Ludwig Tieck
Eigensinn und Laune
Ludwig Tieck

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Der Frühling war gekommen; es war Zeit, daß Geoffroy abreisete, denn seine Gesundheit hatte sich gebessert und sein Urlaub war vorüber. Sie zerfloß in Thränen, als sie diese Nachricht vernahm. Das Leben, so sagte sie, ist gestorben, sobald Du entfernt bist, und der kalte Tod, das Nichtsein beginnt.

Und was hält Dich hier? sagte der Krieger, kannst Du mir nicht folgen? Geschieht dasselbe, wenn Du es thätest, zum erstenmal in der Welt?

Nein! rief sie aus, und ich bin es mir, ich bin es Dir schuldig, denn Du bist im Herzen und in der Seele und vor allen Geistern des Himmels mein Gemahl, nicht jener Gefühllose, dessen kalte Gefälligkeit mich zu Tode martert. Er lebt nur sich und seinen Grillen, für ihn giebt es kein Du in der ganzen weiten Schöpfung.

343 Geoffroy hatte zwei Reitpferde mitgebracht und kaufte im nahen Städtchen einen leichten Wagen. Sie packte ihre Juwelen zusammen, nebst einigen andern Sachen von Werth, die sie für ihr Eigenthum halten konnte. Es bedurfte keines Dieners, weil er sich für geschickt genug hielt, den Wagen selbst zu führen, und so entflohen sie in einer dunkeln Nacht, als Grundmann eben eine Reise in das benachbarte Gebirge angetreten hatte, um einen alten Freund zu besuchen und durch bedeutende Summen aus einer augenblicklichen, dringenden Noth zu retten.

Sie reiseten schnell und konnten darauf rechnen, schon weit entfernt zu seyn, bevor sie vermißt wurden. Nach einigen Tagen lenkte der Officier von der großen Straße seitwärts in einen Nebenweg. Ich muß hier, sagte er freundlich, meinen besten Freund besuchen, der mir in der allerschlimmsten Lage meines Lebens in Rußland das Leben gerettet hat. Die Gegend war immer einsamer und endlich geriethen sie in einen dichten Wald. Als sie eine Stunde in der grünen Wildniß sich fortbewegt hatten, hielten sie vor einer kleinen Schenke, die abseits am Ende eines Wiesenfleckes lag. Als man drinnen das Stampfen der Rosse hörte, sprang die alte Wirthin heraus, und Geoffroy fragte die dicke Frau mit dem gutmüthigsten Tone in deutscher Sprache: Nun, was macht mein Kleiner? – Vollkommen wohl befindet er sich mein gnädiger Herr, erwiederte die Schenkwirthin. – Die Entführte war in Verwunderung aufgelöst, daß sie ihren Begleiter so richtig und geläufig deutsch reden hörte; aber ihr Erstaunen wurde noch gesteigert, als jetzt ein Hündchen aus dem kleinen Hause sprang, sich anbellend vor die Pferde springend stellte, dann zu seinem Herrn hinaufhüpfte und der Officier zärtlich rief: Nun, Munsche! Munsche! Wie ist es dir ergangen? – Der 344 kleine Hund drehte sich schnell springend in Kreisen herum, bellte und hüpfte wieder, und Geoffroy ließ ihn sich von der Frau hinaufreichen, nahm ihn in die Arme, streichelte den Kleinen und schien in seinen Liebkosungen dem Weinen nahe. So schenkte er der Wirthin eine gefüllte Börse, als Kostgeld für seinen Liebling, und fuhr dann mit seiner Geliebten wieder durch den Wald.

