Ludwig Tieck
Die Gesellschaft auf dem Lande
Ludwig Tieck

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Der Baron war verstimmt und in diesen Tagen mit sich und der ganzen Welt unzufrieden. Wenn ich mich nur nicht übereilt habe, sagte er zum Obristen, die jungen Leute so zusammenzugeben, beide schienen mir nicht so vergnügt, als ich es erwartet hatte; auch ist der Franz ein Schwärmer, der mir eigentlich, als ich ihn zuerst kennen lernte, einen unangenehmen Eindruck machte.

Nach einigen Tagen kam ein Brief an, der ihn ebenfalls von einer andern Seite beunruhigte. Er lautete so.

»Mein verehrter Herr Baron!

Grausam, aber vielleicht nicht Unrecht wäre es gewesen, Ihnen, so lange Ihr alter Amtmann lebte, einen Vorschlag zu thun, der Ihnen zugleich nothwendig klar machen muß, wie wenig der Alte seinem Geschäfte gewachsen war. Nicht, daß er Sie hintergangen hätte, fern sei es von mir, auf seine Redlichkeit nur einen Schatten werfen zu wollen. Er hinterging sich vielmehr selbst, und bewirthschaftete Ihr Gut nur so, als wenn es sein eigenes wäre, wobei er seinem Hange zur Großmuth und Mildthätigkeit uneingeschränkt folgte, und menschlicherweise auch wohl einer gewissen Prahlerei zu sehr nachgab. Sie sind, weiß ich, mit der Einnahme dieses Jahres vorzüglich zufrieden, weil sie die der 499 vorigen Jahre beträchtlich übersteigt: sind Sie aber geneigt, die Vorschläge eines Mannes anzuhören, der Ihr Gut genau kennt, lange Oekonom war, und ein Vermögen besitzt, das Sie bei seinem Anerbieten sicher stellt, so macht dieser sich anheischig, falls Sie ihn als Verwalter annehmen wollen, Ihnen zweitausend, wollen Sie ihn aber als Pächter zulassen, dreitausend Thaler jährlich mehr zu schaffen, als sein Vorgänger. Ich will für einen Unkundigen oder Verläumder gelten, wenn Sie die Bücher und Rechnungen des verstorbenen Römer richtig finden, denn zur Ordnung hat er sich nie gewöhnen können. Wollen Sie auf ein solches Anerbieten eingehen, so werden Sie den Briefsteller beim Justizrath Martin in ** zu jeder Stunde sprechen können, die Sie ihm anzusetzen belieben werden.« –

Der Brief war nicht unterzeichnet und erregte dem Baron vieles Nachdenken und angenehme, wie widrige Empfindungen. Es schmerzte ihn, seinen alten Freund, der ihm immer als Muster aller Ordnung und Thätigkeit gegolten hatte, jetzt als leichtsinnigen schlechten Wirth in seiner Vorstellung zu sehen. Andererseits konnte er sich nicht abläugnen, daß alle Papiere und Rechnungen in der größten Verwirrung waren, nichts war auf die gehörige Weise abgeschlossen, und ihm graute schon vor dem Gedanken, daß er in diese wilde Confusion Licht bringen müsse, da er sich seit so vielen Jahren daran gewöhnt hatte, dem Wirthschafter die Regierung unbedingt zu überlassen. Er vertraute selbst seinem Sohne nicht genug, um diesem die Auseinanderwickelung zu übergeben. Abgesehen von dieser Unruhe, war ihm zugleich die Vorstellung, einen Mann zu finden, der ihm nicht nur die Sorgen abnähme, sondern zugleich seine Einnahme sicher stellte und beträchtlich erhöhte, angenehm und erfreulich.

Mit dem Obristen ward viel über diesen Gegenstand 500 gesprochen, welcher meinte, man dürfe diese Anträge nicht so unbedingt abweisen, weil sie von einem Sachkundigen, der es redlich meine, herzurühren schienen. Auch Cajus war nicht abgeneigt, denn die Sache war für den Wohlstand der Familie zu wichtig, und es war nothwendig, bald einen Entschluß zu fassen.


