Ludwig Tieck
Eigensinn und Laune
Ludwig Tieck

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Der alte Vater war begraben und Grundmann kehrte mit seiner tief betrübten Gattin auf sein Gut zurück. Nach wenigen Tagen kam der angemeldete französische Officier an, 336 noch krank, aber doch heiter und gesprächig. Sein Ansehn deutete, nach den vielen Leiden und der Krankheit, auf ein höheres Alter, als er wahrscheinlich erreicht hatte, die tiefen Narben auf der Stirn und im Angesicht auf seine Bravour und wie oft er in Lebensgefahr gewesen sei; ein starker, finsterer Bart verschattete den Ausdruck seiner Mienen und gab dem höflichen Manne etwas Abschreckendes und Herbes, was noch seine tieftönende Stimme vermehrte.

Der stille, freundliche Grundmann empfing seinen Gast mit allen Zeichen des Wohlwollens, dieser schien auch die Herzlichkeit seines gutmüthigen Wirthes zu erkennen und, wenn auch auf eine etwas barsche Weise, zu erwiedern. Bei Tische erschienen der Amtmann und Prediger des Ortes, so wie einige nahe wohnende Edelleute mit ihren Frauen, und man war fröhlich und suchte den Fremden mit Erzählungen und Gesprächen zu erheitern. Dem Capitain fiel der Ernst der blassen Wirthin auf, die sich nicht viel um ihre Gäste kümmerte und erst aufmerksam wurde, als er gegen Ende der Mahlzeit das ungeheure Elend der französischen Armee auf ihrem Rückzuge schilderte. Man sprach nur französisch, weil es schien, man es auch so voraussetzte, daß dem Kriegesmann die deutsche Sprache unverständlich sei. Alle waren erschüttert und die Frau des Hauses sagte endlich: Zu selten halten wir uns im Leben den Spiegel solchen Unglücks und dieser ungeheuern Begebenheiten vor, und daher kommt es, daß wir uns mehr oder minder in einem kleinlichen Egoismus verlieren. Man weiset solche Schilderungen gern ab und nennt sie mährchenhaft und übertrieben, damit nur unser Wohlbehagen nicht gestört und unsere verweichlichte Phantasie nicht aufgeschreckt werde. In diesen Bildern lernen wir aber erst, welchen tiefen Sinn das Leben habe.

Der Capitain sah sie mit großen und forschenden Augen 337 an, er schien fragen zu wollen, wie eine junge Frau zu der melancholischen Wollust komme vorzugsweise sich den Bildern des Schrecklichen hinzugeben. Doch wurde das Gespräch jetzt unterbrochen, weil man vom Tische aufstand.

Die Spannung der Gemüther war mit Recht groß, die Aufregung in jener Zeit allgemein. Jeder hoffte, daß Deutschland sich wieder erheben würde, es war möglich, daß auch diese Gegend der Schauplatz des Krieges werde, der Abscheu gegen die Tyrannei des Fremden, da Alle gelitten hatten, war allgemein, und viele gutmeinende Patrioten wollten es Grundmann verübeln, daß er gerade jetzt einen Franzosen in seinem Hause so wohlwollend verpflege und als einen Freund behandle. Als unter den beiden Gatten das Gespräch hierauf fiel, sagte sie: Ueber die sonderbaren Menschen! Als müßte man an dem Einzelnen, der uns als Gast anspricht, den Haß auslassen, den uns Deutschen diese Regierung einflößen muß. Du erfüllst die Bitte Deines Freundes, welcher wohl dergleichen fordern darf, und verschwendest gewiß Deine Güte an keinen Unwürdigen, denn dieser Fremdling scheint mir ein sehr wackrer Mann, der im Herzen vielleicht selber ein Feind der Tyrannei ist.

