Ludwig Tieck
Eigensinn und Laune
Ludwig Tieck

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Der Minister wurde von diesen Betrachtungen bald abgezogen, denn die Nachrichten häuften sich nicht nur, sondern wurden immer bestimmter, daß Unzufriedene, Böswillige, Aufhetzer und allerlei Menschen, deren Namen noch nicht bekannt waren, die Absicht hätten, in diesen Tagen einen Auflauf zu erregen, um unter dem Feldgeschrei der Freiheit tausend Schlechtigkeiten zu begehen. Ambach wußte es, wie verhaßt er Vielen wegen seiner Strenge sei; es war ihm auch nicht unbekannt, daß sein Pflegesohn mit vielen dieser Unruhstifter schon seit lange verbrüdert war. Er dachte nach, was er thun könne, um den jungen Unbesonnenen vor Unglück zu bewahren, da er sich aber erinnerte, mit welchem Hohnlachen der Thor alle früheren Warnungen von sich gewiesen hatte, so schien es ihm nöthig, einen gewaltsamen Entschluß zu fassen. Er wollte also durch einen Vertrauten den Jüngling aufheben, nach seinem Schlosse transportiren und dort streng bewachen lassen, bis dieses immer näher rückende Ungewitter vorübergezogen sei. Er erschrak, als er 369 die Nachricht erhielt, der junge Mensch sei in seinem Zimmer nicht zu finden. In einem kleinen Briefe kündigte er dem Pflegevater an, er finde es gerathener, sich für jetzt auf einige Zeit zu entfernen, er könne nicht sagen, auf wie lange. Er hoffe aber, den Minister irgend einmal wiederzusehen.

In der Stadt herrschte eine schwüle und dumpfe Gährung. Diejenigen, welche nicht in die geheimen Pläne eingeweiht waren, fühlten dennoch, daß etwas im Werk sei, und die Rädelsführer vertrauten sich Keinem, um zu sehen, wie viel Glück und Zufall für sie thun möchten. Viele vom Gesindel waren mit Wilhelm Eichler bekannt und vertraut, aber, so viel sie auch mit ihm schwatzten, hatten sie ihn doch nicht ganz in ihre Brüderschaft einweihen wollen, weil sein leidenschaftlicher Leichtsinn sie abschreckte, noch mehr aber, daß der oberste Chef der Polizei sein Pflegevater war, in dessen Hause er selbst wohnte und von dem er ganz abhängig schien. Sie fürchteten daher, daß ein so schwankender Charakter sich auch wohl zum Spion gebrauchen lasse, und daß am Ende alle seine patriotischen und wild begeisterten Reden nur Maskerade und Aushängeschild seien, um sie in den Netzen des Verraths zu fangen.

Die lockeren Gesellen der Stadt waren auch in Aufregung. Daß der Wohnsitz der eleganten Ausschweifung, das aufgeschmückte Haus der Witwe Blanchard sich so plötzlich in eine Art von Kloster verwandelt hatte, war den meisten ein unbegreifliches Aergerniß. Auf den Kaffeehäusern und Promenaden war des Geschwätzes darüber kein Ende. Einige der lockern Dirnen, die so schnell ihr Asyl hatten verlassen müssen, erzählten von Mißhandlungen, die sie von der Blanchard hätten erdulden müssen, von zurückgehaltenen Geldern, selbst Plünderungen; und da die Witwe, weil 370 man sie für reich hielt, von den Bürgersleuten und dem gemeinen Mann gehaßt wurde, so glaubte man eine jede Lüge.

Unter diesen Stimmungen verflossen einige Tage. Mit der Frühe, als noch Alles still war, fuhr die Witwe auf ein Dorf, das einige Meilen entfernt war, um für die Tochter eine Zerstreuung dort zu finden, welche diese Gegend und den nahe liegenden Wald mit Vorliebe besuchte, so oft sich die Gelegenheit bot. Die Mutter stieg mit der tiefbetrübten Charlotte aus dem Wagen, den der alte mürrische Kutscher in der Schenke des Dorfes unterstellte. Charlotte begab sich sogleich nach dem Walde und verfolgte den Fußsteig, um sich recht bald im grünen Dickicht und in der Einsamkeit zu verlieren. Die Mutter sah mit Bekümmerniß das Wesen der Tochter, das sich seit Kurzem so verändert hatte, daß sie eine auszehrende Krankheit befürchten mußte. Als sie die stillste Einsamkeit aufgesucht hatten und jeder Straße und jedem Fußpfade fern waren, lagerten sie sich auf einen begraseten Hügel, um dem Geräusch der Bäume, dem Säuseln der Birken und Buchen und dem Murmeln eines nahen Baches zuzuhören.

