Ludwig Tieck
Eigensinn und Laune
Ludwig Tieck

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Einen heftigen Auftritt hatte der Geheime Rath mit seinem verwilderten Pflegesohn. Wilhelm hatte den Minister um eine Unterredung ersucht und dieser benutzte die Gelegenheit, ihn in einem Tone zu ermahnen, der noch ernster klang als gewöhnlich. Glaubst Du denn nicht, sagte er, daß ich es überdrüssig bin, Dir immer und ewig dasselbe Lied vorzusingen? Es geht nicht länger so, und ich stelle Dir nur die Frage, ob Du die Kraft in Dir fühlst, von heut zu 362 morgen ein andrer Mensch zu werden, oder ob ich Dich auf das Land hinaus unter strengen Gewahrsam stellen soll, oder Dich hier in Arrest bewachen lassen?

Und was habe ich denn wieder gethan? fragte Wilhelm mit der Miene der ruhigen Unverschämtheit.

O, freilich ist es nichts, sagte der Geheime Rath heftig, daß der junge Herr kürzlich ein Gedicht mit seinem Namen hat drucken lassen, in welchem ganz deutlich der Königsmord als eine glorreiche, heroische That gepriesen wird, daß der herrliche Brutus dann in einer Kneipe mit andern großartigen Freiheitshelden, jungen Ladendienern, verdorbenen Studenten und einigen Handwerksburschen diesen Unsinn bei offenen Fenstern gesungen hat, und daß die ganze Nachbarschaft zusammengelaufen ist, daß die Vorübergehenden stehengeblieben und dummes Gesindel auf der Straße Chorus mitgeschrien hat? Alles das ist Nichts! Wenn ich hier nicht einschreite, was muß Fürst und Regierung von mir denken? Und wenn ich nun als Polizeichef handle?

Thun Sie, was Sie müssen und wollen, sagte der junge Mensch ganz ruhig; ich, mein Herr von Ambach, handle nur nach Gewissen und Ueberzeugung. Sie wollen es immer noch nicht glauben, daß Sie mit aller Ihrer veralteten Moral diesen neuen Geist nicht hemmen oder niederschlagen werden. Das kann jetzt keine Macht der Welt mehr. Mitschiffen sollten Sie auf diesem Strome der Zeit, dann könnten Sie nützlich und ein großer und guter Bürger werden. So aber, wie Sie da sind, befördern Sie mit allen Ihren scheinbaren Tugenden das Schlechte und sind Nichts als ein Despotenknecht.

Ich mag von diesem Unsinn nichts mehr hören, sagte Ambach.

Warum werden Sie zornig, Verehrter? sagte Wilhelm: 363 weil ich das Bessere will, weil ich mein Zeitalter erheben und Irrthümer stürzen möchte?

Irrthümer! nahm der Alte das Wort auf; hundertmal habe ich Euch aufgemuntert, Ihr solltet in Dienste treten; aber der junge Herr hat auf der Universität nichts gelernt, als Freiheitslieder zu singen, auf seine Vorgesetzten zu schimpfen und kleine Libelle zu schreiben. Unternimm nur etwas, lerne die Beschäftigung kennen, der Du Dich widmest, untersuche, forsche, decke Fehler und Mißbräuche auf, und ich will Dir mit Freuden helfend entgegenkommen, um sie abzustellen. Denn es ist nicht zu vermeiden, es ist sogar nothwendig und naturgemäß, daß in der complicirten Maschine des Staats Räder ermatten, Stifte ausfallen, die Elasticität nachläßt, und der ist ein Wohlthäter der Gesellschaft, der dies mit Kenntniß nachweiset und die Verbesserung möglich macht. Aber dazu gehört Fleiß und Studium, mit leeren Declamationen ist da nichts gethan, und darum ist auch keiner der jungen Weltverbesserer zur Hand und zu Hause, wenn davon die Rede ist.

Als wenn es auf dergleichen Bagatellen ankäme! rief Wilhelm aus. Diese Stubensitzerei, dies sogenannte Studiren, diese bis jetzt geforderten Kenntnisse sind es ja grade, die den Menschen verderben, sein Gehirn verwirren und dem Geist seine Spannkraft nehmen. Unverdorben, frisch aus den Händen der Natur, und also unwissend, wie ihr es nennt, muß der Jüngling allen diesen verdorbenen Verhältnissen gegenübertreten, um so die Mißgeburt, das Ungeheure und Formlose zu erkennen. Giebt er sich dem Aberwitz erst hin und dient ihm, so kann er nichts mehr von ihm erfahren, so wenig, wie Derjenige, der schon in den Klauen des Löwen ist, diesen tödten, oder ihn gar abzeichnen kann. Die Staatsmaschine ist ja eben nichts als eine kolossale Anstalt, um in 364 ihrem Dienst und in Versorgung von ihr die Menschen thöricht, aberwitzig und schlecht zu machen.

