Ludwig Tieck
Das alte Buch und die Reise ins Blaue hinein
Ludwig Tieck

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Nun aber werde ich wieder Einiges von mir selbst, nehmlich von mir Gottlieb Beeskow, einschalten. Jener junge dumme Jäger kam zu meinem Küster zurück (auch in meinem abgeschriebenen Gedicht heißt zdumm, tumm jung, ein Beweis, daß Vieles darin alt ist) und trieb Unfug über Unfug. Ich war auf einem Spaziergang, und er riß das alte Buch von meinem Schreibetisch weg, steckte es ein und lief damit in den Wald, der Schulmeister mochte protestiren, so viel er wollte. Als er wiederkam und ich ihn mit einiger Heftigkeit 90 zur Rede stellte, meinte er, er hätte den Küster nicht verstanden, weil dieser undeutlich spreche und oft zu sehr stammle und daher nicht gewußt, daß das Manuscript jetzt mein Eigenthum sei, indem ich es für baares Geld erkauft habe. Außerdem habe er nothwendig Patronen machen müssen, um auf die Jagd gehen zu können, und von seinem Standpunkt oben nach allen Richtungen schnell zu schießen, und er habe nirgend anderes Papier angetroffen. Der Küster wurde auch eifrig, ich war verdrüßlich und der junge liberale Jäger, seiner Bestimmung nach, grob. Er schien große Lust zu haben, mich noch obenein auf Pistolen zu fordern und mich selbst zum Beschluß des Spaßes todtzuschießen. Wie so viele Menschen, die nicht wissen, was Ehre ist, sprach er unaufhörlich von seiner verletzten Ehre. Ich erhielt endlich das von neuem verstümmelte Buch von ihm zurück, ich dankte ihm dafür, und auch, daß er sich nicht an meiner neuen Abschrift und Ueberarbeitung vergriffen hatte. Auf den Antrag, oben auf dem Berge aus den Gebüschen die einzelnen verschossenen Patronen und Papierstreifen wieder zusammenzusuchen, nahm ich keine Rücksicht, weil ich dachte, daß ich das Fehlende so gut wie manches Vorige aus meinem eignen Ingenio ersetzen könne. So verließ ich den alten Schulmeister, meinen bisherigen Wirth, und stieg wieder wohlgemuth nach dem kleinen Städtchen, meinem lieben Capellenburg, hinunter, wo ich denn auch am folgenden Tage gegen Mittag gesund und fröhlich anlangte und mein Zimmer im Hause des Bürgermeisters wieder bezog.

