Ludwig Tieck
Das alte Buch und die Reise ins Blaue hinein
Ludwig Tieck

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In diesen beiden Tagen hatte sich Athelstan trotz aller Entbehrungen in seiner Einsamkeit sehr beglückt gefühlt. Oft war es ihm, als hörte er ferne Stimmen von Leuten, die ihn suchten, aber das Geräusch des Waldes und das Leben der Natur um ihn her übertönte jene unbestimmten Laute. Als er sich endlich völlig sicher dünkte, setzte er seine Wanderung nach ungewisser Richtung fort, um wieder Menschen anzutreffen und in jenes Gebirge zu gelangen, zu welchem seine Phantasie schon seit seiner Kindheit gestrebt hatte. Er traf endlich auf eine Köhlerhütte, und ein Greis sowie eine alte Frau verwunderten sich sehr über seine Erscheinung. Sie konnten ihm auf seine Erkundigungen keine Nachricht geben, denn zu diesem abgelegenen Waldplatz waren seine Verfolger nicht gedrungen. Auf seine Forschungen nach den Fußpfaden in das wunderbare Gebirge hinein, erbot sich ein junger Köhlerbursche, ihn auf Wegen, welche nur der Jäger kenne und betrete, in die innersten Schluchten zu geleiten.

Als Athelstan am Abend mit der Familie des Köhlers beim einfachen Mahle saß, und vom Heerde das Feuer, von Fichtenholz angezündet, leuchtete, sagte der Jüngling: Wie lebt ihr, ihr stillen schwarzen Leute, hier auf eure Art glücklich. Kinder des Waldes, ohne Umgang, Vertraute des schönen Frühlings und des ernsten Winters, von allen den wandernden Vögeln umsungen, die alljährlich wiederkehren – ihr, wahre Zöglinge und Freunde der Natur, vermißt 46 hier gewiß nicht, wonach die Menschen in der Welt so gierig laufen.

Wenn man's so anhört und sich wieder als was Neues denkt, antwortete der eisgraue Köhler, so ist viel Wahres darin. In der Art, wie es möglich ist, sind wir auch glücklich hier, ich wenigstens, das Alter in der Erinnerung und Traum, die Jugend in Träumerei und Hoffnung, wie denn die Buben an Heirath mit ihren hübschen Mädchen denken. Ich war in meiner Jugend Soldat, und das Mühsamste, Noth, Wunden und Gefahr, wenn ich jetzt mich deß erinnere, erscheint mir als eine Art Glück, so widerwärtig es mir auch im Erleben war. Als ich schon nicht mehr jung war, heirathete ich und fand diesen Arbeitsplatz. Meine Braut ist mit mir alt geworden, und kann ich nicht mehr viel beim Holzfällen und der Feuerung verrichten, so schwatz' ich denn mit der Frau und am Abend mit meinen Jungen, der Duft der Kohlen, der Ruch des Theers und Pechs, das Sausen des Waldes, der Dampf, der von den Meilern aufsteigt und durch die Wipfel der Bäume in gekräuselten Wolken zieht, selber das Schreien der Eule, wovor sich viele Menschen fürchten, Alles das ist mir zu meinem Leben nothwendig geworden.

Nur Umgang mit Menschen fehlt uns, fuhr die Alte fort; nur selten spricht der Vetter, der Bergmann bei uns ein, und wir kommen denn auch mal zur Kirmse und Ostern oder Pfingsten nach dem schmucken Dorf hinunter. Dann schwatzt man sich einmal mit allen Gevatterinnen auf ein halbes Jahr satt, und ich bringe diese Neuigkeit, mein Alter eine andere Geschichte, und die Jungen erzählen wieder Wunderlichkeiten, die sie von Jungfern und Knechten erfahren haben. Da geht denn auch der Winter so hin. Dann haben wir Wind und Wetter, helle und finstre Tage, Regen 47 und Sonnenschein; bei den Meilern fällt etwas vor, auch etwas Unbegreifliches ereignet sich manchmal, und Geister und Gespenster, Vorspuk und Ahndungen melden sich. Da giebt es denn Winterstunden, wo wir uns in Erzählungen so recht herzlich fürchten und grauen; das ist nun auch in seiner Art recht hübsch.

Und so erlebt ihr Abentheuer mit Geistern? fragte Athelstan sehr lebhaft; so begegnen euch hier Wunder?

Lieber Junker, sagte der Greis, wer im Walde in der Einsamkeit lange lebt, der erfährt gewiß Manches, wovon die Leute in den volkreichen Städten, da unten in den kornreichen Ebnen nichts wissen. Wir sehen, hören und glauben, und davon ist es ja auch beinah sprichwörtlich, thörichte Mährlein, dumme Wundersagen, auf welche man doch schwört, mit dem Namen Köhlerglauben zu bezeichnen. Ein alter Sängersmann kam mal hier durch, er schlief die Nacht in unsrer Hütte, denn er hatte sich verirrt, der meinte, der gutgeartete Mensch sei mit seiner Harfe zu vergleichen, die ertöne, sowie eine Hand oder ein Finger nur sie anrühre, selbst der Hauch des Windes mache sie erklingen, oder ein laut gesprochenes Wort. Oft, im Saale hingelehnt, ertöne sie auch wohl, als wenn unsichtbare Geisterhände sie anrührten. Also auch, wenn wir mit Saiten bezogen sind, und diese die rechte Stimmung haben, klingt Alles in unserm Herzen und Kopfe wieder, wo Natur sich regt, wo Geister sich bewegen. Gefühle, Vorahndungen, das, was mit Namen und Worten nicht genannt werden kann, das finde sein Echo im Menschen. Das ist der Wunderglaube, und wenn dieser geübt und gekräftigt wird, so kann der so begabte Mensch das Seltsamste erleben. Die einsame Beschäftigung in Berg und Wald, so wie des Köhlers und Bergmannes, stimmen aber die Saiten am reinsten und schönsten, und die 48 Einbildung werde wie beflügelt und mit Zauberkraft begabt. Was nun ein auf die Weise dichtender Sinn empfinde, schaue oder erlebe, das sei ihm und andern Harfenseelen wahr, und denen, die unbesaitet und unbeflügelt sind, unwahr und Lüge. So ohngefähr, aber mit deutlichern Worten wollte jener alte Sängersmann unsern angefochtenen Köhlerglauben rechtfertigen.

Man muß nur den dummen Leuten nicht Alles wieder erzählen, sagte ein krausköpfiger Bube mit schwarzen glänzenden Augen, und so macht ihr es immer, ihr alten Leute. So wie das Schönste und Wundervollste in die kalte nüchterne Luft so von Menschen kommt, die keinen Merks, kein Versteh ich dich davon haben, so wird es um so dummer, um so schöner es ist. So wie die Erzählung von der Wunderlinde und der Göttin oder Fee Gloriana.

Und was ist das? sprich mein Junge! fiel Athelstan hastig ein.

Erzähle ihm das, Gottfriedchen, sagte die alte Frau.

Der junge Bursche stand auf, ging Athelstan näher, betrachtete ihn genau von oben bis unten, schüttelte den Kopf und sagte nach einer Pause: Mutter, der kommt mir auch noch dumm vor.

Grober Bengel! rief der Alte, wie kannst Du unsern geehrten Gast so schelten?

Laßt ihn, Vater, antwortete Athelstan freundlich, Euer Gottfriedchen wird mich morgen nach dem Gebirge begleiten, da werden wir uns unterwegs besser kennen lernen.

Er ist ja bloß neugierig, der fremde Junge, rief Gottfried verdrüßlich aus: wenn er aus stillem Glauben früge, wenn er sich schon im voraus freute und aus solcher Erzählung wie eine Biene saugen wollte, ja dann hätte ich's ihm gerne vorerzählt; aber so eine Geschichte von Mord 49 und Todtschlag würde einem neugierigen Menschen eben so gefallen.

Der Junge, bemerkte der Alte, wird mit jedem Tage eigensinniger und naseweiser. Der taugt für mein Gewerbe nicht, dem muß ich noch erst den Kopf brechen.

Man legte sich zur Ruhe. Dem Fremden war eine Abtheilung angewiesen, wo man das Heu für die einzige Kuh aufbewahrte, die den kleinen Hausstand mit Milch versorgte. Beglückt wühlte sich Athelstan in den Duft seines Lagers. Er hörte noch die Stimmen von unten aus der Wohnstube, draußen sausten die Waldesbäume, ein munterer Bach rauschte melodisch dazwischen, und viele Nachtigallen wetteiferten fern und nah in wechselnden Liebesgesängen. Von Zeit zu Zeit ließ sich der wachsame Haushund mit Bellen vernehmen, ein vorüberflatternder Vogel schrie in wilden Tönen, und im Wehen des Waldes, im Plaudern des Baches, dem schläfrigen Rauschen der Lüfte, in den gurgelnden Tönen der befiederten Waldesorgeln glaubte Athelstan noch Geisterstimmen und prophetische Töne zu vernehmen, die in magischer Stimme aus der innersten Natur unmittelbar mit der Seele sprechen, Gefühl und Gedanke, Musik und Seligkeit, die sich in die gewöhnliche Redeweise der Menschen nicht übersetzen lassen. So taumelnd, schwärmend und träumend dämmerte er schlummernd ein und erweckte sich wieder, um durch die Spalten des Daches über sich den blauen Himmel und einige Sterne zu sehen; wieder schlief er ein, und seitwärts durch eine kleine Wandspalte kroch ein schmaler scharfer Streif des Mondlichtes zu ihm, und spielte und spiegelte mit den grünen Gräsern, auf welchen er gebettet lag.

Jauchzend stand er am Morgen auf und schüttelte die Halmen aus den Haaren und von den Kleidern. So 50 glücklich, sagte er zu sich selbst, war ich noch niemals in meinem Leben.

Er begrüßte die beiden Alten; die Söhne waren schon nach den Kohlenmeilern gegangen. Gottfried war reisefertig und schaute munter aus seinen Augen. Nachdem man Milch und Brot zum Frühstück genommen hatte, machte sich Athelstan mit seinem Begleiter auf den Weg. Als sie eine Weile gestiegen waren, fühlten sie Dampf und rochen den starken Duft des Harzes. Es waren zwei dampfende Meiler, die tief unter ihnen lagen, und bei welchen Athelstan Gottfrieds Brüder in eifriger Arbeit sahe. Gottfried schrie hinab und begrüßte sie, die Brüder dankten und nun begaben sich die Wandrer in eine enge Waldschlucht, durch welche der Fußweg zwischen Felsen nach den einsamsten Stellen des Gebirges hinauf führte. Athelstan sprang und hüpfte mehr, als er ging. O Gottfried! rief er aus, kannst Du mir vielleicht nachfühlen, wie überaus glücklich ich bin? Dieser Morgenduft, der wie aus der Unschuld des Paradieses uns hier aus frisch thauigem Moos, aus glänzendem Fels, aus den dichten schlanken Buchen anhaucht und mit dem Geruch der Blätter uns erfrischt, dies Echo der Steine, das den Klüften drunten, den Eichen drüben jeden unsrer Schritte ausplaudert, das vielfach verwirrte und doch harmonische Concert der tausend Wandervögel, die umher flattern und im dunkeln Nestchen sitzen, der Geieradler, der über uns kreist und im dunkelblauen Himmel so scharf sich abzeichnet, dort das Geschwirr der wilden Tauben, die geängstigt herabtauchen, das Girren der Turteln unter uns in den Bäumen, der klingende perlende Wasserfall dort von der Felswand, und die Prophetensage, die zauberisch über uns hinweht: daß die Seele dies Vieldeutige und Unaussprechliche in sanfte, schwellende Gestalt fassen möchte, um so das Edelste im 51 Menschen mit dem Göttlichen der Natur zu vermählen. Ja, so entsteht die Dichtung, diese Wonne, die Rührung, das Jauchzen, was ich jetzt empfinde, ist die Begeisterung, über die ich so viele unnütze Reden gehört habe.

