Ludwig Tieck
Die Gesellschaft auf dem Lande
Ludwig Tieck

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403 Am folgenden Tage ritt Franz mit dem Wirthschafter aus. Der Alte freute sich, ihm auf seinem kleinen Pferde viele seiner Husarenkünste vormachen zu können. Wie Sie dies Pferd hier sehen, sagte er endlich, so ist es vor Jahren von dem berühmten französischen General Jourdan geritten worden. Ein östreichischer Hauptmann hat es auf einer Reise aus Franken nach Sachsen gebracht, in Sachsen hat es ein Oberster gekauft, der es nachher einem Herrn von Schlieben abgelassen hat, für den war das Thier noch zu muthig, und er gab es einem Oekonomie-Inspektor im Magdeburgischen, der es gleich darauf an einen Amtmann bei Brandenburg verhandelte, von dem hat es ein getreuer Freund, der es weiß, wie sehr ich auf rasche Pferde halte, für mich gekauft.

Sie ritten über Wiesen, die von Eichen und Gebüschen angenehm unterbrochen waren, bis zum Flusse. Die Arbeiter zeigten dem Verwalter allenthalben die größte Ehrfurcht; er lobte diese, er schalt andere, und Franz entschuldigte ihn bei sich selbst, wenn er zu bemerken glaubte, daß er sich einigemal in zu erhabene Autorität versetzte, und einen plötzlichen Zorn über Nachlässigkeiten übertrieb oder erdichtete, um nur dem Fremden die ganze Größe seines Wesens zu zeigen.

Sie kamen an das Ufer des Flusses, und wollten von da auf einem andern Wege in das Dorf zurück kehren. Hier war eine Niederung und ein frischer rinnender Bach, der die grüne Gegend durch seine mannichfaltigen Krümmungen anmuthig erfrischte. Eine Mühle lag reizend im Grunde. Franz nahm seinen Weg dahin, doch das Bataillenpferd Jourdans und Römer schienen ungern diese Richtung einzuschlagen, denn der Reiter hielt es zurück und winkte dem voreilenden Franz. Warum nicht hier? fragte dieser. Ei, 404 sagte der Alte, der einfältige Müller hält immer böse Hunde, die die Pferde leicht scheu machen, auch ist seine Knittelbrücke selten im Stande, und der Grobian läßt sich von mir nichts sagen, weil ich eigentlich mit seiner Pachtung, die eine königliche ist, nichts zu thun habe.

Versuchen wir es doch, sagte Franz, den die einsame Lage der Mühle reizte, und Römer mußte wider seinen Willen folgen. Zwei Hunde stürzten wirklich klaffend aus der Thür, die aber ein lautes Pfeifen gleich zurück rief; hierauf trat ein langer Mann heraus, dessen schalkhafte Miene auf Verstand deutete; so ernsthaft, ja fast ehrerbietig er auch grüßte, so konnte er doch ein satirisches Lächeln nicht unterdrücken. Römer warf den Kopf zurück und schob seinen dreieckigen Hut nur ganz nachlässig. Der gottloseste Mensch, sagte er, als sie vorüber waren, weit und breit in der ganzen Gegend umher, dieser Herr Zipfmantel; er respektirt durchaus gar nichts und weiß alles in der Welt am besten. Räsonnirt auch über Krieg und Soldaten, und hat doch niemals einen Feldzug mitgemacht. Die ganze Gegend hier gefällt mir, alle Unterthanen und auch die Nachbarn sind zu loben, aber so oft ich hier in den Grund und an diese Mühle komme, so ist mir, als wenn ich alles Zutrauen zu mir und allen Glauben an die Menschheit verlöre. Mein Brauner hat auch denselben Abscheu, er will niemals dem Neste da vorbei.

Am Mittage glaubte Franz zu bemerken, daß Adelheid sich mit Sorgfalt geschmückt habe. Sie ward einigemal, als er sie anredete, roth, sie antwortete nicht ohne Verlegenheit, so sehr sie sich auch zu bezwingen suchte. Sie lehnte es nicht ab, sich malen zu lassen, und man ward einig, daß man die Morgenstunden, sobald die Mutter nur aufgestanden sei, dazu anwenden wollte. Der Diener brachte einen Brief, 405 den die gnädige Frau sogleich erbrach, er enthielt auch eine Einlage, welche sie der Tochter gab. Diese nahm das Blatt, wie beschämt, und verbarg es sogleich unter dem Teller. Franz glaubte, den Namen Binder zu hören.