Bei Tische war der Bürgermeister nicht zugegen. Alle schienen verstimmt, die Frau sagte mir, ihr Gemahl sei unwohl. Es ward wenig gesprochen, denn auch die Kinder schienen traurig, Fremde waren nicht zugegen. Ich mußte glauben und fürchten, daß das Haus seinem Untergange 91 nahe sei, daß auswärtige Bankerutte vielleicht den Sturz der hiesigen Handlung veranlaßten. Nach aufgehobener Tafel ging ich eilig zum Herrn des Hauses hinüber. Er saß in seinem Lehnstuhl und las. Freundlich empfing er mich, und als ich ihm die traurige Verstimmung seiner Familie und meine Besorgnisse mittheilte, ließ er mich ruhig aussprechen und blieb ganz gelassen. Darüber kann ich Sie beruhigen, sagte er dann, unsere Geschäfte sind überhaupt von der Art, wir sind so wenig mit auswärtigen Häusern verwickelt, daß ein solches Unglück unser Städtchen nicht leicht betreffen kann. Nein, es ist ein häuslicher Verdruß, der mich accablirt, und der mir mein ganzes Leben verbittern wird. Sie hatten wohl Recht, als Sie uns neulich die gutgemeinte Oration hielten, daß in der unglückseligen Butter ein böser Geist, ein Geist der Widerspenstigkeit und des Aufruhrs, ein Gelüst zur Empörung sich entwickelt. Sie wissen, daß wir jetzt selbst Butter machen, sie ist schmackhaft und vortrefflich, meine Frau führt selbst die Aufsicht darüber, und so wie sie resolut in allen Dingen ist, deren sie sich annimmt, so versteht es sich von selbst, daß das Erzeugniß nicht schlecht, sondern ungemein vorzüglich sich zeigt. Diese Neuerung ist nun in unserm Städtchen Mode geworden, alle Hausfrauen haben Kuhwirthschaft und eigne Milch und Butter; allenthalben gut und reinlich, wie sich das annehmen läßt. Ob die Butter in dieser, in jener Familie besser sei, ist schwer zu entscheiden. Nun hat sich aber bei uns über diesen Gegenstand ein wahrer Fanatismus gebildet, der mir, in meiner Nähe entstanden und ausgewachsen, Alles erklärt, was ich ehemals nicht in der Geschichte der Religionsstreitigkeiten begreifen konnte. Jede Hausfrau in der Stadt verlangt nun, man solle nicht nur ihre Butter für die beste anerkennen, sondern für die einzige, die der andern Familien erklärt sie nicht nur 92 für schlecht, sondern für abscheulich, schmutzig, ekelhaft; und wie Jede es mit Gewalt durchsetzt, daß man von der ihrigen genießt und viel genießt, so nennt sie jeden ihren Feind, der von dem Product eines andern Hauses auch nur kostet. Darüber ist nun Zank und Zwietracht in allen Familien. Der Commerzienrath, dessen Sohn meine Aelteste heirathen soll, war neulich mit der Familie bei uns. Als zum Beschluß der Mahlzeit die schöne, frische Butter aufgesetzt wurde, sah ich, wie die Räthin dem Manne und der Tochter bedeutend zuwinkte, der Sohn, der Verlobte, war auf Reisen und nicht zugegen. Meine Frau nöthigte zur Butter, aber Räthin, Mann und Tochter dankten, anfangs höflich, nachher aber, als meine gute Frau immer zudringlicher, endlich sogar heftig wurde, versagten jene auch mit zunehmender Empfindlichkeit und erklärten zuletzt, sie könnten es unmöglich über sich gewinnen, anderswo als im eignen Hause ein Product, welches so viele Aufmerksamkeit und Reinlichkeit erfordere, zu genießen. In der Bosheit aß meine Frau desto mehr, und wir, die Familie, mußten des Hausfriedens wegen ihr nicht nachstehn, so daß wir uns Alle nachher unwohl befanden. Nachher waren wir bei dem Commerzienrath. Meine Frau hätte uns gern einen Eid abgenommen, Gleiches mit Gleichem zu erwiedern, und dort bei den hochmüthigen Leuten ihre Butter keines Blickes zu würdigen. Es war eine Scene, fast wie die, als Hamilkar den Hannibal seinen ewigen Haß gegen Rom beschwören läßt. Als wir dort eintraten, war alles Freundlichkeit und Liebe, man schien gegen uns so zuvorkommend, wie noch niemals. So ging es auch bis zum Nachtisch, und wir waren Alle ganz kordial geworden. Nun wandelte sich aber die Scene, als die Butter, und zwar eine ganz vortreffliche, auf den Tisch gesetzt wurde. Die Hausfrau wurde noch zehnmal freundlicher und liebevoller, aber 93 die meinige machte so ernste und verschmähende Mienen, daß ich zitternd erbangte. Des Nöthigens der Räthin war kein Ende, und ich, der ich nicht unhöflich seyn wollte und die Unartigkeit meiner Frau wieder gut zu machen suchte, aß von der Butter, und da meine Brigitte vollends eine Uebelkeit affectirte, immer mehr und immer hastiger. Endlich schien es gar, meine Frau fiel in Ohnmacht, und die Töchter führten sie in ein anderes Zimmer. Meine Angst erreichte den höchsten Grad, und ich verspeiste so viel Butterschnitte, daß ich schon bei Tisch die Indigestion verspürte. Zu Hause gab es nun großen Lärm, Zank, Bitterkeit, Haß, alles bis zur Wuth und Verzweiflung gesteigert. Es war von nichts Geringerm die Rede, als daß man sich von allen Gesellschaften zurückziehn, und allen Umgang im Städtchen aufheben wolle.