In solcher Gegend, mein Kind, fing die Mutter an, wollen wir künftig wohnen und in ihr unser Leben beschließen. Ach! das hätten wir schon seit einem Jahre und länger thun können, jene unglückliche Stadt zu verlassen. Werde nur wieder gesund, sieh' heiter; glaube mir, die ich Erfahrung genug habe, der Mensch kann Vieles verwinden, und so wirst Du auch Deinen kleinen Gärtnerburschen vergessen. Das Schicksal führt Dir wohl dann dort, in schöner, freier Natur, einen andern Jüngling, einen Gatten zu, mit dem Du glücklich bist.

Es ist mir ja nicht, sagte die Tochter mit schmerzlichem Ton, um eine Heirath zu thun: ich dachte bei Joseph nicht 371 daran; sondern daß gerade dieser mich liebte und achtete, daß ich ihn sah, mit ihm sprach und meine Seele durch ihn geistiger und wahrer wurde.

Dieser schöne Fest- und Sommertag war für beide Frauen erquickend, und die Mutter ging noch tiefer in den Wald, um die Tochter sich ganz selbst zu überlassen, da sie wußte, wie sehr diese es liebte, in freier Natur sich schwärmend in ihre Träumereien zu versenken. Charlotte war in jener süßbittern Wehmuth jetzt glücklich zu nennen, denn alle ihre Gefühle versenkten sich resignirt und doch wollüstig klagend in jenes dunkle, ewige Meer, aus welchem alle menschliche Thränen fließen. Dies schien ihr vor ihrem nahen Tode die liebste, die eigenste Heimath ihrer Seele. Vor diesen rauschenden Bäumen fühlte sie sich nicht, wie vor Menschenangesichtern, gedemüthigt, diese grünen Laubwände schienen ihr edler und göttlicher als jene lauernden Augen und falsch lächelnden Lippen, die in der Frage Vorwurf und im Blick Verdammung aussprachen.

Ein stärkeres Geräusch, Fußtritte, und als sie aufblickte, stand Wilhelm vor ihr. Er war noch blasser als gewöhnlich, sein Blick war irr, die Lippen bebten, und als er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, seine Geliebte hier in der einsamen Wildniß so unverhofft zu finden, setzte er sich auf den Rasen zu ihr und Beide zwangen sich, von gewöhnlichen Gegenständen zu reden. Charlotte war tief betrübt, ja verletzt, daß diese einsamen Stunden, auf welche sie sich schon seit mehren Tagen gefreut hatte, ihr nun im Genuß so sehr verkümmert wurden, daß der Mann sie störte, dem sie am liebsten aus dem Wege gegangen wäre: und doch war ihr der Anblick des bleichen Jünglings, seine sichtbare Zerstörung so rührend, daß sie gern Vieles zu seinem Troste gesprochen hätte. Nur fühlte sie in diesen Augenblicken mit 372 der schmerzhaftesten Deutlichkeit, was gute Menschen so oft innigst betrübt, wie dichte Vorhänge sein Inneres verschatteten, sodaß der Blick ihres wohlwollenden Herzens nicht in die Finsterniß seines Gemüthes hineinleuchten könne. Er erzählte ihr von dem Zorne seines Pflegevaters und wie er sich freiwillig aus seinem Angesicht verbannt habe, wie er jetzt Willens sei, fremde Länder zu sehen, und er nur noch nicht wisse, wo er die dazu nöthigen Summen hernehmen solle; daß die Geliebte ihn aber auf diesen seinen Wanderungen und Irrfahrten begleiten müsse, wenn er nicht als ein Wahnsinniger verzweifeln solle. Ist es denn am Ende, beschloß er seine zürnenden Klagen, so gar etwas Besonderes, wenn Menschen von Kraft und Stolz sich vornehmen, in solchem grünen Walde in der Einsamkeit zu wohnen? Wahrlich, jene Eremiten, die sonst nichts Ungewöhnliches waren, und unsere heutigen Raubgesellen sind vielleicht nicht so gar sehr von einander verschieden, wie es beim ersten Anblick scheinen könnte. Beide trieb der Haß gegen die Menschen in die öden Schatten; jener sucht in Fasten und Gebet seine Qual zu lindern und seinen Menschenhaß zu überwinden, die andern Einsiedler nehmen ihre Rache an dem Geschlecht, von dem sie so grimmig verletzt worden sind. Der alte Ambach hat neulich meinen Stolz so gebrochen, daß ich mich noch nicht in meinem Innern wiederzufinden weiß. Ich glaube nun zwar, daß er mir hat Mährchen aufheften wollen, um mich zu erschrecken, aber es werden noch Tage hingehen, bevor ich mich wieder ganz erholen kann. O, Charlotte, wenn wir hier residirten, hier in diesem grünen, laubreichen Saal, Sie meine Waldkönigin Mariana, ich der edle Räuberhauptmann Robin Hood, und wir hier nun mit Liedern, Gesang und Tanz die Ankunft des Mais feierten, um uns her brave Kameraden versammelt, die mich und noch mehr 373 die Königin der schönen Wildniß verehrten: nun käme der reiche, vornehme Pflegevater mit seinen Lakaien und Polizeibeamten dahergefahren, und wir führten mit dem Gefolge ein Kriegesspiel auf und bemächtigten uns ihres Gutes, ängstigten den alten Herrn eine Zeitlang, um ihn dann mit ausbündiger Großmuth wieder freizulassen, – wäre denn das nicht etwas Herrliches? Könnte man sich auf diese Art die Zeit nicht recht hübsch vertreiben?

