Ludwig Tieck
Das alte Buch und die Reise ins Blaue hinein
Ludwig Tieck

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Es waren viele Jahre seit diesen Begebenheiten verflossen, als an einem schönen Sommertage drei bejahrte Männer das schöne Gelände hinaufstiegen, um sich behaglich in das Gebirge zu begeben. Der älteste von ihnen ein Freiherr von Braunstedt, der im Lande und bei den Fürsten sehr in Ansehn stand, war reich und milde, und deshalb von hoch und niedrig geliebt. Ob er gleich alt war, so bewegte er sich dennoch sehr rüstig und schritt oft seinen jüngern Begleitern voran. Der zweite in der Gesellschaft war ein Gelehrter, den seiner Kenntnisse und Talente wegen der Freiherr beschützte, und den man, seinem Wohnort nach, nur Meister Gottfried von Straßburg zu nennen pflegte. Der dritte Mann war ein Geistlicher, ein Abt, der heiter und vergnüglich lebte, und jetzt, indem er seine Freunde begleitete, zugleich eine Capelle besuchen wollte, die einem Priester, der als uralter Greis gestorben war, geweiht wurde, indem das Volk glaubte, der Verstorbene habe mehr als ein Wunder verrichtet.

Schreitet mir nur voran, sagte der Freiherr, indem er ruhend stille stand und die Schönheit der Natur umher, und die frischen Thäler und Wälder unter sich betrachtete, ich war noch niemals in diesem Bezirk, ihr Freunde seid aber, wie ihr mir erzählt habt, hier gewissermaßen einheimisch. Wie wunderbar schon ist doch unser deutsches Vaterland, wie reich und mannichfaltig in seiner Herrlichkeit, und wie wechselnd in allen Gestaltungen.

Und viel, erwiederte der Abt, ist hier verbessert, angepflanzt und durch Häuser und Bevölkerung vermehrt, seit ich 123 nicht hier war. Damals war manche Stelle noch wüst, und so sagt man mir, daß oben auf der letzten Höhe des Gebirges, wo ich geboren wurde, jetzt ein stattliches Kloster prangt.

O meine lieben Freunde, sagte lächelnd der gelehrte Meister Gottfried, ist es doch mit der Natur fast wie mit einem lieben Freunde. Ich kann mich über nichts freuen, das hier verbessert und verschönert ist; ich sehe, wie unbillig meine Erwartung ist, aber ich wünsche, ich hätte Alles so wiedergefunden, wie ich es in der Jugend hier verlassen habe. Ich habe im Stillen darüber geweint, daß in den lieben Thälern hier so Vieles anders erscheint.

Es giebt fast keinen Vorschritt ohne einen Rückschritt, sagte der verständige Freiherr: es ist aber natürlich, daß, wenn wir eine schöne heimathliche Gegend wie ein Gemälde oder ein Gedicht zu betrachten gewohnt sind, wenn unsre Liebe das Wesen zu einem vollendeten Kunstwerk für unsre Phantasie gestempelt hat, wir nachher von jeder Aenderung und Verbesserung in der Landschaft schmerzlich gestört werden.

Mit unserm Leben, fuhr Gottfried fort, ist es ja ebenso. Wer möchte nicht alle Weisheit und alle seine Erfahrungen hingeben, wenn er dafür die frische unbefangene Jugend wieder erobern könnte: jene Ahndungskraft, die in jedem Mondschein, Sonnenuntergang und jeder Morgenröthe ein Wunder erwartet, den Anbeginn eines neuen und unerhörten Zauberlebens.

Sonderbar ist es auch, sagte der Abt, was uns vor wenigen Tagen Wolfram von Eschilbach und Hartmann von der Aue erzählten.

Ihr meint, nahm Meister Gottfried das Wort, von jenem wundersamen Jünglinge, der ihnen im einsamen Walde begegnet ist. Wie er sie begrüßt, sie mit seltsamen Worten 124 angeredet, und ihnen gleichsam durch eine feierliche Umarmung eine geheimnißreiche Weihe ertheilt hat?

