Ludwig Tieck
Die Gesellschaft auf dem Lande
Ludwig Tieck

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Gotthold machte sich seit einigen Tagen mit zwei großen Bildern viel zu thun, die er grau in grau malte, dann auf Holz leimte und sie von dem Bedienten Christian ausschneiden ließ. An einem Nachmittage, an welchem Franz mißmuthig im Felde herumstrich und die Mutter schlief, fand er Gelegenheit, den Auftrag seines Freundes auszurichten. Er erzählte dem Fräulein, daß Franz allerdings kein Maler sei, wie sie richtig errathen habe; er sei von guter Familie, reich, ohne Eltern und in einem halben Jahre Herr seines Vermögens, welches ein Oheim in Schlesien verwalte. Daß er aber, so beschloß er, als ein junger Thor hier aufgetreten ist, daran sind nur Ihre Reize Schuld, die ihn, als er Sie im vorigen Winter in Berlin auf einem Balle sah, so besiegten, daß er seitdem seiner Sinne nicht so recht mächtig ist. Da er nicht tanzte, und sich in einer melancholischen Verborgenheit hielt, so konnte er Ihre Schönheit um so mehr beobachten. Da fiel ihm die alte Fabel ein, die schon oft gespielt ist, daß er um sein selbst willen geliebt seyn möchte, und zwar gerade von Ihnen; so dachte er sich diesen witzigen Plan aus und legte seine undurchdringliche Maske an, stümperte als Maler, sah Ihr Gesicht in allen Beleuchtungen, lernte alle Ihre Mienen auswendig und wurde 412 immer thörichter. Nun aber ist er in Verzweiflung, weil er von Römer gehört hat, daß Sie in diesen Tagen Ihren bestimmten Bräutigam erwarten.

Kennen Sie diesen Bräutigam? fragte Adelheid.

Auf keine Weise, antwortete Gotthold, ich bin auch so wenig wie mein Freund auf seine Bekanntschaft begierig.

Dennoch, antwortete sie freundlich, werden Sie einen sehr interessanten Mann in ihm finden.

Ich zweifle, rief jener. Lassen wir, meine Gnädige, diesen fatalen Diskurs, und sagen Sie mir lieber, welche Hoffnungen ich meinem armen Franz bringen darf.

Adelheid stand auf und sah aus dem Fenster, dann kam sie zurück, als wenn gar keine Unterredung zwischen ihnen statt gefunden hätte. Es regnet, sagte Gotthold, ich habe es schon seit einiger Zeit beobachtet, und der arme Franz wird naß nach Hause kommen. Und Sie sagen mir nichts über ihn?

Adelheid sah ihn ernsthaft an, und lachte dann laut auf. Sie sind sehr dringend, sagte sie nachher, ich muß nothwendig auf den Argwohn gerathen, daß alles dies nur wieder eine neue Maske ist, und Sie der eigentliche Liebhaber sind.

Der Himmel soll mich behüten! rief Gotthold lebhaft aus; nein, nur die Freundschaft kann mich dahin bringen, solchen ängstlichen Dialog zu führen.

Nun so endigen wir ihn, antwortete Adelheid: die Sache, durch Prokuration verliebt zu seyn, ist überhaupt zu neu, als daß ich mich so schnell in sie finden könnte.

Wäre es nicht der Abkürzung wegen gut, fragte Gotthold, dem Franz einen Stein um den Hals zu binden, und ihn so in den Strom zu werfen?

Noch nicht! rief Adelheid, dies letzte Mittel kann uns nie entgehn; ein vernünftiger junger Mann wird noch viele 413 andre Auswege haben. Warum will er denn nicht liebenswürdig seyn, und so übermenschlich vortrefflich, daß ich mich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben muß?

Sie haben Recht, antwortete der Freund, er soll, er muß, und wenn er nicht alle Register seiner Herrlichkeit aufzieht, ins Wasser mit ihm!