Auf seinem Zimmer stellte er vielerlei Betrachtungen an. Sein Malergeräth war mit seinen übrigen Sachen auf der Post angekommen, aber die größte Freude machte es ihm, als am Abend der Postillion blies und sein Freund Gotthold vom Wagen sprang, der sich auch sogleich mit einem Briefe vom Sohn des Hauses der Familie vorstellte.


Durch Gottholds Gegenwart ward die Gesellschaft des Schlosses belebter, und Franz fühlte sich behaglicher und freier, da der Freund sein Geheimniß ganz kannte. Auch Gotthold war ein Freund der Malerei, und ergötzte sich vorzüglich, Carikaturen mit einer freien und geübten Hand zu entwerfen, durch die er Adelheid oft zum Lachen zwang, welches indeß der hochgestimmte Franz übel empfinden wollte, welcher behauptete, dergleichen Fratzen lägen gänzlich außer dem Bereiche der Kunst. Er gab zugleich nicht undeutlich zu verstehn, so weit es nur irgend die Artigkeit erlaubte, daß es von weniger feiner Empfindung oder Bildung zeuge, wenn man sich an dergleichen Mißgestalten ergötzen könne. Doch Adelheid, welche ihn sehr gut begriff, lachte nun um so herzlicher. Das Vertrauen der Mutter, die von Natur freundlich und gütig war, schien aber Gotthold durch seinen frohen Muth gänzlich gewonnen zu haben. Er war schon am ersten Tage wie das Kind des Hauses, und durfte sich alles erlauben, worüber der ernsthaftere Römer manche finstere Miene zog, weil er meinte, der junge Mann verletze seine Würde und möchte wohl nicht unterlassen ihn 406 ebenfalls bei erster Gelegenheit lächerlich zu machen, vorzüglich da der Satiriker bei seinen Streifzügen auch sogleich mit dem verdächtigen Wassermüller Zipfmantel eine Art von Freundschaft errichtet hatte.

An einem schönen Vormittage ging die Gesellschaft nach einem kleinen Weinberge spazieren, der heiter und anmuthig lag, und zwar beschränkte, aber liebliche Blicke auf niedere Hügel und Waldwiesen gewährte. Gotthold war mit der Mutter vorausgegangen, und Adelheid setzte sich auf eine Bank, um der heitern Landschaft zu genießen, indem aus dem Busche einige Nachtigallen im zärtlichen Gesange wetteiferten. Franz setzte sich zu ihr und sagte bewegt: wissen die Menschen nun wohl, was sie wollen, die nur immer nach dem Fernen und Fremden mit Hast und Unruhe rennen, und nur im warmen Clima, in berühmten Gegenden die Natur schön finden können? Hier, in dieser friedlichen Umgebung, von diesen Blüthenbäumen umduftet, von diesen Tönen umflattert, der Ruf des Pfingstvogels aus dem Walde vor uns, diese süß bewegte Luft, und der Blick auf das Grüne der Birken und Lerchenbäume dort in das Blau des klaren Himmels hinein, wüßte ich doch nicht, was jetzt tiefer und inniger das Herz bewegen, was mehr entzücken und rühren könnte.

Es freut mich, daß Sie so denken, sagte Adelheid, denn es verdrießt mich oft, wenn Weitgereiste, oder Naturkenner durch Studium und Reisen so weit gekommen sind, daß sie eine Gegend, wie die unsrige, gar nicht mehr beachten, noch weniger lieb gewinnen können. Der Frühling ist allenthalben ein liebliches Wunder, wo nur irgend Bäume knospen und blühen, und Blumen die Augen aus dem Grase richten. Und so wenig ich auch gereiset bin, so glaube ich doch schon so viel erfahren zu haben, daß eine gewisse Rührung, eine sanfte Schwermuth oder Sehnsucht, welches das Kleinleben 407 der Natur, wie dieses hier, in uns erregt, größere Landschaften, Gebirge und weite Aussichten nicht hervor bringen können.