Man hatte dem Unbekannten eine Stunde im Hause des Justizrathes in jenem kleinen Städtchen bestimmt. Der Baron ritt mit dem Obristen und Cajus hinüber. Der alte Rechtsgelehrte, schon seit Jahren ein Freund des Hauses, empfing sie mit heitern Gesprächen, in welchem viele alte Erinnerungen erweckt wurden. Und unser Unbekannter? fragte endlich der Baron. – Er erwartet Sie in meinem Schreibezimmer, antwortete der Justizrath, ein kenntnißreicher Mann, und für dessen Redlichkeit ich Ihnen einstehe. Ich fürchte nur, er wird Ihnen auch nicht ganz unbekannt seyn. Doch treten Sie herein, alle Vorbereitungen können doch wesentlich nicht nutzen.

Allerdings erstaunte der Baron und war unwillig, da er als jenen Briefsteller den Müller Zipfmantel erkannte. Es konnte lange kein rechtes Gespräch in den Gang kommen, bis endlich die vernünftigen Vorstellungen des Obristen so viel vermochten, daß sich der Baron mit jenem, ihm bis dahin so verhaßten Manne in Erklärungen einließ. Wie können Sie, fragte er, ein so bestimmtes Anerbieten thun? Warum wollen Sie diese Stelle?

Um Ihnen die letzte Frage, Herr Baron, sagte jener, zuerst zu beantworten, so sage ich, daß es mein Wunsch ist, meinem künftigen Schwiegersohn die Mühle zu überlassen; auch ist mir dieses Geschäft zu klein und unbedeutend 501 geworden, ich will etwas Wichtigeres unternehmen. Seit Jahren kenne ich Ihr schönes Gut ganz genau, und mir hat oft das Herz geblutet, daß es so sündlich vernachlässiget wurde. Ja, Herr Baron, um Ihrer Frage gehörig genug zu thun, kann ich es nicht vermeiden, jenen Mann weitläufig anzuklagen, der so lange Ihres Vertrauens genossen hat. Was ich an ihm verschuldet, ist von mir bitter bereut, jener ungeziemende Scherz, den eine zu fröhliche Stunde gebar, und von dem ich mir diese Folgen freilich nicht vorstellen konnte.

Lassen wir das, sagte der Baron, Sie wollten vom Gute und dessen Verwaltung sprechen.