Wohl meine ich diese Erscheinung, sagte der Abt, deren Schönheit und eigenthümlichen Zauber uns diese Herren nicht genug zu schildern wußten.

Aber darüber vergessen wir, rief der Freiherr, die einzige Schönheit dieser reichen, herrlichen Gegend zu genießen. Auch ist es heiß geworden, und so gern ich wandle, fängt mir das Schreiten doch an beschwerlich zu fallen. Ihr sagtet uns, Herr Gottfried, von einem Baum, in dessen Schatten wir ruhen könnten.

Sie kann nicht mehr weit entfernt seyn, diese Wunderlinde, erwiederte Gottfried, denn wenn mich mein Gedächtniß nicht trügt, so führt uns dieser Fußsteig bald in ihren kühlenden Schatten, und an den frischen Brunnen, der mit anmuthigem Geräusch aus dem grünen Berge springt. Ich war freilich fast noch ein Kind, als ich diese Gegend verließ, und ich bin seitdem nicht wieder in dieses Gebirge gekommen, aber die Eindrücke jener Jugendtage sind noch so frisch in meinem Gedächtniß, daß ich mich nicht irren kann. – Und, ihr Herren, vernehmt ihr das Rieseln der Blätter und das Geschwätz des perlenden Brunnens? Da kommen mit ihnen meine liebsten Jugendträume zurück. Noch zwanzig Schritte aufwärts, und wir sind gewiß an Ort und Stelle.

Wirklich kamen jetzt die drei freundlichen Wanderer, nach einer Biegung des Weges, ganz in die Nähe des Baumes, der weit und breit in der dortigen Gegend berühmt war. Indem sie sich umwendeten, fuhren alle Drei mit einem lauten Ausrufe des Erschreckens zurück, denn auf dem Rasen saß im Schatten der Linde eine Gestalt, welche sie alle zu kennen glaubten. Der fremde Jüngling stand auf, ging ihnen freundlich entgegen, und der alte Freiherr war 125 der erste, welcher die Sprache wieder fand, indem er ausrief: wie Athelstan, könnte es möglich seyn, solltest Du nach so vielen Jahren meinen Augen wieder erscheinen, und zwar in derselben Gestalt, in welcher Du mir damals verloren gingest?

Und warum nicht möglich? sagte Athelstan lächelnd, indem er den bejahrten Ritter herzlich in seine Arme schloß.

Athelstan! rief Meister Gottfried, ja wohl Ihr seid es, Theurer, Verehrter! Aber wie kommt Ihr in dieser Jugendgestalt vor unsre Augen? Erinnert Ihr Euch des Köhlerbuben, des kleinen Gottfried noch?

Wohl erinnere ich mich des lieben Gefährten, antwortete Athelstan, indem er dem Meister mit Herzlichkeit die Hand schüttelte.

Der Abt war scheu zurückgetreten und murmelte für sich, indem er ein Kreuz schlug: Oberon!

Ja, mein geliebter Friedrich, o Du mein Fritz, mein Jugendfreund, fing Athelstan wieder an, ja, ich sehe Dich mit tiefer Rührung wieder, ich kann mich an Deinem Anblick nicht ersättigen, denn ich bin, in Deiner Nähe, wieder Knabe und Jüngling, und alle Leiden und Freuden jener Tage ziehen mit verjüngter Kraft durch meinen Busen.

Die erstaunte Gesellschaft stand sich betrachtend und mit den Augen messend eine Weile still, bis Athelstan sagte: man hat dort seit zehn Jahren ein großes Haus gebaut, wo man mit allen Bedürfnissen des Lebens versehn ist. Dorthin, wie ich weiß, habt ihr eure Diener beschieden, laßt uns hin wandeln, damit ihr Euch erquicken könnt, und dann erzählen wir uns, was uns zu wissen nöthig ist. Dein Leben, mein lieber Fritz, obgleich ich Einiges davon weiß, ist mir am wichtigsten.

