Ludwig Tieck
Das alte Buch und die Reise ins Blaue hinein
Ludwig Tieck

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(Anmerkung des letzten Herausgebers und Ueberarbeiters dieser Geschichte.

»Gern hätte ich diesen letzten Perioden und Paragraphen gestrichen und vernichtet, denn mein alter Schulfreund geht hier etwas zu unbillig mit mir und meinen Gefühlen um. Der Alte hat mich, das kann ich versichern, damals 138 wirklich umarmt: doch könnte der Greis sich geirrt haben, wie jeder sterbliche und unsterbliche Geist. Noch mehr, es könnte ja auch der ewige, oder sogar ein Perser oder anderer Jude gewesen seyn, und gewiß wird man weder den Einen noch den Andern für den ächten Musageten anerkennen wollen. Sei es, wie es sei, genieset hat jener Unbekannte damals gewiß nicht. Dergleichen Insinuationen sehn dem guten Beeskow sonst nicht ähnlich, denn er war redlich, aber eine kleine Rancune gegen mich konnte er nicht verleugnen. Vielleicht weil ich so viel drucken ließ, was er nicht leiden mochte, da er selber träge war.«)


In den neuesten Zeiten, so sagt man, ist Byron, auch W. Scott von dem wunderlichen Dichtergeist umarmt worden, inniger aber als diese Manzoni in Italien, dessen Roman: »Die Verlobten«, wohl einige Jahrhunderte überdauern, und unsern Nachkommen unsre Gesinnungen überliefern wird.

Jetzt, so behauptet und spricht und erzählt eine unverbürgte Sage (die Cabinette und Diplomaten wissen wenigstens nichts davon), der gute Dichterfürst Athelstan oder Oberon sei doch wirklich gestorben. Von Rußland aus will man wissen (ich begreife aber nicht, wie es dahin gelangte), Oberon und Titania haben sich entzweit, leben in Zank und wollen sich nach siebenhundert Jahren ihrer Ehe vom Consistorium wieder scheiden lassen. Einige Engländer sagen aus, alle Geister seien im Aufstand und verlangten für alle die Spinnereien in Sentimentalität und Humor, für den Dampf des Witzes und die Oefen der Religiosität erhöhten Arbeitslohn, da es dort immer theurer werde, weil die Lebensmittel, 139 Poesie, Spaß, Lust und Scherz, nebst der Andacht und Liebe immer seltner eingeführt würden, unverstandnerweise auch an der Gränze einen unverhältnißmäßigen Zoll zu entrichten hätten. – Diese Sachen gehören für den Bundestag und können hier nicht erörtert werden.

