Ludwig Tieck
Das alte Buch und die Reise ins Blaue hinein
Ludwig Tieck

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Hic Rhodus, hic salta.

Oft verdroß es mich, wenn man in neuer Zeit diese alte Sprichwörtlichkeit falsch anwendete, um eine Schwierigkeit anzudeuten, die schwer zu überwinden war. Das Sprichwort beschämt jene Prahler, welche so oft rufen: da hab' ich Das, dort Jenes gethan! Hier ist Rhodus! kann man ihnen dann antworten, nun tanze hier! – Ich habe aber nirgend gesagt, daß ich im Stande sei, das Schwerste dieser Erzählung, und wo sich die bedeutendsten Lücken finden, aus eigner Kraft wieder herzustellen, oder schon hergestellt zu haben. – Es ist sehr verdrüßlich, daß Mäuse, Schimmel, Jäger u. s. w. sich gerade hier an dem Gedicht am schlimmsten versündigt haben, wo es am interessantesten und am meisten poetisch werden wußte. Der gute Schulmeister hatte hier Blätter eingelegt, die gar nicht zu brauchen waren, denn er schildert ziemlich weitläufig das unter- oder überirdische Reich der Feen und Geister wie eine hübsch eingerichtete reinliche Dorfschule, wo die gutgearteten Kinder dem Küster gar keinen Verdruß machen.

Also denn: – mit Gunst irgend einer Muse – –

Im glänzenden Saale wimmelte es von lichten, schönen Gestalten. Auf goldnen Leuchtern brannten Kerzen, Musik ertönte durch den Raum, und nachdem sich Athelstan noch etwas umgesehn hatte, setzte er sich an Gloriana's Seite zum Mahle nieder.

Du bist nun mein Gatte, sagte sie zu ihm mit ihrer süßen Stimme, und als dieser wirst Du Dich nach und nach von dem gröbern irdischen Stoffe, der euch Sterbliche drückt, befreit fühlen. Jung und blühend wirst Du Jahrhunderte hindurch bleiben und erst spät in das Alter treten. Wie Du diese Vorzüge durch mich erhältst, so wird auch 105 mein Leben durch die Verbindung mit Dir erhöht und veredelt. Die zu zarte und geistige Existenz erhält mehr Kraft und Innigkeit, die flatternden Gedanken und Vorstellungen, die wie Zugvögel schwärmen, wachsen wie heimathlich der Seele mehr ein und bringen mehr Frucht und Genuß, und meine Seligkeit wird mir dadurch mehr bewußt, daß ich sie mit Dir theile, daß Du mein zweites Ich wirst. So hat es mir meine Mutter gesagt, die vormals als Fürstin diese Geisterreiche beherrschte. Sie erzählt noch immer in ihrer stillen Grotte, wo sie jetzt wohnt, von dem Glücke, das sie mit ihrem Manne, dem Fürsten genossen, der sie durch seine Kühnheit erwarb; dieser sehnte sich aber nach seinem Reiche und seinen Unterthanen zurück, und sie mußte es gestatten, daß er sie verließ und ein Sterblicher blieb. Solche Leiden müssen wir Feen oft erdulden. Schon vor vielen Jahren verließ auch ein berühmter Sterblicher, Held Ulysses, eine Freundin meiner Mutter, die geheimnißreiche Elfe Kalypso. Diese lebte und webte am liebsten oben in der Einsamkeit nahe am Meere, als verbunden mit diesem Element. Das müssen große Schmerzen seyn, die uns der Verlust geliebter Sterblichen erregt, denn meine Mutter war seitdem nicht mehr fröhlich, als der König von ihr schied.

Nach dem Mahl begaben sie sich in die Hochzeitkammer, und am Morgen fragte sie den beseligten Athelstan: Bist Du ganz glücklich?

So, rief der Jüngling, wie keine Worte es aussagen können, nur in meinen Blicken kannst Du es vielleicht lesen, in diesen Thränen, welche ein überirdisches Entzücken aus meinen Augen preßt.

Noch nie, sagte Gloriana, hat ein Sterblicher den Muth gehabt, eine Königin unsers Reichs, indem er sie erblickte, auf den Mund zu küssen, und deshalb bin ich Dir mehr 106 unterthan, als jemals eine Fee es einem Manne der Erde war; aber auch Du gehörst mir mehr und inniger zu eigen, als sonst dergleichen Verbindungen bei uns sind geschlossen worden; Du kannst mich niemals verlassen, ich darf mich niemals von Dir entfernen. Wenn dies nicht Dein Wunsch ist und bleibt, so sind wir Beide unglücklich. Geht Dein Sehnen nach einer andern Bahn, so ist Dein Schicksal ein klägliches.