Die Gesellschaft begab sich nach dem bequemen Hause, 126 welches mit Wein und Speisen reichlich versehn war. Ein jüngerer Sohn führte die Wirthschaft für seinen greisen Vater und die alte Mutter, und dieser jüngere Geschäftsführer begrüßte den Abt mit großer Ehrerbietung als seinen ältern Bruder. Dieser Abt war Niemand anders, als jener Ferdinand, den die Unterirdischen aus der Wiege geraubt hatten: der Jüngling hatte damals den beglückten Eltern die Reichthümer übergeben, die er aus dem Reiche der Elfen mitgebracht hatte, sie waren erst, um sich den Nachforschungen zu entziehn, in ein fremdes Land gegangen. kamen aber nach einiger Zeit zurück, um sich wieder in ihrer ehemaligen Heimath niederzulassen. Der fromme Abt ging zu den greisen Eltern, die sich sehr glücklich schätzten, von einem so vornehmen Sohne die Segnung zu empfangen.

Bei Tische erzählte der Freiherr: mein geliebter Athelstan, seit ich mich etwas von meinem Erstaunen erholt habe, gewöhne ich mich allgemach an Deine Jünglingsgestalt, die mir noch ganz so erscheint, wie in jener Zeit, als wir uns auf die abentheuerliche Wanderung begaben. O mein geliebter Freund, als ich damals zu Deinem zürnenden Vater wiederkehrte, mußte ich viele Kränkungen erdulden, weil man immer noch glaubte, ich allein sei die Ursache Deiner Flucht. Ich ward lange gefangen gehalten, und weder die Bitten meines Vaters, noch aller seiner Freunde vermochten etwas über den halsstarrigen alten Mann.

Die Zeit heilte endlich, so viel als möglich war, seinen Zorn wie seinen Gram. Du erschienst nicht wieder, nirgend war eine Kunde von Dir zu erlangen. So warf er denn alle seine Liebe, da er keine Kinder außer Dir hatte, auf die schöne Base, welche Dir bestimmt war, und sonderbar genug, auf mich, als wenn er durch fast übertriebene Zärtlichkeit sein Unrecht gegen mich wieder gut machen wollte. In einem 127 Kriegeszuge gelang es mir, mich vor den Augen meines Landesherrn auszuzeichnen, dieser gab mir den Adel und schlug mich im Felde selbst zum Ritter. Jetzt zeigte sich die Liebe Deines Vaters noch deutlicher: mit Bewilligung des Landgrafen und unsers gnädigen Kaisers nahm er mich an Sohnes Statt an, ließ mich in alle Deine Rechte treten und vermählte mich mit Deiner schönen Nichte. Er sprach nur selten von Dir und war überzeugt, Du seist verunglückt und irgendwo von Räubern erschlagen. Er starb nach einigen Jahren in unsern Armen. Ich war ganz glücklich, nur sehnte ich mich oft nach dem so ganz verschollenen Jugendfreunde. Ich habe Söhne und Töchter, die mir Freude machen, meine Gattin ist noch rüstig und gesund, und seit ich mich zu alt fühle, um Krieges- und Ritterdienste zu thun, lebe ich auf meinen Schlössern und in schöner Natur, bei Gelagen mit Freunden, auf Wanderungen und bei Gesängen ein behagliches Leben. Denn ich freue mich unsers deutschen Meistergesanges, und viele der wackern Dichter kennen mich, kommen auf Wochen und Monden zu mir und lesen mir und den Meinigen ihre schönen Bücher vor. Jetzt erst, geliebter Athelstan, verstehe ich etwas mehr, was Du in Deiner ungestümen Jugend suchtest. Diese Gestaltungen der Phantasie, diese wunderbaren Bewegungen des Gemüthes, die sich nur in der Dichtung erregen lassen und in süßer Täuschung unsern Sinn gefangen nehmen, daß wir darüber auf kurze Zeit die Wirklichkeit vergessen, wolltest Du eben in dieser unpoetischen Wirklichkeit selbst aufsuchen. Wir sind aber nur in dieser anmuthigen Täuschung glücklich, und um so mehr, weil wir uns ihrer bewußt sind. Handfest, greiflich, unsern Fragen stille haltend, können wir diesen Träumen und Wahngebilden niemals begegnen.

