Ludwig Tieck
Die Gesellschaft auf dem Lande
Ludwig Tieck

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Alle Männer hatten sich aufgemacht, um jenes Gut des Obristen, welches der Baron kaufen wollte, in Augenschein zu nehmen. Binder aber, der im vorigen Jahre so große Lust bezeigt hatte, dort zu wohnen, um in der Nachbarschaft den Umgang seines künftigen Schwiegervaters recht genießen zu können, fand jetzt alles zu tadeln, und beklagte vorzüglich, daß die Triften für die Schaafzucht unbequem seien. Franz im Gegentheil war von der Lage, dem Garten und der Umgebung entzückt, und verwunderte sich über den mäßigen Preis, um welchen es der Besitzer losschlagen wollte.

Als die Gesellschaft zurück ritt, sagte der Baron zum Obristen: er ist ausgetauscht, der Binder, ich kenne ihn gar nicht wieder, da ist weder männliches gesetztes Wesen, noch Beständigkeit, noch Worthalten, noch Patriotismus. Ueber seine Schaafzucht hat er den Verstand, und mit dem Zopfe seinen Charakter verloren. Franz mischte sich auf bescheidene Art in das Gespräch und äußerte, daß er vielleicht das Gut kaufen würde, im Fall man mit dem Herrn von Binder nicht einig werden könnte. Wenn Binder, sagte der Baron, bestimmt zurück tritt, und mit meiner Tochter nicht dort wohnen will, so wie wir es ausgemacht hatten, so kann ich mich auf meinen alten Tagen nicht mit einem neuen Gute belästigen. Es sollte zum Theil die Aussteuer meiner Tochter werden, wenn er die Hälfte des Preises über sich nahm; aber die bösen Geister haben ihn so verwandelt, daß sich mit ihm keine vernünftigen Plane verabreden lassen.

449 Man merkte, daß durch die Aeußerung der junge Mann beim alten Baron gewonnen hatte. Wie ist denn, fragte dieser seine Tochter, als sie nach Hause gekommen waren, der wunderliche Binder gegen Dich?

Wie immer, antwortete Adelheid, ich finde ihn in Nichts verändert, außer daß seine Aufmerksamkeit größer wird und seine Freundlichkeit zugenommen hat.

Gegen mich, erwiederte der Vater, beträgt er sich wie ein Narr, es ist, als wenn er Händel mit mir suchte, um die Verbindung nur rückgängig zu machen.

Die Tochter suchte den Vater zu beruhigen, und da aus dem Gange des Gartens Binder heraus trat, so ging der Vater zurück, weil er wünschte, daß Adelheid sich mit ihrem zukünftigen Gatten verständigen möchte. Sie übernahm gehorsam den Auftrag, und als sich Binder ihr näherte, sagte sie: wie kommt es nur, lieber Baron, daß mein guter Vater diesmal so viel Ursach findet, sich über Sie zu beklagen? Ueber einen seiner ältesten Freunde? Seit Sie sich kennen, war, so viel ich weiß, kein Mißverständniß zwischen Ihnen. Warum finden Sie ein Vergnügen daran, ihn zu reizen, da Sie seine Empfindlichkeit kennen?

Binder stand still und sah sie mit einem scharfen Blicke an. Nach einer Pause sagte er: es ist heut schönes Wetter, und wird auch noch einige Tage so bleiben.

Sie gingen weiter, und Adelheid kam auf ihre Frage zurück. Da Binder sie nicht umgehn konnte, sagte er verdrüßlich: Sie wissen es ja doch seit lange, wie mich jede Frage ärgert, und nun gar so viele Fragen auf einmal! Wenn Sie irgend auf eine nur leidlich glückliche Ehe rechnen wollen, so müssen Sie mich niemals um etwas fragen. Antworte ich von selbst, geh' ich freiwillig die und jene Erörterung ein, so ist es gut; aber durch angesetzte Frageschrauben 450 irgend ein Geständniß aus mir foltern zu wollen, dadurch macht sich der liebenswürdigste Mensch bei mir verhaßt. Diesmal will ich Ihnen noch antworten. Ihr Vater sucht Händel an mir, und alles des unglücklichen Zopfes wegen. Sie waren ja zugegen, wie er bei der Ankunft mich gleich anfuhr. Das kommt aber alles nur daher, wenn ein Mensch zu sehr verbauert, wenn er recht sein Verdienst darein setzt, mit dem Zeitalter nicht fortschreiten zu wollen. Sie, meine gute Adelheid, werden immer meinen Ideen folgen können, die sich täglich mehr läutern und in der Zukunft noch höher steigen werden.

Könnten Sie meinen zu eifrigen Vater nur bereden, sagte Adelheid bescheiden, sich in der Tracht etwas der Zeit zu fügen, Ihnen darin nur etwas nachzuahmen, so würde auch sein Gemüth vielleicht geschmeidiger werden.

Richtig, sagte Binder. Der Alte ist wahrlich ein verjüngter Simson, in dem verdammten Haarzopf liegt seine Stärke, Halsstarrigkeit und Bosheit. Kann er sich so weit überwinden, mit rundem Kopfe zu gehen, so wird auch die Eisrinde von seinem Herzen, der bleierne Mantel von seinem Geiste abfallen. Geben Sie sich zufrieden; aus Liebe zu Ihnen, und damit ich dem Alten wieder näher komme, kann ich mich zu Dingen entschließen, die wohl meiner Natur sonst fremd sind.

Es erhob sich ein Getümmel im Garten, welches alle Bewohner des Schlosses, die Fremden, wie die Dienstleute herbei zog, und jedes andere Gespräch jetzt unterbrach. Auch die gnädige Frau war, gegen ihre Gewohnheit, um die warme Luft zu genießen, herab gestiegen. Ein neugieriger Kreis bildete sich, und in diesem zankten und vertheidigten zwei Personen ihre eingebildeten Rechte an eine Dritte, welche ebenfalls zugegen war. Diese letzte war die Kammerjungfer des Hauses, Lisette Fanschel, die die gnädige Frau der 451 Bequemlichkeit und des Wohllautes halber, kurzweg Fanchon genannt hatte. Sie war eben nicht schön, sondern braun und blatternarbig, aber dennoch wollten zwei Kämpfer sich dieser trojanischen Helena wegen jetzt Leib und Leben nehmen. Diese Streitenden waren der kahlköpfige Jäger des Barons, Walther, und der muthige Herr Zinsel, der Bediente, welcher mit dem Herrn von Binder gekommen war. Man mußte glauben, daß die bestrittene Schöne jedem ihrer Freiwerber ihr Wort gegeben hatte, weil sich beide auf die heiligsten Versprechungen, ja Eidschwüre beriefen. Fanchon stand eitel und verlegen zugleich da, und ihre Miene und der Ausdruck ihres Gesichtes war so wunderbar wechselnd, daß sie in schnellster Umstimmung des Herzens jedesmal dem Recht zu geben schien, welcher zuletzt gesprochen hatte. Der Zwist war so eifrig, und die beiden Parteien so erhitzt, daß sie sich durch die große Versammlung der Zuhörer nicht stören ließen; es schien vielmehr den Kämpfenden erwünscht, einen so ansehnlichen Senat um sich versammelt zu haben, der die gegenseitigen Rechte prüfen, und endlich dem Sieger des Turnieres den Preis zutheilen könne.

