Ludwig Tieck
Die Gesellschaft auf dem Lande
Ludwig Tieck

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Der alte Baron lag noch im Bette, als der Jäger zur ungewöhnlichen Stunde zu ihm hereintrat. Was giebt's? fragte der Gebieter hastig. – Ach! stotterte der Diener, 475 nehmen Sie's nicht übel, gnädiger Herr, es ist halt so ein Unglück vorgefallen.

Ein Unglück?

Wie man's nimmt, fuhr jener fort, – so recht groß ist es vielleicht nicht, – denn man lebt auch ohne das – aber doch –

Nun, so sprich doch –

Sie wissen doch, gnädiger Herr, daß gestern im Dorfe beim Bauer Nehmig die große Hochzeit war. Herr Römer war natürlich auch dazu eingeladen, und er wollte erst nicht hingehen, weil er sagt, Krebs und Plebs kämen da zusammen –

Crethi und Plethi, dummer Teufel!

Kröten und Plöthen kämen da zusammen und er paßte nicht unter solche Leute. Weil sie ihn aber schon immer den hochmüthigen Langzopf nennen –

Was? rief der Baron. Das unterstehn sie sich?

Ja, gnädiger Herr, so ungezogen sind sie; so ging der Herr Römer auch noch auf den Abend ein Bischen hin, wenn es ihm auch fatal war, denn der Herr Prediger und auch der Herr Justitiarius waren dort, und so ist es denn nun auch eingetroffen, was ihm geschwant hat, denn er liegt richtig noch zu Bette.

Wer?

Der Herr Römer.

Das wird eine jämmerliche Erzählung! Was thut es denn, wenn er noch zu Bette liegt? Er ist vielleicht spät nach Hause gekommen.

Er ist aber krank, sagte der Diener, denn sie haben ihm den Zopf abgeschnitten.

Der Baron fuhr mit gleichen Beinen aus dem Bette. Meinen Schlafrock! rief er mit zitternder Stimme: hilf mich 476 schnell ankleiden! Wer sich das unterstanden hat, dem soll das Donnerwetter dreimal auf den Kopf schlagen! Wer ist der verruchte Bösewicht?

Er, der überkluge Müller, der Herr Zipfmantel. Er sagte, er wollte den jungen Brautleuten einen Hochzeitspaß machen.

Da sank die geballte Faust des Barons ohnmächtig an seinem Schenkel herab, denn es ahndete ihm schon, wie viel Verdruß er haben, wie viel Zank es ihn kosten würde, um dieses unerhörte Attentat, so wie dies es verdiente, bestrafen zu lassen. Der Müller? murmelte er: o Zeitgeist! o Aufklärung!

So wie er aber nur die Stiefeln anhatte, lief er gleich in größter Eil, im Schlafrock, zu seinem Liebling hinüber. Er fand ihn blaß, abgemattet und im Fieber, denn er hatte eine schlaflose Nacht gehabt. So ist es wahr? schrie er. Der Kranke richtete sich stumm im Bette empor, wendete den Kopf, so daß der Besuchende den Nacken sehen konnte, und sagte dann leise und kaum vernehmlich: nicht wahr, ganz so wie Ihr unglückseliger Jäger Walther? Er legte sich hierauf wieder nieder, und reichte dem Baron, der in stummer verbissener Wuth am Bette saß, den langen, mit neuem Bande bewickelten Zopf. Der Baron setzte die Spitze gegen die Erde, indem er ihn steilrecht oben in der Hand hielt, um sich noch einmal dieses Wundergewächses staunend zu erfreuen. Dann gab er ihn seufzend dem Kranken zurück, der ihn wieder mit Aufmerksamkeit auf die Bettdecke legte, strich sich mit nachdenklicher Miene sein Haar und den eigenen Zopf zurecht, welche der Jäger heut noch nicht in Ordnung hatte bringen können, und fragte nach einer langen und bedeutenden Pause: und wie ist es zugegangen?