Dem Herrn Römer, fuhr der Müller fort, da er als Ihr Freund so ganz unumschränkt handeln konnte, da er Ihnen jährlich nur eine summarische Rechnung abzulegen brauchte, ward es mit jedem Jahre natürlicher und nothwendiger, allen seinen großmüthigen Launen zu folgen und sich aus der Bewirthschaftung ein thätiges, unruhiges Spiel zu machen, das ihn selbst wie das ganze Dorf in beständige Bewegung setzte, ohne daß dadurch etwas Wesentliches ausgerichtet ward. Sie haben, zum Beispiel, so viele Dienste, daß ein verständiger Verwalter sie unmöglich alle verbrauchen kann. Diese aber reichten ihm noch lange nicht hin. Natürlich nicht, denn um Zeitungen zu holen, Briefe zu schicken, Proben von Klee zu bekommen, oft nur um zu erfahren, ob dieses Gerücht oder jene Klätscherei gegründet sei, schickte er reitende Boten nach allen Weltgegenden, spornte und trabte diesen selbst oft auf halbem Wege entgegen, schalt ungebührlich ohne Noth und bezahlte noch stärker, um die unnütz ausgejagten Menschen bei guter Laune zu erhalten. Darum ward er auch von diesen vergöttert, und Vater und Wohlthäter genannt, so daß sie ihm oft Hände und Kleider küßten, was ihm denn sehr gut ankam, er aber so wenig wie 502 jene in Rechnung stellten, daß diese Comödie ganz aus dem Beutel des gnädigen Herrn gespielt wurde. Er hat es nie zugelassen, daß Sie über Ihre Waldung einen eigenen Förster setzten, er zog es vor, daß Ihnen dieser Distrikt Ihres Besitzes, der Ihnen viel zinsen muß, so gut wie gar nichts eintrug, um nur keinen zweiten Herrn neben sich zu haben, der ihm doch vielleicht mit der Zeit sein heroisches Spiel verderben konnte. Mit Ihrem Jäger konnte er freilich machen, was er nur wollte. So wurde der Wald ganz ignorirt, und der Acker, trotz alles Treibens und Drängens, nur nachlässig bestellt. Der Hauptreichthum Ihres Gutes besteht aber in der Niederung und in den trefflichen Wiesen nach dem Flusse hin. Sie wissen, was diese Ihnen abwechselnd eingetragen haben, und ich behaupte, daß sie Ihnen das Dreifache bringen müssen, denn in diesem, und dem wichtigsten Punkte, hat sich der Alte am meisten vergangen. Diese Wiesen wurden nehmlich von ihm ganz nach Gutdünken ausgethan, für geringes Geld bekamen seine Günstlinge, oder diejenigen, die ihm am besten zu schmeicheln verstanden, die größten und besten Stücke, mancher (und zu denen gehörte ich, den er haßte, weil ich einiges über seine Verwaltung hatte verlauten lassen) konnte niemals auch nur den kleinsten Fleck erhalten, so daß ich mein Heu, und noch so viele hiesige, weit her von fremden Orten holen muß. Ihre Heuernte, Herr Baron, ist so reichlich, daß Sie noch viele Dorfschaften versorgen können. Und wo blieb es? Unzähliges Gesindel aller Art, etliche wahre Arme, aber viele Taugenichts und Müßiggänger hatte er hergewöhnt, für unnütze Gänge und Botschaften, für Sendungen nach der Stadt, um Bier und Wein zu holen, für das Graben im Garten, für was weiß ich eingebildete und überflüssige Geschäfte wurden diesem Volke viele Wiesenplätze ausgethan, 503 und dadurch, neben jenen Diensten, deren auf Ihrem Gute schon zu viele sind, noch, ohne Ihre Zustimmung, neue gestiftet, welche Ihnen einen großen Theil Ihres Einkommens verzehren. So kam es denn, daß er selbst oft von diesen Lumpen, oder von auswärts, gegen das Frühjahr Heu um den doppelten Preis ein- oder zurück kaufen mußte. Wenn Sie mir nicht glauben, will ich Ihnen alles, und mehr als das Gesagte, an Ort und Stelle, jedem dieser Menschen gegenüber beweisen, denn ich scheue keine Untersuchung, ich wünsche vielmehr die allergenaueste, auch wenn Sie meine Vorschlage nicht annehmen, damit nur der schöne Besitz in Zukunft auf eine verständige Art benutzt wird, und Sie zugleich erfahren, welchen Schatz Sie an ihm haben. Es begreift sich, warum ihn jene Müßiggänger und unnütze Menschen so verehrten, wie es kam, daß noch niemals ein untergeordneter Mann einen so ausgebreiteten Ruhm eines wohlwollenden Menschenfreundes genoß; wie weinten, wie schluchzten alle diese Leute bei seinem Begräbnisse, weil sie wohl fürchten konnten, daß die Sache sich nun ändern möchte. Ich brauche Ihnen nun auch nicht weiter auseinander zu setzen, warum ich zwei und drei tausend Thaler Einkünfte mehr versprechen kann, und zwar mit der Sicherheit, daß mein eigenes Vermögen beim Ausfall Sie entschädigen sollte. Ich habe nur das Geringste genannt, um nicht als Prahler angesehen zu werden; aber wenn Sie Wiesen, Wald und Acker anders als bisher nutzen, so ist es nicht zu viel, anzunehmen, daß sich Ihre Einnahme um vier tausend verbessern muß.

Der Baron hatte mit der größten Aufmerksamkeit zugehört, aber so sehr ihm auch alles einleuchten mußte, so erschrak er doch über die Entdeckung, daß sein Freund ein ganz schlechter Wirthschafter gewesen sei, zu sehr, sein Widerwille gegen den Müller war noch zu wenig überwunden, als daß 504 er sich jetzt schon, in der Eil, entschließen konnte, eine entscheidende Antwort zu geben.