Er ist nur ein Schneider gewesen! rief der Jäger jetzt eben mit hochrothem Gesicht und erbittert: ich bin ein freier, franker Mann, nicht in der Stube versessen und verkrüppelt, sondern tüchtig und gewandt, kräftig und gesund.

Wahr, rief Zinsel; aber ich bin schon einmal Meister gewesen, Bürger, und kann es jeden Augenblick wieder werden. Und was heißt gesund? Ist das gesund, wenn man schon vor den Vierzigern einen ganz kahlen Kopf hat? Seht da meinen Haarwuchs! Stark, lockig, voll: ich habe mir jetzt aus Liebe zu meinem Herrn den Zopf abgeschnitten, aber ich kann ihn alle Tage wieder wachsen lassen, und vielleicht bring' ich es denn noch einmal so weit, wie der Herr Amtmann Römer.

452 Der alte Baron trat jetzt etwas näher, um die Zopfanlage zu prüfen. Er schien dem Fremden in diesem Augenblick geneigt.

Zopf! Haarwuchs! rief der erboßte Jäger. Vom Nachtwachen im Freien, Tagelang auf dem Anstande liegen, Schnepfen in den Teichen schießen, im Nebel die Krammetsvögel suchen, Holzanweisen, mich umtreiben in allem Wetter, wenn der gute Schneider mit untergeschlagenen krummen Beinen in der Stube saß, davon hab' ich mein Haar, und mit Ehren verloren! Auch ohne Zopf kann der redliche Mensch in den Ehestand und Himmel gelangen. Aufs Herz kommt's meiner Seel mehr an, als auf den windschiefen Wegweiser, den der Schneider sich im Nacken binden könnte, um die Sperlinge wegzuscheuchen.

Der Baron warf hier seinem Getreuen einen sehr strafenden Blick zu, und Binder rief: recht so, Jäger! Ihr denkt aufgeklärt!

Weil er muß, schrie Zinsel, die Noth lehrt ihn beten. Er möchte ja nach Jerusalem wallfahrten, oder zu einem Wunderdoktor auf den bloßen Knien rutschen, wenn er davon auch nur ein Büschelchen Haare, wie einen Finger lang, aus dem kahlen Nacken zupfen könnte. Er schämt sich seines Jammers, und darum spricht er so frech und lästerlich.

Noch keine Patrone, rief der Jäger, gebe ich um einen Zopf, der von hier nach Berlin reichte! Was hätt' ich denn davon, alle Stuben und Wege damit zu fegen, daß dürre Blätter, Spinnen und Maikäfer darauf, wie auf einer Vogelstange, säßen? Das ist ja nur, wie der Herr von Eisenflamm letzt sagte, so ein nüchterner Pleonasius, der die besten Kräfte wegsaugt, und auch den Verstand dünne macht; denn irgendwo will das Gehirn doch heraus, wenn es nichts zu denken kriegt. Ein fetter Jagdhund ist ein Taugenichts. So auch ein dicker Haarzopf!

453 Jäger! schrie der Hausherr, der Teufel predigt ja sichtbarlich aus Euch!

Ein kluges Männchen, schmunzelte Binder: ich gönne ihm die Braut lieber, wie meinem Zinsel da.

Also, fing der Schneider wieder an, Er will einen Denker vorstellen? Ja, dann könnte der Tiefsinn doch lieber zu Hause bleiben, wenn er bei Ihm ein Unterkommen suchen sollte. Warum bepflastert Er denn seinem Sultan den kahlen Rücken, wo dem Köter letzt die Haare ausgerissen sind, wenn das Haarausgehen Denken bedeutet? Da ist er wohl gar mit seinem Compagnon in ein philosophisches Collegium gerathen, wo ihr beide habt Wolle lassen müssen?

Nur nicht die Ehre angegriffen! rief der Jäger; mein Sultan hat im Herrndienst sein Fell verloren, als er sich mit drei großen Solosängern herumbiß, die von einem fremden Gebiet waren. Ich kam nur zu spät, ihm zu helfen. Nur wenige Menschen, geschweige Hunde, können sich eines solchen Patriotismus rühmen. Aber Sultan und ich, wir lassen Leib und Leben für unsern Herrn!

Hier wurde der Baron seinem Jäger wieder geneigter, und bekam ein kleines Mißtrauen gegen den Fremden. Dieser antwortete: Was geht mich sein Hund, oder seine Perücke am Ende an? Das ist aber weltkundig, daß Er schon bei hundert Mädchen seine Liebe hat anbringen wollen. Er ist ein Mensch wie Donschaan. Aber ich bin treu, keusch und tugendhaft. Fanchon ist meine erste Liebe, und wird auch meine letzte bleiben. Drum ist mein Ruf auch ein solider im ganzen Lande.

Wenn man die ächte Liebe sucht, fiel der Jäger ein, so macht man anfangs einige Proben, die auch manchmal mißrathen. Soll man denn nicht die Herzen prüfen? Und das eigene vor allen andern? Dem einsamen Stubensitzer wird 454 eben nicht oft die Gelegenheit gekommen seyn, seine verschimmelte Liebe auszubieten, darum hat Er sie so treu erhalten können. Wer gesucht wird, wer beliebt ist, der leidet auch Gefahr, aber doch ist mein Herz ganz und vollständig geblieben, und meine Gattin wird meiner Treue gewiß seyn können.

Die Treue vor der Hochzeit, fing der Gegner wieder an, ist eben so lobenswerth, und darin muß sie mir den Vorzug geben.

Herr von Binder neigte sich jetzt wieder seinem Vasallen zu, dessen Tugend er loben mußte, und es schien wohl, daß dieser den Sieg davon tragen würde; auch Fanchon selbst war dieser Meinung, als eine neue und unvermuthete Erscheinung die ganze Scene verwandelte. Eine Frau, mit einem halb erwachsenen Knaben an der Hand, schritt durch den Garten, und gerade auf die Versammlung zu. So wie Zinsel sie gewahr wurde, ward er blaß und verlegen, und die Neuankommende erhob sogleich, als sie ihn gewahr wurde, großes Geschrei. Da ist ja der ungetreue Bösewicht! rief sie mit gellender Stimme; der Landstreicher, der Rabenvater! Als der Baron sich näher erkundigte, ergab es sich, daß diese Deklamirende eine verlassene Frau jenes Tugendhaften sei, die jetzt aus Oberschlesien, da sie zufällig von seinem Aufenthalte gehört, angekommen war, um ihre alten Eherechte auf ihn geltend zu machen, da er sie schon seit sechs Jahren böslich verlassen, und sich seitdem nicht im mindesten um sie gekümmert hatte. Fanchon war auf den Freund der Vielweiberei nicht weniger erzürnt, als die verlassene Gattin, und Zinsel, beschämt, überführt, voll Reue und Verdruß, warf sich dieser zu Füßen, bat um Vergebung, und versprach mit Thränen, in Zukunft einen bessern Lebenswandel zu führen. Binder begütigte die Tobende, und richtete es ein, daß sein Bedienter sogleich mit ihr auf sein Gut zurück reisen konnte, 455 damit er hier nur den Spöttern und Beleidigten aus den Augen käme. – Wie? sagte der Baron zu ihm: Du verzeihst ihm ein solches Verbrechen?