Athelstan lächelte auf eine sonderbare Weise, und indem 128 der Freiherr sich diesen seltsam wehmüthigen Blick, der doch auch Spott auszudrücken schien, nicht deuten konnte, ward er verlegen und sagte mit etwas beklemmter Stimme: Mein edler Freund, so ist meine Lage, so mein Geschick; aber ich weiß, daß Dir von Rechtswegen Alles gehört, was ich besitze, und so wie Du auf Deine Güter einziehen willst, räume ich Dir den Platz, und zwar mit frohem Sinn, und Alles ist wieder das Deinige.

Athelstan gab ihm die Hand und sagte: Mein lieber Jugendfreund, sei ohne Sorge und bewohne Deine Schlösser und genieße, was Dir und Deinen Nachkommen für ewige Zeiten bleiben soll: ich bin so glücklich und reich, daß ich keinen König und Kaiser zu beneiden brauche. – Aber, mein Gottfried, wie wohl seht Ihr aus als Mann und ältlicher Mann; nie kann ich es vergessen, welch ein munterer Geselle Ihr wart, als Ihr, ein Knabe damals, mich durch dies Gebirge führtet, und mir die schönen Geschichten erzähltet.

O mein Wohlthäter! rief der Meister Gottfried aus, wie glücklich machte mich damals Euer so reiches Geschenk! Meine Eltern segneten Eure Großmuth und man schickte mich sogleich zu jenem Weltpriester, unserm Vetter, von welchem ich Euch damals sagte. Er unterrichtete mich und ließ mich nachher die großen Schulen besuchen. So lernte ich manchen Vornehmen kennen, der mich beschützte, so auch in spätern Jahren den edlen Freiherrn, den ich Freund nennen darf. So ward es mir vergönnt, mich den Schriften und der Kunst des Gesanges zu widmen, und in diesem meinen Treiben fühle ich mich ganz glücklich.

Athelstan stand auf, nahte sich mit einer Art von Feierlichkeit dem Meister und schloß ihn herzlich in seine Arme. Er wiederholte dreimal diese Umarmung und sagte dann mit der freundlichsten Stimme: Ich weiß, lieber Bruder, Du 129 wirst den holdseligsten Tristan singen: es ist kein Frühlingswind so lieblich und erquickend, wenn er durch das erste funkelnde Laub der Birkenwipfel säuselt, keine Nachtigall schlägt so inbrünstig, keine Morgenrose duftet im Schatten so süß, wenn der Thau noch in Perlen auf ihren Rubinlippen steht, als Deine deutschen Worte, Deine spielenden und springenden Reime klingen, duften und schimmern werden. Aber auch der Nachtigall Sehnsuchtsklage, das Weinen des einsamen Baches, den unnennbaren Schmerz der Liebe wirst Du, Meister, in die weichste, zarteste Rede kleiden. Sei glücklich, so wie Du andere beglückst.

Gottfried konnte sich der Thränen nicht enthalten. Bist Du denn etwa der, fragte er dann furchtsam, der den Walther, auch der den von der Aue, und unsern lieben Eschilbach mit geheimnißvollem Gruße angesprochen hat?

Derselbe, sagte Athelstan: alle Sänger und Dichter sind mir befreundet, und mein Wohlwollen kommt ihnen zu gute, indem es ihren Geist beflügelt.

Jetzt stand der Abt auf und nahte sich verlegen: Ich sah Euch ebenfalls, so dünkt mir wenigstens, vor vielen Jahren in einem sonderbaren Reiche, wo sie Euch den Oberon nannten.

