Ludwig Tieck
Das alte Buch und die Reise ins Blaue hinein
Ludwig Tieck

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Die Reise ins Blaue hinein.

So in der Mitte ungefähr des wahren ächten Mittelalters fand es sich, daß zwei junge Menschen oder Jünglinge, welche Freunde schienen, sich auf der Landstraße befanden. Beide waren schön und kräftig, heiter und anmuthig, vorzüglich aber doch Jener, welcher von Beiden der Reichere und Vornehmere seyn mußte. Athelstan, sagte Jener, der etwas kleiner war, kehren wir nun nicht bald zurück? Was wird Dein Vater, der strenge Freiherr, zu unserer Reise sagen? Unser Hofmeister, der gelehrte Mann, wird in Verzweiflung seyn, das Schloß und die ganze Familie ist gewiß in der größten Verwirrung. Was wird man von mir denken?

Lieber Fritz, erwiederte Athelstan überaus heiter, ergieb Dich nicht diesen Aengsten, denn wir werden bei Gelegenheit und immer noch zu früh in unsre Heimath zurückkehren.

Wir sind aber schon drei Wochen abwesend und treiben uns hier und dort ohne Zweck und Absicht herum.

Und muß denn Alles, rief Athelstan mit einigem Unwillen aus, mit Absicht geschehen? Du weißt es ja, seit zwei Jahren schon quäle ich meinen Vater, mir einmal eine solche Reise zu gestatten, denn er behandelt mich, als wenn ich immer noch ein Kind wäre. Ja, mit Reichthum und unter Aufsicht will er mich in einigen Jahren, wenn ich erst reifer bin, wie er sich ausdrückt, in die Welt hinaussenden: ich soll alsdann die Höfe besuchen und mich den Großen und Fürsten vorstellen. Als wenn das Reisen hieße!

Aber Deine schöne Muhme, die liebe Hedwig, wie wird es ihr indessen ergehen? sagte Friedrich mit einem Seufzer.

Athelstan lachte laut und sprach dann mit flüchtiger Rede: Sieh, Herzensbruder, die Schönheit dieses Mädchens, ihre Zärtlichkeit zu mir, und die Absicht meines Vaters, mich 29 nur recht bald in diese Ehe zu schmieden, konnten mich bewegen, lieber als Kesselflicker durch das weite ferne Land zu laufen, als da auf meiner Hufe zu sitzen, die Lehn zu überkommen, mit dem Abte Sonntags im Brett zu spielen, und wenn mein Landgraf es verlangt, seine Züge mitzumachen. O Fritz, Du glaubst nicht, wie mir das das Herz zusammenschnürt, daß ich als ein solcher Freiherr in unsern engherzigen trostlosen Tagen habe geboren werden müssen! Wohin ich blicke, Fehde, und oft um nichts. Mißverstand, Zerwürfniß, und der große Kaiser giftig angefeindet, nur schwach von mißtrauenden, zweifelhaften Freunden unterstützt. Immerdar Händel mit der Kirche um Lehren, die ich nicht fasse, die mir gering erscheinen. O Freund! was man so von alten Zeiten singt und sagt, als Gottheiten zur Erde herabstiegen, als der ewig gerühmte Alexander siegend durch die Welt zog, als in Berg und Thal sich Wunder der Natur hervorthaten, als der große Poet Virgilius auch der größte Zauberer war, als der unverwundbare Siegfried Riesen und Zwerge überwand und den Gesang der Vögel begriff, als es dem Orpheus erlaubt war, in die Hölle hinabzusteigen, um seine Geliebte wiederzuholen –

Bruder, fiel der Freund ein, Du sprichst von lauter Mährchen. Und soll denn unsre Zeit so viel schlimmer und nüchterner seyn? Man fabelt ja auch hie und da vom heiligen Graal, und die Siegfriedgeschichten werden gesungen: die Dichter, die Sänger ziehen ja auch umher und wetteifern oft mit ihren Liedern. Die Großen erfreuen sich dieser Kunst und ermuntern sie, und –

Und Du bist ein Narr! fiel Athelstan zornig ein. Freilich, Mährchen! So nennt ihr Alles, was nicht alltäglich ist. Und unsere Sänger und Dichter! Die sitzen in ihren Stuben und lesen und schreiben emsig, lassen sich Bücher schicken aus 30 der Fremde und erleben nichts. Sind fast wie Capellane oder Pfaffen anzuschauen. Und viele von den Herumziehenden sind ja Spaßmacher und Thoren. Für Geld, ein Kleid, einen Becher Weins springen sie herum wie die abgerichteten Hunde.