Was will ich machen? antwortete Binder; er mag freilich nicht viel taugen, übrigens aber ist er ein guter Mensch und ein leidlicher Bedienter, diese sind aber jetzt so selten, daß man wohl tolerant werden muß.

Immer besser! rief der Hausherr aus: und was soll meine Tochter von einem solchen Skandal denken? Ueber den Punkt, mein Freund, sprechen wir noch, der ist noch nicht abgemacht.

Ja, sprechen und ewig sprechen! murmelte Binder halb laut; darin besitzt er seine Stärke. Aber das Anhören! das ist eine unangenehme Sache, wenn man dazu gezwungen ist.

Der Baron hatte etwas davon vernommen, und war unentschlossen, ob er antworten sollte; doch unterdrückte er jetzt noch seinen Zorn und Witz. Keiner war zufriedener, als der Jäger Walther, dem jetzt Fanchon plötzlich eine ungefärbte Zärtlichkeit zeigte. Beide sprachen schon davon, sich vielleicht an eben dem Tage zu vermählen, an welchem ihr gnädiges Fräulein ihre Verbindung feiern würde.


Gotthold hatte sich an allen diesen Verhandlungen sehr erfreut, doch Franz wurde immer trübsinniger. Wie wenig, so gar nichts, sagte er seufzend, erfüllt sich von allen dem, was ich mir so süß geträumt hatte. Sie sieht mich mit Gleichgültigkeit an, sie ist vielleicht gar keiner Liebe fähig, wenigstens zieht sie den Abgeschmackten vor und scheint mit ihm ganz zufrieden. An allen Thorheiten nimmt sie Theil und hat so gar nicht jenes sinnige Gemüth, jene sanfte beschauliche Schwermuth, jenes Sehnen, in welchen die Liebe so gern mit allen ihren Gefühlen liebkosend scherzt.

456 Das Lied, meinte Gotthold, ist ja noch nicht zu Ende, es fragt sich, ob aus ihrer Ehe mit dem Aufgeklärten etwas wird. Und wenn er nur erst abgedankt ist, so hast Du ja das nächste Anrecht.

Und was hab' ich alsdann? fuhr Franz auf: wenn sie mich nachher auf Befehl des Vaters eben so nimmt, wie sie diesen, oder einen andern Landjunker genommen hätte. Mir ist noch niemals ein Mädchen vorgekommen, das so völlig gleichgültig gegen Statur und Gemüth ihres Bräutigams gewesen wäre.

Wenn Du es nur über Dich gewinnen könntest, sagte Gotthold, einen ungeheuren, dick eingepuderten Zopf einzubinden, und Dich schriftlich anheischig zu machen, daß Du ihn so lange als Surrogat mit frommem Sinne tragen wolltest, bis Dein eigenes Haar nachgeschossen sei, dessen Verschneiden Du dann auch feierlichst entsagtest, so hättest Du den Alten gewiß gewonnen. Sonderbar, daß das, was vor zehn Jahren noch allgemeine Sitte war, jetzt an Dir lächerlich herauskommen würde. In Deiner Stelle setzte ich mich darüber hinaus und eröffnete so meinen Feldzug.

Der Justiziar war indessen angekommen, der, so wie er nur vom Wagen stieg, sogleich zum Prediger eilte. Mit diesem war der Müller Zipfmantel eben in Verhandlungen begriffen. Wenn ich Ihnen, sagte der berüchtigte Mann, meinen Jungen also von jetzt in die Kinderlehre schicke, so müssen Sie ihn nur, werthester Herr Prediger, nicht zu tugendhaft und so übertrieben christlich machen. Denn alles hat sein Maß. Ich wollte nicht, daß der Junge vor lauter Frömmigkeit heucheln und lügen lernte, denn die Range ist klug, und hat gleich alle Schwächen der alten Leute mit wenigen Blicken weg. Ist nun neben dem Vernünftigen kein Fußsteig des Spaßes, neben der großen Tugendstraße nicht 457 ein Sommerweg einer gewissen erlaubten Ausgelassenheit möglich, so glaubt so ein pfiffiger Junge entweder gar nichts, oder er verlegt sich von früher Jugend auf das Heucheln, um die Großen, die ihn ganz vom Albernen weg bekehren wollen, noch zu überbieten. So ist es gewiß dem alten Römer in seiner Jugend gegangen.

Der ist, sagte der Pfarrer, trotz seiner vielfältigen Irrthümer, doch kein Heuchler.

Ein Aufschneider wenigstens, sagte der Müller, in Rechtlichkeit, Tapferkeit und Religion. Da ich nie weiß, wie viel ich ihm glauben kann, so glaube ich ihm, der Abkürzung wegen, lieber gleich gar nichts. – Also, gnädig mit meinem Christoph, Herr Pfarrer, leben und leben lassen, daß er über die Religion nicht den Narrenwandel auf Erden vergißt.

Der Müller ging und die beiden Freunde begrüßten sich herzlich. Nun, wie steht's hier? fragte der Justiziar, nachdem sie sich einigemal umarmt hatten.

Wie immer, antwortete der Pfarrer, indem er die Achseln zuckte. Die gewöhnlichen Schauspieler kennen Sie ja, und zwei junge Leute, die hinzugekommen sind, gehören eben auch nicht zum Salz der Erden. Junge Edelleute, die sich mit der Kunst beschäftigen. Damit ist ja alles gesagt. Der eine hat zwei große mythologische, oder historische Bilder entworfen, die Sie oben auf dem Saale betrachten können; der alte Baron hat erst viel daraus gemacht. Wahre Philosophie, ächte Critik, theurer Freund, gründliche Einsichten, deren wir beide einmal so sehr bedürfen, finden Sie in diesen Cirkeln nicht.

Woher sollen sie's auch haben? sagte der kleine runde Justiziar. Das wird in Vorurtheilen erzeugt, geboren und auferzogen. Es bleibt aber immer eine merkwürdige Anstalt, um diesen Adel. Ein ganzes großes Institut, unzählige 458 Menschen, die an einer fixen Idee leiden, und die doch eben nicht gefährlich werden, oder in das eigentliche Rasen verfallen, weil die Gesunden so halb und halb in ihre verkehrten Vorstellungen einzugehen scheinen, ja sich zuweilen dieser und jener in die nehmliche Anstalt mit freiem Entschlusse aufnehmen läßt. Ja, Freund, für den Psychologen ist das eine Erscheinung, an der noch vieles zu lernen ist.