Ihr solltet wohl Alles vergessen haben, antwortete Athelstan: war nicht so der Vertrag? Und tragt Ihr nicht noch jenen Ring am Finger?

Der Abt suchte sich zu sammeln, setzte sich wieder nieder und sagte dann: Mir ist freilich Alles nur so, wie ein Traum, wie Nebel und Dämmerung, aber Eure Gestalt, so wie die glänzende der Gloriana kann ich noch heraussehn und erkennen.

Nun war Gottfried neugierig geworden, aber Athelstan 130 unterbrach das Gespräch, und Alles ward geschwätzig und vielfach redselig, als die greisen Eltern des Abtes in das Zimmer traten. Die Söhne und Töchter kamen auch von der Arbeit des Feldes zurück, und Alles beeiferte sich, dem ältern Bruder, dem Abte, Ehrfurcht zu beweisen. Die Alten erkannten auch Athelstan wieder, und auch von dem Wechselbalge, dem Zwerge Hannes, war wieder die Rede, welcher damals auf eine unbegreifliche Weise verschwunden war, indem er eben vor dem Ketzergerichte seine Anklagen und Aussagen gegen den alten Schulmeister erhärtete.

Sonderbar ist es in der Welt hergegangen, bemerkte der greise Wirth, unsern ächten Sohn, Hochwürden Gnaden, erhielten wir so unvermuthet zurück und mit ihm Geld und Gut, der Wechselbalg, unser Hannes, war wie in alle Winde verstoben. Das Alles ist fast wie so ein Kindermährlein, und doch haben wir es selbst erlebt, und Hochwürden Gnaden sitzt noch da und ist unser leibhafter Sohn, und der Junker Athelstan ist auch wieder gekommen und hat nach so vielen Jahren noch dasselbe Gesicht und die nehmlichen Augen wieder mitgebracht. Wir sehn das Alles und sind mitten drunter, und begreifen es nicht und müssen es doch annehmen und glauben.

Ja, und dieser alte Schulmeister, der damals wohl zu uns kam, setzte die alte Frau das Gespräch fort, es war ein guter alter Mann, aber er war doch simpel und galt dafür in der ganzen Gegend. Nun wollten sie ihn verbrennen, weil er ein Kobold seyn sollte, wofür ihn unser Sohn, der Hannes, ausgegeben hatte. Wie der Zwerg nun nicht mehr in der Welt zu finden war, so ließen sie den Küster wieder frei und weihten ihn auch zum Priester. Nun hat derselbe Mann nachher, wie sie sagen, Wunder gethan, und die 131 gemeinen Leute sehn ihn wie einen Heiligen an, so daß man ihm nun auch eine Capelle gebaut und eingeweiht hat, wo viele Hunderte von Frommen beten, und Processionen zu ihm aus der Ferne wallfahrten. So sehn wir, was aus den Leuten werden kann, denen man es am wenigsten ansieht.

Da kam ein Diener herein, blaß und verstört. Was giebt es, Balzer? fragte der Freiherr. Gnaden, sagte der Diener stammelnd, ich sollte freilich sagen, was ich jetzt gesehen habe, aber ich weiß es nicht vorzubringen, weil Ihr mir nicht glauben werdet.

Sprich nur, rief der Freiherr, das Wunderbare und Unbegreifliche ist uns so nahe getreten, daß wir über nichts mehr erstaunen werden.

Der Diener fuhr fort: Einige von uns waren dort höher hinaufgegangen, der Stelle nach, wo die große sogenannte Zauberlinde steht. Die Zeit der Nachtigallen ist vorüber, aber plötzlich fing eine an zu singen, gegenüber eine zweite, die laut antwortet und im Widerstreit die erste übertreffen will. Mit einemmal wird der ganze Lindenbaum wie lebendig, jedes Blatt scheint eine Nachtigall, so schmettern, als wenn es Tausende wären, die vielen lauten Gesänge durcheinander. Der sprudelnde Quell wird plötzlich stark und groß, er quillt und hebt sich schnell mit einem vollen Strahl als Springbrunn in die Höhe, drinnen im Berge musicirt es, wie Waldhorn, Flöte und Trompete, der Hügel ist wie lebendig und wie aus einer Thür kommen zwei große Hirsche hervor. Man sieht im Berge fern und ferne schöne Jäger und Mädchen in kurzer knapper grüner Tracht stehn, die alle auf goldnen Hörnchen blasen. Die Hirsche aber haben goldnes Geweih und dazwischen goldne Schellen und 132 Glöckchen, die lieblich erklingen, so wie sich die klugen Thiere langsam vorwärts bewegen.