Die Nachbarn aber, da der Krieg unvermeidlich schien, zogen sich immer mehr von Grundmann zurück, um seinem beherbergten Fremdling nicht zu begegnen. Grundmann verargte seinen Bekannten diese Engherzigkeit nicht, weil sie aus einer guten Quelle floß; mehr verstimmte es ihn, daß auch in der Stadt alte Freunde ihn vermieden und manche Voreilige ihm geradezu den Vorwurf machten, er sei ein Freund der Franzosen, was sich in diesen Zeiten durchaus nicht gezieme. Grundmann blieb also auf seinem Gute, ritt, wenn es schönes Wetter war, mit dem Capitain spazieren, oder 338 Beide gingen auf die Jagd, doch war der Franzose nur ein ungeschickter Schütze. Im Hause las man und Grundmann fühlte sich geschmeichelt, daß der Fremde oftmals gerührt war und ihm bezeugte, daß er mit vielem Ausdruck und angenehmer Stimme vortrage. Oft war die Frau zugegen, die sich aber lieber zurückzog, wenn etwas Poetisches vorgetragen wurde.

Fürchten Sie sich nicht, sagte der Capitain, als er mit der Frau im Garten spazieren ging, daß Sie vielleicht in einigen Monden hier mit in die Kriegsscenen verwickelt seyn können?

Warum fürchten? erwiederte sie; sterben, wovor die meisten Menschen zittern, denke ich mir als etwas Leichtes, und fliehen, und mich anderswohin begeben, bleibt uns wahrscheinlich noch offen. Einbuße am Vermögen, Abbrennen unserer Häuser und dergleichen, soll man das nicht verschmerzen können?

Der Fremde sah sie mit Erstaunen an. So, antwortete er, spricht nur der Held, oder die Verzweiflung; Sie sind aber zu glücklich, um trostlos seyn zu dürfen, darum müssen diese sonderbaren Worte einer erhabenen Gesinnung entströmen.

Erhaben? erwiederte sie mit einem bittern Lächeln, was nennen wir so? Ich glaube an die Sache nicht, und darum kann mir auch diese Bezeichnung mit Tönen gleichgültig seyn.

Der Capitain wurde verwirrt. Verehrte Frau, fing er wieder an, wie kommt es, daß Ihr Herr Gemahl, der doch ein feiner und gebildeter Mann ist, sich noch so trägt in Frisur und Kleidung wie um 1780?

Die Frau lachte laut und mit dem Ausdruck der Heiterkeit. Das fragen Sie mich?

Ja, und warum nicht?

339 Warum ist der Katholik katholisch und der Grieche griechisch? Einer betet den Rosenkranz, der andere klappert, um andächtig zu seyn: hier liegen sie platt hingestreckt, dort knien sie, um den Himmel näher zu seyn, und in Amerika giebt es eine Sekte, deren Kirchendienst darin besteht, sich Rock und Weste auszuziehen und singend zu tanzen und zu springen, wodurch sie sich Gott geneigt machen wollen. Es ist eben seine Religion, so gepudert und frisirt zu gehen, und läßt keine weitere Erklärung zu.

Die Sache auf die Art deutlich zu machen, schien dem französischen Capitain doch noch nicht klar genug, er sagte daher nach einer kleinen Pause: Mir wird es schwer, Sie zu verstehen. Sollten Sie doch nicht glücklich seyn?

Glücklich? wiederholte sie; glauben Sie mir, nur Diejenige ist glücklich, die als Mädchen gar nicht denkt, die nichts will, oder die sich für den Mittelpunkt der ganzen Schöpfung hält. – O, wären nur nicht die Tugenden in der Welt.

Ich verstehe Sie nicht.

Es giebt eine Großmuth, fuhr sie fort, in einem Tone, als wenn sie nur mit sich selber spräche, – eine Aufopferung, ein so edles Wesen, daß man zehnmal lieber völlig zu Grunde gehen möchte, als von diesen christlichen Tugenden abhängig werden.

Wer viel erlebt, sagte der Officier, wird die Menschen überhaupt wohl anders ansehn, als es ein einsamer Priester, oder ein einfältiger Landmann im Stande ist.

Sehr wahr, und so ist die Peitsche, die den Sklaven bis auf das Blut geißelt, oft nicht so schmerzend und demüthigend, als die scheinbare Liebe und die Großmuth so mancher kalten, seelenlosen Geschöpfe, die oft für Märtyrer 340 gelten, während sie doch wahrlich nur die Marterknechte sind. Die Folter ist abgeschafft, als barbarisch: aber Blicke, Worte – o, ich kann nicht alles sagen, was ich fühle und denke.

Der Officier sah vor sich nieder. Edle Frau, fing er nach einer Pause an, ich muß fürchten, daß Sie in der Ehe nicht glücklich sind.