Nachdenkend ritt er mit seiner Gesellschaft zurück. War es dem Sohne schon lästig, daß er sich jetzt, nach diesen Erklärungen erst, gleichsam mündig fühlen sollte, so wurde der Vater von dieser Empfindung noch weit mehr gedrückt. Es scheint wohl, fing der Obrist an, daß der alte Soldat die Sache mehr wie im Tumult und Taumel, gleichsam wie ein Scharmützel mit Grund und Boden getrieben hat, als mit einer vernünftigen Einsicht, wenn anders jene Beschuldigungen nicht ganz aus der Luft gegriffen sind.

Nein, nein, rief der Baron, alles ist nur zu wahr, die Augen gehen mir auf, der Staar sinkt nieder, aber die Operation ist schmerzlich. Weil mir die Neuerungen so mancher Nachbarn zuwider waren, weil ich sah, wie viele nur schwindelten und aus dem Landbau, der einfach getrieben seyn will, sich, zu ihrem größten Nachtheil, ein geistreiches Spiel fabrizirten, so bin ich auf der andern Seite zu weit gegangen, und bin in meinem blinden Vertrauen eingeschlummert. Und das ist es, woran der Landadel unserer Tage leidet. Entweder alles bleibt starr und todt beim Alten, das heißt, es wird mit jedem Jahre schlechter, denn stehen bleiben kann es nicht; oder die Verbesserungen und Neuerungen jagen sich, und man baut den Acker nur, wie jetzt neugierige junge Aerzte kuriren, um Spaß zu haben. Ich sehe wohl ein, mein guter Römer war zum Helden, nicht zum Oekonomen geboren. Was hätte aus dem trefflichen Manne bei dieser Bravour, bei allen diesen großen Anlagen werden müssen, wenn er von Adel war, und als Edelmann in den Krieg ging? General zum mindesten. Und darum wollen wir auch, weil er vom Schicksal eigentlich zu höheren Dingen bestimmt war, alle seine Schwächen mit dem Mantel der christlichen Liebe 505 zudecken; er hat es nie böse gemeint, er hat mich wahrhaft geliebt, und darum schweigen wir von jetzt an über die Sonderbarkeit, daß er die Verwaltergeschäfte mit Bravour und Heroismus poetisch trieb.


Franz hatte seine Einrichtungen mit solcher Eil betrieben, daß er um einige Tage früher, als alle erwartet hatten, zurückkommen konnte. Adelheid schien, als er vom Pferde stieg, das er auf einem benachbarten Gute genommen hatte, wahrhaft erfreut. Er war so hastig geritten, daß er kaum zu Worten kommen konnte. Er erzählte tumultuarisch, daß er jetzt sein Vermögen übernommen und den Contrakt wegen des Gutes mit dem Obristen völlig abzuschließen wünsche.

Cajus war erfreut, den Freund wieder zu sehen. Warum ist Gotthold nicht mit Dir gekommen? fragte er. Du weißt ja, antwortete Franz, wie er immer nur seinen Launen folgt; er glaubt sich dort mit den alten Leuten, die ihn liebgewonnen haben, mehr zu unterhalten. Vielleicht kommt er in einigen Tagen an, vielleicht auch nicht.

Und was macht Ihr Oheim? fragte der Baron.

Er ist wohl, antwortete der junge Mann, und froh, daß Sie sich seiner erinnern. Der alte Winterberg gedenkt auch Ihrer, und wünscht eben so sehnlich, als Sie, die alte Jugendbekanntschaft einmal wieder erneuern zu können.