Gottfried stand still und sah seinen Gefährten mit Verwunderung an, denn Athelstan vergoß Thränen und weinte so heftig, als wenn ihn jetzt ein großes Leid betroffen hätte. Als er das Erstaunen seines Kameraden sah, sprang er auf diesen zu und rief lautlachend, indem er ihn umarmte: Nein, Junge, mir fehlt nichts, als daß ich gar so glücklich, daß ich entzückt bin; ja, das ist jetzt und mit Dir eine ganz andere Wanderschaft, als mit meinem Fritz, der immer müde und immer vernünftig war, der gegen Wind und Wetter, am meisten aber gegen den Regen Einwendungen machte. Du bist, Herzensjunge, das fühle ich lebhaft, ganz so wie ich; wir müssen Freunde seyn.

Ihr seid halt wohl etwas confuse, erwiederte Gottfried. aber es ist einem wohl dabei; nicht wahr? Was ich so von Welt gesehen habe, das ist nicht viel, aber doch so viel: es sind die recht verständigen Menschen, die sich über nichts verwundern, recht erzlangweilig.

Sie schritten immer noch empor. Oft lief ein flüchtig Reh bei ihnen vorbei, oder stand einen Augenblick still und schaute sie rührend mit den klugen braunen Augen an. Die Haasen sprangen seitwärts, Rebhühner, die schwerfällig wandelten, schnurrten empor, das gläserne Auge des Kaninchens starrte sie röthlich aus einem Sandhügel an, und der Hirsch, der Fürst des Waldes, stand beobachtend in der Ferne.

Das ist wie eine große, schöne Schulstube, sagte Gottfried, wo Groß und Klein herzuläuft, um von Busch und Baum, von Tanne und Buche und dem alten ehrbaren Fels beten und Gottesfurcht zu lernen, der Fuchs schleicht durch 52 das Gras, um hinter die Schule zu gehn, der Geier hat schon sein Pensum aufgesagt und fliegt fröhlich wieder zu Hause, der große Hirsch da ist Primus und sitzt oben an, und die Karnikel kommen nicht längst von der Mutter Brust, die haben noch Naschwerk bei sich, um die Schule nur erst zu gewohnen. Wenn sie manchmal Alle zugleich aufsagen, so ist das ein Schnattern, Zwittern, Blöken, Brummen, Krischen und Bullern durcheinander, daß des Schulmeisters fromme Geduld dazu gehört, um nicht unwirsch zu werden.

Die beiden Jünglinge wanden sich den Bergpfad wieder höher hinauf, nachdem sie einigemal thalab gestiegen waren. Die Sonne begann jetzt heißere Strahlen herabzusenden, und der Thau des Morgens war verzehrt. Das Gespräch war weniger lebhaft, und die Reisenden gestanden sich ihre Ermüdung.

Aber auch dies Gefühl, sagte Athelstan, gehört zum Glück des Reisenden. Nur der Wanderer, der lange in der Hitze des Sommers gewandert und geschmachtet hat, weiß, wie die Ruhe schmeckt, was die frische Kühle eines über ihm rauschenden Baumes zu bedeuten hat. Findet er gar noch einen kühlen Brunnquell im Berge, daß er seinen Gaumen laben kann, so ruht er selig, an den Stamm gelehnt, indeß die Natur umher in feierlicher Stille schweigend harrt und lauscht.

Bei uns, sagte Gottfried, gurren dann die Hühner und scharren ihren Bauch in den heißen Sand. Aber so hübsch, wie Du eben gesagt hast, kann es uns nach einer Viertelstunde werden. Wir kommen dann zu der großen mächtigen Zauberlinde, von der ich gestern Abend gesprochen habe, wo nicht weit davon die Fee Gloriana ihre Wohnung hat.

Nach kurzer Zeit gelangten sie zu dem schönen alten 53 Baume, der sich duftend und schattend weit verbreitete. Ein sanft geschwungener Weg kam vom höhern Waldberge herab, und Alles war grün und anmuthig. Von oben dunkelten und rauschten die Wälder hernieder, die jetzt in der Mittagsstunde nur leise flüsterten, und von dem Rasensitze unter der Linde schaute man unten tief hinab in das Gemisch weit verbreiteter Waldungen und grüner einzelner Hügel und kleiner Wiesen. Ferne Schneegebirge zogen sich hellleuchtend rund um den ganzen Horizont.

Der Reisende und sein jüngerer Führer setzten sich lächelnd und tiefaufathmend unter den schönen Baum. Man genoß von dem Vorrathe, den man aus der Hütte mitgenommen hatte. Das Murmeln des kühlen Baches, der zu ihrer Seite frisch aus dem Berge strömte, erhöhte ihre Freude, und sie schöpften die klare Woge mit dem hölzernen Becher, den sie bei sich führten.

Wie ruhig, friedlich und süß schlummernd umgiebt uns hier die Natur mit ihren Träumen der Einsamkeit, sagte endlich Athelstan; was verlangt der unruhige Mensch noch, wenn ihm solche Minuten zu Theil werden, wie ich heut schon so viele erlebt habe? Ich weiß, diese Strömungen des Entzückens gehen vorüber, nur im Vorbeifliegen rühren die seligen Geister meinen Sinn an; aber weil ich es fühlte, weil es meine ganze Seele durchdrungen hat, ist es mir dadurch ewig und mein. So finden wir schon als irdische vergängliche Wesen die Seligkeit, und mein Schmerz, meine Wehmuth über dieses Verschwinden erhöht die Lust des Entzückens. Was in diesem Anschauen mein geworden ist, wird ein Unsterbliches.

Ja, ja, sagte Gottfried, könnte man nur eben Alles verstehen, was uns einfällt, so würde man bald klüger werden. Aber das Beste rennt nur durch unsern Kopf wie ein 54 Blitz oder Sternschnuppe, oder flimmert nur so webend und still lichtend kurze Zeit, wie die kleinen Funken in der Sommernacht durch das feuchte Gebüsche, die sie die Johanniswürmchen nennen.

Das sind die süßen, heiligen Geheimnisse unsers Gemüthes, sagte Athelstan, die wir nicht zu fürwitzig aufstören und durchforschen sollen. Das ist der Traum der Wollust, das himmlische Räthsel, die ewige Täuschung, die sich immer in neue Gestaltung wirft, und in welche die Sonne, die wir Sterbliche die Wahrheit nennen, nie hineinleuchten darf, wenn nicht die Blüthe unsers Glücks und die Wurzel unsers Lebens ganz zerstört werden soll.

Ach ja! sagte Gottfried freundlich lachend, es mag wohl nur hübsche Lüge und wundersam schönes Mährchen seyn, was uns Natur und alles Leben, Nacht und Tag, Winter und Sommer, Schmerz und Freude vorerzählt. Wenn wir glauben, ist es gut, sträuben wir uns und ärgern uns am Erzähler, der nicht müde wird, uns angenehm zu hintergehn und hinters Licht zu führen, so geht der Zank los, bei dem wir Menschen immer zu kurz kommen.

Junge, sagte Athelstan, indem er ihn wieder umarmte, Du solltest bei mir bleiben.

Das geht nicht, erwiederte der Knabe, so gern ich auch länger solches Zeug mit Euch schwatzen möchte. Ich muß zu meinem Alten, arbeiten, ihm helfen und kann nicht so in die Welt hineinlaufen.

Athelstan war schon auf eine Figur aufmerksam gewesen, die langsam den Fußsteig herauf wandelte, und sich ihnen näherte. Ein alter Mann, der nicht ganz das Ansehn eines Bauern hatte, stand jetzt vor ihnen, betrachtete den Baum und die beiden jungen Leute mit höchst bekümmerter 55 Miene, grüßte dann bescheiden und schickte sich an, weiter zu wandeln.

Es ist sehr heiß, sagte Athelstan; gefällt es Euch, neben uns hier im kühlen Schatten Platz zu nehmen?

Mit dem Ausdruck der höchsten Betrübniß schüttelte der Greis den Kopf und sagte: Danke, junger Herr, ich bin am liebsten allein.

Wenn wir Euch stören, erwiederte der Jüngling, so wollen wir Euch Platz machen und weiter wandern, denn wir sind schon ausgeruht.

Nein, nein, rief der Alte, ich habe hier nichts zu thun. Ob mir heiß wird, ob nicht, ist dasselbe.

Er sah den Baum nachdenklich an, alsdann trat er einen Schritt näher und schaute lange dem Junker ins Angesicht. Armer Mensch! sagte er dann tief erseufzend, o unglückselige Creaturen, o tiefes, unaussprechliches Elend alles Geschaffenen!

Er ging den Fußpfad weiter hinauf und verschwand bald hinter den Gebüschen. O mein Gott, rief Athelstan nach einer Weile aus, wer kann dieser Unselige seyn, was kann er meinen? Ich habe es bis jetzt nicht gewußt und nicht für möglich gehalten, daß das menschliche Antlitz eines so furchtbaren Ausdrucks ruhiger, ewiger Todesverzweiflung fähig wäre. Was können seine Worte nur bedeuten? Seit ich denken kann, hat mich nichts so erschreckt und tief betrübt, als der Anblick dieses sonderbaren Mannes.