So war doch das Gespräch wider Willen in die Farbe des Waldes hineingespielt und durch Charlottens Antworten wurde der Ton heitrer und poetischer: man sprach von Mährchen und arbeitete mit der bewegten Phantasie die alte Waldlegende von Robin Hood und seiner Mariana weiter aus, so sehr auch Charlotte protestirte, unter diesem Bilde zu erscheinen, oder sich mit jener flüchtigen Gräfin vergleichen zu lassen. In diesen fast ganz heitern Gesprächen fand sie die Mutter, die jetzt von ihrer Wanderung zurückkam.

Da der Mittag nahte, kehrte man zu der Schenke des Dorfes zurück. Ein einfaches, reinliches Mahl erquickte sie, und die Gespräche, Erzählungen und Scherze führten die zerstörten Menschen bis auf einen gewissen Grad von Fröhlichkeit. So oft der junge Mann auf seine Liebe zu reden kam, suchte Charlotte das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu lenken, und die kluge Mutter wußte jedesmal an irgend eine Geschichte zu erinnern, sodaß die leidenschaftlichen Aeußerungen des jungen Mannes zurückgehalten wurden.

Es ward ihnen schwer, sich von der freien Natur, die auf Alle, ohne daß sie es wußten, so gut eingewirkt hatte, loszureißen. Endlich erinnerte der alte mürrische Kutscher, daß es Zeit sei, zur Stadt zurückzukehren, die man doch erst nach eingetretener Finsterniß erreichen würde. Himmel! rief plötzlich Wilhelm aus, heut ist ja der Tag, an welchem 374 wahrscheinlich ein Tumult ausbrechen wird. Ich muß euch begleiten, ihr Lieben, man kann nicht wissen, wie ich euch nützlich seyn möchte. – Ja, ja, sagte der Fuhrmann, es ist Vielerlei gemunkelt worden, man kann nicht wissen, was das böse Volk heut ausrichtet. – Und woher, Petermann, wißt Ihr denn Etwas? – Ei, man geht ja mit so vielerlei Leuten um, daß uns wohl auch Etwas davon zu Ohren kommt.

Die Frauen stiegen mit beklommenen Herzen in den Wagen, und nach einiger Zeit sagte Wilhelm: Sind mir doch seit einigen Tagen meine ehemaligen Spießgesellen ganz aus dem Sinn gekommen. Diese vertrauten mir in voriger Woche so Manches, gaben Winke, warben eine Partei und hatten selbst von der Polizei Einige in ihrem Solde, welche ihnen das verriethen, was man im Schilde gegen sie führen könne.