So hin und her fragend, verschiedene Antworten gebend, gedrängt und zerstreut, konnte Franz kaum dazu kommen, mit Adelheid nur einige flüchtige Worte zu wechseln. Auch die Mutter wollte dieses und jenes von ihm wissen; der Obrist sprach von seinem Gute und den nöthigen Einrichtungen, so daß der junge Mann, der in den letzten Nächten nicht geschlafen hatte und von der eiligen Reise übermäßig 506 erhitzt war, keine Sammlung finden konnte. Der Baron, der in diesen Tagen schon empfindlich gestimmt war, nahm ihm einige seiner hastigen unzusammenhängenden Antworten übel, die er in seiner Gereiztheit einer Geringschätzung des jungen Mannes gegen ihn zuschrieb. Adelheid kam wieder näher, um das Gespräch zu lenken, und Franz wähnte in ihren Anmerkungen einige unpassende Verweise zu finden, die nur aus ihrem Mangel an Liebe entstehen konnten. Als Cajus die Gereiztheit aller Sprechenden bemerkte, und nicht begreifen konnte, woher dieses Irrsal sich entspönne, in welchem alle Personen mit mehr oder weniger Empfindlichkeit und in anzüglichen Redensarten sprachen, wollte er die streitende Unterhaltung auf einen ganz andern Gegenstand lenken, und erzählte vom Müller Zipfmantel und dessen Vorschlägen, und wie sich zum Erstaunen aller entdeckt habe, daß das Gut vom alten Römer auf eine unbeschreiblich schlechte Art bewirthschaftet worden sei. Diese Wendung des Gespräches war dem Baron die empfindlichste, vorzüglich in der Gegenwart der Frau und Tochter; er suchte daher den Verstorbenen zu entschuldigen, und um dies besser zu können, stellte er sich plötzlich, als wenn er die Vorschläge und Erläuterungen des Müllers für schwärmerische und unwahre hielte, und wollte von diesem Gegenstande kurz abbrechen. Darüber wurde Cajus selbst empfindlich und setzte die Wahrheit aller jener Behauptungen um so mehr ins Licht. Adelheid sah wohl und begriff auch den Zorn des Vaters, sie schien mit ihrem inneren Auge das Gespenst wahrzunehmen, welches sich schadenfroh dieses Sturmes erfreute und ihn immer näher herbeiführte. Franz achtete aber ihre Winke, oder bemerkte sie nicht, denn er wurde nun im Gegentheil erst heiter, als die Rede auf die Verkehrtheiten des Amtmannes fiel. Er hörte nicht den schweren Schritt, mit welchem der Baron zornig 507 im Saale auf und nieder wandelte. Als Cajus immer eifriger bewies, konnte Franz zuletzt nicht mehr ein schadenfrohes lautschallendes Gelächter unterdrücken. Was giebt's? fragte der Baron: was ist da zu lachen?

Hierüber lach' ich eigentlich noch nicht, antwortete Franz, so komisch es auch an sich schon ist, – aber, was werden Sie alle dazu sagen, wenn ich Ihnen auf meine Ehre versichere, daß dieser alte Sünder, der Römer, niemals Husar, nicht Soldat gewesen ist, daß er niemals im Felde war?

Herr! rief der Baron, stotternd vor Wuth, – das ist eine unverschämte Lüge!

Ich versicherte es, schrie Franz, bei meiner Ehre! Unterwegs habe ich es von Leuten gehört, die es wissen konnten.

Ehre – Leute – Ehre – Römer – Husar – so murmelte der Baron, ganz aus aller Fassung gesetzt, und im Grimm mit allen Gliedern zitternd. Und eben so, wie neulich, zerriß er den Bogen, auf welchem die Bedingungen des Ehekontraktes aufgesetzt waren, und rief, Feuer aus den Augen sprühend und purpurroth im Gesicht: Sie, junger Bursche, der mich schon bei der Brücke zum besten hatte, Sie, der unter fremden Namen sich in mein Haus schlich, Sie, der da mit Vokativ und Dativ und allem Teufelszeuge, wie ich wohl nachher gehört habe, mit unter der Decke spielte, dann Fenster zerschlug und wüthete, und nun, nun den ehrwürdigen Charakter eines grauen Kriegers so unbarmherzig mit Füßen tritt, Sie sollen niemals mein Schwiegersohn werden!