Ich glaube das nehmliche erlebt zu haben, fuhr Franz fort, und ob ich gleich viele schöne Gegenden gesehn habe, so möchte ich doch die Empfindungen meiner Jugend in Wald und auf Wiesen, in den Birkenwäldchen unserer Gegend, ja in den finstern Kieferwäldern, wenn der Luftzug hin und her durch die tausend Nadeln musizirt, nicht aufopfern, wenn ich sie mit den trunkenen Gefühlen unbedingt austauschen sollte, die die Schweiz oder Italien in ihren großen Naturgemälden uns gönnen. Auch entdeckte ich nach meiner Rückkehr mit Freuden, daß ich für das Kleine, beschränkt Einheimische, und für die stillen Zauber, die daraus hervorquellen, noch denselben frischen Sinn meiner Kindheit behalten hatte.

Die Natur, sagte Adelheid, wo sie nicht ganz in Moor, Sandflächen und Haidekraut wie abgestorben ist, rührt uns immer durch ihre unverfälschte Wahrheit. Sie ist und bleibt die schönste Kinder- und Erziehungsstube.

Sie hat sich auch meiner schon frühzeitig recht liebreich angenommen, bemerkte Franz.

Und doch, sagte Adelheid lachend, haben Sie die Hauptsache nicht von ihr gelernt.

Und die wäre? fragte jener begierig.

Eben die Wahrheit, Aufrichtigkeit, schlichte Treue, antwortete Adelheid mit einigem Nachdruck. Alle Ihre Handlungen, Ihre Blicke und Worte sagen mir, daß Ihnen an meinem Wohlwollen etwas liegt, und doch, junger Herr, hintergehn Sie mich, und zwar nicht fein, nicht so, daß man es entschuldigen könnte. Und was meine Eltern künftig dazu sagen werden, besonders mein Vater, weiß ich noch gar nicht.

Was meinen Sie? fragte Franz äußerst betreten.

408 Sie wollen ein Maler seyn, fuhr Adelheid fort, und schon beim ersten Eintreten an jenem Abend durchsah ich Ihre Maske. Wenn Sie ein Künstler waren, wozu denn jene forschenden Blicke, jenes Prüfen meiner Mienen, und deren meiner Mutter? Ihre Malersachen kommen an, und vieles ist zerbrochen, verdorben, das alles ist Ihnen so gleichgültig, wie ich es nicht einmal dem Dilettanten, viel weniger dem Künstler verzeihe. Und nun liegen Sie hier auf der Lauer, um, wer weiß was, wie ein Herzensspion zu beobachten und zu erkundigen, und mein fataler Bruder ist mit im Complott.

Franz entwickelte plötzlich aus der höchsten Angst und Verlegenheit dreisten Muth und Vertrauen, er erhob sich vom Sitz und stürzte sich zu den Füßen des schönen Mädchens. Nein, nur das nicht, rief Adelheid, das paßt hier an diesem zugänglichen Orte gar nicht, und ist in unserm Lande gegen das Costüm, – da kommt auch meine Mutter. Ich danke Ihnen, Herr Wagner, rief sie ganz laut und lachend, daß Sie mir das Gänseblümchen da haben pflücken wollen; es verlohnt sich nicht der Mühe, doch will ich es aufbewahren.

Sie gingen nach dem Hause zurück, Franz verstimmt und Gotthold, der den Zusammenhang errieth, schäkernd und spottend. Als die Freunde allein waren, rief der Lustige: nun, Du hast Dich also erklärt, und es ist entschieden?

Nichts weniger als das, sagte Franz. Das boshafte Kind macht sich eine Freude daraus, mich zu ängstigen. Sie hat gemerkt, daß ich kein Maler bin, und eben als Du hinzu tratest, wollte ich sie um Verzeihung bitten. Ich seh' es auch voraus, daß sie mich nie wird zu einer umständlichen Erklärung kommen lassen, darum mußt Du ihr, bei erster Gelegenheit, alles sagen. Deine Fassung ist ruhiger, Du 409 wirst als Freund für mich sprechen, mich entschuldigen und ihr meine Leidenschaft entdecken.

Ein seltsamer Auftrag, bemerkte Gotthold; aber wenn ich ihn übernehme, so mußt Du mir auch erlauben, ihn auf meine Art auszuführen, denn mir gegenüber wird sie noch spaßhafter und toller sich geberden, und es gäbe nichts Erbärmlichers, als wenn ich ihr dann mit Wehmuth, Elegie und sentimentalem Ernst gegenüber stände.