Charlotte zeigte sich sehr ängstlich und erschrak noch mehr, als Wilhelm, um sie zu beruhigen, ihr zwei geladene Pistolen zeigte, die er mit sich führe. Als sie sich der Stadt näherten, hörten sie schon im Thore davon sprechen, daß in einer der belebtesten Straßen ein großer Auflauf sei. Der Kutscher fuhr rascher, um früher das Haus der Witwe zu erreichen. Man sah Fackeln leuchten und hörte aus der Ferne die Marseiller Hymne singen. Die Mutter rieth, einen kleinen Umweg zu nehmen, um von einer andern Seite und unerkannt ihre Wohnung zu erreichen, denn sie fürchtete nicht mit Unrecht, daß das aufgeregte Volk sich gegen sie, sobald man sie erkannt habe, Excesse erlauben werde.

Sie hatte sich aber dennoch verrechnet und es zeigte sich bald, daß diese Vorsicht vergeblich war. Mit der Finsterniß hatten sich einige junge Leute vor dem Hause der Witwe gemeldet. Sie waren verwundert und verstimmt, als sie vom 375 Diener abgewiesen wurden, und wollten sich nicht überzeugen lassen, daß das Haus wirklich von allen Schönheiten verlassen sei. Einer der jungen Männer, der etwas zuviel getrunken hatte, stieß den schwachen Bedienten zurück, drängte sich ein und blieb im Zimmer sitzen, in welchem er bald nachher einschlief. Diese kleine Begebenheit hatte einigen Lärm verursacht, und eine Abtheilung jener Volkshaufen, die in den andern Straßen sangen und schrien, rottirte sich vor das Haus der Frau Blanchard, und alle fragten und lärmten, bis plötzlich der Skandal auf den höchsten Gipfel stieg, indem eine Bande Musikanten ein tolles Charivari mit vielen sich kreuzenden Melodien aufspielte und Buben und Hunde dazwischen heulten. Es war der junge, ausgelassene Graf Mindelberg, der mit einigen seiner Freunde, die ihn in Verkleidung begleiteten, sammt den Musikanten, diesen tollen Lärm erregte, weil er sich so an Charlotten und ihrer Mutter rächen wollte. Es war dem jungen, verwilderten Mann, der sich für unüberwindlich hielt, zu empfindlich gewesen, daß ihn Charlotte, die Tochter einer Ehrlosen, mit so vielem Stolz behandelt und seine Freigeisterei und übermüthige Werbung so kalt abgewiesen hatte. Jetzt strömten noch mehr Menschen herbei, auch Polizeibeamte zeigten sich, die aber, da es nur bei wildem Geschrei, Fluchen und Lachen blieb, sich ruhig verhielten, vorzüglich seit man einen ältern Mann, der moralisch vermahnen wollte, mit überlautem, verhöhnendem Gelächter stumm gemacht hatte.

Von der andern Seite fuhr der Wagen indessen weiter, von dem mürrischen Petermann gelenkt, der oft schimpfte und fluchte, wenn hier und dort eine Gruppe von Schwatzenden ihn hemmte, oder er laut schreien mußte, daß man ihm und seinen brausenden Pferden nur aus dem Wege gehe. So, klatschend, rufend, anhaltend, schnell fahrend, gelangte 376 er in die Gasse, in welcher er selber wohnte. Vor seiner Thür stand seine alte treue Haushälterin. Sind der Herr Petermann schon da? rief sie laut kreischend. Sie stellte sich vor die Pferde. Was soll das? schrie er von seinem Bock herunter; laß los, alter Drache. Indem war ein Hund aus dem Flur des Hauses winselnd gekrochen, der zum Wagen hinausstrebte, als er die wohlbekannte Stimme seines Herrn vernahm; doch in demselben Augenblick peitschte dieser auf die Pferde, der Wagen rückte schnell an, und man hörte ein Geheul und ein Zetergeschrei der alten Weibsperson. Himmel und Erde! schrie Petermann, indem er die Pferde anhielt, – was ist das? – Was wird es seyn? heulte die Alte, Ihr selbst, Herr Petermann, habt Euern eignen Hund übergefahren: das treue, alte, liebe Thier, das schon so viele, viele Jahre gesehen hat, halb blind und halb taub nichts mehr im Leibe hatte, als die Liebe zu Euch alten, grausamen, nichtsnutzigen Menschen!

