen Gegensätze zwischen Starken und Schwachen, der immer gleichen Ursachen, Mittel und Ausgänge des Kampfs zwischen beiden, – also der immer gleich barbarischen Rauflust und Mordgier, der selbst ein Evangelium Christi nichts anhaben konnte!«

»Und doch wird die deutsche Nation in wenigen Jahren von allen anderen auch moralisch für alle Zeiten überholt sein, wenn sie sich nicht endlich aufrafft aus der Schande ihrer Apathie!«

»Sie sich aufrafft! Denn so sehr ich der Ansicht bin, daß der innere Fortschritt einer Nation nur von den Einzelnen bestimmt, nur von Gipfeln hinaus- und hinabgeleuchtet wird in die Masse der Täler und Ebenen, – so sehr glaube ich, daß die irdische Sorge um ihren Hausbau der Nation als solcher muß vorbehalten bleiben. Sie wird sich schon rühren, wenn sie innerlich so weit ist!«

»Darauf kannst du lang warten!«

»Das kann niemand wissen. Was man aber gewiß weiß, ist dieses: daß es Preußen nicht einfallen wird, in der Fürstenbundsache für die deutsche Nation zu handeln. Das fällt Ihnen ein, aber nicht Preußen!«

»Da hört sich doch alles auf!« Bebend vor Zorn stampfte der Herzog in den Boden. »Was weißt denn du von der ganzen Geschichte? Ich kann von einem Staat nicht verlangen, daß er gegen seinen Vorteil politische Pläne verwirkliche. Natürlich hat Preußen keinen Nachteil vom Bund. Aber daß in der ganzen, verlotterten Tafelrunde deutscher Fürsten, wenn es sich um das Werden eines einigen Deutschlands handelt, nur der König von Preußen als spiritus rector in Betracht kommen kann . . .«

»Es handelt sich um die moralische Vervollkommnung der deutschen Nation!«

»Die noch nicht da ist!«

»Aller Deutschen denn!«

»Von denen jeder anders denkt und tut als der andere!«

»Das hindert die Vervollkommnung nicht!«

»Zeige mir eine Nation, die in der Uneinigkeit groß wurde!«

»Sie braucht eben nicht äußerlich groß zu werden! Staatliche Größe ist Herrschaft und Macht, diese zwei Begriffe aber haben mit sittlicher Sendung nichts zu tun!«

»Und wenn es den Russen, den Briten, den Franzosen, – einer weißgott wie gewaltigen Koalition einmal einfällt, über dies Schachbrett von Ländern und Ländchen herzufallen und es in Grund und Boden zu stampfen?«

»Gegen Möglichkeiten, die in der Inferiorität der Anderen liegen, läßt sich schwer vorbeugen!«