Gnädiger Herr, sagte der Pazient, theuerster Freund 477 und Gönner, es ist mein Tod, das fühl' ich, bedenken Sie nachher meine arme Frau, die sich in Zukunft vielleicht wieder verheirathen kann.

Sprechen Sie nicht so, Römer, sagte der Baron tief gerührt, Sie wissen, wie unentbehrlich Sie mir sind.

Nicht mehr, antwortete jener, wie Ziethen seinem großen Könige.

Wir wollen uns nicht ohne Noth erschüttern, sagte der gnädige Herr, erzählen Sie mir die ganze Sache.

O mein theuerster Freund, fing der Kranke wieder schwer seufzend an, es leidet keinen Zweifel, daß es gute wie böse Genien giebt, und daß einer von den letzteren gestern, als Sie kaum mein Zimmer verlassen hatten, muß in mich gefahren seyn; denn was hätte mich denn wohl sonst bewegen können, noch am späten Abend zu einer dummen Bauernhochzeit hinzulaufen, wo ich so wenig Unterhaltung wie Belehrung erwarten durfte? Auch mahnte mich ein besseres Gefühl, ich spürte ganz deutlich eine warnende Stimme. Aber dennoch, bekümmert, ja schwermüthig ging ich hin. Da brüsteten sich denn mit verschiedenen Redensarten unser Herr Pfarrer und der Justiziar, und im Winkel saß schelmisch lachend der verruchte Zipfmantel, der noch einmal das Unglück des ganzen Dorfes werden wird. Denken Sie, ich hatte die Eitelkeit begangen, was ich sonst nur an hohen Festen und Ihrem Geburtstage thue, den ganzen Zopf aufzuwickeln, wie Sie ihn noch da sehen, als wenn diese Menschen dort dergleichen Aufmerksamkeit verdienten oder zu würdigen wüßten. Ich setze mich dem Müller so fern, als möglich, und kehre ihm den Rücken zu. Das Gespräch ist denn nun auch so, wie es gewöhnlich zu seyn pflegt. Lauter Verbesserung und Aufklärung, und der gemeine Mann schreiend und tobend. Auch über die Zöpfe wird medisirt, 478 der meinige in einem zweideutigen Tone bewundert, und plötzlich kommt eine Hand von hinten und reicht mir etwas. Was ich empfange, ist mein Zopf, dicht am Nacken abgeschnitten, und als ich mich umwende, grinst mir das Gesicht des Müllers entgegen, dem der Arm zugehörte. Aber den Blick, verehrter Gönner, das boshafte Lächeln, die Satansmiene kann ich Ihnen unmöglich beschreiben, eben so wenig, was in diesen Augenblicken in meiner Seele vorging. Ich stand auf und wankte hinaus, alles war so still geworden, daß man die einsame Fliege summen hörte, es mochte ihnen wohl selber leid thun, daß sie den Verrath so weit getrieben hatten. Ich mußte mich gleich nieder legen, konnte aber die ganze Nacht kein Auge zuthun.

Die Strafe des Bösewichts, sagte der Baron, wenn das Sie etwas trösten kann, soll exemplarisch seyn.

Lassen Sie einen alten Greis ruhig dahin fahren, erwiederte Römer; was kann mir dergleichen nutzen? Einen Schadenersatz giebt es für diese Unthat nicht, eine angemessene Strafe eben so wenig. Ich bin alt und lebenssatt, der abgestorbene Zopf wächst nicht wieder, und ohne ihn zu leben, fällt mir unmöglich.

Soll ich Ihnen vielleicht den Prediger schicken? fragte der Baron mit dem weichsten Tone.

Wozu das? antwortete der Kranke: mein Gemüth ist völlig in seiner Fassung, meine Vernunft sagt mir selbst alles das, was er mir, oder irgend ein anderer vorsprechen könnte. Sie wissen ja auch, daß ich mit den Meinungen dieses Separatisten mich nie habe vertragen können.