Wir kennen ihn wohl, sagte Gottfried, denn er ist auch einigemal zu uns in den Wald hinabgekommen. Er wohnt im Dorf dort, was aus den Birken vorragt. Er ist ein recht wohlhabender Bauersmann, der nur einen einzigen Sohn hat, der auch schon bejahrt ist und die Wirthschaft führt, so daß es dem Alten leicht wird, sich mit seinen traurigen 56 Redensarten in der Welt herumzutreiben. Er war, so sagt man, ein sehr schönes und lustiges Kind, der Sohn eines Schäfers. Der Vater war streng und hielt den ausgelassenen Knaben schon sehr früh zur Arbeit an. Am liebsten sah es der kleine Junge, wenn ihn der Vater mit den Schafen auf die Weide schickte, da konnte er mit dem klugen Hunde spielen, sich Rohrpfeifen und Stöcke zurechtschneiden, Lieder singen, die er schon früh gelernt hatte, und ganz nach seinem Sinne leben. Das gefiel Bauersleuten und andern Schäferknechten, die ihn wohl auf dem Felde besuchten; nur ließ er über die Späße seine Schafe aus der Acht, und das konnte der Vater, der ein sehr strenger Mann war, nicht leiden. Neben dem Verdruß gab es auch noch empfindliche Schläge, so daß der übermüthige Junge schon gedroht hatte, er wolle seinem Vater einmal ganz und gar davonlaufen. Es hatte sich wieder ein Schaf versprungen, oder war gestohlen worden, und als der Alte schon den Prügel zurecht gelegt hatte, kam es nun heraus, daß der junge Hirte auch verloren war. Man suchte, fragte, aber nirgend war eine Spur und Nachricht, und so mußte man glauben, der Junge sei aus Furcht in die sogenannte weite Welt hineingelaufen. Der Vater hatte das Kind beinah schon verwunden, als nach einem vollen halben Jahr der Junge an einem Abend in die Hütte zu seinen Eltern trat. Er war in der Zeit sehr gewachsen und beinah gar nicht wieder zu erkennen, denn er war ernst, traurig und sprach lauter nachdenkliche Sachen. Was er aber erzählte, war noch viel wunderbarer. Er sagte den Eltern nehmlich, er hätte zu seinem Schrecken bemerkt, daß ein Schaf wieder fehle, er habe es verzweifelnd in Berg und Wald, in allen Gebüschen gesucht, aber vergeblich. Hin und her rennend, schreiend und weinend, habe er sich endlich, um auszuruhen, hier unter diese schöne frische Linde gesetzt. Der 57 Duft der Blüthen, das ferne Blöken seiner Schafe, bei denen der wachsame Hund geblieben war, die liebliche Einsamkeit dieser Stelle, Alles, und die Furcht vor seinem Vater dazu, habe ihn so unbeschreiblich gerührt, daß er sich im Weinen nicht habe ersättigen können. In dem Gefühle sei ihm eine Art von Trost gekommen, und ohne daß er es bemerkt, habe ihn der Schlaf, und zwar ein recht tiefer Schlaf, überfallen. Wie er aufgewacht sei, sei es schon roth am Abendhimmel geworden, und ihm sei's vorgekommen, als fühle er wieder die alte Lustigkeit in sich, als habe er Schafe, Vater und Prügel vergessen. So springt er denn auf und rennt singend und pfeifend umher, ungewiß aber, was er thun soll. Indem er hier um die Ecke hüpft, der plaudernden, lachenden Quelle vorbei, sieht er plötzlich in dem grünen Hügel eine Oeffnung, über welcher Epheu sich im Abendwind bewegt. Die Höhle war nie dagewesen; er geht hinein. Wie er schon im dunkeln Schatten steht, sieht er Glanz und Licht in der Ferne. Er geht tiefer hinein und glaubt nun auch eine schöne Musik zu vernehmen. Es zog den Knaben nach, und wie er weiter schreitet, steht er plötzlich in einem hohen, hell erleuchteten prächtigen Saal; große Tafeln mit den seltensten Speisen sind ausgerüstet, Herren und Frauen in glänzenden Kleidern sitzen umher, schöne Kinder gehen als Bedienung hin und wieder, und Alles ist fröhlich und spricht und lacht. Anfangs wird er im Getümmel des Festes nicht bemerkt, dann läßt ihn eine der schönen Frauen herantreten und fragt ihn: Mein Knabe, wie bist Du herein kommen? Er erzählt, daß er den Berg offen gefunden habe und aus Neugier weiter gegangen, und so, ohne es zu wollen, in ihre Pracht hinein gerathen sei. Die andern Kinder nehmen ihn in ein Gemach, pflegen ihn, stärken ihn, er ißt und trinkt und schläft, und als er aufwacht, sitzt er wieder draußen 58 unter der Linde hier. Er meint, er sei nur eine Nacht abwesend, und sechs Monate und mehr sind seitdem verstrichen. Die Eltern hätten Alles lieber für eine Lüge gehalten, wenn der Junge nicht einen ganz kostbaren, unschätzbaren goldnen hohen Becher oder Pokal aus der Höhle mitgebracht hätte, nebst einem goldnen Untersatz, auf den man das große Trinkgeschirr stellte. Die Arbeit daran, Laub, Blumen, Kinder und Thiere, blau eingelegt, und mit funkelnden Edelsteinen und zarten weißen Perlen, Alles dies soll ein Wunder der Welt gewesen seyn. Der Junge hatte den schweren Becher kaum bis in das Dorf hinunter schleppen können. Den hatten ihm die Geister zum Angedenken an seinen Besuch mitgegeben. Nun regierte in der Herrschaft ein Graf, ein gar lieber Herr. Der hörte von der Geschichte, ließ die Leute mit dem Becher kommen und gab ihnen dafür etliche der allergrößten Güter hier in der Gegend, wovon sie nachher wie die Edelleute haben leben können, und für die reichsten Dorfleute im Lande galten. Wo der Becher nachher hingekommen ist, weiß man nicht. Ob der Graf ihn wieder verkauft, ob er ihn dem Kaiser geschenkt hat, ob er im Kriege ist weggeraubt worden. Der frohe Junge war aber seitdem wie verwandelt, denn man hat an ihm kein heiteres Gesicht mehr gesehn, ihn auch niemals wieder lachen hören. Er war nun reich, konnte es aber nicht genießen; er heirathete nachher ein hübsches Mädchen und hat Kinder und Enkel, aber er sieht sie kaum an. Er sagt immer, seit er in der Höhle gewesen und die überirdische Herrlichkeit dort, sowie diese wunderschönen Menschen oder Götter, oder was sie seyn mögen, gesehen habe, könne ihm auf Erden nichts mehr gefallen, Alles hier in Gottes Schöpfung sei nur finster, häßlich und dumm; er könne sich an nichts erfreuen, weil ihm jene himmlischen Gestalten immerdar vorschwebten. So läßt er 59 Wirthschaft und Alles liegen und läuft nur immer als ein Müßiggänger umher, um zu sehen, ob er nicht noch einmal den Berg hier wieder offen und seine alten Spielkameraden wiederfinden könne. So ist er alt und grau geworden und wird als ein widerwärtiger Murrkopf in sein Grab gehen.

Athelstan hatte diesem Bericht mit der größten Aufmerksamkeit zugehört. Der wunderliche Greis! sagte er dann, um so heiterer müßte er ja werden und lebenslustiger, da es ihm einmal vergönnt gewesen war, das Ueberirdische anzuschauen, wenn er auch diesen Anblick niemals wiederfinden konnte. Da Du aber einmal im Erzählen bist, so sprich mir auch noch das Andere, von jener Gloriana, was Du mir versprochen hast.

Das ist nun wohl eine ganz andere Sache, erwiederte Gottfried, denn die Geschichte mit dem Becher haben wir alle mit erlebt, da Du ja selber den alten reichen verdrüßlichen Bauer noch gesehen hast. Sie sagen, unsre Alten nehmlich, die Linde hier sei schon vor vielen hundert Jahren zum Andenken von einem Fürsten gepflanzt worden, der lange in dem Zauberberg mit allen den Geistern oder Feen herrlich und in Freuden gelebt habe, und dann wieder zur Welt und zu seinem Regimente zurück gekommen sei. Was es für Art mit den Feengeistern hat, und wie sie leben, davon weiß kein Mensch was Gründliches. Die Wenigen, die drin gewesen und wiederkommen, sprechen wohl nicht darüber. So sagen denn die Alten, die Alles wissen wollen, daß alle hundert Jahr aus dem Berg ein wunderbarer Zug von den schönsten Geistern herauskommt, hier herumzieht, wie auf die Jagd, und dann in den Berg wieder eingeht. Du hast doch gewiß schon die lieblichen Jagdinstrumente und auch Waldhörner gehört. Nun sollen aber Jäger dabei seyn, die auf so schönen goldnen Hörnchen blasen, daß Jeder, der es in 60 der Ferne vernimmt, diese entzückenden Töne Zeit seines Lebens nicht wieder vergißt. Die Königin Gloriana führt den herrlichen Zug an, reitend auf einem weißen Zelter, der mit Purpurdecken und Gold geschmückt ist; sie trägt einen Falken auf der Hand. Ein bunter Zug, allerhand Gestalt, Männer, Frauen, Mädchen, Kinder, Alle zu Pferde, Alle schön, folgen der Fürstin. Wer ihnen begegnet, ist glücklich; wer den Muth hat, sie anzureden, kann sich eine Gnade erbitten. Gloriana aber soll so in himmlischer Schönheit strahlen, daß jedem Sterblichen, welcher sie anschaut, das Herz entfällt, und er nur heftig zitternd in die Knie sinkt; dann ist Alles ohne Spur, wie ein Traum vorüber. Ich kann mir wohl vorstellen, daß weibliche Schönheit alle Kraft und allen Entschluß raubt; stehen wir doch schon vor Blumen, Bäumen, Wasserfällen mit Erstaunen. Oft schon suchte ich mir ein recht ausbündiges Mädchen, eine vornehme Dame im Glanz ihrer Schönheit vorzustellen. Das muß durch den grünen Wald wie Edelsteine strahlen und alle rothen und weißen Rosen mit Macht überglänzen. Dann ein Lächeln des Mundes, ein sanftes Wort gesprochen, die runden Schultern und vollen Arme in Bewegung: nicht wahr, Herr Junker, dies muß die Seele in Andacht, Liebe, Entzückung und Anbetung versetzen?

Athelstan sah seinen jungen Führer mit Erstaunen an. Du bist wohl schon verliebt, fragte er ihn dann, – so jung Du auch noch bist?

Ei bewahre! rief Gottfried lebhaft aus, indem er über und über roth geworden war; das verlohnte sich auch der Mühe! Meine Brüder sind verliebt, wie sie sagen, und wollen auch sobald wie möglich heirathen; aber diese runden, braunen, unbeholfenen Dinger, so wackelnd und schreiend, 61 können mir nicht gefallen. Da wäre das Lieben ein Elend, eine Verzauberung.

Verzauberung, sagte Athelstan, muß wohl jede Liebe seyn; denn zum gewöhnlichen Leben gehört sie so wenig als Poesie und Musik. Doch laß uns weiter gehen, es ist schon kühler geworden.

Es hatten sich Wolken vor die Sonne gezogen, ein frischer Wind wehte durch die Wälder. Man stieg noch höher und der Tag wurde trüber. Es wird ein Gewitter kommen, sagte Gottfried, die Wolken fangen an zu rennen. Noch ist der Wind unten im Thal am stärksten, aber noch vor Sonnenuntergang haben wir allenthalben Regen und Sturm.

Mit der zunehmenden Finsterniß wurde es in der höhern Gegend des Gebirges kälter. Endlich fielen Regentropfen, und als man um eine Felsenecke bog, brausete ihnen Sturm und Gewitter entgegen. Ich weiß hier unfern eine sichere Höhle, sagte Gottfried, wo wir uns vor dem Wetter bergen können. Sie eilten durch Gesträuch und über bemooste Felsen eine steile Anhöhe hinauf, und nach wenigen Augenblicken fanden sie eine räumige Höhle, indem schon die rothen Blitze zuckten und ferne Donner rollten. Der weite Himmel riß plötzlich auseinander, die reine Bläue zeigte sich wieder, und ein blendendes Sonnenlicht schoß über Wiese, Wald und Gebirge schnell hinein. Die leichten Wolken senkten sich, ein eilender Wind trieb sie hinweg, und auf den schwarzen Flügeln des Sturmes flog ein tosendes Gewitter herbei. Nun verfinsterte sich der Himmel von Neuem, Blitz und Donner, der krachend tobte, folgte schnell auf einander, und ein vielfaches Echo hallte in den Bergen wieder. So wie das Gewitter näher zog, entband es sich mit jedem Schlage furchtbarer, und wie ein Wolkenbruch stürzte der Platzregen rauschend nieder.