»Also abwarten und Tee trinken?«

Aus den lichthellsten Augen sah Goethe den Aufgeregten an, der im Feuer seiner Überzeugung heiß glühte. »Ich sage es zum zweitenmal: ich bin kein politischer Mensch. Aber ich halte die Absicht, die die schaffende Natur mit den Nationen hat, nicht für darin erfüllt, daß sie große Staaten errichten, Menschen, Land, Geld, Reichtümer und Schätze häufen, über andere Völker gebieten, Furcht erzeugen und erhalten, – kurz: eine möglichst bedeutende Landkartenrolle auf der Welt spielen. Denn die Natur liebt ebensowenig den Mißbrauch der Kraft, den sie mitgibt, wie das Mißverhältnis zwischen den Geschöpfen ihrer Reihen. Ich kann mir natürlich vorstellen, daß die deutsche Nation geeint wird. Ich kann mir auch vorstellen, daß sie dabei – wenn sie besonderes Glück hat – moralisch höher kommt; aber auch, daß sie – wie es aufsteigenden Völkern gewöhnlich ergeht – innerlich niedersteigt. Ich kann mir endlich sogar vorstellen, daß sie ungeheuere Siege erringt, oder ungeheuere Niederlagen erleidet.« Frohgemut lachte er. »Das ganze Repertoire der Weltgeschichte kann ich mir eben von der geeinten deutschen Nation ebenso gut wie von der zerstückten vorgestellt denken. Aber: für heute und immer werde ich sowohl die glorreichsten wie die demütigendsten Stationen dieses äußeren Wegs für unwesentlich halten. Für völlig nichtssagend! Sie zeigen nur den Spielanteil der Deutschen am Theater der Welt an, nicht den moralischen Anteil der deutschen Nation am Prozeß der Vervollkommnung der Menschheit. Um diesen allein aber ist's mir zu tun! Sie kennen wie ich unseren Nationalcharakter. Er wird, geblendet von der pomphaften Auswirkung, die der ganz andere Charakter der andern europäischen Völker von diesen verlangt, stets verkennen, daß sein Reich von einer anderen – von der sittlichen Welt ist, und daher immer glauben, die »Großmächte« nachahmen zu müssen. Begreiflicherweise wird ihm das nie gelingen. Aber erst, wenn er das bittere Lehrgeld dieses Mißlingens immer wieder und wieder wird bezahlt haben, wird es ihm aufdämmern, daß, genau so wie der einzelne Mensch, auch ein Volk seinen höchsten Triumph nur darin finden kann: durch die möglichste Ausbildung seiner geistigen Natur dem Gesetz der aufsteigenden Entwicklung aller Organismen zu helfen. Und diese Dämmerung . . . .«

»Soll ich meinen Landständen beibringen!« Schallend lachte Karl August; fuchtelte puterrot, mit empörten Armen vor Goethe herum. »Daß das aber nichts anderes heißt, als: die Sachsen-Weimar-Eisenachschen Fliegen fangen und dabei den Daumen im Schoße drehen, dürftest du wissen. Als ob das, was wir »Volk« nennen, jemals die Leiter des Geistigen emporgeführt werden könnte! Das, was wir Wenigen in Weimar – wenn du erlaubst, daß ich mich mit dazu zähle – an Geistigem fördern, jemals über uns Wenige hinaus wirkte! Die Masse muß handgreiflich – und das heißt: daß sie's am Leibe spürt – geschüttelt werden, um auf einen neuen Gedanken zu kommen! An der Seele magst du uns packen, die zum Bewußtsein von ihr schon gekommen sind. Aber nicht die Masse!«

»Die Masse muß eben zu diesem Bewußtsein gebracht werden!«

»Damit jeder noch so stinkende Prolete sich selber bestimme, wahrscheinlich?«

»Sich selber verantworte!«

Grausam höhnisch lachte Karl August auf. »Du bist und bleibst der Frankfurter!«

»Der Bürgerliche, wollen Sie sagen?«

»Ich kann nichts dafür, daß ich keiner bin!«

»Aber es steht beim Fürsten, das obligate Potentatenspiel nicht mitzumachen. Ein höheres, bedeutenderes Leben zu führen.«

Als ob ihm Eisenringe die Brust schnürten, atmete Karl August. Mit schmerzhaft durstigen Augen blickte er hinaus in die Weite. Sie waren auf dem Sattel angelangt. Flammende Wiese dehnte sich vor ihren Füßen, senkte sich, zwischen den links und rechts mählich abflankenden Ufern des Waldes hinab in die glastigen Wellen des Bodens, der, im Mittaglicht, Berglein, Hügel, Dorfschaften, Tümpel und Säume gierig eintrank. »Ich brauche Feld wie jeder andere!« brach er wie am Ersticken los. »Muß etwas wirken, erschaffen, leisten, erzeugen können!«

»Für die menschliche Leistung gibt es kein weiteres Feld als das geistig-sittliche!«

In prasselnder Glut ging Karl August auf. »Und es ist wahrscheinlich keine sittliche Idee, eine Nation aus dem Schlaf zu wecken? Ja, du! Du hast es leicht! Wenn dir dein Ilmenauer Bergwerk zu fad wird und die Kriegskommission die Gelbsucht anhetzt, dann gehst du ins unbegrenzte Reich deiner Kunst . . . . .«