Er ging fort, und Franz stürzte hinab in den Stall, um das Pferd zu nehmen. Cajus und Adelheid folgten dem Wüthenden. Er führte eben das Roß in den Hof. Ja! ja! sagte Adelheid, ihn scharf ansehend: so geht es, wenn man die Römer stürzen will, die Weltbeherrscher, ohne seine Macht geprüft zu haben. Warum ließen Sie den edlen 508 Entschlummerten nicht in Ruhe? Warum soll er denn kein Husar gewesen seyn? Ist das so etwas Besonderes, dem Regimente nicht anzugehören? Darum mußten Sie meinen Vater erboßen, der sich nun einmal darauf gesetzt hat, daß der Alte Husar gewesen seyn soll und muß? Und alle meine Winke und Mienen halfen nichts?

Franz sah sie mit einem schrägen Blicke an, seine Lippen zitterten. Hierauf nahm er die kleine Uhr aus der Tasche, schleuderte sie auf die Steine, und zerstampfte sie mit dem Fuße, daß die Splitter weit umherflogen. In demselben Augenblicke stürzten ihm große Thränen aus den Augen, er war leichenblaß, und ein krampfhaftes Schluchzen befiel ihn. So schwang er sich auf das Pferd, er schien ohnmächtig, er schlug ihm die Sporen ein, taumelte hin und her, als er fortrannte, neigte sich vorn über auf den Nacken, wie ermattet, und setzte über einen Graben, worauf er, fern vom Wege, über den Acker, ohne rückwärts zu sehen, dahin flog.


Was war das? fragte der erstaunte Cajus.

Ich bin zu weit gegangen, antwortete Adelheid, die selber einer Ohnmacht nahe schien. Ihm nach, Bruder, denn er ist im Stande, sich umzubringen, ich habe sein Herz die ganze Zeit über zu grausam zerrissen.

Aber wie? antwortete Cajus: wo ihn treffen? Vielleicht ist er nach seinem neuen Gute, das er in diesen Tagen übernehmen wollte. Wenn wir aber fahren, so sieht es der Vater, der Kutscher wird vermißt. Willst Du einmal wieder Dein Pferd probiren?

Alles, alles, sagte Adelheid, nur ihm nach.

Cajus legte selbst den Damensattel auf und half der Schwester. So ritten sie aus der Hinterpforte, um nicht 509 bemerkt zu werden, und gelangten nach einer Stunde auf das Gut. Ist der Herr von Waltershausen hier? fragte Cajus den Gärtner. Ja, antwortete dieser, vor kurzem in einer sonderbaren Stimmung angelangt; er ist droben im Saale, und will keinen Menschen sprechen. –

Sie stiegen ab, Cajus führte die Pferde fort und verweilte dann im Garten. Adelheid stieg mit klopfendem Herzen die Treppe hinan. Als sie die Thür öffnete, sah sie den Jüngling verstört, mit verwirrtem Haar, blaß und entstellt im Lehnstuhl sitzen. Er starrte sie an, als wenn ihm ein Gespenst erschiene, er traute seinen eigenen Augen nicht. Franz! sagte sie mit sanfter und bewegter Stimme. Bei diesem Namen hatte sie ihn noch niemals genannt. Ermanne Dich! sprach sie vernehmlicher, bringe Dich, bringe mich nicht um. – Dies vertrauliche Du hatte er noch lange nicht von ihren Lippen zu vernehmen gehofft. Er wähnte, zu träumen. – Wie ist mir? rief er, indem er aufsprang; Du hier? Was willst Du? Täuschen mich meine Wünsche? Bin ich vielleicht schon rasend geworden?