62 Ist Dir bange? fragte Athelstan seinen Gefährten.

Ich fürchte mich, antwortete dieser; aber mir ist in dieser Furcht doch wieder wohl. Es ist wie ein Krieg im Himmel, denn es wüthen jetzt drei Gewitter gegen einander. Wie die Drachen sind die Wolken grimmig herbeigezogen.

Sie bargen sich, so gut sie konnten, vor dem Sturm und Regen, welche auch in die Höhle hineinschlugen. Immerdar und in allen ihren Gestaltungen, sagte Athelstan, ist die Natur groß und erfreulich. Wer sie nicht in allen ihren Stimmungen und jedem Wandel gern aufsucht und ihre Liebe sowie ihr Gemüth versteht, der kann sich noch nicht ihren Freund nennen. Wohl mir, daß ich dort den engen Zimmern entronnen bin, nur jetzt lebe ich frei und glücklich.

Wollt Ihr denn immer so herumwandeln? fragte Gottfried.

Das weiß ich nicht, sprach der Jüngling; ich weiß auch noch nicht, was aus mir werden soll. Das Alles wird mir ein gütiges Geschick erst auf dieser Reise offenbaren. In allen Ständen und Gewerben sind ja die Lehrjahre nothwendig, so auch für meinen Lebenslauf.

Aber irgendwo, sagte Gottfried, muß jeder Mensch doch ankleben, sich fest bauen, eine Heimath haben.

Das ist eben das Fürchterliche, erwiederte Athelstan, daß wir nicht ewig lernen und was Neues erleben können, daß sich das aufstrebende Gemüth endlich wieder zum Gewöhnlichen herabsenken muß. Alsdann ist es, – sieh diesen von Sturm und Regen auf den Boden hieher geworfenen Schmetterling – seine Flügel, die sich noch vor einer Stunde glänzend in allen Farben entfalteten, sind jetzt naß und beschmutzt, sie haben ihre sonnige Schwungkraft verloren, nun klebt er hier an der Erde und flattert mit den schweren Fittigen, um sich wieder zu erheben. Ueberdauert er auch 63 diesen Sturm, gelingt es ihm selbst, sich wieder aus dem nassen Lehm des Bodens zu befreien, so ist er doch niemals jene schöne fliegende Blume wieder. Besser, ihn gleich zu vernichten.

Gottfried sah schweigend zu und schien tief nachzudenken. So kam die Nacht heran, das Gewitter wüthete nicht mehr so heftig, hatte sich aber noch nicht erschöpft. Die beiden Jünglinge suchten sich, so gut es sich fügen wollte, in der Höhle ein Lager einzurichten, den letzten Vorrath hatten sie schon vorher aufgezehrt. Athelstan schlief nur wenig, und wenn er von seinen Träumen erwachte, die ihm vorspiegelten, daß er wieder in seinem väterlichen Hause sei, so fühlte er sich glücklich, daß er den Sturm und Regen brausen hörte und die fernen Blitze noch dort und da am Gebirge aufleuchten sah; Frost und Schauder waren ihm nicht zuwider, so wenig wie der feine Regen, welcher manchmal vom Wind in die Höhle getrieben ward, denn sie waren ihm eine Bürgschaft seiner neu errungenen Freiheit.

Als der trübe Morgen heraufkam, machten sich die Freunde durch Schütteln und hastige Bewegung munter. Sie waren nicht vom Schlaf erquickt, und Gottfried war nicht heiter gestimmt. Athelstan aber bezwang das Mißbehagen, welches in ihm aufsteigen wollte. Beiden war es empfindlich, daß sie ohne Frühstück ihre Wanderung nach der kalten Nacht fortsetzen sollten. Junker, sagte Gottfried, ich muß hier von Dir Abschied nehmen, denn meine Alten haben sich um mich vielleicht schon geängstigt; Du aber findest nach einer Stunde, wenn Du diesem Pfade folgst, ein einzelnes Haus auf der einsamen Höhe, wo Du Trank und Speise, wenn auch nur bäuerliche, antreffen wirst. Ich kenne die Leute auch, Du kannst von uns grüßen, aber ich muß nothwendig umkehren.

64 Da Athelstans Beredsamkeit, der gern den Knaben auf seiner Reise länger mit sich geführt hätte, vergeblich war, so umarmte er ihn noch einmal herzlich und dankte ihm für seine Gesellschaft, dann reichte er ihm zum Lohn einen kleinen Beutel, welcher mehrere Goldstücke enthielt. Gottfried sah ihn mit seinen dunkeln großen Augen an und sagte: Ist das Dein Ernst? So bleibt Dir ja nichts übrig, und Du wirst es doch auf Deiner Reise nöthig haben.

Nein, sagte Athelstan, Du brauchst um mich nicht zu sorgen, denn mein Vorrath an Geld, an welchem ich seit Jahren gespart habe, wird nicht so leicht zu Ende gehen. Ich schenke Dir diese Goldstücke auch nicht für Deine Mühe und als einem Wegweiser, sondern als meinem Freunde, den ich auf unsrer kurzen Wanderschaft herzlich lieb gewonnen habe. Die Summe kann Dir zu irgend einem kleinen Besitz verhelfen, wodurch Dein Leben erleichtert wird.

O bester Junker! rief Gottfried hocherfreut, ganz anders kann und soll es nun kommen. Mir hat das finstre Köhlerwesen da unten niemals Spaß gemacht, aber bei den vielen Kindern haben meine Eltern auf keines etwas wenden können. Ein Weltpriester in der nahen Stadt, der aber auch arm ist, hat mich immer zu sich nehmen wollen, daß ich lesen und schreiben, Gottesfurcht und vielleicht Latein oder sonst noch was lernen könnte. Mein Vater hätte uns gern den Gefallen gethan, aber der geistliche Herr verlangt etwas Unterstützung, wenn auch nicht viel, und das konnten wir bis jetzt immer nicht aufbringen. Mit dem Beutel komme ich nun zu meinem Vetter wie ein Engel vom Himmel. Der Mann, so viel es sein Stand erlaubt, liebt auch die Dichtkunst und die Meistersänger; er hat sich selbst mit eigner Hand einige schöne Geschichtchen abgeschrieben, die er mir nun gewiß vorlesen wird. Seht, was ich am meisten wünsche, 65 ist das. Wir haben einen Priester in unsrer Nähe, der sammelt und hascht alle Schmetterlinge, die er habhaft werden kann, und freut sich an den bunten Dingern. Im Kloster wendet der Abt viel auf Blumen und läßt sich manche selbst aus fernen Landen schicken. Der Graf drüben hat einen großen Saal voll schöner Waffenrüstungen. Aber wie herrlich muß es seyn, alle die Lieder, die in der Welt herumfliegen, kennen zu lernen, sich an allen den schön duftenden Liebesgeschichten, deren wohl viele sind, zu ergötzen, oder die Heldenthaten zu erfahren, die wohl in manchen großen Büchern in Büchersälen herumstehen. Auch von geistlichen Legenden, heiligen Sagen und Wundergeschichten mag es viele geben, die schön und erbaulich sind; himmlisch mag es seyn, selbst etwas Neues zu dichten, das den Menschen dann noch in Zukunft gefällt, oder wenigstens umzuschreiben und zu verbessern, oder aus fremden Sprachen in unsere deutsche zu übersetzen. Das begriff ich an dem alten Sangesmanne, der uns dazumal besuchte, am allerwenigsten, daß er nur einige Lieder auswendig wußte und sich um neue und fremde gar nicht kümmern mochte. Alles zu wissen und zu erfahren, was die großen Geister jetzt und in der Vorzeit gedichtet haben, scheint mir die größte Seligkeit auf Erden, und diese kann ich mir nun wohl durch Eure Freundschaft und gütige Beihülfe erringen.

Sie trennten sich hierauf beide gerührt, und Gottfried eilte mit Freudensprüngen den Felsenabhang hinunter, um seinen Eltern recht bald sein neues Glück zu verkündigen.

In Wind und Regen stieg Athelstan das Gebirge höher hinauf. Er trauerte um den Jüngling, der ihn verlassen hatte, und zürnte, ohne es sich zu gestehen, auf den Regen, der ihm schneidend entgegentrieb und sich immer dichter ergoß. Auf der kahlen dürren Höhe stürmte es so gewaltig, 66 daß Athelstan seinen Hut wahren mußte, um ihn nicht zu verlieren. Mit Freuden gewahrte er endlich das einsame Haus, er verdoppelte seine Schritte, und kaum war er in die Thür getreten, als wieder ein rauschender Platzregen niederstürzte.

Die sichere Behaglichkeit einer Wohnung, auch einer geringen, war ihm so erfreulich, daß er sich sogleich an einem wärmenden Feuer, welches in einem großen Kamin brannte, niederließ. Die Frau des Hauses saß bei einer Wiege, in welcher ein schönes gesundes Kind schlummerte, der Hausherr ging geschäftig hin und wieder und bereitete für den Junker Glühwein, an welchem sich dieser erkräftigen und erwärmen wollte. Im Winkel kauerte eine wunderliche Gestalt, an welcher Athelstan nicht unterscheiden konnte, ob es ein alter Zwerg oder ein unerwachsener Knabe war. Das Wesen schielte auf beiden Augen, die Nase war schief und unverhältnißmäßig groß, der grinsende Mund reichte mit den dicken Lippen fast zu den Ohren, die auch von ungewöhnlicher Länge waren. Das Haupt der Mißgestalt war, gegen den Körper gehalten, zu groß, und die krummen Beine zu klein und dünn. Hannes, sagte der Wirth, hole für den Herrn einen Becher aus dem Schrank. Murrend erhob sich das seltsame Wesen, öffnete den Schrank, watschelte herbei und setzte den Becher vor Athelstan hin, indem er ihn grinsend mit seinen schielenden Augen anblickte. Die Frau begab sich nach der Küche, um den Glühwein zu bereiten; doch rief sie vorher eine große starke Magd herbei, die sich indessen zur Wiege setzen mußte. Hannes, der ungestalte Zwerg, wackelte wieder nach seinem Winkel und biß den Hund ins Ohr, der sich indessen dort niedergelassen hatte. Hannes! schrie der Wirth, als der Hund laut klaffte und heulte; immer ungezogen? Hannes aber sah den Hund mit Freuden an, 67 der sich winselnd das verwundete Ohr kratzte, und lachte dann laut.

Nach einiger Zeit kam die Mutter wieder herein und setzte mit höflichen Worten das Frühstück vor Athelstan hin. Hannes erhob sich und kletterte mühsam auf einen Stuhl, um aus der Ferne hinüber zu schauen, welch ein Gericht der Junker verzehre. Indem rief der Wirth: Seht, das tolle Hexenwetter jagt uns auch den Griesgram, den alten Balthasar, in unser Haus herein! Zu Athelstan's Verwunderung erschien wirklich der alte Menschenfeind, der sein Leichenantlitz in die Stube hinein wendete und sagte: Verzeiht, Ihr wißt, es ist sonst nicht meine Art, bei Euch einzukehren, aber es ist draußen im Freien nicht auszuhalten. Gebt mir einen Becher Wein und etwas Brot zum Imbiß.