Er ging wieder an seine Arbeit, tröstete dann seinen Freund, und am folgenden Tage, als der alte Römer auch bei der gnädigen Frau gespeist hatte, begaben sich diese und Adelheid in den großen Saal, wo Gotthold seine beiden Bilder aufgestellt hatte. Das eine war eine schlanke, vorschreitende Figur, mit leicht schwebendem griechischem Gewande, die Schultern frei, jugendlichen Angesichts; die zweite ein bärtiger, sitzender Mann, ganz bekleidet und in breiteren Formen, auch älter, der auf seine ausgestreckten Hände nieder sah. Als die Eintretenden sich gesetzt, die Bilder betrachtet hatten, und alle nicht wußten, was sie daraus machen sollten, erhob sich der übermüthige Gotthold in einem Anfall seiner tollen Laune und hielt an die Versammlung folgende Rede.

        Verehrteste Zuhörer!

Indem ich seit einigen Tagen von dem Vorsatz bewegt wurde, diesem theuren Hause ein Andenken meines Daseins, einen Dank, wenn auch nur kleinen, für die Gastlichkeit und Freundschaft, die ich hier genossen habe, zurück zu lassen, kam in den feierlichen Stunden der Mitternacht die Begeisterung zu meinem Lager, und in kurzem Verkehr mit der göttlichen wußte ich sogleich, was mir zu thun obliege. Wohl klagt unser Schiller mit Recht, daß die Götter von unsrer Erde entwichen seien, die den Griechen Wald, Berg und Fluß belebten und verherrlichten. Besaß doch damals sogar jede Stadt, jeder Hain, jegliches Haus ein Bild der 414 Gottheit, die dort vorzüglich verehrt wurde, und die auch darum gern verweilte. Soll ich an die Pallas der Athener erinnern, an Troja's, Thebe's Heiligthümer, an den Pan Arkadiens? Doch wir, was haben wir, was glauben wir, wenn wir auch einen Apollo oder Hermes schnitzeln? Das hat ja die Bildhauerkunst bei uns schon tausendmal beklagt, daß die Veneres uns so wenig bedeuten, daß wir mit diesen Amoribus nichts anzufangen wissen. So wandte man sich mehr wie einmal zu vaterländischen, deutschthümlichen, volksmäßigen, isländischen Göttergebilden. Aber Freia und Thor, Odin und Wodan, Thyr und Loke, sammt Balder wollten uns eben so wenig aus der rathlosen Lage helfen, denn ihnen kam noch weniger der Glaube entgegen, und Kenner selbst meinten, ihre Attribute, ihre Fabeln, ihre ganze Statur und Natur vertrügen sich nicht mit dem guten Geschmack. Schon oft hab' ich mich im Stillen gefragt: warum hat noch keinen Genius der Blitz der Weissagung durchdrungen, uns den Geschmack selbst bildlich darzustellen? Haben wir doch Mütterlichkeit und Kindesliebe, Gesetzgebung und Freiheit, ja Aufklärung gezeichnet und gestochen, wenn auch nur in Vignetten, oder in Kalendern. Warum haut man nicht den Geist der Zeit in Marmor, oder Liberalität, Humanität, die Fortschreitung des Menschengeschlechts, die sich von selbst auch der schwachen Imagination im Bilde darbietet? Hier, vaterländische Künstler, geht ein neuer Weg, hier ist ein frischer, unberührter Steinbruch, um Originalität zu holen, die Lorberkränze fallen von selbst herunter. Nun möchten Sie glauben, diese Figuren, da ich mich so ereifere, sollten etwa den Geschmack, den Zeitgeist, den Zustand der Finanzen, den Amortisationsfond oder den Patriotismus darstellen; aber weit gefehlt, begeisterte Freunde, diese Einleitung ward nur vorangeschickt, um eine Bahn zu öffnen, die uns näher liegt, die 415 uns wichtiger seyn muß, und auf welcher wir den Griechen gleich kommen, ja sie wohl noch überflügeln können.