Denkender Mann! rief der Pfarrer aus, Sie sind in dieser Einöde noch mein Trost. Haben Sie mir denn auch einige lesbare Bücher mitgebracht? Man muß hier immerdar am Geiste rütteln und schütteln, daß er nur nicht eben so, wie bei den übrigen, einschläft.

Der Herr von Binder, warf der Justiziar ein, hat doch zuweilen lichte Augenblicke.

Sie werden immer seltner, antwortete der Geistliche. Seine Schaafe verderben ihn. Welche Ehe das mit der leichtsinnigen Adelheid geben wird, ist mir noch immer unbegreiflich.

Wie glücklich müssen wir uns preisen, sagte der Gerichtshalter, daß der Himmel uns in diesem Stande geboren werden ließ. Freies Denken, richtiges Gefühl, Herz und Geist sind doch nur in ihm möglich. Also, die Ehe wird doch geschlossen werden?

Ich zweifle nicht, antwortete der Priester. Alles wäre noch zu ertragen, wenn der Himmel nur endlich einmal den alten widerwärtigen Römer zu sich nehmen wollte. Welchen Abscheu ich durch diesen Mann vor allen Husaren bekommen habe, läßt sich gar nicht in Worten aussprechen.

Aber auch hierin, tröstete der Freund, müssen Sie Ihre Philosophie walten lassen. Ei was! ein solcher freidenkender Kopf muß sich niemals von den Verhältnissen beugen lassen.

459 So sich unterhaltend und gegenseitig erhebend, verbrachten sie den Abend.


Am folgenden Nachmittage hatten sich wieder die Meisten in Römers großem Zimmer zusammengefunden. Diesen Saal zur ebnen Erde benutzte überhaupt der Baron, um sich hier mit seinen Vertrauteren zu berathen, und Meinungen auszutauschen, weil ihm im Schlosse oft seine Tochter, noch mehr aber seine Gemahlin hinderlich fielen, welche beide nicht selten die freiere Unterredung hemmten, oder sie anders richteten, als er es wünschte. Der Obrist fühlte sich dem alten Römer, als einem Krieger und einem Manne von vieler Erfahrung zu geneigt, um nicht gern jede Gelegenheit aufzusuchen, seinen Umgang zu genießen. Binder hatte zum Alten Husaren eine wahre Zärtlichkeit, und Gotthold ergötzte sich unbefangen an den seltsamen Gruppen.

Glauben Sie mir, Herr Obrist, sagte Römer eben, als Gotthold in die Gesellschaft trat, es sterben weit mehr Leute am gebrochenen Herzen, als es die Aerzte wissen, oder die Zeitungen melden. Daran erkranken und verscheiden vorzüglich die großen Geister. Der tapfere Mensch kann dieses und jenes, tausend Unfälle und Kränkungen, vorzüglich in der Jugend überstehen, und dann tritt im einsamen Alter oft ein Schmerz auf ihn zu, der mit seiner kalten Hand so tief in seine Seele hinein fährt, daß der heldenmüthige Mann dann in stiller Verzweiflung zu seinem Herzen, fast gleichgültig, sagt: nun, so stehe doch endlich stille, du unruhiges, zappelndes Ding! Du kannst es nun wohl satt haben, so hin und her zu wackeln, und bald in Angst zu zittern, bald in Freude, wie der Hund mit dem Schwanze, zu wedeln: ist denn das ganze Leben, mit allen seinen 460 Anstalten, so sehr der Rede werth? Thu' dein gieriges, nimmersattes Maul doch endlich zu, das immer dieses und dann jenes Gefühl noch aufschnappen, noch diese Erschütterung erleben, oder jene Hoffnung erfüllt sehen will: alles ist ja Trug und Täuschung und nicht des Pulsschlages werth.

Sie haben Recht, antwortete der Obrist, auch mögen es oft die größeren und besseren Menschen seyn, die so resignirend endigen. Der Anblick ist aber weit erhabener, wenn ein wahrhaft großer Mann in Leiden und Widerwärtigkeit, zwischen tausend zerbrochenen Hoffnungen wandelnd, dem alle seine jugendlichen edlen zerschmetterten Wünsche vor den Füßen liegen, von Hohn, Elend und Vernichtung bedräut, dennoch sein zorniges Schicksal und sein zagendes menschliches Herz besiegt, Muth, Kraft und Mittel, so zu sagen, aus dem leeren Raume greift und als Unsterblicher, mit dem ewigen Lorbeer gekrönt, aus den sterblichen Verhängnissen hervor schreitet. Und ein solcher hoher Genius, der jedem Unglücklichen als Muster vorleuchten sollte, war unser großer Friedrich. Wer ist in jenem ewig denkwürdigen Kriege mehr getäuscht, als er, wer mußte wohl so oft alle Hoffnung aufgeben, gegen wen zeigte sich das Glück hundertmal ungetreuer, wer stand der wahrscheinlichen Vernichtung so nahe? Und dennoch, am Erfolg verzweifelnd, das Leben gering achtend, sich selbst schon dem Tode weihend, griff er immer wieder, beseelt von seinem hohen Beruf, begeistert vom Gefühl der Ehre und des Nachruhms, dreist und festen Herzens in die dunkle Urne, die das Schicksal ihm darbot, und entwickelte sein gezogenes Loos mit starker Hand. Mag die Zeit vieles von ihm vergessen, was der Unsterbliche niederschrieb, mag seine Feder manches haben erringen wollen, was ihr versagt war, aber die Briefe, die er in jenen höchsten Drangsalen schrieb, in denen er noch in der Klage scherzen, im vollen 461 Bewußtsein seiner Lage, selbst im Wegwerfen des Lebens noch so klar denken konnte, diese sollten von jedem Preußen, ja von jedem Deutschen für Heiligthümer geachtet werden.

Der Baron, welcher begeistert wurde, so oft auf seinen Helden die Rede kam, stimmte in vollen Tönen ein, und Römer wurde so bewegt, daß ihm die Thränen in die Augen stiegen. Nur Schade, sagte er endlich, daß der große Mann am Ende diese Gleichgültigkeit, ja eine Art Verachtung gegen die Menschen bekam.