So der Bürgermeister. Alles dies erschien mir furchtbar. Ich dachte, auf welchen Wegen man dieser so revolutionairen Butter entgegenarbeiten könne, und ging nach Mittag in das ganz nahe liegende Haus des Commerzienrathes. Ich fragte nach dem Sohne, der seit vorgestern von seiner Geschäftsreise zurückgekommen war. Es hieß, er sei krank, und ich fand ihn wirklich im Bette liegen. Wie geht's Ihnen, lieber Ferdinand? fragte ich besorgt; woran leiden Sie?

Ach! seufzte der blasse Jüngling, wie wohl ist mir, daß ich Ihr freundliches Angesicht wieder sehe! Setzen Sie sich zu mir und lassen Sie uns etwas schwatzen.

Ich erfüllte seinen Wunsch, und da ich ihn so krank sah, bezeigte ich ihm mein Mitleid. Es ist, fing er an, traurig, aber auch zugleich lächerlich, und Sie, der Sie in einer großen Stadt leben, werden das Komische der Sache um so lebhafter empfinden, wenn ich gleich darunter leide. Bald nach Ihrer Abreise von hier begab ich mich in Geschäften meines Hauses mit dem Herrn Wandel, der auch in 94 Handels-Absichten reisete, in das Gebirge unsers Nachbarlandes hinein. Schon vorher war, wie Sie ebenfalls wissen, eine Buttercultur, eine Verfeinerung der Sitten und des Geschmacks hier eingerissen. Wohin wir kamen, waren unsre Handelsfreunde sehr wohlwollend, und der dicke Wandel ließ sich die gute Aufnahme allenthalben sehr gut gefallen. Ich, arglos wie ich bin, war vergnügt und freute mich, daß ich hier und dort für das Haus meines Vaters einen vortheilhaften Contract abschließen konnte. Diese Wochen, in denen ich mich im Freien so arglos umtrieb und dabei für meine Familie in der Fröhlichkeit etwas Nützliches ausrichten konnte, gehören zu den glücklichsten meines Lebens, die Aussicht so nahe vor mir, meine mich liebende Braut wieder zu sehn, wenn ich zurück kam, und sie bald zu meiner Frau zu machen. So komme ich mit dem dicken Duckmäuser, dem Wandel, wieder hier an. So wie wir zu Tische uns setzen, examinirt mich meine Frau Mutter hin und her, dies und jenes, und als wir bald wieder vom Tische uns erheben wollen und noch mit der Butter und dem Käse beschließen, fragt sie mich, ob ich auch unterwegs von dem abscheulichen ekelhaften Zeuge irgendwo etwas genossen habe, das man dort frech genug mit dem Namen der Butter gegen alles Gewissen und alle Religion belege. Ich mußte über diese Frage und die Feierlichkeit, mit der sie an mich gethan wurde, laut lachen, und sagte, so viel ich mich erinnern könnte, hätte ich bei den Handelsfreunden gute und mittelmäßige Butter genossen, oder auch, wenn ich schon gesättigt war, stehn lassen. Ist es wahr? fragte meine Mutter den albernen Wandel. Wie es kam, antwortete dieser; mein junger Freund scheint mir überhaupt in diesem Punkt sehr freigeistig, denn er hat selbst in Wirthshäusern die Butter nicht verschmäht.