Thue, wie Du es kannst und willst, sagte Franz resignirt, denn ich sehe wohl, daß ich hier eine einfältige Rolle übernommen habe, der ich nicht gewachsen bin. Wenn sie nur erfährt, weshalb ich diese Maske angelegt habe, und daß ich sie innig liebe. Mag es dann kommen, wie es will, ich bin auf alles gefaßt.

Verzweifle nur nicht, rief Gotthold, da sie Dich so neckt und quält, so ist dies vielleicht gerade eine Vorbedeutung ihrer Neigung: denjenigen, der uns gleichgültig ist, läßt man laufen.

Als wenn junge übermüthige Mädchen, bemerkte Franz, nicht denjenigen oft auf ausgesuchte Weise marterten, der ihnen recht zuwider ist.

Die Manier ist dann etwas anders, tröstete Gotthold, das geschieht dann auch nicht in der Einsamkeit, sondern in der Gesellschaft boshafter Freundinnen. Und überhaupt muß der Mann den Muth nie sinken lassen; ich dächte, wenn man so recht und innig liebt, so müßte diese Liebe auch unausweichlich das weibliche Herz entzünden. Sonst sprecht, ihr Liebhaber, mir nur niemals wieder von magischen Kräften.

Wenn sie aber schon versprochen ist, schon den Bräutigam erwartet? sagte Franz traurig.

So sieht sie mir nicht aus, bemerkte Gotthold. Doch genug, Freund, ich will jetzt wieder an meine Arbeit gehn.

410 Wieder Verzerrungen? sagte Franz.

Nein, antwortete jener, diesmal wird es etwas Großes, Idealisches. Du sollst selbst überrascht werden. Aber unausstehlich ist es doch in eurem Lande, das immerwährende unrichtige Sprechen anhören zu müssen. Diese ewige Verwechslung des »Mir« und »Mich« könnte einen Rechtgläubigen zur Verzweiflung bringen. Dabei ist das Ding so charakterlos, so recht eigentlich insipide, daß man es nicht einmal zum Spaß in Comödien oder Erzählungen nachahmen kann, denn es würde bloß albern auftreten. Das ist aber nicht wahr, was Du mir sonst wohl von Deinen Landsleuten erzählt hast, daß sie ohne allen Unterschied bald »Mir« bald »Mich« gebrauchen. Ich glaube, zu bemerken, daß es Sekten giebt. Hier im Hause (Adelheid ausgenommen, die richtig spricht, es wäre auch für eine Geliebte entsetzlich, so wie die übrigen zu prudeln) herrscht offenbar der Accusativ vor: die alte gnädige Frau braucht ihn beständig; ob ich gleich erforscht und ausgegrübelt habe, daß ein so feiner Geist, wie der ihrige, auch hier gründliche und tiefsinnige Unterschiede macht, für die sich auch wohl von einem denkenden Grammatiker etwas sagen ließe. Sie behandelt die Sache nehmlich mehr aus dem Gesichtspunkt der Dialekte. Der Accusativ, als der ionische oder attische, erscheint ihr vornehmer und edler, daher braucht sie ihn unbedingt gegen ihre Domestiken. »Christian, geb' er mich das Fleisch, – nehm' er mich hier den Teller weg, – Fanchon, thu' sie mich die Mütze aus.« – Gegen uns aber, wo sie demüthiger und höflicher erscheinen will, braucht sie fast stets den dorischen Dativ und sagt daher ganz richtig: »geben Sie mir das Salzfaß;« – nur geht sie freilich in der Consequenz so weit, daß sie auch sagt: »wenn Sie wohl geruht haben, soll es mir freuen.« – Indessen ist jedes System, jede folgerechte Lebensweise schon 411 immer etwas Löbliches, und Du hast wenigstens darin unrecht, wenn Du von den Rednern Deines Landes aussagst, daß sie die Anwendung dieses Casus dem blinden Glücke, dem Zufalle, oder unbeugsamen Fatum überlassen. Sie denken über den Gegenstand; und warum will man sie zwingen, ihn so, wie der eigensinnige Adelung anzusehn?

Bei Tische mußte Franz wirklich das bestätigt finden, was sein Freund beobachtet hatte.



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