So widerwärtig, ja entsetzlich dem Jüngling das Antlitz und der Blick des Alten war, so konnte er doch das Auge nicht von ihm abwenden, und als der alte Bauer dies bemerkte, rückte er seinen Schemel so, daß er dem Beobachtenden den Rücken zukehrte. Es währte nicht lange, so wurde die Hausthür wieder heftig aufgerissen, und eine lange hagere Figur stürzte in die Stube herein, von deren ganz durchnäßten Kleidern sich sogleich Ströme von Wasser auf den Boden verbreiteten. Ah! rief die Hausfrau, unser Schulmeister Wendelin; wie kommt Ihr bei dem Wetter ins Gebirge?

Unglück und Schicksal, rief der hagere Mann, indem er sich das triefende Gesicht abtrocknete. Hat mich's doch noch erwischt, da ich schon Eures Hauses ansichtig war. Ihr wißt ja, daß ich dort auf dem Schlosse drüben immer dem Priester helfen muß, wenn er aus dem Besessenen den Teufel austreibt. Das sind jedesmal einige Meilen, und oft fruchtet unsre Mühwaltung nicht, wie denn heut der Teufel 68 wieder so mächtig und eigensinnig war, daß Weihwasser, Gebet, Stol' und Brevier nichts an dem Ungeheuer vermochten. Er lachte uns, aus dem Leibe des Wüthenden, nur aus.

Hier schlug Hannes eine laute Lache auf. Der Schulmeister sah sich kurz um, warf dem Unhold einen wüthenden Blick aus seinen kleinen Augen zu und schrie im Zorn: Wechselbalg! hebe Dich hinweg, wo gläubige Christen athmen und sprechen!

Der Wirth stand auf, faßte des Schulmeisters Hand, indem er sagte: Nicht Euch ärgern, würdiger, alter Mann. Hannes, geh in den Stall und lege den Kälbern Heu aus.

Hannes verzog das Maul, sah den Schulmeister von der Seite an und wackelte brummend aus der Stube hinaus. Mit Verlaub, sagte der Alte, ich bin so triefend naß, daß ich nicht ausdauern kann. Ihr leiht mir wohl ein altes Wamms, um meine Kleider am Feuer trocknen zu können.

Der Wirth brachte ihm sein Sonntagsgewand, das der Küster mit Wohlgefallen anlegte. Er hing hierauf seine Kleider an einen Nagel über dem Feuer auf, die Perücke daneben, indem er eine hohe wollene Mütze über sein kahles Haupt stülpte. Athelstan konnte ein Lächeln über diese sonderbare Figur nicht unterdrücken. Der Schulmeister setzte sich nun neben Athelstan an das große Feuer des Kamins, dessen Wärme an diesem kalten Tage den Reisenden sehr angenehm war.

Nach einiger Zeit kam Hannes aus dem Stalle wieder zurück und machte sich beim Feuer zu schaffen, welches dem Schulmeister sehr unangenehm zu seyn schien. Jetzt am Licht konnte Athelstan die seltsame Figur näher beschauen, die fast etwas Gespenstisches hatte. Wendete er seine Blicke von diesem nur wie scheinbar belebten Klotz zur Leichengestalt des Balthasar, und von dem blassen Angesicht zum Schulmeister, 69 so mußte er fast, um von seiner ängstlichen Träumerei zu erwachen, die Augen auf die starke gesunde Frau des Wirthes richten, in welcher ihn ein erfreuliches wirkliches Leben wieder begrüßte. Als der Zwerg eine Weile herumgewirthschaftet hatte, verließ er die Stube, deren Thür er offen ließ. Nicht lange, so stolperte ein Kalb herein, das springend und staunend hin- und herrannte und endlich dem tiefsinnenden Balthasar zwischen die Beine gerieth. Als dieser erschreckt auffuhr, sprang das Thier über Stuhl und Schemel, warf einige Gefäße um und ward endlich von dem bellenden Hunde hinausgejagt, indem Alles im Zimmer in die größte Verwirrung gerieth und das Kind schreiend in der Wiege erwachte. Die Mutter nahm das blühende Wesen und drückte sein volles Gesicht an ihre Brust, um es zu tränken und so zu beruhigen. Der Wehrwolf! rief der Schulmeister erzürnt aus; man sollte ihn nur dem Ketzer- und Hexengericht übergeben, daß sie die Unthat mit Feuer aus der Welt schafften! Er hat seinen Busenfreund, das dumme Kalb, mit Vorsatz in die Stube hereingelassen, um hier Verwirrung zu stiften. Sein Dichten und Trachten sind nur solche Koboldsstreiche, um christliche Menschen zu ärgern.

Wer ist das unglückliche Wesen? fragte Athelstan; wem gehört er an?

Die Wirthsleute hier, antwortete der Schulmeister, müssen ihn für ihren Sohn anerkennen; er ist aber seiner eigentlichen Natur nach ein Wechselbalg.

Athelstan sah Wirth und Wirthin bedenklich an; diese sagte: Mein junger Herr, Euch wird es unglaublich vorkommen, was der alte Herr da ausspricht, aber wir, ich und mein Mann, müssen es dennoch glauben. Wir hatten vor zwölf Jahren ein Kind, einen Knaben, der war groß und stark, gesund und freundlich, dabei noch viel schöner, als den 70 ich jetzt an der Brust habe. Es war unser erstes, und wir Eltern waren sehr glücklich. Der Herr Schulmeister erzählte uns schon, was er in zwei, drei Jahren dem Jungen Alles lehren wolle. Mein Mann war aus, um Holz einzukaufen, Gäste hatten wir nicht, ich war mit dem Kinde ganz allein. Seine Wiege stand in der Kammer da neben meinem Lager, und so wie die Sonne so schön über die Berge dort unterging, und es roth und dämmerig in der Stube wurde, lege ich mich ein wenig auf das Bett, denn ich war müde vom Backen und hatte die Nacht vorher auch nicht viel wegen des Flachsbrechens geschlafen, wie es denn immer für eine starke Frau im Haushalt vielerlei zu thun giebt. Da gerathe ich in einen Zustand wie in Rausch oder Betäubung, ich wußte, daß ich nicht schlief, und doch konnte ich auch nicht sagen, daß ich vollkommen wach sei. So kamen in der röthlichen Dämmerung drei kleine Frauengestalten herein, ohne daß ich die Thür hatte aufmachen sehn, sie trugen etwas Eingewickeltes und gingen ganz sacht auf die Wiege zu. Die Wesen, die altfränkische Weiberanzüge und widerliche Kopfzeuge trugen, nahmen mein schlafendes Kind aus der Wiege, wickelten es aus seinen Kleidern und Windeln und zogen ihm eine seltsame Art von Ueberzug, grau wie Spinneweben, um die Glieder, brachten das Eingepackte und thaten es mit den Kleidern meines Kindes an. Immer sahen mich die alten eingeschrumpften Gesichter, die über hundert Jahr alt seyn mußten, dabei an; ich wollte reden, aber ich konnte nicht, ich vermochte auch kein einziges Glied zu rühren, nicht einmal den Kopf, selber nicht die Augen zu bewegen. So gingen sie weg mit meinem Knaben und hatten mir statt seiner was Anderes in die Wiege gelegt. Ich war keines Gedankens mächtig. Um Mitternacht kam der Mann zurück, er dachte, ich schliefe, und ging still zu Bette, 71 um mich nicht zu wecken. Ich war noch immer wie mit Stricken festgebunden, nur war mir, als wenn etwas in der Wiege, ganz wie ein großer Mensch, schnarche. Am Morgen, als früh die Sonne herein schien, sahen wir nun die schöne Bescheerung, als ich munter war und das Kind tränken wollte. Ein Klumpen war's, unförmlich, fast ohne Gesicht, ganz, wie man sich die jungen unreifen Teufel denkt.

Mein Mann war in Verzweiflung. Der Herr Schulmeister kam zu uns und meinte, wir sollten das Wirrsal nur gleich ins Wasser tragen. Der Beichtvater wollte aber meiner Erzählung nicht glauben, er meinte, in der Nacht könne das Kind wohl das Gefrais befallen haben, und die Krämpfe hätten es so zugerichtet, er sei gewiß noch immer unser Sohn und könne sich künftig einmal wieder ins Leidliche und Menschenähnliche hinauswachsen. Es sei Sünde und Mord, den verwachsenen Sohn, ohne sein Wachsthum abzuwarten, ins Wasser zu schmeißen. So haben wir ihn denn behalten und auferzogen, und da wir die Sache doch nicht mit ganzer Sicherheit wissen, so fühlen wir auch gegen den verdrehten Ungerathenen eine Art von elterlicher Zärtlichkeit. Der lange Umgang thut viel, man gewöhnt sich denn nach und nach an Alles.

Nein, schrie der Schulmeister, er ist kein Mensch, sondern ein simples untergeschobenes Gespenst. Wir kennen ja hier zu Lande das Treiben dieser Unterirdischen, die, wo sie nur können, die schönen Christenkinder rauben, um ihre einzulegen, die nur Bälge von Fleisch, Haut und Knochen sind, und die man nicht mehr zu respectiren hat, als wenn sie mit Heu und Stroh ausgestopft wären. Diese Feen, Elfen, oder wie sie sich sonst noch nennen, sind von Gott abgefallene Geister, halb teuflisch, halb elementarisch, diese rauben aus Bosheit die getauften Kinder, um ihnen die Seligkeit zu 72 entreißen, und schieben ihre ungerathenen Teufelsfrüchte, diese madigen, wurmstichigen Alraunen und Krokodile unter, um Hexerei und Teufelei unter dem Menschengeschlechte zu verbreiten. Und wenn das die zu milden Geistlichen zulassen, so kann auf diesem Wege noch das ganze Christenthum untergehn, und wir alle unvermerkt und nach und nach zu solchen Unholden werden.

Hannes, welcher sich indessen wieder hereingeschlichen hatte, brach wieder in jenes gellende, schadenfrohe Gelächter aus, über welches Alle erschraken. Balthasar wendete sich zum Zwerg, betrachtete ihn aufmerksam und sagte dann mit dumpfen Ton: Der Knirps da aus dem Feenreich? O Ihr dummer, ganz unwissender Mann, der Ihr Euch einen Schulmeister nennt und Euch anmaßen wollt, andere, klügere Sterbliche zu unterrichten: die Feen, Elfen, Götter dort sehen gar anders aus als dieses Wurzelgeflecht, das krummgebeinte, höckerbelastete Kürbisgesicht. Da würdet Ihr, ich, und Wirth und Wirthin, auch die Mägde hier im Hause, ja die meisten Menschen auf der Welt nur eine schlechte Figur spielen, kaum der junge Herr dort könnte mit Anstand in die Versammlung treten, so ausbündig herrlich, so himmlisch glänzend, so edel gebildet sind dort Alle, bis auf die niedrigsten Diener hinab.

Blendwerk! schrie der Küster, wenn Ihr dergleichen gesehen habt, Ihr altes Leichenhuhn. Wem die ganze Hölle zu Gebote steht, für den ist es eine Kleinigkeit, sich und seines Gleichen herauszuputzen, um den Augen der Leichtgläubigen etwas vorzumachen.