Meine Mutter stand auf, wie von einem Entsetzen 95 ergriffen. Ist es möglich? rief sie mit tragischer Stimme aus; kann ein Sohn von mir so aus der Art schlagen? Giebt es denn kein Gefühl, kein Gewissen mehr, nichts von Dem, was unsere bessern Denker und Schriftsteller jetzt Pietät nennen? O ich Unglückliche! Welche Kinder habe ich zu meinem Entsetzen zur Welt gefördert! Der Würdigste unsers Senats, der höchst gelehrte Andres, ist jetzt auf der Reise nach Hamburg, und sogar bis in England hinein, und dieser hat, ohne sich nur zu weigern, seiner Frau Bertha in ihre Hand feierlich geschworen, nirgend, nirgend, selbst in den besten Londner Häusern keine Butter anzusehn, und er bekennt, daß ihm dieses als kein Opfer erscheine, da er durch die vortrefflichste Kost seines Hauses zu sehr verwöhnt sei: – und Du, bei unsern elenden Bekannten, die Alles Butter nennen, was nur schmierbar ist, in elenden Wirthshäusern, hast Dich so vergessen können!

Die Mutter fiel in Krämpfe: ich konnte nichts thun, sie zu beruhigen. Ich mußte es zugeben, daß unser Doctor Heinzelbauer mich curirte und purgirte, um als ein Gereinigter wieder zu erscheinen. Heinzelbauer thut in solchen Fällen lieber zu viel als zu wenig, und so, ich versichere Sie, fühle ich mich seit sechs und dreißig Stunden so elend und matt, wie nur dem Fisch in der Sommerhitze auf dem trockenen Sande seyn muß. Aber das ist noch nicht die ganze Summe meines Elends. Ich höre, die Frau des Bürgermeisters will meine Verbindung mit Wilhelmine zertrennen, wenn ich mich nicht eidlich anheischig mache, niemals anderswo, als nur in ihrem Hause etwas von Butter zu genießen; meine Mutter aber setzt ihren Fluch dagegen und schwört, nehme ich nur eine Messerspitze dort, so gebe sie nie ihre Einwilligung. Der Doctor hat mich mit seinen Mitteln so mürbe gemacht, daß ich lauter Furcht bin, die 96 Weiber rasen, Wilhelmine weint, der Bürgermeister wagt nicht zu sprechen – und Alles ist in chaotischer Verwirrung.

Ich ging zum Herrn Wandel. Diesen traf ich mit dem Stock in der Hand und den Hut auf dem Kopf. Seine Frau stand neben ihm, und beide sprachen eifrig. Nachdem ich sie begrüßt und sie mir gedankt hatten, fragte ich, ob ich den lieben Freund nicht auf seinem Spaziergange begleiten könne, denn das Wetter sei sehr schön. Es handelt sich nicht darum, sagte die Frau erboßt, mein Alter hat ein sehr nothwendiges Geschäft mit dem reichen Bellan, und er kann jetzt nicht hingehn, obgleich es die höchste Zeit ist.

Die Frau verlangt, sagte Wandel, daß ich durch unsern langen Garten, dann hinten durch die kleine Pforte gehe, dann soll ich mich zwischen den Pfaffenhügeln herum schleichen, um in das Gehölz zu kommen und von da in den Garten des Herrn Bellan, wo es dann noch die Frage ist, ob ich die Thür dort offen finde, die der vorsichtige Mann fast immer verschlossen hält.

Aber warum, fiel ich lebhaft ein, da der Herr kaum dreißig Schritt von Ihnen wohnt?

Das ist es ja eben, rief die Frau und wurde glühend roth im ganzen Gesicht, der Commerzienrath und der großthuige Lembert liegen da weit aus ihrem Fenster und schauen sich um, wie es ihre Art ist, da sie so wenig zu thun haben; die Madame Eisenberg sitzt gar mit allen ihren Töchtern hinter den vergoldeten Stäben ihres Balkons, da kann mein Mann unmöglich vorbei und die Straße hinuntergehen, denn er müßte ja doch alle diese Menschen grüßen, und das ist von allen Unmöglichkeiten die unmöglichste.