Konnte es wohl anders seyn? fuhr der Obrist fort: wie hat er denn diese Menschen kennen lernen? Welche Erfahrungen hatte er an den Ausgezeichnetsten seines Jahrhunderts gemacht? Wird es jedem Manne schwer, der die Welt in vielen Verhältnissen sieht und erforscht, jene Menschenliebe, die uns so nothwendig ist, in seinem Herzen lebend zu erhalten, wie viel mehr einem Könige! Es ist rührend, der herrlichen Erscheinung nachzufolgen, wie rüstig und heldenleichtsinnig der erhabene Jüngling in seinem ersten Kriege auftritt, wie sicher der Mann im zweiten, wie groß der Herrscher im dritten und furchtbarsten. Jetzt aber verwandelte sich ihm der heitere Anblick des Lebens, um die finstere Schatten- und Todesseite zu entfalten. Als ein frühgealterter Greis, mit zerbrochenem Körper, krank, lebensüberdrüßig, mit Ekel an Thaten und Nachruhm, kam der Sieger, den ganz Europa bewunderte, in seine stille Heimath, um als Gesetzgeber die Wunden seines Staates zu heilen, um in unermüdeter Thätigkeit, in ungehemmter, beschwerlicher Arbeit sein Leben noch zu nützen, wenn auch nicht zu genießen. Er hatte zu viel erfahren und gethan, um sich noch an den gewöhnlichen, sogenannten Freunden erlaben zu können. Jeder große Mann steht einsam in seiner Zeit da, meist in der Bewunderung selbst unverstanden; wer das Rechte will, 462 findet selten, fast nie Gehülfen. Sagt doch unser Dichter schon in seinen rüstigsten Jahren, indem er seine Werke der Wahrheit widmet:

Ach! da ich irrte, hatt' ich viel Gespielen,
Seit ich dich kenne, bin ich fast allein.

Wie einsam muß sich ein solcher erst im hohen Alter fühlen. Und unser königlicher Held – alle diejenigen, mit denen er in seiner Jugend gescherzt und gelacht hatte, waren ihm abgestorben: wie wohl hätte es ihm in manchen Stunden gethan, von diesen sein Lob zu hören, wie täuschte er sich wohl in Momenten (wie das jedem Menschen begegnet), als hätte er mit für ihre Bewunderung gearbeitet, daß sie das Gemälde seines vollendeten Alters an jene muntere Skitze seiner Jugend halten und beide vergleichen sollten. Ach! man kann es ihm nicht zu sehr verdenken, wenn ihn in seiner Verlassenheit zuweilen nach dem Lobe und der Schmeichelei eines der Franzosen lüstete, die für ihn nun einmal die Stimme der Nachwelt redeten, oder er seinem Voltaire, der ihn gemißhandelt hatte, selbst schmeichelte, um Satiren des kleinlichen Undankbaren zu unterdrücken, der wohl am wenigsten die Größe unseres Monarchen würdigen konnte, des Mannes, der immer, so gern er auch französisch sprach und schrieb, ein ächter Deutscher geblieben ist. Das zeigt sein Charakter, seine Staatskunst, seine große Gesinnung. Hob er doch nur dadurch sein Vaterland zu der Größe empor, die keiner seiner kühnen Vorfahren hatte ahnden können. Mächtig, gegründet war dieser Staat nun für alle Zeiten, ein Schutz der Schwächeren und Bedrängten, ein Schrecken der um sich greifenden Anmaßung. Die Gerechtigkeit ward ein Muster für andere Länder, die Taktik der Armee ein Sprüchwort, ihr Ehrgefühl unerreichbar. Das Volk, solchen Herrscher an der Spitze, fühlte sich, jene Engherzigkeit wich 463 helleren Gedanken, großen Gefühlen, eine edle Freiheit und Kühnheit charakterisirte den Preußen, oft sogar seinem Könige gegenüber, und auf Wissenschaft, Kunst, Gelehrsamkeit und Volkssinn aller deutschen Provinzen hat Preußen seitdem mittelbar und unmittelbar gewirkt, und jene Betäubung, die noch seit dem dreißigiährigen Kriege auf der Nation lastete, mußte entweichen.

Ein Brief, sagte der Baron, giebt mir aber doch immer einen Stich ins Herz. Daß er dem Voltaire, den er einmal so bewunderte, der ihm als der größte Geist erschien, vergab, daß er ihn, indem er ihn Cabalenmacher, ja Taugenichts nennt, wieder einladet, ist herrlich und eines großen Mannes würdig: daß er aber im hohen Alter bei Gelegenheit des Comödianten le Kain an eben diesen Voltaire schreibt, er wüßte dessen Trauerspiele so auswendig, daß er Sufflör bei einem Theater werden könnte; diese so ganz fatale Stelle hätte ich immer auskratzen und vernichten mögen.

Sie hat mich auch immer beleidigt, antwortete der Obrist, und die Schmeichelei wäre schon eines Privatmannes unwürdig. Aber, lieber Baron, wenn Sie es so genau nehmen, so würden Sie wohl noch manche andere Aeußerung antreffen, wo Sie Ihr Radirmesser möchten in Thätigkeit setzen wollen. Wem, frage ich oft, sollen denn Kleinheiten und Schwächen vergeben werden, wenn nicht dem großen Manne? Gegen mittelmäßige Menschen sollten wir weit intoleranter seyn, denn ihnen wird es, wenn sie nur wollen, viel leichter, ihr Leben geordnet und ohne allen Anstoß zu führen, als jenen mächtigen Geistern, deren überirdisches Talent ja eben das Leben zu einer verwickelten Aufgabe macht, wo Hemmungen, Störungen und auffallende Seltsamkeiten, auch Widersprüche nicht fehlen können. Und der große Monarch, der so aufrichtig mit sich umging, kannte auch seine Fehler und 464 Gebrechen, auch tadelte er sich selbst darum. Heuchelei und Lüge jeder Art waren ihm völlig fremd. Er war die Wahrheit selbst und auch in dieser Hinsicht verehrungswürdig.

Freundschaft? sagte Binder; selten? fast unmöglich für Hochgestellte? sollte sie nicht jeder antreffen können, der sie redlich sucht?

Wohl nicht immer, antwortete der Obrist: die ächte fordert Gleichheit, und schon dadurch wird es einem Herrscher fast unmöglich, wahre Freunde zu finden. Ist der König, wie unser Friedrich, noch obenein ein großer Mann, so wird es noch schwieriger. Wo kann ihm einer, besonders ein Unterthan, ein Diener, als ein Gleicher in Gesinnung, Kraft, Freiheit, Seelengröße entgegen treten? Ein feines Gefühl, ein ächter Durst nach Liebe, begnügt sich aber nicht damit, den Freund sich gleich setzen zu können, er soll in dieser, in jener Hinsicht, in der oder anderer Seelenfähigkeit höher stehen, man kann keinen Freund haben, den man nicht auch bewundert, – und wo sollte Friedrich diesen finden? Im Voltaire glaubte ihn der König getroffen zu haben, und wie bitter mußte er diesen jugendlichen Irrthum büßen. Ja, Diener, treue, ergebene, hatte er viele, die im beglückendsten Gefühl ihm mit Blut und Leben anhangen und ihn dabei wie ein höheres Wesen bewundern und verehren konnten. Für einen Staatsdiener, für einen Offizier weiß ich kein Gefühl, kein Verhältniß zu nennen, das beseligender seyn könnte. So mußte der König sich denn, so wenig er den Schein davon haben mochte, zu allen herablassen, und wie sehr er mit seinem d'Argens bloß spielte, wie wenig ihm ein d'Alembert oder andere genügten, beweiset am besten seine Correspondenz. Als sich gar die neuere Philosophie der Franzosen hervorthat, die auf Gleichmachen und jenen leeren Cosmopolitismus hinausging, der alle Staaten und 465 menschlichen Verhältnisse auflöst, ja der in seiner Consequenz (dessen er sich selten bewußt wird) den Menschen unter das Thier hinabwirft, wandte er sich mit Verachtung von seinen französischen Skribenten ab.