Das gilt mir, rief Athelstan, indem er sich erhob, ich werde abgerufen, lebt wohl, Freunde, vielleicht sehen wir uns noch einmal wieder.

Er umarmte die Freunde schnell, und verließ dann das Haus. Alle sahen ihm nach: die Hirsche standen, wie ihn erwartend, still, und wie er zwischen ihnen war, kehrten sie um, sie gingen weiter und verschwanden, da die Dämmerung schon eingetreten war, in dem grünen Hügel. Nun war Alles still, die Musik schwieg und die Vögel verstummten.

Die Uebrigen blieben draußen und sprachen noch viel über das Wunder, welches sie gesehn hatten. Der Freiherr, Meister Gottfried und der Abt kehrten nachdenkend in das Zimmer zurück. Der Abt sagte endlich: Nein, meine Freunde, dieser Athelstan, wie er sich ehemals nannte, ist den bösen Geistern verfallen. Das ist eine ähnliche Geschichte wie die mit dem Tannenhäuser, und es ist entsetzlich, daß es hier, unsrer lieben Heimath so nah, einen Eingang in diesen verruchten Venusberg giebt. Er ist selbst, der so täuschend sich als ein schöner Jüngling darstellt, zum bösen Geist geworden; darum wollte er auch nichts von unsern irdischen Speisen genießen: habt Ihr es wohl bemerkt, daß er kaum etwas, ein Geringes nur, von unserm guten Wein trank? So siegen die Hexen, Kobolde und Höllenkünste denn immerdar.

Schweigt, rief Meister Gottfried, Ihr unnütz eifernder Abt, und sprecht nicht so thöricht, wie die Ketzerrichter. Von der herrlichen Fee Gloriana sprechen ja seit lange die Sagen dieses Landes; ich sehe, er hat sie gefunden, und sie liebt ihn, darum ist ihm Jugend, Reichthum und Macht verliehen. Sie ist es, die ihn jetzt durch diese wundersamen Herolde in 133 ihr Reich zurückruft. Erzählen uns doch so viele Gedichte von den Rittern des Artushofes, wie Dieser und Jener die Gunst einer Elfe, oder Wasserfeie gewann; deuten wir nur diese süßen Wunder mit unserm stumpfen Witze nicht zu höllischen Legenden um. Er wohnt im Reich der Poesie, und die Poesie ist himmlischen Ursprungs.

Der Abt sprach noch Manches von der Kirche und ihren Verwerfungen, doch Gottfried, der sich auch ein frommer Mann dünkte, ließ sich nicht irre machen. Der Freiherr meinte, ein so heiterer poetischer Sinn, wie er ihn immer an seinem Athelstan gekannt habe, könne niemals zum Bösen führen.

Seitdem ward Athelstan oder Oberon in jenen deutschen Landschaften nicht wieder gesehn, aber in Italien begegnete er nachher dem großen Dante; Petrark, Boccaz und Ariost erzählten auch wohl später von einem seltsamen Mann, welcher sie begrüßt und umarmt habe.

In der Einsamkeit von Warwikshire, dort in den schönen Wäldern begrüßte Athelstan manchen Jüngling. am innigsten umarmte er jenen William, auf welchen sich alle unsre neuere Poesie stützt und lehnt. Chaucer war früher schon von ihm anerkannt, sowie der liebliche Spencer, und wie er durch Italien, England und Spanien streifte, um dort Heroen, vor Allen Cervantes, Camoens, Lope und Calderon zu grüßen, so schien er lange unser Deutschland zu vergessen.