Man hörte noch immer das Geheul eines sterbenden Hundes und Petermann sprang vom Bock, indem er schrie. Was? Wie? Meinen Munsche hätte ich überfahren, den alten, uralten Sackermenter! O, Himmel und Hölle, habe ich noch der Mörder meines allerbesten Freundes werden müssen! Nein, das überlebe ich nicht! Dieser Hund war ja der einzige wahre Mensch, den ich jemals habe kennen lernen.

Er nahm den Leichnam auf, und trug das dicke, aufgeschwollene Thier, das jetzt eben verschieden war, selbst in sein Haus. – Die Frau im Wagen weinte laut. Was ist Dir, Mutter? fragte Charlotte. – O Himmel, erwiederte jene, wir hätten draußen im Walde bleiben sollen, denn ich sehe, das Schicksal verfolgt uns.

Verzeihung, sagte der graue Kutscher, daß ich so lange 377 verweilt habe. Jetzt wollen wir auch um so schneller vor das Haus fahren.

Wie könnt Ihr uns nur so aufhalten, Mann, sagte Charlotte, in dieser dringenden Lage, um eines elenden Hundes willen?

Elenden Hundes! rief der Fuhrmann: tausend Donnerwetter! Derselbe Hund, der nun endlich crepirt ist, war mein Siegwart, Werther, oder wie sie alle heißen mögen, die Helden, über welche die empfindsamen Mamsellen Thränen vergießen! Elender Hund! Sind wir denn Alle etwa was Besseres? Gewiß um Vieles schlechter! Zu, ihr Racker, ihr Rosse, die ihr auch nichts werth seid! Ich soll ja schnell fahren!

Jezebel! Jezebel! schrie der Pöbel; die geschminkte und die blasse, – laßt sie uns zerreißen! – Fahr' doch zu, ins Teufelsnamen! rief Wilhelm aus dem Wagen heraus, und der Fuhrmann, zornig wegen seines Hundes, trieb so plötzlich die raschen Pferde an, daß sie durch den dicken Menschenhaufen rannten und Geschrei, Heulen, Fluchen und Schimpfen noch lauter ertönten. Ein Kind war überfahren worden. Der Wagen mußte anhalten, man riß den Kutscher herunter, das Volk mißhandelte ihn und die Polizei befreite ihn nur mit Mühe aus den Händen der empörten Menge. Einige Besserdenkende drängten nun die Masse des Pöbels zurück, und da man sich ganz nahe am Hause befand, so suchten die Drei aus dem Wagen zu steigen und die sichere Schwelle zu erreichen. Der junge Graf Mindelberg hatte jetzt die Fahrenden erkannt und ließ von neuem und noch lauter das Charivari seiner Musikbande ertönen. Wilhelm sprang voran und klingelte heftig, der Bediente kam, aber der Graf schrie: Lottchen! Lottchen! hiergeblieben! und strebte, das junge Mädchen von der Mutter wegzureißen, die sie fest 378 umschlossen hielt. Die beiden Frauen zitterten. Schon war es dem Grafen und seinen Helfershelfern gelungen, Charlotten zu ergreifen, als ein junger Mensch sie schnell und stark in seinen Armen aufhob und mit ihr der Thür des Hauses zueilte. In demselben Augenblick fiel vom Hause her ein Schuß und der Graf stürzte nieder.

Ein allgemeines Geschrei, stürzende Flucht, das Haus war frei und der junge Bursche trug die halb Ohnmächtige hinein. Die Mutter folgte fast ohne Bewußtsein.

Im Hause selbst fand man nur den jungen Menschen, der sich ernüchtert hatte und jetzt mit den Uebrigen das Haus verrammeln und die Fensterladen schließen half, denn es war vorauszusehn, daß der Sturm sich in wenigen Augenblicken, und zwar gewaltsamer, als zuvor, erneuern würde. Auch sammelten sich die erschreckten Haufen bald wieder, und Alles, was sich in der übrigen Stadt bis jetzt umgetrieben hatte, drängte sich nun in diese Gasse zusammen. Ein ungeheures Geschrei erhob sich, Steine wurden gegen Thür und Fenster geschleudert, Mordbrenner, Mörder schalt man die Bewohner, und Alles vereinigte sich, das Haus zu bestürmen und die Thüren zu erbrechen. In großer Schnelligkeit wurden Balken und Hebebäume herbeigeschleppt, einige der Verwegensten hatten vom benachbarten Hause das Dach der Wohnung erstiegen, und warfen nun Ziegel und Latten hinab, um von dort in die innern Gemächer zu dringen. Von außen vermehrte sich das Getümmel, und da man einmal das Beispiel gegeben hatte, so wurden auch Pistolenschüsse auf das Haus gefeuert.