Nein! rief Athelstan aus, auf Dich, ohne daß ich Dich kannte, waren alle Träume meiner Jugend gerichtet; Du bist der Spiegel, in welchem meine Seele ihre Gestalt erst hat kennen lernen.

Besinne Dich aber, fuhr Gloriana fort, was etwa noch weiter zu Deinem Glücke nöthig seyn könnte. Jede Fee hat ihre Bestimmung, ihre Arbeit und ihr Spiel; die verschiedenen Geister der Erde, Luft, des Lichts, Feuers und Wassers sind auf ihre Weise beschäftiget. Unser Gewebe hier scheint unsichtbar, und knüpft sich doch in vielen tausend Fäden an die Schicksale und Arbeiten der Sterblichen. Der Geist der Elemente ist bei uns reiner und heiterer, die Abbilder hier von den Sachen droben erglänzen mehr und haben ein richtiger Verhältniß: unser Reich ist die edlere Wurzel jener sonderbaren Welt dort oben, und so muß auch jeder Sterbliche, der hier verweilt, auch wenn er, wie Du, vergeistigt und der rohen Materie entrissen wird, an dem lichten Webestuhl des Verhängnisses Platz nehmen, um das Getriebe lebendig und thätig zu erhalten.

Ich werde Eure Einrichtungen kennen lernen, antwortete Athelstan, aber was ich mir immer wünschte, war, das Innere der Welt, den Zusammenhang aller Begebenheiten zu verstehn und zu fühlen, selbst das im Herzen zu erleben, was den Menschen nur als Historie oder Fabel vorübergeht, 107 das Wunderbare wie ein Natürliches zu fassen, und im Gewöhnlichen, was das blöde Auge so nennt, das Wunder zu sehn. Mit einem Worte, das Herz der Welt in meinem eignen Herzen zu fühlen, daß ein Mitleiden und Mitfreuen aller Art als Bekannte durch meinen Busen ziehen.

Gloriana umarmte ihn mit erneutem Liebesfeuer. O Geliebtester, rief sie aus, daß diese Wünsche in Dir lebten, daß sie sich so stark in Deinem jugendlichen Herzen meldeten, ist es, was uns zu einander gezogen, was uns auf ewig verbunden hat. Das, was Du meinst und sinnst, das, was Du liebtest, bevor Du mich kanntest, bin ich: dieses Durchdringen, Verstehn der Natur und des Gemüthes, dieses Lieben der Liebe ist mein Beruf, und darum bin ich die Fürstin dieses herrlichen Reiches. Ja, das ist es, was der blöde Sterbliche so oft mit verdämmerten Sinnen die Poesie nennt, die Dichtung, die schaffende Kraft der Phantasie. Das ist Dein Beruf, mein Gemahl, an meiner Herrschaft Theil zu nehmen.

Als es in der wunderbaren Landschaft Tag geworden war, kleideten sie sich in glänzenden Schmuck, und ein heitrer Geist in buntfarbigem Anzug leistete ihnen Gesellschaft. Das ist, sagte Gloriana fröhlich, der Philosoph unsers Hofes. Ja wohl, rief Filbert aus, dermalen, um euch Scherz und Spaß vorzutragen: ich arbeite an der Kosmologie und Geognosie, der Einsicht über die Entstehung der Welt und ihrer periodischen Veränderungen.

Darin, sagte König Athelstan, habe ich ehemals bei meinem alten Caplan auch schon viel geleistet. Wir wußten genau von der Geschichte der Schöpfung Bescheid. Wenn die Mittel nur nicht abgingen, hätte man nach dem Recept selbst eine neue Erde bauen können. Nun also, fuhr Athelstan fort, sage mir, gelehrter Filbert, wo lag eigentlich das 108 Paradies? Denn darüber haben die Gelehrten auf Erden vielen Streit geführt.

Und doch ist das gerade leicht einzusehen, rief Filbert lachend: gerade über uns. Alles, was euch oben die Erdkugel weist und darstellt, haben wir hier im verjüngten Maßstab, denn auch unsre Erde ist rund, und eure Herrschaft erstreckt sich über diesen ganzen feinern und edlern Erdglobus. Der Umfang des alten Paradieses war natürlich sehr groß, und es ist fast kindisch, wenn Reisende etwa noch die Stelle aufsuchen wollen, oder in die Nähe desselben zu gelangen wähnen. Denn kaum waren die sündigen Eltern hinaus gewandert, um jene Welt der Unschuld niemals wieder zu finden, als auch das Paradies verschwand.

Es ist verschwunden? fragte der König.