Der Sänger des Messias erzählte so, es habe ihm ein seltsamer Greis die Hand gedrückt, und dann warnend den Finger erhoben. Unser Schiller meinte: es bedürfte dergleichen Fratzen nicht, wenn die eigne Kraft ausreicht, etwas Großes hervorzubringen. Aber wenn er auch diesen Oberon 134 leugnete, so hat er ihn doch sehr wohl gekannt und hat eine vertraute heimliche Stunde mit ihm zugebracht. Da Wieland sich von diesem Athelstan, als dieser ihm die Hand gab, geneckt glaubte, so hat er von ihm als von einem Kinde gedichtet und ihm den Ernst und das Deutsche ganz abstreifen wollen.

Aber als der Athelstan, der nun endlich doch zum Greise geworden war, sich wieder einmal seiner Jugend erinnerte, und ihm das Herz ganz frisch aufging, als er seines geliebten Köhlerbuben, der nachher der Meister Gottfried von Straßburg wurde, wieder gedachte, und wie dieser ihm zuerst von seiner Gloriana erzählt hatte, die noch immer in verklärter Schönheit glänzte und ihn stets, wie in den ersten Tagen liebte, da ging Athelstan nach Straßburg, um die herrliche Gegend wieder einmal zu beschauen. Beim Abschiede hatte Titania zu ihm gesagt: Du warst neulich entzückt über das Wonnethal, das so frisch blüht und grünt, so schön von Waldströmen durchrieselt, so entzückend von Nachtigallen durchsungen ist, daß Du meintest, so edel, groß und lieblich zugleich, so rein in allen seinen schönen Verhältnissen von Berg und Wald, so schlanke Buchen seien Dir noch nicht in unsern Reichen vorgekommen. Ist es nicht Zeit, daß sich endlich dies in Poesie zeige? Dir, einem gebornen Deutschen, war dieser Völkerstamm sonst fast der liebste, jetzt scheinst Du Deine Landsleute beinah vergessen zu haben: geh und handle, daß dieses edle Blut sich wieder erfrische. Da traf in stiller Nacht in feierlicher Einsamkeit Oberon den Jüngling, der, wie er uns selbst so schön erzählt, von Zabern nach Straßburg wiederkehrend sich im Anschaun seines Genius vertiefte. Er setzte sich zu ihm und gab ihm in Umarmungen die höchste Weihe. –

135 – Es versteht sich von selbst, daß ich, der Beeskow, diesen Schluß der alten Mähr ganz hinzugefügt habe, so wie ich oben schon die zu große und grobe Lücke habe ergänzen müssen.

