Ludwig Tieck
Eigensinn und Laune
Ludwig Tieck

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Der Geheime Rath, welcher jetzt den scheinbar bedrohenden Aufruhr ganz in ein Nichts verschwinden sah, war nun fest entschlossen, es dahin zu bringen, daß keinem seiner 383 Gefangenen zu viel geschehe. Daß er seinen ausgearteten Wilhelm nicht retten könne, sah er ein, auch durfte schwerlich die Witwe, die er schon immer aus der Stadt hatte schaffen wollen, einer Demüthigung entgehn. Er ließ die Arrestanten, die man auf seinen Befehl milder behandelt hatte, in sein Haus führen. Als man den alten Kutscher in sein Zimmer brachte, verwunderte er sich über die Rüstigkeit und den Anstand des alten Mannes. Als er ihm sein Vergehen vorhielt, sagte dieser: Excellenz, der Mensch hat sich nicht immer in seiner Gewalt. Wie ich so meinen allerbesten, ältesten, treuesten Freund zu meinen Füßen sterben sah und winseln und klagen hörte, und der junge Herr noch zu schimpfen anfing, und ringsherum das Gebrüll von den ungezogenen Menschen, da wurde ich innerlich so zornig, wie verzweifelt, daß ich nicht mehr Acht gab; und wie konnte ich es auch bei dem Getümmel? So rückte ich denn an und der Junge litt den Schaden, doch aber auch nicht gefährlich, wie ich mir habe sagen lassen.

Und jener Freund? fragte der Rath.

Es war eigentlich, erwiederte Jener, ein ganz ordinairer Hund, mein gnädiger Herr: er war Munsche geheißen, und jetzt schon über zwanzig Jahre alt. Er war so krüppelig, dick, unbeholfen, fast blind. Er kümmerte sich gar nicht mehr um die übrige Welt, und nur wenn er meine Stimme hörte, war er alert und glücklich. So hörte er denn unsere Pferde, ob er gleich halb taub war, ihren Tritt und Schritt kennt er, die Weibsen lassen ihn aus der Thür, was ich so schwer verboten hatte, aber bei dem Getümmel hatten sie auch den Kopf verloren; so krüppelte denn der kleine Dicke heraus und gerieth unter die Räder, und mußte elendiglich crepiren. – Verzeihen Sie, gnädiger Herr, daß ich noch jetzt über das 384 treue, liebe Vieh meine Thränen nicht zurückhalten kann, obgleich ich sonst nicht so sehr weichherzig bin.

Setzt Euch, Freund, sagte der Rath, der sich für den Alten zu interessiren anfing: wie ist Euer Name?

Ich habe schon manchen Namen gehabt, sagte der Fuhrmann; seit ich wieder Kutscher bin, heiße ich Petermann, von Natur und Hause heiße ich aber eigentlich Martin Sendling.

Ambach wurde aufmerksam, denn dieser Name war ihm wohl aus älteren Zeiten im Gedächtniß geblieben. Als ich damals das Fuhrwesen trieb, fuhr der Alte fort, erhielt ich mein Hündchen Munsche von einem vornehmen russischen Herrn zum Geschenk. Nachher – o, es war sehr sonderbar – wollte mich ein sehr schönes und eben so reiches Frauenzimmer heirathen, sie machten einen Narren aus mir, und, wie ich fertig war, wollte mich die Madam wieder nicht. So lief ich mit meinem kleinen Munsche wie toll in die weite Welt: unter den Franzosen machte ich den Krieg gegen Rußland mit und erlebte als Soldat alles Elend dort. Damals rettete mir mein Munsche das Leben, denn ich wurde sonst von dem vormaligen Herrn des Hündchens niedergehauen. An dem Thier erkannten wir uns wieder und liebten uns.

Den Feldzug habt Ihr mitgemacht? fragte der Rath.

Ja, und kam als Capitain zurück; damals hieß ich Geoffroy. Toll geht es her. Ohne daß ich sie kenne, entführte ich meine vormalige Verlobte, die mit ihrem ältlichen Eheherrn sich sehr unglücklich fühlte. An dem Hund erkannten wir uns auch wieder. Aber die arme, jetzt ganz verdrehte Person war mit mir noch weit unglücklicher, als vorher, ich lief mit meinem Hunde von ihr, zu meinem Corps. Blessirt, gefangen, war ich ein elender Mensch, und da sie 385 merkten, daß ich ein Deutscher sei, von meinen Landsleuten noch obenein verachtet. Da war mein Hündchen wieder mein einziger Trost, er, Munsche, blieb mir immer getreu. Ach! ich habe seitdem vielerlei Elend ausgestanden. Zu den Franzosen, wo Alles verändert war, mocht' ich nicht wieder, mein ganzes Leben war ein verfehltes, verpfuschtes, und da ich nichts Anderes beginnen konnte, mußte ich wieder als Fuhrknecht mir meinen Stand und Beruf von unten auf zu bilden suchen. So kam ich nach Jahren hieher, wo ich denn endlich meine Wirthschaft einrichtete.