Weshalb? fragte ich erstaunt; was ist denn vorgefallen? Alte bekannte und befreundete Mitbürger zu grüßen, ist doch so natürlich, daß man es selbst nicht unterlassen kann, wenn 97 uns der Feind begegnet, oder ein Mensch, den wir verachten müssen, den Hut vor ihm zu rücken.

Ach! Sie sind so lange nicht hier gewesen, antwortete die Gattin, daß Sie auch alle die Schrecklichkeiten nicht wissen, die seitdem hier im Orte vorgefallen sind. Alle diese Leute waren neulich bei uns auf einem großen Gastgebot, das wir jährlich geben, und kein Einziger von Allen, weder Mann und Frau, noch Sohn und Tochter, Kind und Kegel, hat von meiner Butter nur den kleinsten Bissen genommen oder gekostet, ja wenn sie ihre Hunde und Katzen mitgebracht hätten, so würden es die neidischen Weiber auch diesen verboten haben, einen Butterschnitt anzurühren, da es doch weltbekannt ist, daß die Butter meines Kellers die allerbeste und feinste in der ganzen Stadt ist. Und lieber mag mein Mann das vortheilhafte Geschäft nicht abschließen, lieber soll er vor Nacht nicht aus dem Hause gehn, wenn er nicht jenen Umweg nehmen will, als daß er jetzt irgend eine Notiz von allen diesen undankbaren Menschen nimmt, denen wir in frühern Zeiten so viele Gefälligkeiten erwiesen haben.

Ich erstaunte über den Zwiespalt, der das ganze Gebirgsstädtchen aufzulösen drohte: den angenehmen Ort, wo fast alle Einwohner sehr befreundet, oder nahe verwandt waren. Ich kann aber nicht umhin, sagte ich endlich, alle diese Leute freundlich zu begrüßen.

Sie sind auch nicht gekränkt und beleidigt, sprach die Frau, ob Sie gleich in der Neutralität zu weit gehn und sich gegen Ihre wahren Freunde etwas zweideutig benehmen. Sie essen bei Allen und loben bei Allen ohne Unterschied, was erscheint, und haben entweder über Butter gar keine Stimme, oder verletzen die Rechtschaffenheit und Wahrheit, die ein edler Mann immerdar zur Schau tragen sollte.

Ich entfernte mich tief bewegt, und mannichfaltige 98 Gedanken in meinem Innern hin und her wälzend. Bald hatte ich mit einem vertrauten kühnen und verständigen Diener einen Plan entworfen, durch den es mir vielleicht gelang, die zerrissenen Gemüther wieder zur alten schönen Einheit zusammenzufügen. Ich bestellte ein festliches Gastmahl in dem Gartenhause des nächsten Dorfes, von wo man den weitesten Blick über das ganze Gebirge hat. Es war so eingerichtet, daß jede Familie glauben konnte, sie sei nur allein von mir eingeladen worden, und da aller Umgang im Städtchen aufgehoben war, so konnte ich sicher darauf rechnen, daß Keiner mich dem Andern verrathen würde. Auch war die Einrichtung getroffen, daß jede Familie eine Viertelstunde später als die vorige eintraf, und auch hierin konnte es mir nicht fehlen, da die Kleinstädter in Ansehung der Stunden, welche ihnen bestimmt werden, äußerst pünktlich sind. Ich hatte das ganze Haus gemiethet und alle Zimmer für die Aufnahme der Einzelnen, sowie den Saal für die allgemeine bei Tische einrichten lassen. Die Bürgermeisterlichen kamen zuerst, dann die Familie des Commerzienrathes, und so nach und nach die übrigen. Alle befanden sich wohl in den niedlich ausgeschmückten Zimmern, und die Equipagen wurden vom Wirthe sogleich untergebracht, so daß keiner noch andere Gesellschaften vermuthen konnte. Als Alle versammelt waren, ließ ich sie in den Speisesaal treten, und indem das Erstaunen und eine Art von Grauen alle Gemüther zu sehr fesselte, um Zorn oder Zwist aufkommen zu lassen, benutzte ich geschickt diese weltgeschichtliche Pause zu folgender feierlichen Rede:

»Verehrteste allerseits! Redliche Männer, gebildete Frauen, hoffnungsvolle Jugend, vielerprüfte, tugendhafte und edle Gemüther! Euch zu sagen, was Freundschaft sei, oder was Feindschaft bedeutet, warum es gut ist, wenn Brüder 99 einträchtig bei einander wohnen, und der Haß erst Andern schadet, um sich selber am Ende den größten Nachtheil zuzufügen, Alles dieses jetzt erörtern wollen, hieße diese vortreffliche Stummheit, welche euch durch meine Anstalten befallen hat, nur schlecht nutzen oder vielmehr gänzlich mißbrauchen, denn dergleichen wird besser in den herkömmlichen Lehrbüchern der Moral abgehandelt. Nein, dieser ästhetisch-ethische Schreck, der jetzt eure Nerven in Spannung hält, muß für das Edlere und Nothwendige angewendet werden. Und auch ich bin, so wie ihr, ein guter Bürger, so müßig ich auch scheinen mag; erfüll' ich nicht das schwerste Gesetz, ehr' ich es nicht? Der Trochilus ist ein kleines unbedeutendes Thier, und wagt sich in den Rachen des ungeheuern Krokodils, wozu uns Allen, wie wir da sind, der Muth fehlen würde, um dem Sultan die Zähne zu reinigen: Lohn genug, nicht wahr, wenn das Viehchen nur unbeschädigt zwischen den Pallisaden wieder hervorkommt? So ich, ein schwacher Zahnstocher, werfe mich zwischen euren knirschenden Zorn, um eure Werkzeuge des Essens vor Beschädigung zu wahren, und den Weisheitszähnen zum Wachsthum zu verhelfen, oder, wo sie schon entsprossen sind, sie vor Wurm, Brand und Aushöhlung zu beschützen. War das goldne Zeitalter irgendwo sichtbar, hätte man die Stelle wieder kennen mögen, wo das Paradies gestanden hatte, so war es hier, wo die Umrisse noch fast wie eine Silhouette der Physiognomie jenes Gartens bemerklich waren. Und wohin ist dieser Friede entflohen, diese holdselige Eintracht? Braucht nicht die Ausrede, fromme Bürgersleute, der Teufel habe das Alles geholt, oder ein unabweisliches Fatum es zum Angedenken mitgenommen, denn ich kann hier so wenig das sogenannte böse Princip, als ein vornehmes, zu verehrendes Schicksalsgewebe wahrnehmen. Es sind menschliche Schwächen, 100 es ist Eigensinn, und diese lassen sich durch starken Willen besiegen. Wenn die Städte und Dörfer, welche am Fuße des Aetna oder Vesuv liegen, plötzlich von verwüstenden Flammen und Feuerregen heimgesucht werden, so dürfen sie über ihr Schicksal klagen; wenn Bürgerkriege und Religionshändel, große Interessen und Eigennutz Menschen mit Menschen entzweien, so kann man sie beklagen oder über sie zürnen; doch mildert die Größe des Gegenstandes unser hartes Urtheil, und die Wichtigkeit des Zweckes entschuldigt etwas die Leidenschaft. Aber hier, im fernen Gebirge wollt ihr die Zwiste der Ghibellinen und Welfen, der Weißen und Schwarzen, der Montecchi und Capilletti, an denen Romeo und Julia zu Grunde gingen, die Kriege der Albigenser erneuern? und zwar um einen Gegenstand, der fast an das Komische, wenigstens einigermaßen gränzt, um die Frage, welche Kuh und welche Familie die beste Butter hervorbringt? So tief habt ihr euch schon in das nichtige Unwesen hinein gebuttert, daß ihr Alle, wie Fliegen, die in die Sahne gefallen sind, nicht mehr schnell und anständig in euern Lebensverhältnissen euch fortbewegen könnt, und in der Butter- und Milchschüssel werdet liegen bleiben und verkommen müssen, so schleppen euch klebrig und hemmend falsche Ambition nach, fanatisirte Eitelkeit, mißverstandener Stolz, und Jeder, selbst schon im Verscheiden, will seinen Nachbar, Freund und Bruder proscribiren. Schon ist die Rede davon, das Glück zweier Liebenden zu trennen, den Vortheil bedeutender Geschäfte zu vernachlässigen, die Wohlfahrt der Stadt zum Sinken zu bringen. Und sind es etwa böse thörichte Menschen, die dergleichen unternehmen? Neidharte, gehässige Wesen? An denen wäre nicht so gar viel verloren. Nein, es sind im Gegentheil die edelsten Menschen, die sich so wunderlich selbst verblendet haben, großmüthige Männer und weise Väter der Stadt, 101 wohlthätige, gefühlvolle Mütter, Frauen, die mit dem ächten Adel der schönsten Weiblichkeit geschmückt einherwandeln, weltkluge und menschenkennende Kaufherren, kurz, Leute, die ich, so oft ich konnte, mühsam aufsuchte, weil das Herz mich zu ihnen trieb. Hier ist Arkadien, wenn irgendwo. Eine schöne Natur, fruchtbare Aecker, frischgrüne Wälder, erhabene Felsen. Bewohner mit allen Tugenden des Gemüthes ausgerüstet, werth, die Segnungen des Himmels, die er ihnen reichlich spendet, zu genießen, und die nur eine kleine, kleine Laune, welche an Thorheit streift, aufgeben dürfen, um wieder als ein Blumenstrauß aller häuslichen und bürgerlichen Tugenden zu glänzen: ich sehe, durch edle Thränen wird das Bouquet schon erfrischt und getränkt.«