Doch kam, indem der Baron wehmüthig aus der Thüre ging, ihm der eifrige Seelsorger schon entgegen. Mit tief bekümmerter Miene setzte er sich zum Kranken und sagte nach einigen allgemeinen einleitenden Worten: wenn wir, 479 theurer Mann, uns der Wahrheit und der himmlischen Güter wegen aller irdischen entäußern sollen, wenn uns geboten ist, alles gern und ohne Reue aufzuopfern, was unsere Sinne in Banden hält, wenn man vom ächten Christen erwartet, daß selbst Kinder, Freunde, Geliebte ihm nicht höher stehen sollen, als jene himmlische Liebe, von der alle irdische nur ein schwaches Abbild ist: so ist es wohl ein viel leichteres Opfer, sich einer Zier zu entschlagen, der Vorurtheil und vorübergehende Sitte eine Art von Werth beilegen konnten, der nur äußerlich und in der Einbildung besteht, ohne irgend in der Wirklichkeit einen sichern Stützpunkt zu haben. Jahrtausende sind verflossen, ohne daß die Welt diesen phantastischen Schmuck wahrnahm, ohne daß ihn unsere Nachkommen kennen, werden wieder Jahrtausende dahin schwinden, und die Welt bestand ohne ihn, und wird sich auch in Zukunft ohne denselben zu behelfen wissen. Ja selbst in unserer Gegenwart: sind denn nicht viele Millionen in Asien, Afrika und Amerika, denen diese Einzwängung des Haupthaares unbekannt ist? Auch in unserm Europa sind ja Provinzen und Länder genug, welche sich nicht damit befassen. Thun Sie also, als ein gesetzter, volljähriger Mann, als denkender Greis, als folgsamer Christ, diese unnütze Einbildung von sich, sagen Sie sich mit Ihrer Vernunft: ich habe keine Einbuße gelitten; und Sie werden unmittelbar gewahr werden, daß Sie weniger als Nichts verloren, daß Sie im Gegentheil gewonnen haben, indem Sie eines Vorurtheils und einer quälenden Eitelkeit los geworden sind.