Ambach zweifelte nun nicht mehr, wer dieser mürrische Alte sei, den er damals wohl bei jener Verlobungsscene fest ins Auge gefaßt hatte. Ich werde mich Ihrer annehmen, sagte er, und ließ jetzt seinen Pflegesohn zu sich rufen. Freund, sagte er zu diesem, Du hast jetzt Deinen Unbesonnenheiten die Krone aufgesetzt, und Deiner wartet strenge Untersuchung und schwere Strafe.

Mir ganz gleich, antwortete der ganz zerstörte junge Mensch, schicken Sie mich auf die Festung, in das Zuchthaus oder zu den Baugefangenen, ich kann nicht tiefer sinken, als ich schon gestürzt bin.

Und immer noch diese unselige Leidenschaft für die Tochter einer Ehrlosen?

O, wenn sie mich liebte, rief Wilhelm in der Begeisterung der Verzweiflung, so lachte ich Ihrer und Ihres Staates und aller Strafen. Aber ich habe es erleben und durch und durch, wie eine schneidende Säge, durch meinen ganzen Körper fühlen müssen, daß sie mich verachtet und bemitleidet, daß sie das ganze Herz, ihre himmlische Liebe einem simpeln, gesunden, treuherzigen Gärtnerburschen hingeworfen, der es 386 ebenso mit Füßen tritt, wie sie dem meinigen thut, und mich so an ihr vollständig rächt. Von meinem herrlichen Vater haben Sie mir neulich schon gesprochen, wollen Sie mir jetzt nicht meine glorreiche Mutter nennen?

Nein, sagte der Rath, ich habe bis zum Tode der Armen Verschwiegenheit gelobt, und ich weiß jetzt nicht, ob sie noch und wo sie lebt. – Er ließ die Witwe und ihre Tochter hereinrufen, und Wilhelm sprach hastig: Nein, es ist mir unmöglich, jetzt Charlotten zu sehn. Er ging schnell in ein Seitengemach. Als die beiden Frauenzimmer jetzt hereintraten, erstaunte der Geheimerath über die außerordentliche Blässe des Mädchens, noch mehr aber über ihre wundervolle Schönheit. Er war verlegen und konnte das Auge von dem blassen Kinde nicht wieder abwenden; ihm war, als wollten sich von allen Seiten her alte Erinnerungen und längst erstorbene Gefühle ihm aufdrängen. Er konnte, wie verzaubert, den Eingang seiner Rede nicht finden, und die alte Witwe betrug sich auf eine Art, die seine Verlegenheit nur vermehrte. Gleich beim Eintritt musterte sie ihn mit einem scharfen Auge, seufzte dann schwer und beschaute nachher prüfend eben so lange den sitzenden Fuhrmann. Da der Rath noch Charlotte anstarrte, seine Empfindungen sammelte und die Leidenschaft seines Pflegesohns für dieses Wesen großentheils schon entschuldigt hatte, sagte die Mutter: Verzeihen Excellenz, wenn ich mich ungeheißen niedersetze, das alte Wesen ist matt und todesmüde, denn es sind seit dieser Zeit zu viele Leiden und zu schnell auf mich hereingebrochen.

Auch der Rath setzte sich und verlangte, daß die Witwe Blanchard erzählen, sich entschuldigen und den Zusammenhang der letzten Händel darlegen solle. Wozu? sagte sie, ich fühle es, mit meinem Leben ist es zu Ende. Könnte ich Ew. Excellenz nur dahin stimmen, für meine arme, unschuldige, 387 herrliche Tochter etwas zu thun, ihr Schicksal und ihre Ehre soviel es möglich ist, sicherzustellen, so würde ich mit der größten Beruhigung in mein Grab steigen, denn nach meinen Erfahrungen, das glauben Sie mir nur, stirbt's sich leicht.

Was ich thun kann, sagte der Rath –

Und warum sollten Sie's nicht können, antwortete sie mit bewegter Stimme, Sie haben mich zwar verfolgt, Sie haben mich aus der Stadt treiben wollen, aber das galt nur mir, nicht meiner Tochter, und gegen mich, die Sterbende, werden Sie nicht mehr eifern, wenn Sie sie erst kennen: nicht wahr, Ferdinand?

Gott im Himmel! schrie der Rath und sprang von seinem Sessel auf – Sie sind doch nicht – seine Stimme zitterte, seine Knie wankten, er war todtenbleich.

Ja wohl, antwortete sie mit hervorbrechenden Thränen, wohl bin ich jene arme, unglückselige, einst schöne und glückliche Emmeline, welcher Sie so oft ewige Liebe schwuren.

Ferdinand wankte halb ohnmächtig, fast wie damals, als er sie verlobt wähnte: er stellte seinen Sessel neben den ihrigen, schaute ihr fest ins Auge, dann wieder in das ihrer Tochter und sagte dann: Ja, ja, höchst Unglückselige, ich erkenne jetzt die Augen wieder, den Blick, der damals mein Herz durchbrannte.