Genug, rief der Beamte, auf so etwas giebt es keine Antworten mehr! Ich werde also, da Du gar nicht einmal Besserung versprechen magst, auf andere Anstalten denken.

Ich kann und will besser werden, antwortete Wilhelm, aber in meinem Sinn. Das heißt, ich will dem Spiel, dem Wein und den Mädchen entsagen, will keine Schulden mehr machen, eingezogen leben, mich mit einem kleinen Einkommen begnügen, wenn Sie mir dazu helfen und mir die Erlaubniß geben wollen, daß ich mich verheirathen kann.

Verheirathen? – rief jener mit Erstaunen aus, – und wie kannst Du hoffen, daß bei Deinem Rufe sich ein Mädchen mit Dir einlassen wird?

Jetzt, sagte Wilhelm mit erhöhter Stimme, können Sie mir beweisen, daß es Ihnen mit Ihrer Philosophie und Philanthropie ein Ernst ist. Stoßen Sie einmal alle jene rohen Vorurtheile von sich und würdigen Sie den Menschen als solchen. Ein schönes, kluges, höchst tugendhaftes Mädchen, die mich schon seit acht Wochen, daß ich sie kenne, besser gemacht hat, wird von mir auf das zärtlichste geliebt, ich sehe sie für meine Braut und Verlobte an; aber ihre Mutter kann sich freilich keiner sonderlichen bürgerlichen Ehre rühmen, sie wird selbst in der Stadt nur geduldet, man ignorirt sie scheinbar: mit einem Wort, dieses göttliche Geschöpf ist die Tochter der berüchtigten Madame Blanchard, deren Name Ihnen gewiß von Ihren Untergebenen oft genug ist genannt worden.

Bei diesen Worten trat der Minister erschrocken einige Schritte zurück, ging dann wieder auf den jungen Mann zu und sagte mit dem Ausdruck der tiefsten Verachtung: Du 365 bist wahnwitzig oder blödsinnig: Du wärest fähig, so jedem Gefühl von Ehre zu entsagen?

Ehre! rief Wilhelm aus, tobt eine Leidenschaft in mir, so ist es die des Ehrgeizes; ich möchte alle Menschen überflügeln, ich will bemerkt seyn, Groß und Klein, alle sollen von mir reden und auf mich achten. Aber freilich messe ich die Ehre nach einem andern Maßstabe. Kennen Sie denn diese Charlotte, die mein Herz gewählt hat? Und können Sie sie mir denn versagen? Haben Sie solche Gewalt über mich? Und wenn Sie sie nach den verkehrten Gesetzen unserer schlechten, verdorbenen Gesellschaft hätten, würde ich sie achten? »Natur, du bist meine Göttin!« sage ich mit Edmund im Lear, und verachte Herkommen, Einrichtung, Sitte, diese Krücken für die Lahmen. Ja, jene große, erhabene, unendliche Natur weiß von dem Aberwitz unserer bürgerlichen Einrichtungen nichts, und zu ihr muß der Tüchtige, welcher sich fühlt, zurückkehren. Ich vermuthe, ja ich kann es für gewiß annehmen, daß ich wie jener Edmund ein Bastard bin; aber auch ich kann mit ihm sagen, daß darum die Fülle der Natur und Kraft in mir so überschwenglicher sei als in jenen Geburten der langweiligen Ehe. Das ist es, warum ich kämpfen muß und das Mittelmäßige, Schwache, Ungesunde verachten.

Der Geheime Rath faßte die Hand des jungen Mannes und führte ihn vor den Pfeilerspiegel. Sieh' selbst, sagte er, ob diese Schilderung auf Dich paßt, oder ob Du jenem Edmund, wie ihn der Dichter schildert, wohl ähnlich siehst.

Wilhelm drehte sich unwillig vom Spiegel und sagte: Sie geben mir also Ihre Einwilligung nicht?

Nein, ganz gewiß nicht.

Wollen Sie mir eine Frage aufrichtig beantworten? Wollen Sie mir Ihr Ehrenwort darauf geben?

366 Ja, wenn ich es kann.

Bin ich ein natürlicher Sohn von Ihnen?