Denn das ist jenen Alten immer vorzurücken, daß sie Bild und Sache verwechselten; über ihre Verehrung der Naturkräfte war ihnen, was wir alle noch täglich bedauern, der Schöpfer selber schon verloren gegangen; aber als sie nun Stein, Holz und Erz sogar für das Wesentliche hielten, da war Hopfen und Malz an ihnen verloren. Deshalb ist zu befürchten, die wir schon mit Begriffen Götzendienst treiben, daß wir bei plastischer Bildung dieser gefühlreichen Begriffe ganz in die Anbetung des kälbernen Apis gerathen möchten. Um also unsere Gemüther frei zu lassen, und doch der Kunst und Originalität genug zu thun, habe ich als der erste kühne Beschiffer eines unbekannten Oceans den vielleicht zu kühnen Versuch gemacht, in der Gestalt dieses schlanken jungen Mannes dem schauenden körperlichen Auge den Accusativus hinzustellen, der in diesem Hause und in der ganzen Provinz mit ausgezeichneter Andacht verehrt wird. Sei er also der schützende Genius dieses Schlosses, dem schon die Herzen schlagen, der so oft angerufen, zitirt und angewendet wird, in Gelegenheiten, wo andre Provinzen seinem Bruder, dem Dativ, huldigen. So, wie er hier gezeichnet ist, hat diesen feinen, idealischen, sanften Accusativ mein Geist geschaut, und ich bin der festen Ueberzeugung, nur in diesem Vorschreiten, in diesem leichten Gange, in dieser Gestalt und Geberde kann er in die Wirklichkeit treten. Vielleicht, daß der junge Erbe dieses Hauses ihn in Zukunft in Marmor gestalten läßt, nach dieser Skitze, die aus Andacht und Begeisterung hervorgegangen ist. Des Contrastes wegen sitzt dort sein Bruder, der gedrückte, bescheidne Dativ, erwartend, statt entgegen zu kommen, ruhend, statt im Anlauf, gedrungen, breit, stämmig, statt schlank 416 und heiter. Frage jeder sich der theuern Anwesenden, jeder sinnige Beschauer, ob nicht so diese Gebilde schon seit undenklichen Zeiten in seinem Innern schlummerten. Wohlan denn, der Berg ist durchgehauen, der Weg nach der neuen und neuesten Kunst eröffnet! Mir nach, ihr Jünglinge, ihr Genien, beflügelte Geister, die nur darauf warteten, den Himmel der Kunst von einer neuen Seite bestürmen zu können. Wem von euch wird der Nominativ, der seltsam geheimnißvolle Genitiv erscheinen? Von dem wunderlich verrufenen Vocativus, dem frömmsten der sechs Brüder, ist eine kuriose Sage durch alle Länder im Umlauf, so daß er der unwissenden Menge schon oft zum Gelächter gedient hat. Eben so war Cassandra verspottet, so wurde des Tiresias Weisheit nur zu oft mißverstanden. Aber in manchem frommen Bilde, das die Augen in Ekstase nach oben dreht, von Carlo Dolce und ähnlichen, habe ich geglaubt, die Annäherung an meinen Vocativus, die Ahndung dieses hohen Ideals zu entdecken, wenn die Gemäldegallerien und ihre Register die Figur auch ganz anders taufen.

Sollen denn aber bloß diese Casus in der neu aufblühenden Kunstschule gebildet werden? Diese hohen Gestalten bewachen ja nur den Eingang zur menschlichen Erkenntniß. Wer sie schon geheimnißvoll nennt, mit welcher Mystik muß er dann Indikativ und Conjunktiv, das nahe stehende Präsens, das hohe Perfektum, das verehrungswürdige Plusquamperfektum begrüßen? Ein Name, vor dem schon der Knabe sich beugt, der zum Bewußtsein erwacht. Soll ich das Futurum, das unbegreifliche Kind von diesem, das Paulo post noch nennen? Und der Infinitiv! Müßte er nicht in vielen Palästen als Schutzgott hingestellt werden, da der Große schon seit lange, der Vornehme, mit lakonischem Bestreben ihn fast einzig und allein gebraucht? Dann noch der 417 heldenkühne Imperativ, dräuenden Blicks, zornig wie Ares, stark wie Thor, majestätisch wie Zeus. Ist erst dieses geschehen, so wage sich ein künftiger Praxiteles oder Apelles selbst an die beiden Aoristen der Griechen, um das Sublimste zu schaffen und deutlich zu machen, was dem menschlichen Geiste vielleicht möglich ist! Sie sehen aber, Verehrte, daß auch schon, wenn wir bei deutscher Mundart bleiben, der Begeisterung unendlich viel zu thun obliegt. Hier stehn sie, die ersten Anfänge dieses glorreichen Jahrhunderts, der Nachwelt verehrungswürdig, weil sie zuerst den Pfropf lösten, der bis dahin den brausenden Champagner in der Flasche festhielt. –

Adelheid hatte während dieser feierlichen Rede das Lachen verhalten müssen, die Mutter hatte sie aufmerksam angehört, ohne ein Wort zu verstehn, Franz war zu ernsthaft, um den Spaß genießen zu können, und der alte Römer ging empfindlich fort, indem er zur gnädigen Frau sagte: der junge Herr ist boshaft, das mit dem Vocativ soll auf mich gehn, weil ich die Augen manchmal gen Himmel aufschlage. Woher soll uns aber Trost und Hoffnung kommen, wenn nicht von dort? Das alles, glauben Sie mir, hat ihm der gottlose Müller eingeblasen; aber es ist weder Wahrheit noch Menschenverstand in der Sache.