Es werden jetzt fast vierzig Jahre verflossen seyn, als ich, ein junger Bengel, mit einem andern jungen Burschen auf einer sogenannten poetischen Reise mich befand. Damals waren die Fußreisen noch nicht so etwas Alltägliches, wie sie es seitdem geworden sind. Jetzt haben sich fast Knaben schon buchstäblich das an den Schuhen abgelaufen, was vor vierzig und funfzig Jahren nur mühsam entdeckt und erlebt werden konnte. – Also, dieser mein junger Freund war mit mir. Er ist seitdem im Alter der Präsident unsrer, nicht nur in der Umgegend, sondern auch im ganzen Deutschland völlig unbekannten gelehrten Gesellschaft geworden. Das heißt, so wie wir zusammenkommen, setzt er sich, unter dem Vorwande, er sei müde und könne das Stehen nicht vertragen, gleich in seinen großen bequemen Lehnsessel: und so ist er, durch diesen demagogischen Kunstgriff, ohne irgend wen weiter zu fragen, unser Präsident geworden. Dieser also, damals noch ein junger Mann, kletterte mit mir in schöner Sommerhitze eins der vielen deutschen Gebirge hinauf. Er war damals viel umgänglicher, denn er ging mehr, was für einen stubensitzenden Gelehrten in Deutschland immer schon eine große Tugend ist. Man hatte uns allerhand confuses Zeug vorgeschwatzt, von einer großen Zauberlinde, einem Elfenfürsten, Sachen, die nicht gehauen und nicht gestochen waren, wie die meisten Legenden dieser Art in Deutschland. Wer hier Poesie sucht, der wandelt auf einem schlimmen Wege. Indessen hat man in der Jugend den übertriebenen Hang, das Schlechteste in dieser Gattung noch immer für 136 besser zu halten, als das Beste in der verständigen Art. Und besonders litt mein Reisegefährte an diesem Fieber und Friesel, welches sich oft als Hautkrankheit zurückschlagend auf die Nerven und die edlern Theile wirft, so daß schon mehr als Einer, der das Volksbuch von den Haimonskindern oder den gehörnten Siegfried übermäßig und unbillig schätzte, nachher selbst den Shakspeare nicht mehr leiden mochte, und sich an einem moralischen Lehr- oder leeren Gedicht erbaute. Kurz und gut, oder gut und lang, denn ich finde mich aus mir selber nicht wieder heraus, dieser damals noch nicht Präsident der unbekannten gelehrten Gesellschaft seiende Freund kletterte mit mir in jenes Gebirge hinauf. Wie die Hitze zunahm, wurden wir immer dummer und müder. Sie hatten uns auch von einer großen Linde erzählt; diejenige, die in dem vorigen Mährchen vorkommt, war längst weggehauen, ein empfindsamer Förster der Vorzeit hatte aber wieder eine neue an dieselbe Stelle gepflanzt. Wie wir oben waren, und uns in der recht hübschen Gegend umschauten, saß wirklich ein alter Kerl mit einem langen Bart unter der Linde. Da sitzt der ewige Jude! sagte ich zu meinem Reisegefährten. Still! sprach dieser mit seinem poetischen Accent und Dialekt, das ist gewiß jener Athelstan oder Oberon, von dem die alte Mähr erzählt. Wir gingen näher, der alte Mensch stand von dem Rasensitze unter der Linde auf und kam auf uns zu. Indem ging die Sonne unter, und ein ganz schräger Strahl, zwischen den fernen Bergen hindurchschießend, traf horizontal mein Auge, welches damals etwas krank war. Nun frage ich jeden empfindsamen Menschen, ob ein Mann, der nur etwas Sinn für schöne Natur hat, nicht unter solchen Umständen einer Blendung bei Sonnenuntergang wird niesen müssen. So geschah es mir denn auch, und zwar 137 dreimal hintereinander, so daß ich in diesem Niesen-Staccato weder meinen Freund, noch jenen mythenartigen Menschen, der wie ein Perser oder Jude aussah, weiter beobachten konnte. Man verliert beim Niesen immer, wie beim Erscheinen der Idee, das äußere Bewußtsein, aber es war mir doch vorgekommen, als wenn der bebartete Irrgänger auch in den Schein der Abendsonne hinein hätte niesen müssen. Als ich wieder zu mir kam, war der alte Zauberer verschwunden, aber mein Freund, der nachherige Präsident, war in einer närrischen Extase. Hast Du gesehn, rief er begeistert aus, wie mir dieser Athelstan, oder Oberon, oder Dichter und Elfenkönig die Hand gedrückt, ja mich sogar umarmt hat? – Ich war, antwortete ich, in der Nieserei so vertieft, daß, wie der von der Sonne Geblendete allenthalben Sonnen sieht, ich nur Niesende erblicken konnte: mir kam es vor, als wendete er sich von Dir, um gehörig auszuprusten. – Nein, rief jener, umarmt hat er mich, und wie! – Und wirklich schrieb dieser nachherige Präsident bald darauf den Sternbald, die Genoveva und den Octavian. Den kühlen Kritikern überlasse ich es, diese hier vorgetragene Thatsache auf ihre Art zu erläutern.



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