Nein, sagte der Geheime Rath, so schwer hat mich der Himmel nicht bestraft: mein Lebenslaus war mäßig und nüchtern, ich bestrebte mich von Jugend auf. ein solcher Mann zu werden, wie Du ihn verachtest. Und doch bin ich Dir, armer Verlorner, Liebe schuldig und darf mich Dir nicht ganz entziehn.

Sie sagten mir einmal in einer guten Stunde, daß mir ein Capital gehöre, welches Sie mir ausliefern würden, so wie ich solide geworden sei und irgend eine Bestimmung ergreifen könne.

Ja.

Aber Sie werden es mir verweigern, wenn ich diese Summe jetzt in Anspruch nehme?

Gewiß.

Und wer giebt Ihnen dazu das Recht?

Das werde und will ich Dir heut und in den jetzigen Umständen nicht sagen.

Wilhelm ging gedankenvoll im Zimmer auf und ab, und der Rath Ambach setzte sich an seinen Arbeitstisch. Sollte nun hier, rief Wilhelm plötzlich und mit Heftigkeit aus, nicht das Naturrecht eintreten dürfen, auf welches sich auch Karl Moor immerdar beruft? Gäbe es denn kein Mittel, Sie zu zwingen, daß Sie, auch gegen Ihren Willen, Das thun müßten, was Sie mir jetzt gegen Recht und Vernunft verweigern? Aus wessen Vollmacht handeln Sie?

Ambach sah verdrüßlich aus und sagte: Der mir diese Summe übergab, übertrug mir auch ein unbedingtes Vaterrecht auf Dich. Deine unglückliche Mutter glaubte, Du seist in den ersten Tagen gestorben, und man ließ ihr diesen Wahn, um ihr Elend nicht zu vergrößern.

367 Sie üben Vaterrechte an mir? fragte Wilhelm höhnisch, und verweigern mir Das, was nach meiner reifen Ueberlegung mein Glück ausmachen würde, denn ich bin kein Kind mehr! – Und gäbe es nicht Mittel und Wege, mich dieser lästigen Curatel zu entziehn?

O ja, die Wege des Banditen. Hast Du doch auch schon alle meine väterliche Fürsorge unnütz gemacht. Meine Liebe hat auf Dich nichts wirken, meine Ermahnung nichts fruchten können. Leider hat sich nur zu sehr die Art und Weise Deines Vaters in Dir entwickelt.

Sie haben ihn also gekannt?

Ja. –.

Wilhelm stand nachdenkend. So geben Sie mir wenigstens Kunde von diesem.

Nein!

Ich verstehe. – Er schritt auf und ab. – Ich bin einmal im Vertrauen, in der Hingebung gegen Sie zu weit gegangen. Sei's. So will ich denn auch ganz mein Gefühl und meine Vermuthung aussprechen. Ein großer Mann, habe er Namen, wie er wolle, hat mich in die Welt gesetzt. Es mag ein Fürst gewesen seyn. Unter den frühern Vorfahren stand Der auf, der sich gegen Kaiser und Reich auflehnte und sich unabhängig machte. In wie vielen dieser gekrönten Schädel wogten und reiften große und ungeheure Projekte. Alles das rührt sich in mir und treibt in dieser späten Zeit die Wellen meines heißen Blutes um. Sie lächeln?

Ich möchte weinen, erwiederte der Rath, über diesen Aberwitz. – Er stand wieder auf und ging zu ihm: Junger Mensch, sagte er ernst und feierlich, Deinen Vater habe ich in Altona angeschmiedet karren sehn, er starb in diesem Zustand, wegen falscher Wechsel zu dieser Infamie verdammt. – Jene Summe, die Dir künftig gehört, ist ein Geschenk des 368 Erbarmens. Ist nun Stolz in Dir, so entwickle aus Dir selbst etwas Tüchtiges und Rechtliches, daß man Deinen Eltern nicht nachzufragen braucht.

Es ist entsetzlich! rief Wilhelm aus, faßte die Hand des väterlichen Freundes, küßte sie mit Heftigkeit und ließ eine Thräne darauf fallen. Dann stürzte er fort, ohne noch ein Wort zu sagen. Der Geheime Rath war erstaunt, weil er den jungen Mann noch niemals so gesehen hatte; es war das erstemal, daß dieser ihm die Hand küßte, und er fragte sich nur, ob er vielleicht in seiner zurückstoßenden Kälte, und daß er das harte Wort über den Vater ausgesprochen hatte, nicht zu weit gegangen sei.



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