Adelheid unterbrach die Ruhe, indem sie ausrief: der Vater kommt. Alle liefen an das Fenster, ihn zu begrüßen, dann eilten sie die Treppe hinab, die beiden Fremden blieben zurück, und sahen den alten Herrn vom Pferde absteigen, der niemand anders war, als jener Grüne, gegen welchen sie sich an der großen Brücke nicht eben allzuhöflich betragen hatten. Was ist nun zu thun? rief der erschrockne Franz: ist es doch, als wenn alles Unglück auf mich einstürmte. – Nur zweierlei kann geschehen, antwortete Gotthold mit Fassung: entweder wir nehmen sogleich Extrapost und reisen 418 ohne Abschied davon, und dies wäre das Mittel für die Feigheit, die alles aufgiebt, wo noch nichts verloren ist: oder ich werfe mich in eine graziöse Unverschämtheit, und thu, als wäre gar nichts Besonderes vorgefallen. Dazu gehört aber, wenn es glücken soll, daß Du Dein Incognito fahren lässest, denn wenn wir Edelleute sind, so nimmt das die Hälfte der Beleidigung hinweg.

Hand in Hand gingen die Freunde hinab. Die Familie hatte sich schon begrüßt, und Gotthold eilte auf den Alten zu, umarmte ihn und rief: willkommen! willkommen! Aber warum haben Sie sich denn gar so lange erwarten lassen? Ich bin Gotthold von Eisenflamm, dieser hier Franz von Walthershausen, Freunde Ihres Sohnes, und Franz ist weitläufig zwar, aber doch mit Ihnen verwandt. Verzeihen Sie uns jenen Spaß, alter, würdiger Freund, wir kannten Sie recht gut, und wollten nur sehen, ob Sie mit Ihrer Würde und Autorität auch wohl einige Geduld verbänden. Und herrlich haben Sie uns junges Volk ohne allen Zorn über die Achsel angesehn; auch dafür unsern Dank, verehrter Mann.

Der Alte war wie im Sturm erobert, und konnte nicht zürnen. Bald musterte man alle Familienverzweigungen und Seitenverwandte durch, womit sich der alte Adel so gern, vorzüglich auf dem Lande beschäftigt. Franz gewann durch diese langweiligen Ausfädelungen so viel, daß er nun für eine Art von Vetter gelten konnte.


Am folgenden Tage war der alte Herr mit den jungen Leuten und seiner Gemahlin im Saale. Gotthold war etwas verlegen, was der grüne Mann zu seinen beiden Bildern sagen würde. Ei! rief er aus! was ist denn das? Das ist 419 hübsch, bei meiner Seele! Die gnädige Frau fing an: der Mann, der da sitzt, soll ein gewisser berühmter Dadiv seyn. – O Weibsvolk! Weibsvolk! rief der Vater: was das schwatzt, David will sie sagen, und verwechselt sogar den berühmten biblischen Namen: aber dazu fehlt ihm Harfe und Krone. Es ist offenbar der bettelnde, blinde Belisar, wie er am Wege sitzt, und ein Almosen erwartet. Recht schön ist seine Noth ausgedrückt, wie er so die blinden Augen auf seine ausgestreckten Hände herunter senkt, als wenn er sagen wollte: noch habe ich heute nichts bekommen. Und der Große scheint mir Achilles zu seyn, wie er aus seinem Zelte heraus tritt. Gotthold bejahte mit Schweigen. Sehn Sie, fuhr jener fort, wie ich die Gemälde gleich erkenne, wenn sie nur im richtigen Charakter aufgefaßt sind. Es ist aber viel, daß die beiden Herren in der Kunst so treffliche Sachen leisten können.