Warum nicht? antwortete sie mit einem herben Ton; sind wir denn dazu berufen, um glücklich zu seyn? Und ist denn die Ehe etwa eingesetzt worden, um eine solche Forderung und unreife Grille zu befriedigen? Die Zeit, uns, unsere Bestimmung und Tod und Leben vergessen, dieser Rausch ist Glück. Besinnung, Denken, Fühlen, Ernst und Tiefsinn sind Unglück. – Sie sagen, die Ehe sei ein Band zwischen Mann und Frau? Nicht wahr?

Nun freilich. –

Und wo sind denn diese Männer, von denen uns die alten Sagen erzählen? Sind sie nicht ebenso gut wie die Mammuth und andere Riesengeschöpfe antediluvianisch? Diese alten Weiberchen mit den glasirten Handschuhen und den denkenden Furchen in der Stirn, wie von der Wäscherin eingeplattet, diese roth und weißen Kinderchen mit den glänzenden Augen, oder diese wandelnden Haubenstöcke mit dem regelrechten Blicke – je nun, freilich Männer, wie die jetzigen kleinen Armadills ein Auszug und eine Andeutung an jene Riesen-Panzerthiere der alten Vorzeit sind. Es ist eben nur das umgekehrte Perspektiv der Gegenwart, wodurch Alles verkleinert wird, was die Natur ursprünglich als groß gemeint hatte.

Der Capitain wußte nicht mehr, ob er lachen oder ernsthaft bleiben sollte, in dieser halben Verlegenheit sagte er: Wie es Ihnen mit den Männern ergeht, so auf ähnliche 341 Weise mir mit den Mädchen und Weibern. Ich möchte auch behaupten, daß dieses Geschlecht ausgestorben sei und nur noch nachgeahmte Puppen übrig geblieben sind. Macht Schönheit und Reiz allein die Weiblichkeit aus? Nur der junge unerfahrene Mensch kann das behaupten. Und doch, kaum ist diese Rosenzeit vorüber, wie lassen sie sich fallen, alle diese Weiberchen, und möchten Perrücken aufsetzen und Orden umhängen, oder sich zu Magistern machen lassen, um nur für irgend Etwas noch zu gelten. Aber, wenn die Weiblichkeit nicht etwas Ewiges ist – ist sie denn etwas Anderes, als ein elendes Maskenspiel der Natur?

Sehr wahr, antwortete sie lebhaft, – aber wo sind diese männlichen Männer, die in der Larve etwas mehr als die Larve sehn?

Glauben Sie mir, schöne ernste Frau, sagte der Officier, so selten es in meinem Stande seyn mag, ich habe immer die Weiber verschmäht.

Verschmäht! rief sie aus, das kann ich nicht von mir sagen, ich habe keine Männer gesehn: diejenigen, die sich dafür ausgaben, zu verachten, hat mich nicht große Anstrengung gekostet. So alt ich geworden bin, so habe ich doch in dieser langen Zeit nur einen einzigen Mann gesehn. –

Dürfen Sie ihn näher bezeichnen?

Sie sind es!


Das Letzte hatte sie mit ganz trocknem Tone gesagt, aber es war tief in den Busen des Kriegers gedrungen. Von diesem Augenblick erschien ihm die große volle Gestalt in einem ganz andern Licht, die Blässe erschien ihm reizend und von großartiger Schönheit, und ihr strenger kalter Blick 342 junonisch erhaben. Er konnte die letzten wenigen Worte nicht vergessen, und der geputzte, elegante Mann, wie er wieder zu ihnen trat, kam ihm mit seinen geschniegelten Manieren ganz abgeschmackt vor. Er glaubte jetzt, indem er ihr kaltes Betragen gegen den ewig lächelnden Gatten betrachtete, ihr Schicksal zu verstehen. Als der Mann am folgenden Tage wieder vorlas, war sie eingeschlafen, er ward endlich, eines Besuches wegen, vom Diener abgerufen; sowie er die Thür geschlossen hatte, eröffnete sie die klaren, großen Augen und sah den Officier mit einem fragenden Blicke an. Dieser, auf eine sonderbare Weise bewegt, umschlang sie, sie schloß das Auge wieder und er drückte einen brennenden Kuß auf ihren schönen Mund. Sie erwiederte den Kuß, und von dem Augenblick verstanden sich beide.



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