Wahrscheinlicher ist jene Nachricht, die uns durch die Preußische Staatszeitung überkommen ist. Vorausgesetzt, Athelstan sei todt, und Gloriana bekümmere sich in Schmerz und Trauer nicht mehr um die Poesie unsers etwas veralteten Europa, so habe sich im Gegentheil, um keine Lücke einreißen zu lassen, das Heer der Gnomen dieser nicht unwichtigen Sache angenommen. Einige melden, dem aber Andere widersprechen, der uralte Thersites sei vor mehrern Jahren in einen gewissen Herrn Müllner hineingefahren, der ganz in der Weise des berühmten Alten gedichtet und kritisirt habe. Ich frage nun ganz einfach: wodurch hätte der uralte Schalk denn dergleichen verschuldet? Er müßte sich doch übermäßig versündigt haben, um ein so hartes Schicksal zu verdienen. Ein ausgezeichneter Gnome (man will sogar Hannes nennen) soll als ein Hoffmann Deutschland entzückt und sogar die Franzosen, die große Nation, neu revolutionirt haben. Ich sage: unwahrscheinlich. Hoffmann, als ächter Deutscher, war viel zu sehr redlich und selbst sentimental in Kobolde und Teufelslarven verliebt, um selber Kobold seyn zu können. Aber in Frankreich erhebt sich ein neues großes Jahrhundert, was, den Musen zum Trotz, von jenen Gnomen und Kobolden zu einer wundervollen Höhe hinauf getrieben wird. Unter diese hat man wirklich (Talleyrand und andere wahrheitsliebende große Männer haben es ihren Freunden, diese haben es ihren Bekannten, und einer dieser Bekannten hat es mir gestanden) den 140 Arsenikprinzen Hannes und seine Freunde losgelassen, um ein neues großes Säculum zu stiften. Romantische Schule! Das ist ein Wort, vieldeutsam, unverständlich, nach Gelegenheit dumm. In Brandenburg, meinem Vaterlande, heißt manschen oder mantschen etwas Widriges und Ekelhaftes durcheinanderwerfen und mischen, wie im Blut des geschlachteten Viehes handthieren, mit Dem, was der Verwesung gehört, sich gemein machen; wenn die Kinder in schmutzigen Pfützen mit den Händchen plätschern: alles dies garstige Treiben nennt der gemeine Mann in Berlin, Brandenburg, Havelberg, in der Priegnitz und Altmark, und ich weiß nicht, wie hoch nach dem Norden hinauf, mantschen. Wenn dies nun recht gemein und roh, unmenschlich und kannibalisch geschieht, so hätten wir, etymologisch erklärt, das rohe Mantschen. – O ihr zarten Geister und feinen Gedichte des Gottfried von Straßburg, du heiliger Parcival, mystischer Titurell, du edler, geistig witziger Ariost, glänzend gutmüthiger Tasso, o du hellstrahlender Camoens, du in Gesellschaft aller Musen schalkhaft lächelnder Cervantes, du Calderon, mit dem Strauß der dunkeln Purpurblumen in der Hand, einziger W. Shakspeare, vor dem die Musen und Apollo selbst sich neigen, du, deutscher Göthe, der als Glanzgestirn den ewigen Frühling die Sonnenbahn heraufführst, – ihr Romantiker, ihr ächten Romantischen seid also die Vorbilder und begeisternden Muster jener Schamlosen, die das Laster, die Verwesung, das Scheusal und die Werke der Finsterniß singen? Nein, man muß jener Nachricht glauben, daß jene chaotischen Gnomen und wüsten Zwerge sich dieser Armen bemächtigt haben, von denen jetzt die große, französische Nation elektrisirt wird. Jener merkwürdige Hannes soll jetzt als Victor Hugo alles Edle mit Füßen 141 treten, in der Verwesung des Lasters schwelgen und vom Ekelhaften trunken seyn. Ist es denn möglich, daß ihr, die Bessern, Balzac, Nodier und wenige Andere, diesem kranken Gelüste folgt? Unseliges Volk! Welcher Messias wird euch von dem lauen Wasser eures Racine erlösen, wenn die Heilungsmittel, die man euch bietet, schlimmer als die Krankheit sind? Und doch verehren sie jetzt Shakspeare und Göthe und wissen sich viel damit, daß sie nicht mehr in dem gewöhnlichen, alltäglichen Sinne Franzosen sind. Und die schönen Talente, die der Mode gemäß jetzt auf der Straße des Wahnsinns taumeln!

Wir Deutschen bleiben nun auch mit Recht nicht zurück und erheben uns im patriotischen Enthusiasmus und rufen: wie, der große, krummbeinige, einzige Hannes soll ein Franzose seyn? Nein, ein Deutscher ist er, das dürfen wir uns nicht nehmen lassen! Daß der sogenannte Börne kein Individuum ist, ist ja klar: denn könnte ein solches in der Wuth so blödsinnig werden? Der Zorn, wie schon Juvenal sagt, hilft ja den Vers machen. Dieser B. lebt gar nicht, hat niemals gelebt, er ist nur Schatten, Scheme, aber Hannes zankt und krakeelt aus ihm heraus, über Dinge, die zwar Hannes nicht versteht, aber auch nicht zu verstehn braucht, denn was gehn einen unterirdischen, bucklichten, krummbeinichten, stotternden Gnom die europäischen Verhältnisse, ihre Fürsten und Gesetze an? Er schimpft, um zu schimpfen; er stellt sich so dumm, weil er doch eigentlich pfiffig ist.