Adelheid und die Mutter entfernten sich wieder, die letztere darüber empfindlich, daß ihr Gemahl die Bilder heute ganz anders gedeutet habe, und daß Gotthold ihm darin Recht gegeben, der sie gestern, wenn sie ihn auch nicht verstanden hatte, doch mit andern Namen belegte. Adelheid suchte ihr einzureden, daß die eine Figur wirklich Achilles sei genannt worden; sie glaubte dies endlich, nur Belisar und Dativ schien ihr zu weit aus einander zu liegen, und sie meinte zuletzt: der biederherzige Römer möchte nicht ganz Unrecht haben, daß er in Ansehung des Vocativ sich getroffen gefühlt, und es wären wohl noch mehr boshafte Anspielungen in jener Rede und den Bildern verborgen.

Zu meinem Geburtstage, der übermorgen ist, sagte der Baron, wird noch ein Freund, ein Husarenobrist, aus Schlesien ankommen; auch mein Sohn Cajus wird, wie ich denke, alsdann hier seyn; dann machen wir alle, den alten, lieben 420 Römer mit eingerechnet, eine fröhliche Gesellschaft aus, in welcher sich wohl auch die Grillen meines Predigers übertragen lassen. Aber heut noch wird ein ganz vorzüglicher Mann, der Herr von Binder, erscheinen; auch unser Justitiarius wird nicht fehlen, und so werden denn die jungen Herren hoffentlich keine Langeweile empfinden, und die Erfahrung machen, daß man auch auf dem Lande in gebildeter und geistreicher Gesellschaft leben könne.

Daran ist nicht zu zweifeln, antwortete Franz. Im Gegentheil kann sich in der Ruhe des Landlebens, wenn sich einmal interessante Menschen zusammenfinden, mehr Geist entwickeln, als in der Stadt, wo alles gespannt und unruhig hin und her treibt, und die Behaglichkeit kaum möglich wird, die doch unentbehrlich ist, um sich recht wohl zu befinden.

Nicht übel, sagte der alte Baron. aber ich versichere Sie, man trifft auch hier Neid und Kabale, Verleumdung und böse Zungen; alles ist zwar im kleineren Maßstabe, als in der Stadt, aber darum nicht weniger drückend. Was habe ich allein mit meinem Prediger zu kämpfen, der fast nie will wie ich, oder mit meinem Justiziar, der durch und durch von dem neuen Zeitgeist besessen ist. Dadurch werden die Bauern auch oft stutzig, und ich und mein trefflicher Römer können nicht alles so durchsetzen, wie es doch zum Wohl des Ganzen seyn sollte. So werd' ich angefeindet. Dazu trägt manche Kleinigkeit bei. Vorzüglich, daß ich mir hier in der Einsamkeit angewöhnt habe, jeden Durchreisenden auszufragen, woher er komme, wohin er gehe; da es oft Bettler, Herumstreicher, oder Handwerksbursche sind, so geschieht das leicht mit einem kurzen, barschen, gebietenden Ton. Ohne daran zu denken, brauche ich diesen auch bei Vornehmeren, die das Ding oft übel nehmen. So kam es auch, daß wir uns neulich darüber beinah entzweiten. Auch mit 421 Frau und Tochter bin ich nicht ganz einig. Adelheid schlägt eine Parthie nach der andern aus; jetzt, denk' ich, wird sie sich endlich die vortheilhafte mit meinem Freunde Binder gefallen lassen. Mit meiner Gesundheit kann ich zufrieden seyn, nur daß mich Träume oft ängstigen, besonders ein verwünschter, vermaledeiter Traum, der mir fast wöchentlich wiederkommt, und der mich immer verdrüßlich und unpaß macht.

Und dieser Traum, was ist sein Unangenehmes, fragte Gotthold.

Mit der deutlichsten Umständlichkeit, sagte der Baron, träumt mir so oft, daß mir der Teufel holt.

Ei! ei! sagte Gotthold, mit zurückgezwängtem Lachen, indem er sich nach dem sitzenden Belisar wandte, der jetzt seinen Obol empfangen hatte.