Der schwer verwundete Graf war fortgebracht worden, und die Musikanten, da sie ihren Beschützer entbehrten, hatten sich auch still zurückgezogen.

Die Hausthür krachte, fiel und war aufgebrochen. Jetzt 379 stürmte der Schwarm hinein; Alles fluchte, schrie, lärmte; die innern Thüren sollten auch gesprengt werden; Wilhelm hatte seine Pistolen von neuem geladen; die Weiber saßen trostlos und ohne sich zu regen im Winkel des Saales; der Diener und der Fremde gingen händeringend und in Unentschlossenheit gelähmt auf und ab; nur der junge Bursche, der Charlotten gerettet hatte, schien, mit einem großen Stock bewaffnet, den Einbruch mit einer gewissen Ruhe zu erwarten; und jetzt wäre es gewiß um das Leben der Bewohner geschehen gewesen, wenn sich nicht in diesem Augenblick Militair, Polizei, und ein angesehener Mann an ihrer Spitze, gezeigt, und bittend, drohend, versprechend mit Ernst und Höflichkeit sich Platz gemacht hätten. Sie entfernten den anstürmenden Haufen vorerst aus dem Hause; man gab das feste Versprechen, daß die Schuldigen gewiß gestraft werden sollten, und forderte, daß man der Obrigkeit für jetzt unbedingt gehorchen solle.

Der Anblick der Soldaten, ihre ernste Haltung, die Höflichkeit der Anführer wirkten so wohlthätig auf den gemeinen Mann, daß für einen Augenblick Ruhe und Stille eintrat. Man verlangte, als die Thüren geöffnet waren, daß Alle, die sich im Saal befanden, der Polizei als Verhaftete folgen sollten, um nachher im Verhör sich von den Anklagen zu reinigen, oder ihre Schuld einzugestehen. Die Polizei war verwundert, den Pflegesohn ihres obersten Chefs hier anzutreffen, doch hatte es die Folge, daß Alle gegen die Frauenzimmer noch höflicher waren.

Als man sie nun wieder auf die Straße hinausführte, erhob sich von neuem ein ungeheurer Lärm. Alles schrie rasend durcheinander, daß man diese frechen Buhlerinnen, die Räuber und Mörder in ihrem Solde hätten, in Stücke reißen müsse. Die Soldaten hatten genug zu thun, die 380 wüthende Volksmasse von den Gefangenen zurückzuhalten; es war nothwendig, daß die ganze Abtheilung sie nach dem großen Polizeigebäude begleitete. Hier erhielten sie vorerst einige fest verwahrte Zimmer zu ihrem Aufenthalt, und der Geheime Rath, der immerdar von Anforderungen bestürmt wurde, war nicht im Stande, sie jetzt, auch seinen Pflegesohn nicht, zu sprechen.

Das Volk war aber nun nicht länger zu bändigen. Wegen eines übel berüchtigten Hauses schien es den Behörden nicht gerathen, die allerstrengsten Maßregeln anzuwenden; so wurde denn unter Gesang und Jubel Alles verwüstet, Bilder, Mobilien, Betten wurden hinausgeschleppt und draußen verbrannt, und so hatte sich die angedrohte Revolution auf die Zerstörung dieses Hauses beschränkt, welches nun auch in Flammen aufging. Die Löschanstalten, welche schnell herbeigeschafft wurden, arbeiteten vorzüglich dahin, daß die angrenzenden Wohnungen nicht vom Feuer ergriffen werden möchten.

Nach diesem nichtsnutzigen Auflauf, von Uebermüthigen erregt, die die Stimmung des Volkes dann mißbrauchten, schien es einigen Großen gleichsam ein Glück, daß der böse Wille sich in dieser Kleinigkeit zufrieden gestellt habe, daß die Bosheit hier ihre Lust gebüßt und das ganze elende Complott zerschellt sei, ohne daß große Anstrengungen angewendet, oder viele Opfer gefallen seien. Man sorgte nur dafür, die Masse einzuschüchtern, und so ward vorläufig beschlossen, daß Graf Mindelberg, Wilhelm Eichler, der alte Fuhrmann, und die Witwe nebst ihrer Tochter, so viel es sich irgend mit der Gerechtigkeit vertrüge, zum abschreckenden Beispiel dienen müßten.