Nun wagen wir es nicht, fing die Mutter wieder an, die Wiege nur einen Augenblick zu verlassen, damit uns nicht wieder einmal ein fremdes Unthier hineingelegt werde. In der Nacht lösen wir uns ab, Knechte und Mägde, 73 damit immer ein Gesunder munter bleibt, und des Morgens wache ich doch mit Zittern auf, ob ich auch noch mein schönes Kind noch ebenso wiederfinde.

Werden mal die alten Weiber den Küster neinlegen! schrie Hannes stotternd mit einer widerlichen Stimme und lachte laut dabei.

So viel, sagte der Vater verwundert, hat er seit Jahren nicht gesprochen; wir glaubten Anfangs, er würde gar nicht reden lernen. Manchmal ist es auch, als wenn er kein Gehör hätte; man mag sprechen, was man will, auch mit ihm, er merkt nicht darauf, und nach Monaten weiß er doch Alles, so daß man sich vor ihm in Acht nehmen möchte.

Bosheit! nichts als Bosheit! rief der Schulmeister, er hat's hinter den Ohren.

Der Hund war wedelnd durch die Stube gegangen und hatte endlich am Kamin Platz genommen. Jetzt sprang er zwei, drei Mal empor und riß mit dem letzten Sprunge des Schulmeisters Perücke vom Nagel, die alsbald ins Feuer fiel und lichterloh brannte. Der Spitz lief mit dem übrig gebliebenen Zopf unter den Tisch und schien diesen schmatzend zu verzehren, als man aber zusah, war unten an diesen ein großes Stück Wurst gebunden, welches der Hund gewittert und mit seinem letzten Sprunge erobert hatte. Der Schulmeister stand wie versteinert, die dürren Hände über den Kopf vor Schrecken zusammengeschlagen, der Vater suchte nach einem Knüttel, denn es war kein Zweifel, daß der ungeberdige Hannes die verlockende Wurst dem Haarzopfe angebunden hatte. Auch der Schulmeister ergriff jetzt ein Scheit Holz, und die beiden Männer verfolgten schreiend den häßlichen Zwerg. Dieser, der sonst nur langsam hinkte und watschelte, rannte jetzt mit der größten Behendigkeit in den 74 Stall, die Beiden ihm nach, er sprang wie eine Heuschrecke auf Krippe und Raufe, und von dort kletterte er wie eine Katze mit der größten Sicherheit zu den Sparren des Daches hinauf. Er fand eine Luke offen und flüchtete sich auf das Strohdach ins Freie. Der Küster, der ihn durchaus abgestraft haben wollte, rannte hinaus und legte außen eine Leiter an, um ihn einzufangen, indessen der Vater sich mit dem Prügel in der Hand zu dem Sparren hinauf dem ungerathenen Sohne nach quälte, um ihm den Rückweg zu versperren. Schon hatte der Küster das Dach erreicht und haspelte sich im Stroh hinauf, als der Zwerg, unbegreiflich wie, unten stand und plötzlich die lange Feuerleiter vom Hause hinwegriß. Der Vater, neugierig, kroch jetzt mühsam aus der Luke, da er den Küster schreien hörte, schwang er den Prügel heftig, und traf den Schulmeister, ohne es zu wollen, so stark, daß dieser in der Erboßung ebenfalls mit seinem Holze sich vertheidigte. So arbeiteten die beiden Alten schreiend und schimpfend mit Schlägen aufeinander, und der Bucklichte stand unten und lachte so heftig und laut, indem er sich hinten über warf, um das Schauspiel zu genießen, daß er das Gleichgewicht verlor und in den Brunnen stürzte.

Alles erschrak, die auf dem Dache oben Kämpfenden stießen ein lautes Geschrei aus. Aus dem Hause stürzte die Mutter und Athelstan, um zu sehen, welch Unglück geschehen sei. Vom Dache riefen die Beiden herunter, der Zwerg sei in den Brunnen gestürzt. Alle Gefühle gegen ihr unglückliches Kind regten sich im Herzen der Mutter, sie weinte laut und um so heftiger, da sie aus der Tiefe des Brunnens keine Antwort erhielt, als sie hinab gerufen hatte. Die beiden Aeltesten hatten indessen den Weg vom Dache herunter gesucht, und der Küster kroch lamentirend und 75 scheltend auf allen Vieren durch die Luke zurück. Athelstan stand am Brunnen und ließ den Eimer herunter, der bleiche Balthasar war ihm gefolgt, hielt sich aber entfernt, um sich nicht dem Regen, der etwas schwächer geworden war, auszusetzen. Mit aller Anstrengung seiner Stimme schrie Athelstan in die Tiefe hinab, daß sich der Unglückliche in den Eimer setzen möge, wenn er lebe und den Ton vernehme. Jetzt kam der Vater mit einer Laterne herbei und leuchtete hinab. Alles schrie und fragte, aber aus dem Brunnen selbst ließ sich nichts vernehmen. Als das Seil zu Ende war, drehte Athelstan das Rad zurück und beruhigte die Klagenden, weil er eine Last im Eimer fühle. Das wird nur das Wasser seyn, klagte die Mutter. Je mehr Athelstan zog, je schwerer ward die Last. Jetzt stürzte der Vater, der wieder in das Haus getreten war, herbei und schrie: Unser Kind ist weg! Ach! die Unterirdischen, heulte die Mutter, haben es uns am hellen Tage gestohlen! Balthasar und der Vater rannten mit der Mutter in das Haus. Athelstan arbeitete immer eifriger, er durfte seinen Kräften vertrauen, doch ward die Last endlich so groß, daß von der Anstrengung ihm der Schweiß vom Haupte floß, und er nach Beistand rief, um den unnatürlich schweren Brunneneimer aus der Tiefe zu erheben. Jetzt konnte er schon den Zwerg unterscheiden, und der Schulmeister kam auf sein Rufen herbei, ihn zu unterstützen. Das Kind ist da, sprach dieser, die Magd hatte es vorsorglich mit in die Küche genommen, damit es die Unterirdischen nicht stehlen möchten. So wie die Last wuchs, an welcher jetzt beide arbeiteten, um sie herauszuziehen, um so bestimmter konnten die Ziehenden den Zwerg unterscheiden, der ganz wohlgemuth und guter Dinge zu seyn schien. Athelstan beugte sich jetzt mit dem ganzen Leibe hinüber, um dem Ungestalten die Hand zu reichen, daß er 76 auf die nur niedrige Lehne des Brunnen steigen könne. Hannes sah seine Befreier mit einem grinsenden Lächeln an, sprang im heftigen Schwunge auf den Brunnenrand, gab seinem Erlöser Athelstan, der noch weit übergebeugt stand, im Aufspringen einen heftigen Stoß und rannte laut lachend, ohne sich umzusehen, in das Haus hinein. Der Schulmeister stand jetzt händeringend und laut schreiend an dem Brunnen, rief hinab, stampfte mit den Füßen und schalt auf den Unhold, denn dieser hatte gewandt seinen Befreier, der nichts argwohnte, in die Tiefe geworfen.

Der Küster ließ den Eimer wieder hinab rollen, aber er war zu schwach, den Jüngling heraufzuarbeiten. Der Wirth kam herbei und mit seiner Hülfe gelang es, das aufwindende Rad in schnellere Bewegung zu setzen. Wir hätten das Ungeheuer nur sollen ersaufen lassen, sagte der Küster während der Arbeit, da das Schicksal selbst ihn einmal in das Wasser gestürzt hatte. Wir Menschen sind zu gut und hülfreich, das hat der Junker entgelten müssen, der nun wenigstens durchnäßt ist, und dessen Kleider verdorben sind. Meine Perücke ist vom Feuer verzehrt, Ihr, Matthes, habt mir da oben auf dem Dache einen tüchtigen Schlag beigebracht, und so ist von diesem Krüppel Unheil durch Unheil hervorgebracht.

Jetzt sprang Athelstan leicht aus dem Eimer und dankte den Helfenden, die ihn aus der Tiefe heraufgefördert hatten. Er ging mit ihnen in das Haus und legte sich in ein Bett, damit seine Kleider getrocknet werden konnten.

Als er wieder aufstand, war das Wetter heller geworden, und der blasse Balthasar hatte sich nach seiner Heimath gewendet. Der Küster sagte: Diesem Manne haben die Unterirdischen auch einen Theil seiner Seele gestohlen; das ist im 77 Grunde ein dummer Tiefsinn, über welchen der Unglückselige immerdar brütet.

Tiefsinn? sagte Hannes, indem er aus seinem Winkel hervorkam.

Ja, Zwerg, antwortete der Küster und sah ihn verachtend von der Seite über die Schulter an; warum mengt sich das Ungethüm in das Gespräch vernünftiger Menschen? Kann er nicht mit den Kälbern und Stieren draußen seine Conversation führen? Besser noch mit Dornen, Disteln und stachlichtem Unkraut im Felde, mit dem giftigen Binsengewächs, welches die Menschen wahnwitzig macht. Was geht den Klotz die Tiefe der Betrachtung an, in welche der unsterbliche Geist hinabsteigt?

'Neingefallen in die Tiefe ist der blanke Junker! rief Hannes, und ich war auch unten. – Will die Kälber besuchen – besser blöken und singen können die, wie Küster.

Er ging fröhlich hinaus, und die Eltern wunderten sich, daß ihrem mißgeformten Sohne seit heut die Zunge wie durch ein Wunder gelöset sei, denn er hatte bis dahin immer nur einzelne, unzusammenhängende thierische Töne hervorgestoßen, niemals aber Worte hervorgebracht. Der Küster sagte: Die Allmacht ist groß und läßt sich nichts vorschreiben. Haben doch auch zu Zeiten Bilder von Holz und Stein gesprochen; vielleicht wird er noch ein Mensch, aber es wäre auf alle Weise besser, daß ihn die Unterirdischen wieder in ihr Reich abholen, da unten ist jedenfalls so etwas besser zu gebrauchen.

Man setzte sich zum Abendessen nieder, und Athelstan war so fröhlich, daß er Alle erheitern, selbst den Küster über den Verlust seines Haarschmuckes trösten konnte. Er beschenkte den Alten und nahm am Morgen von seinen 78 freundlichen Wirthen Abschied, denen er ebenfalls Gelegenheit gegeben hatte, seine Großmuth zu rühmen.

Die Sonne schien wieder auf die Gebirge herab. Athelstan fühlte sich, jetzt ganz einsam, so glücklich, so übermüthig und stark in allen seinen Kräften, wie er es noch nie erlebt, wie er es selbst in seiner träumenden Ahndung nicht für möglich gehalten hatte. So lange er auf der Höhe war, übernachtete er in einzelnen Hütten, bei Hirten, die ihm von ihrer Beschäftigung erzählten; zuweilen fand er die kleinen Häuser ganz verlassen, dann richtete er sich ein, suchte Lebensmittel und ließ Geld auf dem alten Tische zurück. Als er sich wieder in die niedrigern, schönern und wärmern Gegenden begab, verschmähte er es nicht, die Nacht im Walde zuzubringen, oder auf einer Felsenbank im Schein des Vollmondes zu ruhn und von dort dem Spiel des Lichtes auf den Wellen des Flusses tief unter ihm zuzusehn. Dann lebte er wieder in den Dörfern unter Bauern, oder auf Meierhöfen; mit den Förstern ging er auf die Jagd und lernte die Wildbahnen kennen; von Jedermann war er geliebt, da er immer freundlich und dienstlich war. Die Ebene vermied er, um nicht die Kunde von sich zu verbreiten, die dann wohl bis in seine Heimath reichen konnte.