So hätte er nun zu den deutschen umkehren sollen, bemerkte Binder.

So viel war ihm nicht vergönnt, antwortete der Obrist. Sollte er sich im Alter von allen seinen tief eingewohnten Begriffen und Ueberzeugungen los machen? Sollte er so spät noch ein ihm unbekanntes Reich erobern? Denn wenn wir nicht aus Vaterlandsliebe einseitig seyn wollen, so müssen wir uns doch gestehen, daß in den früheren Jahren unseres Königes nur weniges da war, was ihn, oder jeden Freund der Poesie, der Geschichte oder Critik reizen konnte. Denn, selbst Ihr lieber Gellert, mit aller Hochachtung von ihm gesprochen, die er verdient, war doch wohl kein Dichter zu nennen, und wenn Haller diesen Namen mehr verdient, so waren diese und ähnliche Erscheinungen doch nicht glänzend, nicht herrschend genug, um eine eigene, kräftige Literatur zu begründen: mit dem einsamen, ungeselligen Talente Klopstocks hätte Friedrich gar nichts anfangen können, wie ich diesen denn auch mehr bewundere als genieße, und vielleicht ist es mit den meisten Deutschen so beschaffen. Ueber die neuere wahre Literatur, die sich am Abend seiner Regierung erhob und ausbreitete, hat er ein merkwürdiges verachtendes Wort ausgesprochen. Dürfte man große Schicksale und nothwendige Verhältnisse anders wünschen, so lebte Ein Mann freilich damals in Deutschland, mit welchem ein Friedrich wohl hätte eine wahre, ächte Freundschaft schließen können, wenn ein freundlicher Gott ihm dergleichen zugesendet hätte.

Und wer war dieser nach Ihrer Meinung? fragte der Baron.

466 Wer anders, fuhr jener fort, als der einzige Lessing? Der Mann der Wahrheit, des großen Strebens, des vielseitigsten Forschens und Denkens. Steht dieser deutsche Mann in seinem Alter etwa weniger einsam, als der große König? Und welcher großen Menge von Freunden konnte er sich rühmen, die sich alle treuherzig dafür hielten? Liest man aber seine Correspondenz, so wird man von einer größeren Tragödie erschüttert, als er jemals eine dichten konnte.

Sie mögen in allen Dingen Recht haben, verehrter Obrist, sagte Römer, aber ein Unglück war es doch immer zu nennen, daß so ein herrlicher Mann wie der alte Fritz keine Religion hatte.

Gewiß ein Unglück, antwortete jener. Man hat ihn in neueren Zeiten auch wohl bitter darüber tadeln wollen, und wenn es merkwürdig ist, daß er in den Drangsalen des furchtbaren Krieges Fleury's große Kirchengeschichte im Lager lesen konnte, so hätten ihm doch seine wärmsten Anhänger wohl seinen Auszug aus derselben, noch mehr aber jene arme Vorrede zu diesem erlassen. Aber wir müssen auch niemals vergessen, daß wir nicht das Recht haben, von jedermann einen religiösen Sinn zu fordern. In manchen Menschen ist er schwächer, manche haben keine Gelegenheit, ihn auszubilden. Die Eindrücke der Jugend verstimmten den König außerdem. Wenn er so oft Zufall und Ohngefähr die Regierer der Welt nennt, so müssen wir seine Inkonsequenz belächeln, daß er selbst so verständig und weise verfuhr. Ein solches leeres Wort durchdringt auch niemals den ganzen Menschen: was wäre sonst sein erhabenes Ehrgefühl gewesen, mit dem er so oft versicherte, lieber zu sterben, als einen elenden Frieden zu schließen? Wie viele haben nicht nachgesprochen, daß er es auch sei, der völlig das Reichsverband gelöst und die alte deutsche Verfassung gestürzt habe. Als wenn da noch 467 etwas aufzulösen war, als wenn aus diesem morschen, längst verjährten Wesen noch je irgend etwas Heilsames hätte hervorsprießen können. Nein, er hat das wahre deutsche Reich, welches sich in jener Unform nicht mehr bewegen konnte, erneut und wieder auf besseren Säulen gegründet, daß das Land, wenn auch getheilt, mächtiger als je auftritt und handelt. Auch läßt sich eine Einheit in Zukunft wohl wieder denken und herstellen, wenn äußere Feinde uns bedrängen.

Sie sollen kommen! rief der begeisterte Römer, und griff nach seinem Säbel. Aber nicht wahr, verehrter Mann, die vielen Namen der preußischen Generale im siebenjährigen Kriege erfreuen das Herz, jedes Kind kannte sie dazumal. Denn bei der Revue neben unserem Ziethen, Seidlitz, Möllendorf, Wunsch, und wie sie alle heißen, den alten Fritz mit den großen blauen Augen und dem schiefen dreieckten Hute reiten zu sehen – nein, so was kommt nicht wieder.

Jedes kann in seiner Art zu loben seyn, antwortete der Obrist; auch in der Justiz, unter den Ministern, in der Verwaltung lassen sich eben so viele verehrte Namen nennen. Was hat nach dem Erlöschen des alten askanischen Stammes, und nach den darauf folgenden schlimmen Zeiten, unser Brandenburg nicht überhaupt diesen Hohenzollern zu danken! Und dieser herrliche Stamm wird uns auch für die Zukunft treffliche Regenten erziehen. Welcher Preuße muß sich nicht am Anblick seines jungen Königes und der schönen Königin erfreuen? Welche Hoffnungen regen sich nicht in jeder Brust! Mögen uns auch Stürme bevorstehen, jetzt und in Zukunft werden edle, freisinnige Regenten das Land beherrschen, zur Sicherheit der Preußen und Schlesier, und zum Schutz des tapferen Brandenburgers, wie dieser Volksstamm schon früh genannt wurde, der sich immer eben so durch Treue wie durch Kriegesmuth auszeichnete.

468 Nicht wahr? fing Römer wieder in seiner lebhaften Weise an: mein alter Ziethen war doch der vorzüglichste General der Cavallerie?

Der Held, sagte der Obrist, verdient für seine Bravour und sicheres Auge, wie für seine Redlichkeit das allergrößte Lob; aber an eigentlich militairischem Genie war ihm Seidlitz überlegen. Dieser große Krieger gewann vorzüglich durch ein treffliches Manöver die blutige Schlacht bei Zorndorf.