Ja, ja, meine Herren, lachen Sie, oder verwundern Sie sich, aber es ist wahr, daß immer wieder der Teufel in aller Persönlichkeit kommt, um mich abzuholen, bald freundlich, bald mit Gewalt, ein andermal, daß ich ganz unversehens in seinen Klauen bin. Das erstemal, als ich die Sache erlebte, war es aber am denkwürdigsten. Jetzt mögen es dreißig Jahre her seyn, ich war noch ledig, denn ich habe erst spät geheirathet. Ich war damals in Berlin und ganz mit den Lustbarkeiten des Carnevals, Bällen, Opern und Comödien beschäftigt. So träumt mir, ich komme aus dem Opernhause. Wildes Gedränge, Stoßen, Schreien, wie immer, finstere Nacht, und dazwischen blitzend die rothgelben Fackeln. Die Wagen rasseln vor, da, dort wird eingestiegen. Ich rufe nach meinem Kutscher. Betäubt von dem Dunst der Fackeln, von der eben geendigten Opernmusik, von dem Lärmen der Bedienten und Wachen, hebt mich jemand, den ich nicht gleich kenne, in eine Kutsche. Der Schlag wird 422 zugeworfen, und hinten springen Lakaien hinauf, es scheinen mir fremde zu seyn. So im vollen Jagen über die schmale Brücke, dann über die breitere, nach der großen Façade des Schlosses und dem Lustgarten. Plötzlich, da sie nicht lenken, theilt sich das dunkle Schloß auseinander, im Toben durchgejagt, die Königsstraße, wo ich gar nicht hinwollte, hinab. Nun sind wir im Freien, ich weiß nicht, wie. Alles finster, nur das Fackellicht meiner Leute. Die flüstern, die lachen hinter mir, und ein Grauen befällt mich. Die schwarzen Pferde rennen immer rasender, es ist kein Lauf mehr, ein Fliegen, ein Hinschießen, wie der Vogel erst, dann wie der Pfeil, wie die Büchsenkugel. Nun weiß ich, daß ich in der Gewalt höllischer Geister bin. Wir sind auch schon in fürchterlichen Felsengegenden. Schwarze, spitze Klippen hängen schroff und dräuend von allen Seiten herein. So rennen wir durch einen ungeheuern Steinbogen, und wie die Pferde hindurchgesprungen sind, stürzt hinter mir die Granitmauer krachend zusammen. So geschieht es mit einem großen stählernen Thor. Alles bricht immer hinter mir ein, durch so viele Pforten ich gerissen werde. Es wird immer einsamer, immer stiller, die Leute hinter meinem Wagen sind verschwunden. Es ist, als würden weniger Pferde. Jetzt schleppt nur noch eins den Wagen. Wieder ein dunkles, unendlich langes Felsengewölbe; ich bin hindurch, und eben so fällt es hinter mir krachend in Trümmer. Der Wagen schießt einen Abhang hinunter, ich falle, es ist alles um mich her verschwunden. Da lieg' ich in einem kleinen, engen Raum, aus Sand und Kies, hinter mir Felsen, vor mir eine wüste, traurige Oede, und ich weiß nun, daß ich verdammt bin. Kein Scheusal, kein Feuer, Hölle und Satansgebilde um mich, wie sie die Phantasie unserer Wärterinnen uns malt; aber weit entsetzlicher diese ewige, unbeschreiblich trostlose 423 Einsamkeit, das deutliche Gefühl, daß kein Gedanke, keine Erinnerung, kein Gefühl durch alle die versperrenden Felsenmassen zum Vater der Liebe hindurch kann, daß kein Gedanke von ihm mich trifft, daß er mich vergessen hat, und eine Ohnmacht, ein Verschwinden aller Kräfte es mir auf Ewigkeiten unmöglich machen, wieder mit der kleinsten Faser meines Gefühls, mit dem kränksten und albernsten Kindergedanken irgend einen Weg zu meinem Erlöser zu finden. Das Gefühl war so entsetzlich, daß ich mich nach Qualen, Verdammten und Teufeln recht herzlich sehnte, um nur im Anschaun anderer Wesen, in Folterschmerzen, in Grauen und Heulen mich von dieser fürchterlichsten Einsamkeit zu erholen und zu zerstreuen. Ich erwachte endlich, aber noch den ganzen Tag verfolgte mich diese Empfindung. Ich glaubte meiner Täuschung Herr zu werden, ich verwies mir die Tollheit, und wollte über den Gedanken lächeln, daß Gott der Herr meiner, oder irgend eines Wesens vergessen könne. Aber die ungeheure Wahrheit dessen, was ich im Schlaf erlebt hatte, überflügelte alle die Trostgründe, die mir die Vernunft geben wollte. Und war denn mein alltägliches, wüstes, gedankenleeres Leben etwas anderes, als das, was ich im Schlafe gesehen hatte? Dies Schwatzen in den nüchternen Gesellschaften, dies Umtreiben in langweiligen Häusern, Klatschen und Klatschenhören, dies Suchen nach Zerstreuung, dies Entfliehen vor jedem besseren Gefühle, dies Freigeistern unter schlechten Menschen, wo ich so oft mich selbst belog und männlich und kräftig erscheinen wollte, alle Grundsätze meiner Erziehung, die schönsten Erinnerungen meiner Kindheit mit Füßen trat: was that denn alles dies Unwesen anders, als daß es ein Thor nach dem andern hinter mir mit stählernen Riegeln verschloß? daß Felsengebirge sich zwischen mich und den Ewigen thürmten? War ich denn dadurch 424 nicht schon so einsam, wie in meinem Traum, wußte ich denn noch viel von ihm, neigte er sich denn noch zu mir? Aber darin war ich unbeschreiblich glücklich, daß ich noch wieder zu ihm konnte, ich lebte noch, ich hatte noch die Kräfte, die ich ihm verdankte, und so war denn auch dieser sonderbare Traum die Veranlassung, daß ich mir ein besseres Leben einrichtete. Was sagen Sie dazu?