Der Sommer war auf diese Weise durchschwärmt, und durch die Freundschaft, die ein junger Edelmann, den er auf der Jagd hatte kennen lernen, mit ihm verband, gerieth er auf jenes Schloß, in welchem der Besessene lebte, von welchem der Küster früher schon erzählt hatte. Dieser Besessene, wie ihn Alle nannten, war der Oheim des jungen Mannes, dessen Vater dem reisenden, poetischen Athelstan mit vieler Güte entgegenkam.

Auf dem Schlosse des alten Ritters fand der dichterische Jüngling zu seinem Erstaunen alte Bekannte wieder, den 79 Küster nehmlich und den mißgestalten Hannes. Es waren seitdem mehr als zwei Monate verflossen, als er die Beiden oben in der einsamen Bergschenke hatte kennen lernen, und hier bei dem Freiherrn Brandenfels erfuhr Athelstan erst, wovon das Land umher schon seit einer Woche erfüllt war.

Der Freiherr sagte nehmlich, nachdem sie vom Mittagsessen aufgestanden waren: Ihr kommt zu einer wunderbaren Begebenheit in mein Schloß, im Saale nehmlich wird Verhör gehalten. Der Abt vom nahen Kloster und ein Weltpriester sind zugegen, um die Anklage gegen einen Küster zu vernehmen, der bisher für einen unbescholtenen Mann gegolten hat.

Sie traten ein, im Saale fand sich ein ehrwürdiger Greis, der Abt nehmlich, von dem gesprochen war, ein Weltpriester, der armselig und unbedeutend aussah, und der Bruder des Gutsherrn, der Besessene, der gerade seine gute Stunde hatte und ganz verständig sprach. Der Ritter Brandenfels sagte: Morgen erwarten wir noch einen eigentlichen Hexenrichter, der mit Processen der Art noch mehr Bescheid weiß, wie unser lieber Abt, indessen soll von diesen geistlichen Herrn doch der Anfang eingeleitet werden. Ein Wunder nehmlich hat sich in unsrer Provinz ereignet. Droben auf dem Gebirge – man kann bei ganz hellem Wetter das Haus von hier unten unterscheiden – lebte seit dreizehn oder vierzehn Jahren ein Zwerg, der immerdar stumm schien, auch taub, und der jetzt so geläufig wie ein Procurator redet.

Man setzte sich und der Besessene sagte: Ja wohl geschehen noch Wunder. Der gute Küster hat uns oft besucht, und hat dem Herrn Pfarrer dort beschwören helfen, wenn ich von dem bösen Feinde zu leiden hatte.

Freilich, sagte der bedächtige Pfarrer, wie oft habe ich 80 nicht an Euch gearbeitet, Herr Ritter; Ihr wißt es, immer vergeblich, denn der Feind war uns zu stark. Aber ganz natürlich, wenn mein Hülfreich, ein Küster, wie man jetzt fast glauben muß, selbst nichts Besseres als ein Teufel ist.

Der Abt strich seinen langen weißen Bart und sagte: Meine Freunde, junge sowohl als alte! die Sache ist noch nicht ganz klar und evident, und ein geistlicher Mann, wie der Küster einen vorstellt, muß erst nach allen seinen Rechten vernommen und verstanden werden, auch ist die Präsumtion für ihn, daß er am wenigsten mit Teufeln in Verbindung geräth, da er zwei Drittheile seines Lebens in der Kirche und mit heiligen Functionen zubringt.

Die Thür öffnete sich und mit Wächtern trat der Küster herein, und bald darauf in anständigen Kleidern und mit einem ganz ehrbaren Wesen der krüppelhafte seltsame Hannes. Der Küster verbeugte sich zitternd vor dem Abte und sagte dann erfreut: Ach, lieber Junker! Ihr seid da? Vielleicht könnt Ihr mir aus meiner Schmach helfen, in welche mich das Scheusal da gebracht hat, das Euch damals in den Brunnen stieß.

Hier wird fürs Erste nicht geschimpft, sprach der Abt, fürs Zweite spricht man nur, wenn man gefragt wird, und ich denke, man wird mit der eignen Verantwortung genug zu thun haben.

Man setzte sich und der krummbeinige Hannes neigte sich gegen die Richter und sagte dann: Daß mir die Zunge gelöst ist, auf wunderbare Weise, das ist im Lande bekannt. Das geschah durch göttliche Einwirkung. Wie ich aber die Sprache verlor und so verzaubert wurde, wie ich mich gegenwärtig immer noch befinde, das geschah durch höllische, satanische Kniffe und Künste, und wie dies zugegangen ist, weiß man noch nicht, weil ich bis dahin der Rede nicht fähig war, 81 auch die Besinnung und Erinnerung ebenso, wie meine geraden Beine, die Schönheit meines Angesichts, den edlen Wuchs, den reizenden Ausdruck meiner Mienen, kurz, alles Einnehmende schon seit Jahren verloren hatte. –

Verehrte Männer, stammelte der Küster, sieht man nicht deutlich, daß der Unflath ein Kobold ist? Kann ein Kind von eilf Jahren so reden?

Ihr hättet Recht, Ihr Schalk, antwortete Hannes, wenn der Himmel nicht an mir ein Wunder hätte offenbaren wollen, um das Reich der Gespenster zu vernichten und die Hexen zu verderben. Ich fahre also fort. – Ich war schon getauft, und war, wie ich schon bemerkte, und wie meine Familie es bezeugen kann, ein sehr schöner Knabe. Die Mutter hatte mir eben noch die Brust gegeben, und ich befand mich in jenem anmuthigen Zustand, der den Sterblichen so behaglich ist, gesättigt, aber nicht übersatt, nicht schlafend, doch im Uebergang zum leichten Schlummer. In dieser süßen Abwesenheit erwachen dem Menschen die besten und klügsten Gedanken, aber er weiß es noch nicht: der Geist fabricirt sie spielend und phantasirend in der geheimsten Werkstätte, und so freute ich mich schon im Voraus, was mir alles Gescheidtes und Merkwürdiges beifallen würde, wenn ich erst meine dreißig Jahre auf dem Buckel haben würde. Auch war ich schon eitel, wie schön ich mich aus der lieblichen Knospe, die ich jetzt war, herauswachsen würde. Summa Summarum, mir war so recht kregel zu Muthe, so was man hundewohl nennen könnte.

Athelstan konnte sich nicht entbrechen, auszurufen: Herr Abt! Ist dies nicht ein Spuk, ein Gespenst, welches redet? Mir scheint der arme Küster Hülfreich mit Unrecht angeklagt, denn er spricht schlicht und einfach.

Und dumm! rief Hannes. Soll das ein Kennzeichen 82 der ächten Menschheit seyn, wenn ein Kerl ein Simplex ist? Schöne Empfehlungen für den unsterblichen Geist.

Der Abt strich sich wieder den langen weißen Bart und sagte bedächtlich: Durch ein Wunder ist der stumme Knabe ein Redner geworden und spricht, so wie ihm die Zunge nur frei wurde, wie ein Buch: unbegreiflich freilich, wenn es kein Wunder wäre, da es aber ein Wunder ist, so muß nothsächlich Alles bei ihm jetzt unbegreiflich seyn, sonst verdiente er gar keinen Glauben. Auch denuncirt er das Höllenreich, und aus dem Munde des Unmündigen will sich der Ewige, wie er selber spricht, Lob zubereiten.

Der Besessene nahm das Wort: Erlaubt mir, meine Herren, daß ich etwas aus der Schule schwatze. Da der Teufel so oft leibhaftig in meinem Leibe steckt, so muß ich endlich wohl mit derlei curiosen Geschichten etwas Bescheid wissen. Ich war immer ein schlichter frommer Mann und seit meiner Besessenheit inclinire ich zum gottlosen Wesen. Mein Bruder weiß, daß ich von Jugend auf auf gewisse Weise dumm war: so wie der Teufel in mich fährt, bin ich witzig, wie die Leute sagen. Ich bin von Natur sanft, aber dann tobe ich und brauche vielerlei seltsame Flüche. Ein andermal rede ich tiefsinnige Sachen und erlaube mir Zweifel über die beliebtesten Sätze unserer Religion. Manchmal habe ich schon fremde Sprachen geredet. Jetzt habe ich Respect vor dem Herrn Pfarrer und noch mehr vor diesem ehrwürdigen Abt: kommt nun die Besessenheit über mich, so lache ich über diese trefflichen Geistlichen, denn sie kommen mir ganz komisch vor. Ja, der Schwarze handthiert manchmal so in mir herum und klettert wie eine Katze durch alle Stockwerke meines innern Wesens, daß mir Leben, Essen und Trinken, Schlafen und Wachen, Berg und Wasser, und was man von Hölle und Himmel, Geist und Element aussagt 83 und fabelt, ohne allen wahren Zusammenhang erscheint, und ich mir in dieser Verblendung vornehme, Alles neu zu untersuchen und durchzudenken. Läßt mich dann Beelzebub plötzlich los, so bin ich wieder ein vernünftiger Mensch wie jetzt, und weder Zweifel stören mich, noch andere Gedanken beunruhigen mich. Ich wollte also nur sagen, wenn der böse Geist gewissermaßen an mir solche Wunder thut, der doch nur, gegen den Himmel gehalten, der schwächere Geist ist, so muß der Himmel in dem scheinbaren Zwerge, in welchem eigentlich innerlich ein schönes Kind steckt, noch weit mehr thun können, und ich sehe gar keinen Grund, warum wir uns verwundern sollten.

Athelstan hatte aufmerksam zugehört, diese Schlußfolge und Nutzanwendung schien ihm aber gar keinen Zusammenhang zu haben, er schüttelte bedenklich mit dem Kopfe, der Abt aber sagte: Sehr richtig beobachtet und klar auseinandergesetzt. Der Knabe Johannes oder Hannes fahre nun weiter fort.

Hannes räusperte sich und sprach: Ich lag also beschriebner Maßen in meiner Wiege, und die Mutter schien zu schlafen. Mit meinem prophetischen Blick sah ich in das Abendroth, das so appetitlich in unsere Stube herein schimmerte, denn es sah aus wie eine schöne Weinsuppe von rothem Wein, die in einer vergüldeten Schüssel schwimmt, wie die, Junker Athelstan, die Ihr letzt genoßt, nur aßet Ihr sie aus einem zinnernen Teller. Da kam ein Haufe gespenstischer alter Weiber, kleiner Unterirdischen, in die Stube, eine lange dürre Bohnenstange mit kahlem Kopfe unter ihnen, dieser Küster Hülfreich, den sie aber nicht so nannten, sondern er ist von den Gespenstern bei seiner Geburt, da sie alle Gebräuche unserer heiligen Religion 84 nachäffen, Langmichel Grinsemaul getauft worden. Müßt Ihr es nicht eingestehn, Michel?