Nein! rufen andere, unsern Hannes wollt ihr so wegwerfen? Der Verfasser der Reisebilder ist er ja offenbar, in den sich sogar alte abgelebte Diplomaten noch auf ihrem Sterbebette vergaffen! Zeigt doch einmal den Dichter alter und neuer Zeiten auf, der das vermocht hat. Junge 142 Mädchen entzücken, Jünglinge hinreißen, poetisch Gesinnte entflammen, die Andächtigen zum Beten bringen – welcher Pinsel vermag dergleichen nicht? Aber die legitime, officielle, durch alle Lebensepochen abgeschwächte blasirte Blasirtheit noch erwärmen und aufreizen, das, so glauben wir, kann kein Peter Aretin, kein – kein – &c. &c. – –

– Ach! mir ist unwohl von allem diesem Getreibe und Geschreibe. Und ich, Beeskow! was denke ich denn? Wenn Du nun noch leben bliebest, und alle die klaffenden nichtswürdigen Hunde aus den christlichen, jüdischen und heidnischen Höfen auf Dich herbeihetzen ließest! Kennst Du denn nicht Dein Vaterland, Dein edles Deutschland? – Aber, wie gesagt, mir ist recht fatal zu Muthe. –


– – Ich war neulich ein Gast auf dem vielbesprochenen Pickenick. Meine edlen Freunde, sagte ich, als wir versammelt waren, ich hoffe, daß ich, wie weiland Curtius in Rom, den Pestgolf verstopft habe, ohne mich selbst hineinstürzen zu dürfen, als Schlußstein des Gewölbes, oder als ein Verzweifelter, der sich in den Abgrund wirft, um andere zu erretten. Nein, ich liebe euch, und ihr mich, und keine Liebe wird eine andere zu vernichten streben.

Wie gesagt, ihr Edlen seid versöhnt und habt die Prüfung überstanden. Rechnet mich immer zu euren Freunden und gedenkt auch nach meinem Tode wohlmeinend meiner. Et voluisse sat est. Das heißt: Madame, ich bin eigentlich schon satt, und nehme diese vortreffliche Pastete für genossen. – Ich sehe, ich kann nur als Essender Ihr Freund seyn, und als solcher Ihr Vertrauen erwerben, – sei's: steckte doch M. Scävola die Hand ins Feuer, ich meine Zunge in 143 diesen heißen Pudding, – man kann nicht mehr thun, schönste Freundin, da ich außerdem zu Hause niemals Mehlspeisen genieße. –

Aber weder Ernst noch Scherz half etwas, weder Depreciren, noch stehendes Bitten, weder Bitterkeit noch Süße. Jeder Theilnehmer des Pickenicks hätte geglaubt, ich sei sein persönlicher Feind, wenn ich nicht wenigstens eben so viel von seiner Speise, als von dem Gerichte seines ehemaligen Gegners genossen hätte. Nicht anders war es mit den Weinen. Ich hoffte immer, meine mich tödtenden Freunde würden bald vom vielen Trinken die Besinnung verlieren, und ich würde sie dann hintergehn und Wasser statt des Weins verschlucken können. Aber sie waren dem Strauß mehr gewachsen als ich. Alles war noch erträglich; als aber der Nachtisch kam, und die Versöhnungsbutter aufgesetzt wurde, die in einem großen Gefäße prangte, in welchem vermischt und unkenntlich der Beitrag einer jeden Haushaltung glänzte, – da war es um mich geschehn. Ich mußte essen, und immer wieder essen. – Der Großstädter hat keinen Begriff von der Kunst des Nöthigens, welche ein Kleinstädter auszuüben versteht, – auch ein todter Leichnam würde noch seinen Mund öffnen, um einen Bissen zu verschlingen. – – Ja, ich wurde elend, man mußte mich nach Hause fahren. – Ich kann jetzt nicht weiter schreiben und erzählen –


Lebe wohl, mein lieber Präsident, – ich schicke Dir die neue Bearbeitung des alten Buches – die fatale Buttergeschichte – morgen mehr –


145 Aber es folgte nichts mehr von seiner Hand, sondern nur eine Nachschrift vom Bürgermeister und dem Stadtarzt, daß mein alter Freund an einer Indigestion verschieden sei, die er sich unvorsichtigerweise bei einem großen Familienfeste zugezogen habe. –

Und so möge denn die alte und neue Mähr unsere Freunde begrüßen und eine gute Stätte finden. Ob ich dem guten Beeskow, der immer so friedfertig war, nicht die polemischen Stellen des Schlusses hätte wegstreichen sollen? Denn was nützt dergleichen? In wenigen Jahren sind die Namen vergessen: indessen mögen auch diese Worte, wie alle, in die Welt hineinfahren, und sehn, ob sie Aufnahme finden. –

 


 


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