Aber Hochkirch! rief der alte Husar, wo er so viel zur Rettung des Königes und der ganzen Armee beitrug! O, meine Herren, von den vielen herrlichen Zügen, die man von dem großen Könige erzählt, ist mir doch der einer der liebsten und rührendsten, wie er in einem seiner letzten Lebensjahre auf dem Saale seines Schlosses, von den Prinzen des Hauses und der ganzen Generalität umgeben, für seinen alten Freund und Helden Ziethen einen Sessel herbei bringen läßt, und er vor ihm steht und mit ihm spricht. Sehn Sie, dort ist die Sache von unserem Chodowiecki in Kupfer gebracht: nicht so glücklich und geistreich, wie der berühmte Künstler sonst in kleinen Sachen arbeitete, aber doch zum Andenken und zur Begeisterung des Patrioten hinreichend, denn der König und Ziethen, so wie die vornehmsten Umstehenden sind sprechend ähnlich.

Ich kam erst, fuhr der Obrist fort, einige Jahre nach dem geschlossenen Frieden in die Armee, aber alle älteren Offiziere, die mit mir dienten, waren noch voll von Begeisterung; alle Schlachten und Gefechte, die jeder mitgemacht hatte, mußte ich zu meiner Freude und Belehrung, wie oft, anhören. Die tollkühnsten Unternehmungen, die seltsamsten Gefahren hatte jeder versucht und erlebt, und es wundert mich nur, daß man in unsern schreibseligen Zeiten nicht einige gute Bücher hat, um dem Soldaten, wenn er 469 abgeschnitten und verirrt, vorzüglich aber dem Cavalleristen, wenn er versprengt ist, durch auffallende Beispiele zu zeigen, wie er sich dennoch retten kann, wenn ihn schon alle verloren geben.

Das würde nichts helfen, fiel der alte Husar ein; die Noth und die Begeisterung des Augenblickes können hier nur die rechten Lehrmeister seyn, denn in jedem Scharmützel, in jeder Gegend sind die vorkommenden Fälle neu und unerhört. Der rechte Soldat findet das Rechte, dem andern ist weder mit Theorie noch Exempel beizukommen. So erinnere ich mich einer Begebenheit, an die ich nachher immer mit einigem Schrecken habe denken müssen, und die keinen belehren könnte, weil sie schwerlich zum zweitenmale möglich seyn würde. Als wir nach Dresden detaschirt wurden, hatten die Reichstruppen die Anhöhen bei Plauen besetzt und verschanzt. Im Grunde selbst, bis Tharand, standen Soldaten. Wer die Gegend kennt, weiß, daß diese steilen Höhen, auch unverschanzt, von unten nicht zu bestürmen und zu nehmen sind. Vorn bei Plauen, eine Stunde von Dresden, sind die Berge am steilsten, lauter Granit, hier ist das Thal auch am engsten; und der kleine Fluß, die Weiseritz, treibt einige Mühlen. Wir kamen von der Gegend von Pirna und der böhmischen Gränze. Kleine Gefechte, hin und her, was nichts entschied. Aber in der Hitze war ich von meinem Bataillon abgeschnitten; ich ritt unter der Reichskavallerie und glaubte in meinem Trupp zu seyn. Plötzlich besinne ich mich und sehe meine Kameraden schon weit zurück, nach Dresden zu. Ich haue, ich schieße, ich reite, was das Pferd laufen kann, die Feinde, drei, vier, fünf hinter mir drein. Zum Glück hatten sie sich schon alle verschossen, ohne mich oder mein Pferd zu treffen. So spreng' ich vorwärts, und – da steh' ich über dem Abgrunde, vorn, nicht weit vom sogenannten Hegereuter, 470 zwischen diesem und der ersten Mühle. Da hieß es wohl: Vogel, friß oder stirb! Ein herrlicher, heroischer Leichtsinn fliegt mir plötzlich durch Kopf und Leib. Nein, nicht gefangen! denk' ich und setze mit meinem Klepper eine Reife hinunter, die die Regenwasser im Felsen gespült und gerissen haben. Wie ich hinunter gekommen bin, weiß ich noch nicht, hinter mir schreien die verfolgenden Feinde. Ich bin unten, durch den Fluß, der niemals tief ist, und nun das Thal durch, nach Botschappel zu. Hatt' ich das Thier nicht, ein Pferd wie ein Vogel, war ich nicht so jung und leicht, so war die Sache völlig unmöglich. Ich wußte, daß noch Feinde im Thal lagen: aber ich sprengte in Botschappel und Döhlen glücklich mitten durch alle hindurch, die mich vielleicht in der Eil nicht erkannten, bis ich oben auf der Landstraße wieder preußisches Militär fand. Mir dünkt, diese sonderbare Sache ist damals auch in Zeitungen, oder in einem Kriegesbuche erwähnt worden, wenigstens ergötzte es mich viele Jahre nachher, die Geschichte ausgezeichnet zu finden, doch habe ich jetzt vergessen, wo.

Das war ein Husarenstreich! sagte Binder; Alter, den macht Euch kein anderer Sterblicher nach. Das Pferd muß auf den Hinterbeinen hinabgerutscht seyn, wie wohl Bergleute zu Zeiten einen schrägen Schacht abfahren.

Es kollerte, rutschte, stolperte, fiel, sagte Römer, beobachten konnte man nicht groß, denn die Sache geschah weit schneller, als ich sie vorher erzählen konnte.

Ich kenne den Plauenschen Grund, sagte Binder, und darum ist mir das Ding noch viel unbegreiflicher. Eine Treppe, von zwölf Stufen etwa, bin ich einmal hinauf und herunter geritten, und glaubte damit schon was Rechts gethan zu haben; das ist ja aber nur ein klägliches Spiel gegen Eure Felsenabkutschirung.