Der Kranke hatte sich aufrecht gesetzt, um von dieser eindringlichen Rede nichts zu verlieren; als sie nun geendigt war, sammelte er sich ein wenig, und antwortete dann mit ziemlich fester Stimme: Herr Prediger, für Ihren Antheil an meinem Schicksale danke ich Ihnen, Ihre vernünftigen 480 Trostgründe begreife ich, als Christ bin ich schon längst gefaßt, und daß alle Güter dieser Erde, alle Vorzüge, Schönheit, Kraft, Talent vergänglich sind, und deshalb keine ernsthafte Würdigung verdienen, hat mir schon immer meine Vernunft gesagt. Mit allem diesem kann ich Ihnen aber doch nicht unbedingt Recht geben, oder die Sache so, wie Sie, ansehen. Was hat denn auf Erden, was unter allen daseienden Dingen wohl irgend einen reellen, ewigen Werth? Aber – so las ich einmal in einem Comödiendichter, ich weiß nicht mehr in welchem – was ist denn ein Ding überhaupt werth, als wie hoch wir es schätzen? Das, das ist der Punkt, worauf alles ankommt. Resignirt kann ich seyn, mich auch in den allerherbesten Verlust finden, aber darum hört meine Schätzung des verlorenen Gutes noch nicht auf, jener Werth geht nicht verloren, den ihm Liebe, Pflicht, Ehre, zärtliches Andenken, Treue gegen mich und gegen das Heilige beilegen, lauter unsichtbare und unsterbliche Kräfte, die sich auf diese edelste Art mit jenem verlorenen Gute innigst verflechten, und in ihrer Durchdringung es so selbst zu einem unsterblichen, idealischen machen. Ihnen, Herr Pastor, mag die Ursache meiner Kränkung sogar lächerlich vorkommen, der Sie unter Büchern aufgewachsen sind, vielleicht von Kindesbeinen an Widerwillen oder Furcht bei dem Anblicke eines Soldaten empfanden. Bei Ihren Studien schwebte Ihnen schon früh die Perücke, oder das rund geschnittene Haar vor, und da jeder Mensch, er mag sich geberden wie er will, in die Vorurtheile seines Standes hineinwächst, so erschien Ihrem Wesen Degen und Zopf wohl sogar feindlicher Natur. Aber, Herr, wäre es möglich, daß Sie an irgend ein Abzeichen den ganzen Inbegriff Ihrer Aufklärung, den ganzen Zeitgeist sammt aller Veredlung und Fortschreitung Ihrer Menschheit binden und so mit Zopfband umwickeln könnten, 481 und ein kalter Bösewicht träte nun zu Ihnen und löste dieses Zeichen, das Sie durch Enthusiasmus, Nachtwachen, Aufopferungen aller Art, ja durch die ganze Inbrunst Ihrer Seele geheiliget hätten, ab, nähme Ihnen durch diese Ablösung alles Zutrauen, allen Glauben an sich selbst, den Inhalt der schönsten Lebensstunden und Ihrer ganzen Vergangenheit, so würden Sie, aller christlichen Beruhigung unerachtet, die Sie als Geistlicher gewiß in Ehren hielten, sich dennoch verstümmelt, vernichtet und ermordet fühlen. Und so, nicht anders, ist es mit mir. An diese Reliquie knüpf' ich mein Jugendleben, meine Soldatenehre, alle die tausend Gefahren, denen ich, oft wie durch ein Wunder, entronnen bin, mein Gefühl für Preußen, den großen König und meinen General. Die drei Händedrücke, die mir der alte Vater und Held in drei merkwürdigen Nächten gab, und sagte: Römer, Er ist ein braver Kerl! den blauen, durchdringlichen Blick, mit dem mich Friedrich faßte, und als ich erschrocken war, mich mit seinem wohlwollenden, liebreichen Lächeln tröstete: sehen Sie, Herr, alles das, was Sie niemals besaßen und niemals verlieren konnten, das ist mir in diesem einzigen boshaften Schnitt abgestorben, und darum sparen Sie Ihre überflüssigen Reden, denn daß ich mein Schicksal so ertrage, wie ich es trage, daß ich nicht tobe, rase, mich und alle verwünsche, darin zeige ich mich hinlänglich als Christ. Was kümmert es mich, ob die abergläubische Vorwelt ohne Zopf war? Was geht es mich an, wenn die Nachwelt sich wieder ohne ihn behelfen will? Was sollen mir die Türken, Mameluken, Mohren und Heiden, die mir niemals zum Vorbilde dienen können? Brechen Sie einem Feuerländischen oder Caraibischen Wilden seinen Ring aus der Nase, in welchen er seinen Stolz setzt, und er wird sich ungeberdig an Ihnen vergreifen. Schlagen Sie einem Muselmanne, besonders in 482 Gegenwart seines Herren oder Sultans, nur seine Turbansmütze vom Kopfe, und Sie werden sehen, was Sie angerichtet haben. Möglich, oder wahrscheinlich, daß beim jüngsten Gerichte von den preußischen Zöpfen keine sonderliche Notiz wird genommen werden, hoffentlich ist mir dann auch ein neues Herz anerschaffen, das sich leichter über diese Nichtbeachtung hinwegsetzen kann: – aber, als dieser jetzige irdische Mensch, als derzeitiger Römer, in diesem meinem Ich, muß ich und werde ich diesen Verlust, der mir tief in die Seele geschnitten hat, bedauern und beklagen, und daß ich es auf solche Weise thu, wie ich es thu, halte ich für meine Tugend, mein Verdienst und Christenthum. Vernehmen Sie dieses mein letztes Wort, als ein unabänderliches, und betrachten Sie alles, was ich jetzt gesagt habe, als meinen Schwanengesang, denn ich fühle es, daß ich abgerufen werde.