Es war mir gelungen, alle Herzen durch meine eindringliche Rede tief zu bewegen. Alle Feinde umarmten sich in schöner Rührung und schworen sich eine neue und unerschütterliche Bruder- und Schwesterliebe. Sogleich wurden die jungen Verliebten mit einander verlobt, und man beschloß zugleich, daß die Hochzeit in acht Tagen seyn sollte. Dieses Fest sollte aber zugleich als eine Versöhnungsfeier einen eigenthümlichen Charakter annehmen, man wollte nehmlich einen großen Pickenick veranstalten, Jeder sollte dazu auserwählte Lieblingsgerichte und vortreffliche Weine geben, so konnten die Hausfrauen sich auszeichnen, die Männer ihren Kellern Ehre machen, und doch sollte man nicht erfahren, wer die Weine oder Schüsseln geliefert habe. Mit denselben republikanischen Gesinnungen wollte jede Hausfrau Butter absenden, um sie in ein gemeinsames Gefäß zu thun und zu vermischen, auch ward schon jetzt die unbedingteste Butterfreiheit proclamirt, jeder Gatte, Sohn, Tochter, Nichte oder Vetter durfte Butter, so viel er wolle, in einem fremden Hause ohne Nachtheil an Ruf oder Liebe genießen. – Es 102 war ein schöner, ein großer Augenblick und wir setzten uns, stolz auf uns selbst, an den langen, reichlich besetzten Tisch, ich am glücklichsten, dem Camillus nicht unähnlich, da ich die Römer bestimmt hatte, den alten Wohnsitz nicht zu verlassen.