Die Besseren, unter welchen Ambach obenan stand, konnten diese vorläufigen Beschlüsse nicht billigen. Er war 381 unwillig über die Maßregeln gewesen, daß man dem armseligen Complott zugesehen, es gekannt und doch nicht unterdrückt habe, um nach einer Explosion, die man dann doch nicht ganz in seiner Gewalt haben konnte, mit schreckender Strenge hervorzutreten. Er hatte dreist gesprochen, daß diese Halbheit, die völlig unmoralisch sei, die Regierung nur herabsetze, und daß sie selbst, so handelnd, an dem Verbrechen der Bösewichter Theil nehme und Vieles von der Schuld auf sich selber lade. Er war aber von den Politikern überstimmt worden und mußte dieser Klugheit das Feld räumen. So hatte er nun, wie er vorhersah, dieser Politik des Tages gegenüber einen schweren Stand. Er sollte fast nicht untersuchen, sondern mehr ein schon gefälltes Urtheil bestätigen, damit doch gestraft würde, und doch war es möglich, daß sich zur Entschuldigung, ja Rechtfertigung der Gefangenen, Manches aufbringen ließe. Auch diesen berüchtigten, von der allgemeinen Meinung verdammten Weibern gegenüber wollte er die Kraft des Gesetzes aufrecht erhalten, und er war sehr unzufrieden damit, daß man die Rädelsführer hatte entfliehen lassen, die nun wahrscheinlich im Nachbarstaate auf ähnliche Weise handthieren würden.

Am schuldigsten schien ihm sein Pflegesohn, von dem er durch aufgefangene Papiere außerdem wußte, daß er mit vielem schlechten Volke schon seit lange in Verkehr stand. Der Graf, obgleich er der erste Veranlasser des Unfugs war, war schwer verwundet, man durfte an seinem Aufkommen zweifeln. Diese Gewaltthat des jungen Mannes, seinen Gegner im dicken Haufen niederzuschießen, wenn er dadurch auch vielleicht Leben und Gesundheit des jungen Mädchens rettete, war auf keine Weise zu entschuldigen. Und dennoch that es dem Minister leid, wenn er den Jüngling, dessen Wohlfahrt ihm war anvertraut worden, jetzt dadurch 382 vernichten sollte. In diesen Zweifeln und schmerzlichen Gefühlen nahm er sich vor, die Gefangenen vorerst selbst im Vertrauen zu verhören, und so, bevor das Gericht eintrat, irgend mildernde Umstände zu entdecken, vielleicht auch, auf einem menschlichern Wege, die Wahrheit schneller zu finden, als mit den hergebrachten Formen, die sehr oft viel einfachere Begebenheiten verwickeln und Schuld und Unschuld verwirren.

Der trunkene junge Mann, der nur ungezogen sich in das Haus gedrängt hatte, wurde gleich entlassen, weil er weder beim Auflauf gewesen war, noch sich sonst etwas hatte zu Schulden kommen lassen. Der junge Mensch, welcher Charlotten aus dem Haufen gerettet hatte, und der Niemand anders als Joseph war, durfte auch zu seinem Herrn und seinem Garten zurückkehren, doch mußte der Gärtner sich für ihn verbürgen, daß er sich wieder stellen würde, wenn er noch irgend bei der Untersuchung nöthig seyn sollte.

Der folgende Tag war ruhig, und Alle in der Stadt sprachen von dem Vorfälle wie von einem Traum, der sie beängstiget habe. Man billigte es, daß Wachposten und Patrouillen verstärkt wurden, daß man Fremde, die ohne Gewerbe und Paß waren, aus der Stadt verwies, daß alle Polizeianstalten, Nachfragen und Untersuchungen strenger wurden, und Viele, die sich von den Unruhstiftern hatten anwerben lassen, da sie sahen, wie wenig Hoffnung des Erfolgs war, waren jetzt grade diejenigen, die als ächte Patrioten und gute Bürger alle diese Anstalten am lautesten lobten.



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