»Vide: Lila, oder Jery und Bätely!«

» . . . oder deiner Naturwissenschaft, und tobst dich aus! Ich aber, – soll ich wie der Weimarer Stadtkirchturm unbeweglich brav hocken bleiben zwischen meinen schundigen Mistbeeten und keinen Muckser tun, wenn mir die Zunge beim Hals heraushängt?«

»Es tut mir sehr leid,« antwortete Goethe nach trockener Weile ungerührt, »aber ich kann auch Ihrem Furor gegenüber von meiner Mahnung nichts nachlassen. Jeder gewissenhafte Mensch, auf welchem Platz immer er stehe, hat vor allem die Pflicht, Beispiel zu geben; das Lehren und Predigen kommt erst lange nachher daran. Ihnen also, da Sie nun schon einmal der Herzog von Weimar sind, obliegt die Aufgabe, es besser zu sein, als jeder, auch der qualifizierteste Andere vermöchte. Damit ist aber schon gesagt, daß Sie Ihre großen Anlagen nicht einem politischen Phantom widmen dürfen, das Ihrem Land höchstens mittelbar nahegeht, – sondern diesem Lande unmittelbar!«

»Als ob ich der Landes-Rabenvater in Person wäre!«

Ruhig ließ ihn Goethe ausbrausen. »Eben weil Sie auch den guten Durchschnitt deutscher Regenten weit überragen«, erwiderte er weise lächelnd, »muß jeder, den das Schicksal an Ihre Seite gestellt hat, rücksichtslos danach trachten, Sie zum Muster . .«

»Eines Miniaturfürsten zu machen!«

»In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister!«

»Dankbare Aufgabe!«

»Jede ist dankbar, die Menschen erziehen hilft.« Und noch weiser, noch herzlicher lächelte Goethe. »Und wüßten Sie erst noch, welch hohen Ruf Sie bei den Besten rundum genießen, die Sie kennen, weil sie Sie erfahren haben, – dann würden Sie noch leichter begreifen, warum ich so inständig bitte: erhalten Sie sich Ihrem Lande!«

Jäh ging Karl Augusts Kopf in die Höhe. Aber kein Wort mehr kam aus ihm heraus. Sie hatten den Rückweg angetreten. Stumm, mit starken Schritten gingen sie nebeneinander. Stille nahm sie der Wald wieder auf. Ward immer dunkler, schweigsamer, dichter. Die Schritte immer hartnäckiger. Ein Vogel sang jubelnd von weit hinten im Dickicht herüber. Das Stückchen Himmelblau über den reglosen Spitzen lachte mit ungemessener Freude herab. Als die Finsternis sich lichtete, die Bäume langsam zurücktraten, fiel die Sonne voll in den Grund herein. Ein paar Lärchen säumten jetzt noch den Weg. Nach scharfer Krümmung begann er rauh abzusteigen. Die Stadt erschien. Dach an Dach, die Türme, der Fluß, die Promenade. Plötzlich, unisono, läuteten die Mittagglocken. Der zurückgebliebene Wald schien begeistert zu lachen. Die niederfallende Halde, die Stadt, das Land um sie herum, alles frohlockte. Groß und nackt schwebte die Sonne. Ungefährliche Wölkchen segelten. Jugend glänzte über dem Grünen. Mut sprach aus dem heiter aufgerollten Licht in die Weite. Das Deutsche aus dem Handinhand der greifbar gerahmten Nähe. »Sage mir jetzt«, blieb hart Karl August stehen, unerbittlich blickte das tapfere Auge Goethen an, »warum habe ich diesen Sermon gerade heute gekriegt?«

Wie gestochen fuhr Goethe empor: Das Stichwort!