Er warf sich zu ihren Füßen nieder; ein Thränenstrom erleichterte seine beklemmte Brust. Steh auf! sagte sie liebreich, Du Armer: steh auf und vergieb mir. Er erhob sich. Sie schlang zuerst den Arm um ihn, er erwiederte den Druck, sah sie an, sein Herz wandte sich um, und so, indem beide sich betrachteten, drückte sie ihm den ersten Kuß der Liebe auf seine Lippen. O ihr Blinden! sagte sie dann: Du hast es nicht gesehen, nicht gefühlt, wie ich Dich liebte? Daß mein Auge Dich nur aufsuchte, daß ich entzückt war, als Du an jenem Abend zuerst in unsere einsame Wohnung tratest? Aber es kränkte mich, daß Du lauschen, daß Du so klug seyn wolltest, daß Du mir Deinen wahren Namen verhehltest, da ich Dich schon längst kannte. Ja, ich kannte 510 Dich, Ränkeschmied, und ich habe Dich vielleicht noch eher geliebt, als Dein Gefühl für mich erwachte. Denn eben auf jenem Balle, wo Du mich zuerst sahest, hatte ich Dich schon längst in Deiner Ecke bemerkt. Es verdroß mich, daß Du nicht tanztest, daß Du nicht zu mir tratest. Du sahest recht ernsthaft, mit einem wunderbar schwermüthigen Blicke vor Dir nieder. Wie glücklich, dachte ich, muß das Mädchen seyn, an die er jetzt so innig denkt, oder wie selig ist die, die seine Seele in Zukunft findet. Von den Umstehenden erfuhr ich Deinen Namen. Unsere Blicke begegneten sich einigemale, aber Du mischtest Dich nicht unter die Tanzenden, nachher warst Du verschwunden. Dein Auge ging in meinem Herzen mit hieher in die Einsamkeit. Ach! Du kamst, aber nicht offen, nicht zutraulich. Gar Deinen Humoristen schicktest Du zu mir ab, der dummes Zeug sprach. Nachher sahst Du es nicht, weil Du betäubt warst, und meinen Muthwillen nicht verstandest, wie ich den widerwärtigen Binder in seiner Abgeschmacktheit immer sicherer machte, wie er immer dreister meinen Vater beleidigte, so daß es ganz so kam, wie ich es mir berechnet hatte. Nun war ich frei, und hätte wohl sprechen sollen. Ein böser Geist gab mir ein, daß Du noch bestraft werden müßtest. Ich konnte Deine Wiederkunft nicht erwarten, um meine Quälerei, meine Verstellung, die Dein Herz zerrissen hatte, wieder gut zu machen. Aber Deine heutige Laune war mir unbegreiflich. Es war, als wenn Du Händel suchtest, und mein Vater war zum Unglück eben so kriegeslustig. Aber nun (sie warf sich plötzlich zu seinen Füßen nieder) vergieb mir alles, verzeih mir, daß ich Dich so innig, vielleicht zu sehr liebe, verstoße mich nicht, Du lieber widerwärtiger Mensch, weil ich Dich geärgert habe, und Du, dumm genug, meine Meinung nicht verstandest: laß Dich gütigst herab, mich wieder etwas zu 511 lieben. So weinend und lachend zugleich, umfaßte sie Franzens Knie, der sie nicht vom Boden aufheben konnte, er weinte und lachte wie sie, wollte sie küssen und trösten und aufrichten, und in dieser sonderbaren Stellung fand sie der Bruder. – Da sich alles aufgeklärt hatte, schwur man sich ewige Treue, und erwartete wohl mit ziemlicher Sicherheit, daß der schnell entstandene Zorn des Alten vorübergehen würde, besonders wenn Franz jene Aufklärungen und Beweise seiner Behauptungen geben könne, in deren Besitz er zu seyn versicherte.


Diese waren bald nicht mehr nöthig. Denn schon nach zweien Tagen kam Gotthold in Gesellschaft der beiden Alten, des Herrn Winterberg und von Fischbach an. Er hatte sie durch seine Laune und Scherze so weit gebracht, daß sie die Reise unternahmen, um ihren alten Freund, den Baron, wieder zu sehen, und bei der Hochzeit seiner Tochter gegenwärtig zu seyn.

Es war, als wenn Gotthold geahndet hätte, was vorfallen würde. Der Baron war so erfreut, seinen Jugendlehrer, Winterberg, unter dem er vor vielen Jahren in Liegnitz studirt hatte, in seinem Hause zu bewirthen, daß seine Laune sogleich die heiterste wurde. Der alte Fischbach, der indessen schon gehört hatte, was mit seinem Neffen vorgefallen war, entschuldigte und rechtfertigte diesen, weil er es selbst gewesen, der ihm jene so anstößigen Nachrichten über Römer mitgetheilt hatte.