Man war an der Tafel sehr fröhlich, und ich, um das Vorige ganz in Vergessenheit zu bringen, erzählte von meiner Reise im Hochgebirge, und von dem Mährchen, das ich als Manuscript von dort heruntergebracht und neu abgeschrieben und bearbeitet habe. Der Bürgermeister sowie noch einige Senatoren wunderten sich, daß ich, als ein gescheidter und gelehrter Mann, einem Mährchen so viele Aufmerksamkeit widme; ja, wenn es noch eine Erzählung wäre, oder ein Punkt aus der vaterländischen Geschichte, oder ein moralisches und erhebendes Werk. Da konnte ich mich nicht enthalten, Folgendes zu erwiedern: »Das ächte Mährchen, so sagte ich ungefähr, erschließt mit seinem Kinderton und dem Spielen mit dem Wunder eine Gegend unsers Gemüthes, in welche die übrige Kunst und Poesie nicht hineinreicht. Unsre ersten und heiligsten Verhältnisse zur Natur und der unsichtbaren Welt, die Basis unsers Glaubens, die Elemente unsers Erkennens, Geburt und Grab, die Schöpfung um uns her, die Bedürfnisse unsers Lebens, Alles dies ist wie Mährchen und Traum und läßt sich nicht in Das auflösen, was wir vernünftig und folgerecht nennen. Darum die Heiligkeit und das Wunderliche, Unbegreifliche aller alten Sagen. Die Schöpfung, die Entstehung des Guten und Bösen, der Fall der Engel, die Erlösung, man nenne, was man will, bei Griechen, Heiden, Juden oder Christen, das Ursprüngliche der Legende sowohl wie unsers nächsten alltäglichen Lebens ist, wenn wir das Wort heilig und ernst nehmen, ein Mährchen. Wer nun durch Erfindung sich auf diesen ersten Standpunkt des Lebens versetzen kann, dem klingt das innerste Gemüth 103 der Menschen entgegen, aller Derer, die sich nicht schon ein einseitiges System von Kunst und Kritik auferbaut haben. Wir werden an unsre räthselhafte Stellung und Bestimmung durch diese erinnert, und zwar in einer lieblichen Gestaltung, in der das Gemüth nicht sogleich jene tiefsinnige Hinweisung erkennt. Alles Geschichtliche, Politische, Historische ist schon, wenn auch edel und groß, ein Abgeleitetes; hier werden schon jene ersten Urbestimmungen der Menschheit als etwas Unerschütterliches, das sich von selbst versteht, vorausgesetzt, als etwas, das keine Verwunderung, keine Untersuchung mehr erregen soll. Dieses blitzende, sehnsüchtige oder kindliche Hinweisen auf die Natur und die frühsten Bedingungen der Existenz geschieht, und so vielleicht am lieblichsten, auf kindliche, spielende Weise, indem sich eine süße Rührung mit dem Schauer vermählt, der jeden durchzieht, der zum ersten Mal die Alpen oder das Meer erblickt. Es kann aber auch witzig, neckend, geistreich geschehn. Jetzt sind die Mährchen des Hamilton und ihre besten Nachahmungen fast vergessen, aber der Scherz dieser Wunder ist ein viel besserer, als der des Musäus. Auch in der Entartung, im Mißverstehn und Uebertreiben wirkt dies unbesiegbare Element oft. So hat der gewiß nicht vollendete Hoffmann bei den Franzosen eine neue Literatur erregt. Und wären Hoffmann, Fouqué und Aehnliche da, ohne den gestiefelten Kater, Zerbino, getreuen Eckart, blonden Eckbert, die verkehrte Welt und andere frühere Anklänge, die in die Weite, oft unbegriffen, hineintönten, und erst in nachahmender Uebertreibung von den Zeitgenossen verstanden und beantwortet wurden?«

Ich wußte auch, daß ich an dem langen Tische nicht verstanden wurde, konnte es aber doch nicht unterlassen, diese unnütze Rede zu halten. 104



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