»Man hat mir in der letzten Zeit zugeflüstert«, fuhr Karl August fort, – als ob er erriete, daß in der Brust da neben ihm jetzt ein wildes Herz bange hämmerte, begann auch in seiner drinnen der Schlag zu toben – »daß du an eine Demission denkst. Stimmt das?«

»Käme sie Ihnen erwünscht?«

»Red' nicht so dumm!«

Im Nu verwandelte sich Goethe. Strahlend vor dem entschlossenen Blick ging in Himmel und Erde die Schrift auf: ich geh nach Italien! »Dann bedarf es hierüber keiner Worte,« sagte er schweratmend. »Aber um Urlaub möchte ich Euer Durchlaucht bitten.«

»Für – länger?«

Aber erst, als sie wieder im Schritt waren, antwortete Goethe. »Ich wäre dankbar, dürfte ich gehen, ohne einen festen Zeitpunkt der Rückkehr schon heute zu bestimmen. Ich benötige, möchte ich sagen, einer Luftveränderung . . . .«

»Ah! Endlich!!!«

» . . . und einer gewissen neuen Sammlung. Das Amtliche ist soweit geordnet, daß es mich getrost eine Weile lang entbehren kann. Übrigens war ich in der letzten Zeit ohnehin zu nichts mehr nütze. Kehre ich zurück, dann hat die Maschine wieder Dampf.«

Schwer schleppend, mit einem Schlag gesenkten Hauptes, schritt der Herzog. Also gab es auch in dieser Freundschaft von Jahr zu Jahr mehr und entschiedenere Wünsche, die sich nicht vereinen ließen! Da war er, der nach Neuem begehrte; und da war der Andere, der nach Neuem begehrte. Für jeden von beiden aber war das Neue etwas anderes! »Merkwürdig!« stieß er bleich hervor, sie näherten sich gerade den ersten Häusern, »selbst wenn dir Weimar bis an den Hals geht und mit dem Ersticken droht, verteidigst du es und hältst daran fest. Nicht reden!« setzte er atemlos hinzu; leidenschaftliche Handbewegung. »Es würde auch wirklich viel in mir zusammenbrechen, wenn ich den Glauben an deine unbedingte Treue verlieren müßte. Obwohl ich, offengestanden«, – einer Schafgarbe hieb er den Kopf ab mit dem sausenden Stock – »auch eine Untreue – von dir! – begreifen würde.«

»Ich habe« antwortete Goethe schnell wie im Schwindel, trotz der Glorie von Freiheit, die jetzt zaubernah mitschwang in jedem Strahl, jedem Lufthauch, würgte ihn etwas, »eine Karte meiner Existenz auf Sie gesetzt. Und Sie dürfen nicht glauben, daß ich die riesenhafte Bändigerarbeit nicht sehe, die Sie brav gegen Ihr Temperament leisten. Im Gegenteil! Ich sehe alles!«

»Und bist doch niemals zufrieden!«

Schamlos schoß eine Träne aus dem mühsam offengehaltenen Auge. »Ich liebe Sie. Darum will ich Sie vollkommen sehen.« Als ob ihn ein Sturm im Rücken triebe, schritt er eilig und krumm. »Ich fehle nach meiner Fasson viel mehr als Sie. Aber ich sehe den Balken auch im Auge des andern gewiß nur aus dem Grunde, weil ich nicht nachlassen will, von mir das Höchste zu verlangen, und mich mitverantwortlich fühle mit jedem, der mit mir geht!«

Musik, sorglose Polka, fröhlicher Gang, buntes Lachen lustwandelnder Menschen und jegliche Farbe war wach jetzt. Aber sie hörten nicht; sahen nicht. Als sie wie aus tragendem Traum vor des Herzogs Quartiertor ankamen, blickten sie einander an, als wären sie durch den lautlos ewigen Saal ihrer verbundenen Seelen geschritten.

»Wohin du gehst, wirst du mir nach alter Gewohnheit nicht sagen wollen?« lächelte Karl August; sanft ließ er die Hand los, die er lange gehalten. »Denn eine gemeine Reise, ahne ich, wird es diesmal kaum werden?«

Mit zuckenden Fingern griff Goethe ins Jabot. »Wenn Sie Ihre Güte krönen wollen«, bat er, ohne aufzublicken, mit erstickter Stimme, »dann sagen Sie niemandem, wieviel Sie allein wissen! Ich – kann's nicht anders machen. Ich hoffe . . . .«

»Holländisch abschieben zu können?« Mit seinem liebevollsten Blick umarmte ihn Karl August. »Tu, was du mußt! – Abends bei Tafel?«


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