Ja, nahm der alte Winterberg das Wort. Jener Römer, der hier so lange bei Ihnen die sonderbare Rolle gespielt hat, ist mir von seiner frühesten Kindheit an recht gut 512 bekannt, denn er ist in meiner Gegend dort geboren und erzogen. Als der siebenjährige Krieg sich seinem Ende nahte, wurde er einem Schneider in die Lehre gegeben, denn Sie müssen wissen, daß der wunderliche Kauz auch sein Alter erlogen hat. Vom Schneider lief er weg, und war eine Zeitlang in Diensten eines Pferdehändlers. Hier lernte er reiten und mit den Thieren umgehen. Nach dem Frieden war ein alter abgedankter Husar seine tägliche Gesellschaft. Der erzählte ihm, da er den ganzen Krieg mitgemacht hatte, Tag und Nacht von seinen Feldzügen. Alle Zeitungen und Kriegesberichte lasen sie mit einander. Um diese Zeit kam ich auf einige Jahre nach Liegnitz, wo Sie, lieber Baron, damals meiner Obhut anvertraut wurden. Als ich in mein Vaterland zurück reisete, hatte ich den Schäker aus den Augen verloren.

Um jene Zeit, fuhr der Herr von Fischbach fort, lernte er beim Wirthschafter meines Vaters die Oekonomie. Er blieb wohl fünf Jahre in unserm Hause. Darauf wurde er selbst Verwalter in der Nachbarschaft. Ich sah ihn noch zu Zeiten. Späterhin ging er, wie ich hörte, nach Oberschlesien. Seit sechzehn Jahren etwa hörte ich immer von einem Römer, der bei Dir, Baron, eine so große Rolle spielt, Husar und Freund, und Alles in Allem ist, und ich lasse mir nicht träumen, daß das derselbe Windbeutel aus unserer Gegend sei, bis ich dann nähere Erkundigungen einziehe, und zu meinem Erstaunen höre, es sei kein anderer, sondern dieser Römer. Darum hat Dein Sohn auch und der General und alle Schreiber gut in den Regimentslisten nachschlagen können, und ihn nirgend gefunden. Welche dumme Geschichte und Schlechtigkeit sagte er von sich selbst aus, weshalb er unter die Husaren gerathen.

Und doch weinte er, sagte der Vater, und fürchtete die 513 Regimentsstrafe, und hat sich mit seinem Säbel begraben lassen. Unbegreiflich!

Doch nicht so ganz, sagte der Justiziar: die fixe Idee, die erst nur Lüge war, setzte sich als Wahrheit in ihm fest, weil alle Menschen darauf eingingen.

Gotthold hatte zum Ueberfluß den Taufschein, den Lehrbrief als Schneidergeselle, die Atteste seiner früheren Herrschaft, alles mitgebracht, um den letzten, auch kleinsten Zweifel, zu zerstreuen.

Der Baron, der innig seine Uebereilung bereute, eilte selbst zu Franz hinüber, bat ihn in Gegenwart des Obristen und anderer Zeugen um Vergebung, und führte den glücklichen Jüngling im Triumph nach seinem Hause zurück.

Dem verständigen Zipfmantel ward die Stelle des Amtmannes übergeben. Die Hochzeit wurde mit Freuden gefeiert, und Gotthold erschien auf derselben mit einem langen Zopfe; auch hatte er eine so künstliche Perücke dem Jäger, der nun auch Bräutigam war, mitgebracht, daß dieser eben so auftreten konnte. Der Alte lächelte vergnügt und sagte: er ist überflüssig, denn ich schreite gewiß mit dem Zeitalter fort, und werde noch ein Freund unseres Zipfmantel.

Er hatte richtig vorhergesehen, und befand sich in Ansehung der Einnahme bei dieser Freundschaft besser, als bei der seines vorigen Verwalters.

 


 


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