Ich brauche mich, fing er an, nun nicht mehr zu geniren, da Du wohl, geliebtes Kind, gemerkt haben mußt, daß ich eigentlich ein Deutscher bin. Ja, meine Schicksale sind sonderbar genug. Sieh, dieses kleine liebe Thier, diesen Munsche, erhielt ich vor Jahren von einem vornehmen russischen Herrn zum Geschenk, ich dachte damals nicht, daß ich bald darauf als Soldat einen Feldzug gegen die Russen mitmachen würde. Es traf sich aber so. Unglück, Verlust, Glück, Alles trieb mich schnell in die Höhe und erwarb mir die Achtung und das Vertrauen meiner Vorgesetzten. Mein Hund lief allenthalben mit. Tief in Rußland, nach einem Gefecht, als ich verwundet auf dem Boden in meinem Blute lag und mich nur noch matt vertheidigte, wollte ein vornehmer Russe mir eben den Kopf spalten, als das Hündchen sich winselnd auf mich warf. Munsche! Munsche! rief ich und der Oberst hielt ein. Es war derselbe, der mir vormals das Thier gegeben hatte. Er schenkte mir das Leben, ließ mich verpflegen und schaffte mich dann wieder zu den Meinigen. So kam es, daß ich jenen furchtbaren, ewig denkwürdigen Rückzug mitmachen konnte und Deutschland, mein Vaterland, noch einmal wiedersah.

Nach einer Weile sagte die Frau: Also ein Deutscher! Jener Martin Sendling, den ich schon vor Jahren kennen lernte. – Wie kennst Du meinen deutschen Namen? rief der Officier erstaunt, ich habe ihn ganz abgelegt. Sie sagte 345 ihm jetzt, wer sie sei, und er war verwundert darüber, daß sich Beide nicht früher wiedererkannt hätten. O, ihr bösen Menschen! fuhr der Officier fort, ihr habt mich damals sehr unglücklich gemacht. Ich war zu meinem Stande verdorben, mit mir, mit euch, mit aller Welt unzufrieden. Ich schweifte herum, in Haß gegen Dich, die meine Frau hatte werden sollen; dann erinnerte ich mich wieder Deiner Schönheit und welch Glück mir zu Theil werden konnte, wenn wir uns Beide mehr verstanden hätten.

Unser Leben, sagte sie, ist wie ein albernes Mährchen eigentlich ohne Inhalt.

Wenn ich schlecht bin, erwiederte der Krieger, so habt ihr mich durch eure künstliche Bildung verdorben. Vorher war ich gut und einfach. Als ich mich damals etwas besonnen hatte, ging ich, weil mir Deutschland und Alles hier verhaßt war, zur französischen Armee; ich fand Freunde und avancirte bald: auch nachher hatte ich Glück und bekam noch einige Grade. Als ich genesend zurückkam, hatte ich nicht den Muth, nach jener Emmeline zu fragen, ich fürchtete, entdeckt zu werden, ich schob die Forschung von einem Tage zum andern auf und – seltsam! – bin seit Wochen bei ihr, und sie selbst ist es, die mit einer wiederkehrenden Leidenschaft mich zum zweitenmal zum ihrigen machen will.

Sonderbar genug, erwiederte sie – und damals war ich schön und jung, mein Vater lebte noch und gehörte zu den reichsten Männern des Landes, Freunde und Bekannte erfüllten sein Haus, und ich –

Ja wohl ändert sich Alles, unterbrach sie der Soldat, wir müssen eben durch das Leben hindurch, wie durch eine Schlacht, falle rechts und links, vor und hinter uns, was da wolle, unsere liebsten Gefühle, unsere edelsten Gedanken und Entschlüsse, vor müssen wir und Stand halten, bis uns 346 selbst das Schicksal trifft, und dann hat das Spiel für diesmal ein Ende.

Für immer sollte es seyn, fuhr sie fort: soll dies nüchterne Grauen, dieser schale Ekel, diese abgeschmackte Furchtbarkeit denn noch öfter wiederkehren?

Sie begaben sich nach einer kleinen unbekannten Stadt, wo sie versteckt genug zu seyn glaubte und ihre Niederkunft abwarten wollte. Sie lebte dort unter fremdem Namen, und nachdem sie sich täglich gestritten, gezankt und einander die bittersten Vorwürfe gemacht hatten, begab er sich zu seinem Armeekorps, um in den fränkischen Reihen den Kampf gegen Deutschland mitzustreiten. 347



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