Nach dieser feierlichen Erklärung wünschte der Pfarrer dem Kranken Genesung, und überließ ihn seinen unwandelbaren Grillen, die ihn von neuem, obgleich er sie schon kannte, in Erstaunen setzten.


Jetzt war der Baron völlig angekleidet. Er hatte schon einigemal zum Justiziar geschickt, der aber die Sache, worüber unterhandelt werden sollte und welche er wohl errieth, nicht so eilig und wichtig finden mochte, denn er trat erst in dem Augenblicke in das Zimmer, als der Baron über diese Vernachlässigung schon ungeduldig werden wollte. Sie wissen alles? rief dieser ihm schnell entgegen.

Ja wohl, sagte der Gerichtshalter, und die Sache ist darum so böse, weil sich gar nichts darin thun läßt.

Wie meinen Sie das? fragte der Edelmann.

Wenn man auch, sagte der Justiziar, dem Herrn Römer 483 die bestimmte Hoffnung und Aussicht geben könnte, daß sein Zopf wie das Haupthaar der Berenice unter die Sterne versetzt werden sollte, so würde ihm auch diese Genugthuung noch zu geringe erscheinen: der Herr Zipfmantel im Gegentheil giebt die Sache für einen gutmüthigen nichts bedeutenden Scherz aus, und da er nicht unmittelbar unter unserer Jurisdiktion steht, so wird er sich auch keinen Urtheilsspruch gefallen lassen, oder wenigstens an die Gerichte der Stadt appelliren, und ich sehe daher viele verdrüßliche Weitläufigkeiten voraus, die in nichts endigen werden.

Aber die Gesetze? Ist denn bei einem solchen Frevel nichts vorgeschrieben? Ist der Fall nicht sonst schon vorgekommen?

Wenn man nun auch, fuhr der Gerichtsmann redselig fort, nach dem sehr alten Spruch: Zahn um Zahn! hier Zopf um Zopf sagen wollte –

Nein! rief der Baron, das leidet hier gar keine Anwendung, denn: erstlich, ist der Zopf des Müllers gegen den meines Amtmanns wegen der Unbedeutenheit gar in keine Vergleichung zu stellen; und zweitens: hat der Schalk schon seit vorigem Jahre erklärt, er wolle sich ehestens diese lästige Nackenbeschwerde wegschneiden, um Zeit mit der täglich erneuten Zubereitung zu sparen. So erhielte der Bösewicht also Lohn anstatt Strafe. Was Großes, Unerhörtes, Beispielloses müßte geschehen, um diesen Frevel abbüßen zu lassen.

Aber was? sagte der Justiziar; das corpus delicti ist wie ein pretium affectionis zu betrachten, das einmal den wirklichen Werth eines Haarzopfes an sich trägt, der auf keinen Fall bedeutend ist, und dann den eingebildeten, den ein Liebhabender daran knüpft. Z. B. Sie stehen auf der Brücke neben einem Verliebten, der gestern für seine tombackne Tabatiere, die er von seinem Mädchen geschenkt 484 bekommen, nicht, der Leidenschaft wegen, die er an die Dose bindet, tausend Thaler für sie nehmen wollte: nun fällt durch Ihre Schuld heut diese Dose ins Wasser und ist nicht wieder zu erhalten. Sie müssen dem jungen Manne, wenn er es fordert, ohne Zweifel den Werth ersetzen, aber er kann nur den wirklichen, nicht den eingebildeten verlangen, und Ihnen nicht anmuthen, ihm etwa funfzehn hundert Thaler auszuzahlen, weil ihm das Andenken in seiner grillenhaften Stimmung so viel Werth gehabt, ja er darf keinem verständigen Gerichte damit kommen, daß er gestern tausend Piecen hätte von einem andern Grillenfänger erhalten können, sondern er würde geradezu abgewiesen werden.