Der arme Küster kreuzigte sich vor Erstaunen und Schmerz, er konnte jetzt kein Wort hervorbringen, und der Zwerg fuhr fort: Die fatale Gesellschaft trat zu meiner Wiege, und Alle sahen mich mit ihren grünen Katzenaugen an, Langmichel Grinsemaul aber sagte mit boshafter Feierlichkeit: seht, meine unterirdischen Spielgenossen, ihr meine Verbündeten zum Bösen und zum Verderben der Menschheit, da liegt nun das Wunderkind, Johannes getauft, mit seinem Familiennamen Püstrich genannt. Das Schicksal hat beschlossen, den allerschönsten Mann, den allerweisesten aus ihm zu formen, vorzüglich aber soll er ein Pfeiler der Kirche werden. Darum wollen wir ihn jetzt durch unsere Zauberkünste in einen Unhold verwandeln; er muß bucklicht und krummbeinig werden, damit man ihn niemals zu einem Dechanten, oder gar zu einem Abt erwähle, er soll ein höchst widerwärtiges Angesicht erhalten, damit er keinem Menschen gefalle, und soll dabei stumm und taub werden, damit er unser Geheimniß nicht verrathe. Das geschah denn auch Alles, und so hat sich diese Geschichte zugetragen, und nicht auf die Weise, wie sie meine gute Mutter vorzutragen pflegt, die sich einbilden möchte, daß ich ein sogenannter Wechselbalg sei. Nun war ich mitunter sehr verdrüßlich, daß man mir Beine und Maul so verdreht hatte, und ich wünschte oft und flehte zum Himmel, daß ich aus der Haut fahren könnte und dürfte. Das wurde mir versagt, aber vor kurzem hatte ich in der Nacht eine Erscheinung, und da wurde mir die Zunge gelöst, und mein Verstand, der bis dahin auch ein Zwerg gewesen war, gerieth in ein plötzliches Wachsen, und so bin ich nun heut zu Tage der, der ich bin, und klage den sogenannten Küster, der aber ein eigentlicher Unterirdischer und Kobold ist, an, 85 peinlich und criminell, daß man den Unhold so bald als möglich zum Scheiterhaufen verurtheile.

So wird es wohl kommen müssen, sagte der Abt ganz gelassen, und der ruhige nachsprechende Pfarrer gab auch seine Meinung dahin ab. Der Besessene stand auf und betrachtete den zitternden Küster in der Nähe und sagte: Natürlich haben bei solchem Küster und Sakristan die Beschwörungen des Herrn Pfarrers nichts Sonderliches an mir fruchten können.

Der weinende Küster vertheidigte sich, so gut er es vermochte, doch fanden seine Gründe nur wenig Eingang, weil das Vorurtheil schon gegen ihn war. Er erzählte von seiner Familie und Auferziehung, von dem Kloster, in welchem er unter der Leitung der frömmsten Männer seine Studien gemacht habe, wie lange er den gegenwärtigen Pfarrer schon kenne und von diesem wie von seiner ganzen Gemeine immer als ein ächter Christ sei anerkannt worden. Nun schilderte er die unnatürliche Bildung des Zwerges, wie eine so ausdrückliche Häßlichkeit doch wie ein Fingerzeig des Himmels zu betrachten sei, wie dieser Kobold, denn das sei er gewiß, schon früh einen Haß auf ihn geworfen habe, weil er ihn immer Wechselbalg genannt und als solchen erkannt habe, er habe auch gefürchtet, daß er, der Küster, einmal das Ungeheuer beim geistlichen Gerichte anklagen würde, denn Alles, was er begangen, sei Bosheit oder Schalksnarrenposse gewesen, wie Eltern, Bekannte und Jeder bezeugen müsse, der die Schenke gekannt und besucht habe. Nun solle dieser garstige Zwerg plötzlich ein ächter Mensch, er, der alte Geistliche, aber ein Unhold seyn. Daß der Boshafte jetzt so geläufig rede, beweise nur, daß er sich bis dahin aus Tücke taub und stumm angestellt habe, oder daß ihm die Rede durch Zauberei gekommen sei. Das Letzte müsse man glauben, 86 denn sei selbst die stumme Zunge durch ein Wunder gelöset, so würde sie doch mindestens wie die eines zwölfjährigen Knaben sprechen müssen, nicht aber wie das Organ eines alten erfahrenen Mannes.

Da Abt, Priester und Besessener ungläubig die Köpfe schüttelten, konnte sich Athelstan, dem der Küster ein inniges Mitleid einflößte, nicht länger zurückhalten, er erhub sich und erzählte, wie vielen Spuk und Schabernak der ungestalte Zwerg nur an dem Tage, an welchem er ein Bewohner der Schenke gewesen sei, angestiftet habe, wie boshaft er sich erwiesen, und wie, wenn man irgend Kobolde annehmen könne oder wolle, dieser seltsame Hannes sich am besten zu einem solchen qualificire, er, der ganz lahm sei und doch schneller wie Andere zum Dach hinauf und von dort hinunterklettern könne, der, so klein er erscheine, im Brunneneimer sich so ungeheuer schwer erwiesen habe, daß Athelstans Kräfte nicht hingereicht hätten, ihn heraufzuziehen, daß er endlich jetzt, obgleich er Knabe sei, nicht nur zusammenhängend, sondern klüger spreche, wie sie Alle, er der stammelnde Blödsinnige.

Gemach! rief Hannes, daß Ihr den Zauberküster vertheidigt, ist natürlich, denn Ihr seid ja unterwegs, die Zunft der Unterirdischen und Feen aufzusuchen, Ihr seid ja deshalb Euern Eltern entlaufen, Ihr wollt Euch ja der Magie und allen übernatürlichen Kräften weihen und gäbt viel Geld darum, wenn Ihr nur das Mauseloch im Berge finden könntet, um in die Zunft der Gefeiten zu gerathen. Ihr müßt freilich Langmichel Grinsemaul vertheidigen, denn Ihr seid von demselben Gelichter.

Athelstan war so verlegen und erschrocken, daß er, mit glühender Röthe und Todtenblässe wechselnd, keine Antwort hervorbringen konnte. Er stand auf, zitterte aber so heftig, daß er sich wieder niedersetzen mußte, so hatte ihn der 87 Schreck, daß dieser Zwerg um ihn und seine Flucht aus dem väterlichen Hause zu wissen schien, erschüttert. Nach diesen Anzeichen verlangte der Abt, der Herr des Hauses solle den jungen Mann in irgend eine sichere Stube seines Hauses verschließen, um ihn dem Hexen- und Ketzerrichter, welcher morgen ankomme, vor Gericht zu stellen. Der Freiherr mußte dem Verlangen nachgeben, und so sah sich Athelstan zu seinem innigsten Verdruß in diesen aberwitzigen Handel verwickelt und mußte fürchten, das Gelindeste, was ihm geschehen könne, würde seine Auslieferung an seinen Vater seyn.

Um Mitternacht öffnete sich die Thür seines verschlossenen Zimmers, und Eduard, der Sohn des Freiherrn, trat herein. Ich kenne Dich nicht näher, sagte der freundliche Jüngling, aber Du sollst durch den Unsinn dieses Zwerges nicht leiden. Folge mir, daß ich Dich aus der Burg geleite und Dich auf jene Fußpfade führe, die Dich in den sichern Wald geleiten.

Athelstan folgte dem freundlichen Jüngling, und die beiden jungen Leute umarmten sich herzlich, als sie sich trennten. Im tiefen ruhigen Walde ließ sich Athelstan, als die Sonne heraufgekommen war, an einer schönen Stelle nieder und genoß von dem süßen Wein und den Gerichten, die ihm Eduard zur Stärkung mitgegeben hatte. Die grüne Natur, das Rauschen der Bäume erfreuten sein Herz um so inniger, als ihm noch jener Aberwitz in den Ohren klang, den er kürzlich hatte anhören müssen. Frohgemuth und singend wanderte er über die frischen Berglehnen hin, von denen er von Zeit zu Zeit den Ausblick auf die schönen Felsen hatte, die sich ihm bald rechts, bald links in aller Herrlichkeit offenbarten.

Es war am Abend des folgenden Tages, als Athelstan 88 vom röthlichen Himmel herab und durch die lauen Winde angehaucht, ein Entzücken über sich kommen fühlte, als wenn ein Wesen mit großen Zauberfittigen zu ihm heranrausche, um ihn der süßesten Wunder theilhaftig zu machen. Als er sich umsah, stand er wieder vor jener schönen, alten, blätterreichen Linde, wieder murmelte der klare Bach vom Hügel herunter, er setzte sich wieder auf den Rasen, wo er vor einigen Wochen sich vom Köhlerbuben Gottfried so Manches hatte erzählen lassen. Er breitete die Arme in seligen Gefühlen den unsichtbaren Geistern entgegen, die ihn zu umschweben schienen. Da ertönte ein so wundersamer Ton, ein so liebliches süßes Klingen, wie er noch niemals vernommen hatte, und sein tiefstes Herz erzitterte. Er stand auf, trat an die Ecke des Hügels, und vom höhern Walde hinab glänzte und spielte durch das grüne Laub ein Lichtschein, der näher funkelte, indessen die süßen Töne lauter musicirten.

Plötzlich trat ein Zug aus dem dämmernden Waldschatten in die Abendröthe. Voran zog auf weißem Zelter, der mit Purpurdecken, mit goldnen Blumen durchwirkt, behangen war, eine weibliche Gestalt, so schön und glänzend, daß Purpur, Gold und das Funkeln des Abends vor ihrem leuchtenden Schein erblaßte. Ihr folgten Jünglinge und Mädchen, alle zu Roß, alle schön, alle überirdisch. Manche hielten gewundene, künstlich gearbeitete goldene Hörner an den Mund, aus welchen diese Wundermelodien quollen. Das ist die Jagd der himmlischen Gloriana! sagte Athelstan zu sich selbst und trat noch mehr aus den Weg hinaus. Jetzt kamen sie näher. Gloriana sah in ihrer Herrlichkeit mit feuchtem Glanzblick und lächelndem Mund auf den entzückten Jüngling nieder. Gegen die Röthe dieser Lippen dünkten ihm des Rubines Flammen matt und bleich, der Blick der Göttin drang durch sein Auge in sein Herz, er richtete sich 89 hoch auf, und seiner selbst nicht mehr bewußt, umarmte er Gloriana und drückte einen langen innigen Kuß auf ihren Mund.

Der Zug stand still, die Musik verstummte, mit Hülfe Athelstan's stieg Gloriana von ihrem Zelter.

Das hat noch kein Sterblicher gewagt, sagte sie mit bewegter Stimme. Manchen habe ich wohl angelächelt, Mancher hat am Wege gekniet, und Alle, wenn auch nur mein scheidender Blick sie streifte, sind durch mich glücklich geworden. Aber Du! Mir einen Kuß auf meinen Mund zu drücken! Du weißt es wohl nicht, Sterblicher, schöner Jüngling, daß Du mir dadurch auf immerdar und unbedingt als mein Diener, mein Ergebner, mein Gemahl zugehörst?

Will ich etwas Anderes? erwiederte Athelstan; diese Erfüllung fliegt noch über meine kühnsten Wünsche hinaus.

Der grüne Berg stand weit offen, drinnen schimmerten in Wunderpracht die weiten Säle, Alle neigten sich vor Athelstan als ihrem Herrn, und von der weißen Hand der schönen Gloriana geführt trat der Jüngling in den Hügel hinein, der sich alsbald, als er Alle aufgenommen hatte, wieder verschloß.



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