Ludwig Tieck
Eigensinn und Laune
Ludwig Tieck

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Es waren Jahre verflossen. Grundmann hatte den Rest seines Vermögens nach und nach aus der Handlung gezogen und lebte jetzt die meiste Zeit auf einem Gute, in einer angenehmen Gegend des Landes. Sein Schloß war groß, bequem eingerichtet und reichlich mit Allem versehn, was das Leben schmücken und ihm Reiz und Anmuth geben kann. Der alte Runde kränkelte, und die Aerzte, seine Freunde, versicherten einstimmig, daß er nicht lange mehr leben könne. Seine Tochter war mit ihm aus Barèges als ein verwandeltes Wesen zurückgekommen. Nach ihrem Wochenbette, von welchem Niemand in der Heimath etwas wußte, war sie voller und stärker, aber auch um Vieles älter geworden. Ihre blühende Farbe war verschwunden, ihre Augen leuchteten nicht mehr von jener Jugendfrische, die ehemals alle Menschen bezaubert hatte. Alle Freunde und Besucher des Hauses gestanden, wie sie in dieser Gestalt zurückkam, daß 331 sie sie wahrscheinlich nicht, wenn sie es nicht gewußt, als die Tochter Runde's wiedererkannt hätten. Auch ihr Temperament, sowie ihr Betragen, war verwandelt; sie war ernst und still und vermied die Gesellschaft; Bälle und Tanzbelustigungen waren ihr zuwider, und so stellte sie, im lebhaftesten Contrast mit ihrem früheren Wesen, das Bild einer ernsthaften, fast strengen Matrone dar.

In der großen bewegten Welt hatte sich unterdessen auch Vieles umgestaltet und eine neue Geburt der Zeiten stand bevor. Das große, unüberwindliche Heer der Franzosen hatte in Rußland seinen Untergang gefunden, der Brand Moskau's hatte wie eine neue Morgenröthe durch Deutschland geleuchtet, alle aufgegebenen Plane, Hoffnung und Kraft erwachten, und Jedermann war so aufgeregt und gespannt, daß er von jedem neuen Tage neue Wunder erwartete.

In der Stadt war indessen der Rath Ambach gestorben und Ferdinand, sein Sohn, in seine Stelle getreten. Excelmann lebte an einem fremden Hofe und Runde schmachtete auf einem schmerzvollen Krankenlager. Er wäre sehr verlassen gewesen, wenn seine Tochter nicht von ihrem Gute herübergekommen wäre und seiner mit kindlicher Liebe gepflegt hätte. Alle in der Stadt, welche sie vorher gekannt hatten, bewunderten sie und begriffen es kaum, daß sie einer so edlen Aufopferung fähig sei. Der gutmüthige, liebevolle Grundmann leistete dem Kranken auch oft Gesellschaft, und so verlebte der Vater seine letzten Tage in Aufheiterung und stiller, scheinbarer Zufriedenheit. Was er erfahren hatte, seine wankende Ehre, die auf dem Spiel stand, sein fast eingetretener Bankrott, vorzüglich aber der Gram und die Erschütterungen, die ihm der Leichtsinn seiner Tochter verursacht, hatten seine Kraft aufgezehrt. Er konnte sich von diesen Schlägen niemals wieder erholen, und seine jetzige Krankheit, 332 welche die Aerzte aus ganz andern Ursachen herleiteten, war nur die Folge jener Begebenheiten.

Seit Emmeline wieder in der Stadt war, vermied der junge Ambach das Haus, in welchem er ehemals so oft gewesen war, und der Kranke entschuldigte diese scheinbare Vernachlässigung, weil er fühlte, daß der Anblick der Tochter für Ferdinand verwundend seyn müsse. Dieser hatte sich seitdem auch verheirathet und lebte mit der jungen bescheidenen Frau ruhig in einem kleinen Kreise von Freunden.

Wie viel Liebe die Tochter auch dem kranken Vater bezeigte, so war ihr Wesen doch nicht heiter und freundlich, ihre Miene war ernst und fast feierlich, und sie sang selbst nur ungern dem Vater jene Lieder oder Arien vor, die sie vormals so sehr geliebt hatte. Es war eine Eigenheit, daß sie seit jener schrecklichen Scene in Paris und ihrer bald darauf folgenden Verheirathung den Vater immer mit »Sie« anredete; der Kranke konnte sie nicht dahin bringen, daß sie, wie sonst, das vertrauliche »Du« aussprach. Als er es forderte, sagte sie: Das hätte niemals eingeführt werden sollen, der Vater tritt durch diese einzige Sylbe, die sich die Kinder erlauben, diesen viel zu nahe. Die Furcht verschwindet wie die Ehrfurcht und es liegt nicht so gar fern, daß der Uebermuth den Vater erniedrigt. So gestattete sie es auch nicht, daß irgend wer, selbst der Vater nicht, sie jemals Emmeline nennen durfte. Diese, hatte sie einmal geäußert, ist längst gestorben und wird niemals wieder zum Leben erwachen. Wie schnell, liebster Vater, ist die Schönheit verschwunden, mit welcher diese unglückselige Emmeline prunkte. Diese Herrschaft, in der meine Eitelkeit sich so glücklich fühlte, ist bald gestürzt worden, um Reue, Pein, Gewissensvorwurf und traurige Langeweile auf den Thron zu setzen.

333 Du solltest Dich aber nicht immerdar so quälen, Kind, sagte der Alte.

Wo keine Schönheit ist, erwiederte sie, da wird nur Widerwille erregt: – »und was nicht reizt, ist todt« –wie jene Prinzessin so richtig sagt.