471 Man wird mit dem Pferde eins, sagte Römer, Mensch und Thier lassen sich gar nicht mehr trennen.

Da sprecht Ihr ein gescheutes Wort, rief Binder, darin liegt das Geheimniß und auch der Schlüssel zu tausend Dingen, die man ohne ihn niemals begreifen würde. Es ist unglaublich, was die Thiere durch uns empfangen, indem wir sie zähmen und zu Hausthieren machen: alle die Anlagen, die die gütige Natur ihnen mitgetheilt hat, werden nur erst dadurch, daß ein Theil des Menschengeistes in sie übergeht, etwas Lebendiges und Geistiges. Die Zähmbarkeit ist ihr Genie, und durch Regel, Ordnung und Vernunft, die das wunderbare Wesen nun beherrscht und sich ihm mittheilt, erwachsen die Erscheinungen und Künste, die wir am Pferde und Hunde bewundern müssen. Dadurch, daß der Hund gezähmt werden kann und sich zum Menschen sehnt, diesen auch weit mehr liebt, als sein eigenes Geschlecht, ist er eben ein ganz anderer Kerl als der Fuchs oder Wolf, mit denen er doch in so naher Familienverbindung steht. Aber eben so wie die Thiere gewinnen, und etwas in ihrer Natur auch verlieren, so geht es ebenfalls dem Menschen, wenn er in diese Allianz tritt. Er entwickelt unbewußt thierische Anlagen, die vorher schlummerten. Der Jäger, der sich täglich und nächtlich mit seinem Hunde umtreibt, oder der Liebhaber, der mit seinem Pudel stündlich spielt, fängt allgemach an, die Dinge so zu sehen, wie das Thier. Er bekommt einen ähnlichen Neid, so wie eine Verwandtschaft in Blick, Geberde und Gang, er kann auch schon keinen Stock liegen sehn, ohne die Lust, apportiren zu lassen, und so wie ihm der Hund nur winkt, so thut er ihm auch den Gefallen, den Span aufzunehmen, und mit dem Liebling das langweilige Spiel zu treiben. Wie das Pferd den Reiter versteht, wie der Sinn und die Art des Rosses in den Mann 472 übergeht, wie beide sich wechselsweis errathen, wie ihr Instinkt in der Gefahr ein und derselbe wird, darüber ließe sich vielerlei sagen, obgleich die Liebe des Gauls zum Menschen eine ganz andere, als die knechtische des Hundes ist. Ein Hund kann eigentlich nicht gekränkt werden, ein Pferd wohl, und je edler es ist, so leichter. Welcher Rinderhirt hält den Kopf nicht eben so, wie sein Vieh. Man erzeigt mir die Ehre, meine Schaafzucht für die beste in der Provinz zu halten, da kommen denn die Leute, und wollen sich bei mir Raths erholen. Was ein anderer mir so sagen kann über dergleichen, das ist niemals das beste. Andere lachen über meine Anstalten, verwundern sich aber doch, daß alles so gedeiht. Im Winter tragen einige meiner Schaafe Kappen, diese sind an den Köpfen empfindlich, etlichen habe ich Jacken angezogen, manchen eine Art von Schuh gemacht. Die Garde geht auch anders, als die Füseliere, Dragoner sind von den schweren Kürassieren unterschieden. Alles hat seine Vernunft und seinen guten Grund. Woher ich nun alles habe, was ich bei meiner Schäferei, und mit so gutem Erfolge, anwende? Denken? Beobachten? Erfahrungen anderer benutzen? O ja, das ist auch alles ganz gut und nicht zu verachten, – aber die Hauptsache ist doch, daß ich zu Zeiten in meinen Schaafstall gehe, nun drängt und wälzt sich alles das Wollenvieh zu mir heran. Schäfer, sag' ich, laßt mich ein Weilchen allein. Nun mach' ich die Augen zu, taste mit beiden Händen um mich her, fasse bald den Kopf, bald den Rücken dieses und jenes Hammels, versenke mich ganz in das Gefühl und die Anschauung, werde mit einem Wort, ganz und gar und völlig zum Schaaf. In diesem Schaafthum, in diesem wachen Schlummerzustande kommen mir denn die allerbesten Erfindungen und Verbesserungen, und in diesen Stunden der Weihe empfange ich durch 473 Instinkt oder Inspiration alles, was ich abändern, was ich anwenden muß. Wem kann ich aber diese Gabe wohl mittheilen, der nicht schon selbst auf guten Wegen geht? Und nun, meine Herren, beobachten Sie einmal meinen Gang, ich will ein paarmal auf und nieder wandeln, – he, ist es nun nicht ganz der Gang eines Hammels? Aufrichtig gesprochen, ja! Sehen Sie meine Physiognomie unbefangen an. Sie verändert sich von Jahr zu Jahr: immer mehr wächst mir der Hammelausdruck in Stirn und Nase hinein. Ich niese auch schon wie die Schaafe, und wenn ich einmal viel spreche, wie jetzt eben, so giebt es wahrlich schon unter meinen Redetönen so viele Blökelaute, die knarrenden lang gezogenen Määähredensarten der Mutterschaafe, daß ich mich vor Worten, wie: Wehe! sähe, geschähe u. dgl. einigermaßen hüten muß.

Gotthold ergötzte sich heimlich an diesen Bekenntnissen, der Obrist nahm eine Prise nach der andern, um nur das Lachen zu unterdrücken, Römer sah gen Himmel, und erinnerte sich wohl einiger Lebensgefahren seiner Jugend, um eine ehrbare Miene zu behalten; aber der alte Baron brach, nach nicht sonderlich langem Kampfe, mit einem ungemäßigten, lauten und anhaltenden Lachen hervor. Nun wahrlich, sagte er endlich, sich noch immer die ermüdeten Seiten haltend, das ist ein Selbstlob von ganz eigener, so wie völlig neuer Art! Das ist eine Einbürgerung in einen Stand und die Urbarmachung einer Geniegegend, von denen unsere Vorfahren nichts wußten. Du könntest eine ganz neue erklärende Ausgabe der ovidischen Metamorphosen veranstalten, wenn ein einfaches Entgegenkommen, nach Deiner Meinung, das Wunder überflüssig macht.

Aber was ist denn da zu lachen? sagte Binder plötzlich mit dem heftigsten Zorne. Lachen, wenn ein denkender Mann 474 etwas Tiefes und Gründliches spricht? Bloß, weil es der alten Basenweisheit vielleicht ein wenig sonderbar vorkommt? Auch an Dir bewährt sich meine Beobachtung. Du liegst hier seit Jahren still und träge, und spielst unermüdet mit Deinen großen und kleinen Katzen. Wie nun ein alter Kater wohl zwölf Stunden ruhig mit zugekniffenen Augen unter dem Ofen liegt, indeß umher Spiel und Tanz, Zwist und Versöhnung, Musik und Gespräch, oder selbst wichtige Begebenheiten vorfallen, er aber nichts weiß und erfährt, und endlich langsam, langsam hervorkriecht, die Vorderbeine weit ausstreckt, sich dehnt, sie zurückzieht, und, mit den vier Beinen eng an einander, den hohen Buckel hinausrollt, wie es ihm keine andere Creatur nachmachen kann, so daß er wie ein griechisches Omega dasteht: so, gerade so bist Du, der auch zu allem Neuen, zu allen Fortschritten, zum Anwachs der Vernunft und Kenntnisse, wie beim Abschnitte der Wissenschaften und Zöpfe mit Deinem langgedehnten Oooo! verwundernd dastehst, und die Augen dann erstaunend aufmachst, daß es noch andere Wesen, als Kater in der Welt geben soll.

Jetzt bei Deinem O! sagte der Baron, fand ich Deine vorige Behauptung, die mir als unglaublich auffiel, bestätigt.

Er nahm seinen Hut und Stock, um noch nach dem Vorwerke zu gehen; Franz und der Obrist begleiteten ihn. Gotthold machte mit Binder einen Spaziergang durch den Garten, und Cajus und Römer blieben beisammen, die sich wunderten, daß ein so seltsamer Zwiespalt die beiden alten Freunde immer mehr von einander zu entfernen drohe.



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