Ich meine, antwortete Franz, daß sich oft das Tiefsinnigste unsers Wesens, jene noch unsichtbaren Gedanken zuweilen in Bilder umsetzen, deren sich dann der Traum bemächtiget, um unser ganzes Sein von Grund aus zu erschüttern.

Aber, sagte der Baron, spielen wir selbst mit uns, oder mischt eine höhere Hand die Karten?

Vielleicht, antwortete der Jüngling mit bedenklicher Miene, läuft in den recht wichtigen Lebensmomenten beides auf eins hinaus. – Er schien von dieser Vorstellung selbst überrascht zu werden.

Es ist wahr, fuhr der Alte fort, unser eigenes Gewissen arbeitet wie ein geschickter Künstler sein ächtes Gold in mehr als vier Farben aus. Und freilich, was ist es denn wieder, was diesen unbestechlichen Werkmeister treibt, als jene ewige Wahrheit, von welcher alle Wahrheit stammt? Nicht wahr, das ist nicht freigeisterisch, sondern christlich gedacht?

Gewiß, antwortete Franz. Aber wie kommt es nur, daß Sie dennoch so oft von jenem Traume verfolgt werden?

Der Baron lachte. Sehn Sie, sagte er, das macht wohl unsre konfuse menschliche Natur, und es ist, wie mit unserm ganzen irdischen Leben. Ich habe keinen, auch noch so würdigen Mann gekannt, an dem nicht irgend etwas recht lächerlich und albern gewesen wäre; keine That fällt vor, sie sei noch so herrlich, groß, oder selbst erschrecklich, bei der 425 nicht, wenn man sich genau unterrichtet, oder selbst Zeuge seyn kann, etwas Läppisches neben her läuft. Der beste Prediger auf der Kanzel verspricht sich einmal, oder schneidet beim Abendmahl ein Gesicht, so daß man sich in schönster Andacht in Acht nehmen muß, nicht zu lachen. Man ist gerührt, über Unglück, Todesfall, man will trösten und helfen; und wie man die Hand umkehrt, kann einem die ganze Sache komisch vorkommen. Soll man das nun den Teufel nennen, der sich mit seiner hochmüthigen Ohnmacht in alles einmischen will und darf? der nichts, selbst die feinsten, flüchtigsten Gefühle unbeschnuppert und ungestört läßt? Oder ist das so simpel hin die menschliche Natur? Oder kommt beides wieder, wie jenes menschliche und göttliche, wovon wir vorher sprachen, auf eins hinaus? Wenigstens hat der Mensch bei jedem Schritt und Tritt Veranlassung, über sich und das Wichtigste nachzudenken. Wenn der Satan zugleich ein Hanswurst ist, so kommt er, wie gesagt, in Jacke und Pritsche sehr oft zu mir, und ich muß mich mit ihm herum balgen. Denn so wichtig und entsetzlich, wie jenes erstemal, ist mir kein Traum wieder erschienen. Aber wie ein halblustiges Nachspiel jener Tragödie muß ich oft dem Verrückten zum Spaß und Kurzweil, und doch zum Opfer dienen. denn wenn die Umstände auch komisch sind, wenn er selbst auch läppisch auftritt, so nimmt er mich doch jedesmal richtig mit, und wenn nun die Qualen in der sogenannten Hölle losgehen sollen, so wache ich auf. –