Wie ist es aber mit Gemälden, oder Kunstwerken? fragte der Baron.

Hier fließt, fuhr jener fort, Wirklichkeit und Einbildung in einander, und bei einer muthwilligen oder zufälligen Vernichtung würde ein mittlerer Durchschnittspreis, zwischen dem höchsten und niedrigsten, den unpartheiische und anerkannte Kenner gesetzt, angenommen werden müssen.

Wie aber, warf der Baron ein, ist es mit den Diamanten? Tritt denn hier nicht etwas Aehnliches ein? Ich setze, ein Zopf von Einem Fuß sei mir und Jedermann fünf Thaler werth: gilt denn der von zweien nicht schon fünf und zwanzig? und der von dreien fünfmal fünf und zwanzig, und so weiter?

Halt, Herr Baron, rief der Gerichtshalter lachend, nach dieser Rechnung dürfte des Müllers und Ihr ganzes Vermögen nicht hinreichen, den Haarstrang zu bezahlen.

Aber, tausend Element! fuhr der erzürnte Edelmann auf, soll denn gar nichts geschehen? Römer hätte gewiß eher einen Arm oder ein Bein hergegeben, und Sie behandeln die Sache als Spaß!

485 Auf Herrn Römers Liebhaberei und Vorurtheil, fing jener wieder an, ist, wie ich schon gesagt, hiebei keine Rücksicht zu nehmen. Herr Zipfmantel erbietet sich zu öffentlicher Abbitte, zu einer Erklärung, daß er diesen Scherz nicht als Affront oder Beleidigung gemeint habe, und, da er ein verständiger Mann ist, und über die unerwartete Folge des unerlaubten Spaßes selber frappirt und bewegt wurde, so will er außerdem noch freiwillig dreißig Thaler als eine sich selbst zuerkennende Strafe niederlegen, die Herr Römer als Schmerzengeld an sich nehmen, oder das Gericht auf andere beliebige Weise, für die Armuth, oder das Schulgebäude, oder den auszubessernden Thurm verwenden möge. Wolle man aber dieses nicht annehmen, so wolle er weder Abbitte noch Zahlung leisten, sondern erwarte sein Urtheil vom Gange des Prozesses.

Und was rathen Sie?

Das Anerbieten ist so großmüthig, daß wir mit keinem Prozesse so viel ausrichten.

Ist denn aber, fiel der Baron wieder ein, mein Römer nicht jetzt ein verstümmelter Mensch?

Nur in seiner Phantasie, sagte jener. Ja, brauchte er diesen leidigen Zopf unentbehrlich zu seinen Amtsverrichtungen, oder hätte er ein Gewerbe damit, gleichsam quaestum corporis getrieben, daß er denselben seit Jahren für Geld gezeigt hätte, so wäre der Müller in dem schlimmen Fall, wahrscheinlich eine recht ansehnliche Summe bezahlen zu müssen.

Es ist entsetzlich! rief der Edelmann. Was wir, statt vorzuschreiten, zurückgekommen sind. Im Mittelalter mußte ein Mann eine schwere Strafe zahlen, wenn er einer Frau oder einem Mädchen, der er auf dem Felde begegnete, nur gegen ihren Willen den Schleier lüftete, oder gar das 486 Gewand aufhob. Und jetzt – da sehen wir nun die Fortschritte des Jahrhunderts.

Erlauben Sie, antwortete der Justiziar ruhig, ohne sich irre machen zu lassen, ich wollte es dem Herrn Zipfmantel nicht rathen, etwa den Herrn Pfarrer in der Amtsverrichtung oder auch sonst öffentlich auf unziemliche Weise durch Hinwegnahme irgend eines Kleidungsstückes zu entblößen, denn das würde ihm als großer Skandal, als Störung der Sittlichkeit angerechnet werden, und er in eine ausgezeichnete Strafe verfallen. Eben so ich, wenn ich etwa in der Stadt auf der Promenade der gnädigen Frau begegnete, und mich nicht entblödete – –

Sprechen Sie kein so dummes Zeug! rief der grüne Mann.