Freilich, fuhr der Philosoph fort, davon wird Euch der alte Caplan nichts haben melden können. Ihr müßt Euch die Sache so denken. Jemand hat einen Leberfleck, ein Muttermal am Körper, einen kleinen Ausschlag auf der Stirn, ein rosiges Mädchen einen Tüpfel auf der Wange oder der Nase, die Folge einer Erhitzung, des Tanzes, oder eines zu hastigen Trunkes. Giebt es doch auch wohl Sterbliche, denen die ganze Nase wie eine Purpurrose in glänzender Blüthe steht. Diese Personen brauchen etwas gegen diesen Ueberfluß, oder sie erkälten sich auch nur, und plötzlich verschwindet der falsche Zierrath, noch schneller, als er gekommen ist. Auf solche Weise geschah es mit dem Paradiese. Das Wesen war so zarter Natur, daß, wie sich eure Erde einmal erkältet hatte, und der Mensch den Rath der Schlange angehört, die ganze Lieblichkeit wieder in das Innere des Körpers hineinschlug, und man uns nun diesen sublimirten Paradiesescorpus zum Wohnsitz angewiesen hat. Das hängt mit der Lehre von der Transmutation zusammen, der die 109 wirren Menschen auch, weil sie das Gold zu sehr schätzen, gerne nachhängen.

Filbert empfahl sich mit vielen komischen Verbeugungen und stieg über den Berg mit Windesschnelle in den blauen Aether hinauf. Das ist ein narrirender, schwatzhafter Luftgeist, sagte Gloriana, der in seiner Behendigkeit eigentlich nichts versteht, sondern nur von plötzlichen Einfällen lebt. Sie kommen ihm wie Wind und Wetter, und er wird von den Elementen regiert, statt daß er sie beherrschen sollte.

Sie bestiegen die glänzende Gondel, welche von großen Schwänen über den klaren See gezogen wurde. Nymphen tauchten, in Jugend blühend, aus den Wogen, und schmückten mit Wasserlilien, Corallen und purpurrothen Muscheln das Fahrzeug. Am jenseitigen Ufer empfingen sie die geschmückten Jäger, die auf den goldenen Hörnern die lieblichen Waldmelodien bliesen. Der Zelter der Gloriana ward vorgeführt, und Athelstan bestieg ein schönes braunes Pferd, das kostbar ausgeschmückt war. So zogen sie durch die Wälder und erlegten manches Wild. Der Jagdruf, die Musik, der Gesang der Jäger ertönte wunderlieblich durch die schöne grüne Wildniß. Das Echo, das Brausen des Waldes, das Bellen der Hunde und das Geschrei des Wildes ertönte bezaubernd hin durch die schattige Einsamkeit. Im Walde ward auf einer grünen frischen Wiese das Mittagsmahl eingenommen, dann ging die Reise weiter, ohne daß man noch der Jagd gedachte.

Als es Abend wurde, ging der Zug langsamer fort. Ein lieblicher Wind bewegte die duftenden Frühlingswälder, und tausend Nachtigallen besangen das Glück der Liebe und des Daseins. Eine süße Dämmerung verschattete allgemach die Gegend, und Finsterniß blickte aus dem Walde, indessen noch die letzten Schimmer der Abendröthe hie und dort durch 110 die dichtvergatterten Zweige flimmerten. Da erhoben sich glimmende Wolken von Johanniswürmchen in der träumenden Dunkelheit und leuchteten magisch und wie in nächtlichen Regenbogen der Schaar der Reisigen. Als die Nacht mehr hereinbrach, erglänzten Fackeln und Windlichter und so setzte sich der Zug in Bewegung. Alte Liebes- und Heldenlieder wurden gesungen, und durch alle Windungen des vielverschlungenen Waldes glänzten die Flammen der Fackeln; es dünkte Athelstan zauberhaft, hie und dort, nah und entfernt die schönen Gestalten der Mädchen, Pagen und reitenden Jungfrauen zu erblicken, und beseligt fühlte er sich, wenn er dann die Augen auf Gloriana warf, die als die Schönste von Allen blendend hervorleuchtete. Jetzt kamen sie in einen Orangenhain, und die goldnen Früchte funkelten zitternd und schwankend in dem dunkelgrünen Gehölz, indem sie vorüber ritten. Bald zeigte sich das lächelnde Gesicht eines Mädchens, bald ein Jüngling mit ernstem feurigen Blick, bald schimmerte ein goldner Apfel zwischen den Zweigen hindurch, und Alles athmete Wollust, Liebe und Poesie. Wo endigt das Wunder, wo beginnt es? sagte Athelstan zu sich selbst, und hatte völlig seinen Vater, das einheimische Schloß, seinen Freund Friedrich, geschweige seine schöne Base und den verständigen Caplan vergessen.



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