Im Garten fand die Gesellschaft sich jetzt wieder zusammen, sie gingen, da das Wetter lockte, auf das Feld hinaus. Römer war bei den Arbeitern dort in seiner ganzen Majestät, und der Baron, der ihn nur noch wenig hatte sprechen können, machte sich viel mit seinem Günstlinge zu thun. In der Ferne ließ sich ein Reiter bemerken, ein langer Mann, 426 der auf einem kleinen Pferde saß, den dreieckigen Hut verkehrt auf dem Haupt, den er vor jedem Knechte, der ihn begrüßte, abhob, und sich so demüthig verneigte, als wenn ihm der Fürst begegnet sei. So den Hut schwenkend und sich tief auf den Hals des Pferdes herunter bückend kam er näher, stieg ab und gab seinem Diener das Roß, worauf er zuerst den alten Römer mit der größten Herzlichkeit in die Arme schloß, dann sich dem Baron näherte, vor den Damen verneigte und befremdet auf die jungen Freunde hin sah. Seid Ihr es, alter Binder, rief der Baron, hätt' ich Dich doch bald nicht wieder erkannt, so hast Du Dich verändert. – Aber Mensch! schrie er vor Entsetzen auf, indem er einen Schritt zurück sprang – Du hast Dir ja den Zopf abgeschnitten! Darum hatte mir auch Deine ganze Erscheinung so etwas Wildfremdes.

Lieber Alter, sagte der Herr von Binder mit geheimnißvollem Lächeln, nimmst Du denn auf den Geist der Zeit gar keine Rücksicht?

Sollen wir dem Baal, rief der Baron entrüstet, gerade das Beste opfern, was uns zu Patrioten, zu ächten Menschen macht? Ich dachte, mein Sohn wäre nur ein Narr geworden, und die jungen Herren, die in Schwärmerei untergehn; aber Du, vormals preußischer Major, Krieger, Deutscher, ein Sprößling älterer, besserer Zeit, – Himmel und Erde! An Dir gerade muß ich den Skandal erleben! Hätte mir einer gesagt, der Binder ist ein Spieler geworden, er säuft, er hat alle seine Schaafe verkauft, und zieht mit Bären im Lande um, alles, alles hätte ich eher geglaubt, als daß der ächte Mensch, der Binder, der Mann von Treu und Glauben, so ruchlos seinen Zopf sollte abgeschnitten haben, als wenn er sich nie mehr dabei gedacht hätte, als wenn er bloß ein Büschel Haare, mit Seidenband umwickelt, gewesen wäre. O Du – Ihr – o Sie fataler Mann Sie! Ja, dahin wirst Du es noch bringen, daß ich Dich Sie nenne! Sie! das ist Alles gesagt. Sieht er nicht von hinten aus, als wär' er unter die Seeräuber gerathen und hätte Wolle lassen müssen: wie ein Atheist aus seinen alten Tagen. Nun sieht man erst den magern Nacken und daß er schlechte Schultern hat. Nun warte, nun will ich auch nichts thun, als Dich fragen, wovon ich weiß, daß Du es nicht leiden kannst. Du willst ein Original seyn? Du standhaft? dem Geist der Zeit! Hin bist Du, aus ist es mit Dir! Römer, sieht er nicht aus wie ein Franzose?

Römer mochte nicht antworten, und der neue Gast war sichtlich über diese heftige Anrede verstimmt worden. Adelheid ließ sich von ihm führen und suchte ihn über die leidenschaftlichen Ausfälle des Vaters zu beruhigen. Gotthold hatte große Mühe, seinen Muthwillen zu unterdrücken, und Franz schöpfte wieder Hoffnung, seit er seinen Nebenbuhler persönlich hatte kennen lernen.



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