Ich habe, sagte der Gerichtshalter empfindlich, diese kitzliche Materie nicht zuerst berührt, ich mußte Ihnen antworten und wollte Ihnen nur zeigen, daß wir die Verletzung der Sittlichkeit und Scham wenigstens noch eben so als jene mittelalterlichen Personen ahnden.

Der Baron ging lange murrend auf und ab. Endlich fing er an: hören Sie einen Einfall. Wie, wenn wir nun einen Contrakt simulirten, den ich etwa mit meinem Amtmann eingegangen wäre, daß, im Falle er den Zopf noch drei Jahre unbeschädigt am Haupte trüge, und das Haar in dieser Zeit auch nur um einen Zoll gewachsen wäre, ich ihm alsdann ein Capital von tausend oder mehr Thalern auszuzahlen verpflichtet sei.

Hierauf erwiedere ich, sagte der Richter, daß erstlich, ein solcher dolus einem so edlen Manne, wie dem Herrn Baron, ganz unähnlich sieht, und zweitens, daß ein solcher Contrakt müßte landkundig gewesen seyn, daß ihn der zopfabschneidende Müller gekannt und gewußt haben müßte, er 487 sichle mit den wenigen Haaren zugleich tausend und mehr Thaler vom Haupte des alten Grillenfängers herunter. Setzen wir den Fall, ein Grenznachbar liebte das Phantastische eben so sehr als Sie, Sie hefteten beide an einen schon bejahrten morschen Grenzbaum eine geheime Wette still unter sich, daß, wenn der Baum noch fünf Jahre steht, Sie z. B. zehntausend Thaler gewinnen, und wenn der Wind ihn früher umwirft, eben so viel verlieren. In einer Herbstnacht geht ein Holzdieb mit dem Baume quaestionis davon. Der Frevler wird ergriffen. Er bekommt seine Strafe für den Holzdiebstahl, aber unmöglich kann ihm in diese das Capital noch mit eingerechnet werden, um welches Sie nun vielleicht mit dem Nachbar in Streit gerathen.

Sie haben für alles Beispiele, sagte der Baron sehr empfindlich, und brauchen die Worte Grillenfänger und Phantast viel zu häufig. – Ich wollte, das Faustrecht herrschte noch, und ich könnte meinem guten Zipfmantel statt in die Haare, über die Ohren gerathen. Und wer weiß, was ich noch ohne Faustrecht mit Faustunrecht thu, denn der würdige Mann geht mir gar zu nahe. – Herr! wieder aus dem Mittelalter ein Beispiel! Als sie den berühmten Abälard auf die bekannte Weise gemißhandelt hatten, wurde seinen Mördern nicht nur mit demselben Raube, sondern noch obenein mit dem Verluste ihrer Augen vergolten. Genau genommen, da der Abälard ein Geistlicher war, konnten jene auch vorgeben –

Paßt durchaus nicht, rief der Richter, denn ein Geistlicher war verletzt und gewaltthätig beschimpft, und selbst als solcher, um seine Funktionen als Priester –

Sie sollen Recht behalten! rief der Baron unwillig, denn das wollen Sie doch nur. Ich kann nicht als Casuist die feinen Schlingen und Vogelnetze der Gesetze so 488 auswerfen und handhaben als Sie. Dabei bleibt es: ein Mann, ein Freund ist mir zu Grunde gerichtet, und in einem wohleingerichteten Staate giebt es kein Mittel und Gesetz, das sich um dergleichen Frevel kümmerte.

Der Bediente rief sie zur Mittagstafel, und so wurde der Streit abgebrochen.



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