Ich hoffte, sagte der Kranke, Du würdest im Reichthum, mit einem Gatten verbunden, der jeden Wunsch von Dir für Befehl hält, Dich glücklich fühlen und die vorigen Tage vergessen. Aber Du wünschest nichts, Du verlangst nichts, Du grübelst in Deinem Innern, Du bist mit Dir und der ganzen Welt unzufrieden.

Halten Sie fest an dem Gedanken, lieber Vater, daß ich gestorben bin. Was soll ich wünschen? Das Leben? Es kehrt nicht wieder. Den Tod? Er ist da und wird auch bald dieses Scheinbild völlig auflösen.

So muß ich denn, fuhr der Alte fort, mein Leben beschließen und kann den Trost nicht mit mir nehmen, daß ich Dich glücklich weiß. Und auch das bekümmert mich, daß Du den hohen Werth Deines Gatten nicht erkennst. O, Kind, als er an jenem Nachmittage, nach jener entsetzlichen Entwickelung zu uns trat, mir mit dem einfachen Händedruck sagte, daß er als Bruder mich und meine Ehre gerettet habe, als er nun gar unter verzeihenden Thränen Dich, die ganz Unglückselige, in seine Arme nahm und Dich, um Dir Namen, Leben und Alles zu retten, seine Gattin nannte, – o, da war mir, als wenn ein Engel, ein hoher Geist voll Milde und Liebe mir erschienen wäre und mir Seligkeit brächte. Das war nach der schmerzlichsten die schönste Stunde meines Lebens. Kannst Du, Tochter, diese Tugend nicht würdigen, diese Liebe nicht erkennen? Er klagt zuweilen über Deine Kälte und Zurückgezogenheit. Verdient er diese? Er hat mir geschworen, daß alles Das, was er für uns 334 gethan, ihm kein Opfer gewesen sei; daß es ihn selbst beglückt habe, uns zu retten, und daß er schon belohnt sei, wenn er Dir nur eine Thräne trocknen, eine Freude oder Beruhigung geben könne. Ich habe durch unser Schicksal erst das himmlische Gemüth, die unbedingte Aufopferung dieses stillen, ruhigen Mannes kennen lernen. Daß ein Mensch so völlig allen Egoismus abstreifen könne, habe ich nicht für möglich gehalten. Ist sie es doch, sie, die Einzige, hat er mir gesagt, die ich im Herzen getragen habe und immerdar hege; jetzt kann ich beweisen, daß nicht ihr Reichthum, ihre Schönheit und etwas Vergängliches mich an sie fesselte, es war und ist ein Ewiges.

Ich ehre ihn, sagte die Tochter; da aber meine Jugend und die ganze vormalige Emmeline dahin ist, so kann ich ihm auch nur mit dem Gefühl entgegenkommen, mit welchem ich die ganze Welt betrachte. Er muß keine Leidenschaft von mir verlangen, keinen muntern Leichtsinn; wohin beide führen, habe ich wohl erfahren.

Grundmann kam zu ihnen. Er war sorgsam um den Freund bemüht und suchte ihn durch vielerlei Erzählungen zu erheitern. Man sprach denn auch allerhand von den politischen Begebenheiten des Tages, von den Franzosen, die in den verschiedensten Gestalten des Erbarmens durch Deutschland zögen; wie viele stürben, oder als Folgen der Leiden und Anstrengung den Verstand verloren. So ist mir nun, sagte Grundmann, von einem alten Freunde ein französischer Capitain auf das dringendste empfohlen worden, der sich eine Zeitlang draußen bei mir aufzuhalten wünscht. Er hat oben in Preußen im Hause meines Freundes eine gefährliche Krankheit überstanden, ist noch nicht ganz genesen, will aber bei uns, da er seines Zustandes wegen einen längeren Urlaub hat, die Wiederkehr seiner Gesundheit abwarten. 335 Mein Freund, ein reicher Handelsherr, ist diesem Franzosen vielfach verpflichtet, weil er im Stande war, ihm im vorigen Jahr einen großen Theil seines Vermögens zu retten. Wir werden ihn also als einen guten alten Bekannten behandeln müssen, damit sich dieser Capitain Geoffroy in unserm Hause gefalle.

Das ist also derselbe Mann, sagte der Kranke, der beim Durchmarsch sich so wacker betrug, als damals der Proceß und die verleumderische Anklage wegen Schmuggelei und Verletzung der Sperre Deinen Freund verderben sollte?

Derselbe, sagte Grundmann; seine Aussagen, da er selbst beim Cordon gewesen war, und seine Bravheit, daß er sogar den Zorn seiner Vorgesetzten nicht fürchtete, haben meinen Freund damals gerettet.

Nun, sagte der Vater mit matter Stimme, ich werde es nicht mehr erleben, aber allen diesen Unsinn, diese barbarischen Anstalten sind wir ja hoffentlich nun los. Ihr, Kinder, lebt einer schönern Zukunft entgegen.

Die Krankheit des Alten zog sich noch einige Tage hin, und als er sein Ende nahe fühlte, ließ er ins Geheim den Rath Ambach zu sich kommen. Diesem Redlichen übergab er Briefschaften und Anweisungen, so wie ein Capital, und er beschwor ihn, niemals und zu keinem Menschen von diesem Geheimniß etwas verlauten zu lassen. Ambach versprach es und dankte dem Alten für dies Vertrauen, denn er begriff, warum diese Verhandlung auch der Tochter und dem Schwiegersohne verborgen bliebe. –



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