Und dieser alte, wunderliche Martin, fuhr sie fort, oder Petermann, ist der Vater meiner lieben Tochter. Ach Gott, mein ganzes Leben war Verwirrung und schwerer Traum.

Als der Geheimerath so laut und mit entgeisterter Stimme aufgeschrien hatte, steckte Wilhelm sein krankes Gesicht neugierig und erschreckt aus der Thür des nächsten 388 Zimmers, was in der Aufregung keiner der Anwesenden bemerkte. Er zog sich eben so schnell wieder zurück und die Thür blieb nur angelehnt.

Diese Ihre Tochter, fing Ambach jetzt etwas mehr gesammelt an, nehme ich unter meinen unmittelbaren Schutz, sie sei mein Kind, meine Tochter, ich schwöre, sie ist gut und edel, und kann ich erfüllen, was sie wünscht, so soll ihr Glück und ihr Wohlstand meine angelegentlichste Sorge seyn.

O, Ferdinand, alter, mein ältester, mein wahrster Freund, rief die Alte in einem fast jubelnden Ton, daß ich eine solche Freude noch einmal erleben könnte, habe ich niemals geglaubt. Charlotte, küsse Deinem Vater, Deinem Wohlthäter die Hand.

Das junge schöne Wesen warf sich kniend vor den würdigen Mann hin, küßte seine Hände und badete sie mit seinen Thränen, er aber zog sie in seine Arme und sagte sehr bewegt: Ja, Kind, Du mußt glücklich werden, jetzt umarme auch Deinen wahren Vater. Mit einiger Scheu ging Charlotte zu Martin Sendling, der sie herzlich in seine Arme schloß und nur sagte: Da es so steht, kann ich fast meinen Munsche vergessen.

O, Himmel! fuhr die Alte fort, was ging Alles in meinem Innern vor, als ich in dem Capitain Geoffroy meinen ehemaligen Verlobten erkannte. Ich hatte die Achtung vor mir selbst verloren, und haßte ihn doch als meinen Verführer, wie ich ihn nannte. Als er mich verlassen mußte, und wir hatten uns im Zorn getrennt, war meine Seele zerrissen. Ich vernahm den Tod meines Mannes, des großmüthigsten, liebevollsten aller Menschen. Hier und dort lebend, gerieth ich endlich wieder in die Nähe meiner Heimath. Junges Volk schloß sich meinem verzweifelnden Leichtsinn an, 389 Vornehme und Reiche beschützten mich insgeheim und so gerieth ich, fast ohne Entschluß, damals aber auch ohne Vorwurf, an dieses Gewerbe.

Der Geheimerath unterbrach sie: Sie wissen es nicht, Sie Aermste, daß ein Kind, ein Sohn von Ihnen auch noch lebt?

Man sagte mir damals, er sei schon in Paris gestorben, dieses Kind des Unglücks und der Schande.

Unglücklich ist er auch jetzt, antwortete Ambach: vielleicht, wenn er seine Strafzeit überstanden hat, der ich ihn nicht entziehn kann, wird er ein guter und brauchbarer Mensch. Es ist nehmlich jener Wilhelm Eichler, den Sie oft, zu oft in Ihrem Hause gesehen haben.

Darum! sagte zitternd Charlotte und die Witwe rief: O, Gott sei Dank, daß ich seine Leidenschaft zu meiner Tochter niemals befördert habe, und daß sie niemals seine vorgegebene Liebe erwiedern konnte und wollte.

In diesem Augenblick fuhren Alle auf, von einem nahen Schuß erschreckt. Der Geheimerath eilte in das Zimmer, kam zurück und verschloß dann die Thür. Weder Mutter noch Tochter sollen hinein, sagte er dann; der Unglückliche hat sich selbst ermordet.

Die Witwe starb noch am nehmlichen Tage unter Schmerzen und Krämpfen, denn sie hatte Gift genommen, weil sie jene so öffentliche Schande nicht überleben wollte. Der alte Geheimerath war von allen diesen Vorfällen heftig erschüttert und flüchtete für einige Zeit auf sein schön gelegenes Landgut hinaus, um sich zu erholen und seine Gefühle wieder zu sammeln.

390 Joseph, der wohl erzogene Jüngling, ließ sich vom Rath sehr bald von der Tugend und Unschuld seiner von ihm heiß geliebten Charlotte überzeugen. Ambach übergab ihm die Verwaltung des Gutes sowie die Pflege der Gärten. Er war mit seiner Gattin glücklich und Martin zog ebenfalls zu ihnen, um dem jungen Mann, soviel es sein Alter zuließ, in seinen Geschäften zu helfen. Der Rath war getröstet, daß er doch das eine Kind seiner einst verehrten Emmeline hatte retten können.

 


 


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