Und Ulrich, der Lichtensteiner, warf Friedrich ein, der dort im Lande Oestreich als Frau Venus herum zieht, eine Fürstin liebt und ihr zu Ehren ein unermeßliches Gold verschwendet, nur dichtet und liebt und prachtirt, – erlebt der etwa nichts? und wenn Du einmal der Phantasie einzig und allein leben willst, könntest Du es nicht in Zukunft vielleicht auf eine ähnliche Art anfangen, und die Leute auch von Dir reden machen?

Der Ulrich ist ein Phantast! rief Athelstan aus.

Und Du tadelst ihn darüber? warf jener ein.

Weil seine Lieder mir zu trocken, seine Lebensart noch viel zu prosaisch ist, fuhr Athelstan in seinem Eifer fort. Er ist mehr eitel als verliebt, er kann sich keines ächten Glücks erfreuen, weil er es nicht sucht. Ich glaube nicht, daß ihm ein Sinn für das Wahre und Hohe aufgegangen ist. Prunk, Seltsamkeit und Aufsehn begeistern ihn. O Fritz, was mich lockt, ist die Einsamkeit, jene Süße, die uns aus Wald und Berg anredet, das Geheimniß, das uns der flüsternde Bach verrathen will. Soll ich einmal lieben, o so muß es etwas Anderes als eine solche verständige Hedwig seyn, die über Alles, was ihr seltsam dünkt, die schon zu großen Augen noch größer aufreißt. Ich habe auf der ganzen Reise schon bemerkt, daß Du mich auch nicht verstehst.

Nein, sagte Friedrich mit einigem Erstaunen, ich begreife Dich wahrlich nicht. Wir gehen hin und her, bleiben beim Mondschein der Nacht im Freien, Du besteigst diesen und jenen Felsen, bist nie zufrieden, strebst immer weiter 31 und wirst böse, wenn ich Dir deutlich machen will, wie nöthig es ist, endlich einmal wieder umzukehren.

Umkehren? Kann das Dein Ernst seyn, Du trockner, langweiliger Mensch, der Du mein Freund seyn darfst? sprach Athelstan im höchsten Unwillen; da unsre Wanderschaft kaum begonnen hat? Da wir uns jetzt erst dem herrlichen Gebirge nähern, von welchem wir schon als Kinder immer so schön geträumt haben? Lieber sterben, als meinen Vorsatz aufgeben.

Sie gingen bei schönem Sommerwetter weiter, beide verstimmt. Endlich sagte Friedrich: Ich muß es Dir nur gestehen, Athelstan, ich habe Dich bloß deshalb begleitet, weil ich glaubte, Dich unterwegs von Deiner Thorheit oder Krankheit heilen zu können. Da ich sah, daß diese Reiselust bei Dir bis zum Wahnsinn gestiegen war, daß es kein anständiges Mittel gab, wenn man Dich nicht in Ketten legen wollte, Dich in der Heimath zu halten, so begleitete ich Dich, ging nur scheinbar in Deine Plane ein, um Dich zu bewachen, damit sich Deine Spur nicht verlöre, und Dein Vater und Deine Verwandten Dich wiederfänden. Jetzt bereue ich meinen Schritt, da ich sehen muß, daß meine Gegenwart nichts dazu hilft, Dich wieder vernünftiger zu machen. Ich dachte, wenn er recht ermüdet ist, sich erhitzt hat, wenn Hunger und Durst ihn plagen, wenn er sieht, daß es allenthalben im Freien ungefähr auf dasselbe hinausläuft, daß Wald Wald und Berg Berg ist, das Steigen aber eine unangenehme Beschäftigung, so wird von selbst die Sehnsucht nach der Bequemlichkeit seines väterlichen Schlosses wieder erwachen. Aber nun ich sehe, daß es mit jedem Tage toller mit Dir wird, daß Du Deine Gesundheit, wohl Dein Leben so leichtsinnig wagst, so erscheine ich mir selber wie ein Verbrecher, oder Wahnwitziger, daß ich Deine 32 Krankheit nicht Deinen Vorgesetzten und Anverwandten verrieth, damit Dich diese mit Gewalt zurückgehalten hätten.

Nach dieser Erklärung stand Athelstan still, betrachtete seinen Begleiter eine lange Zeit und sagte dann mit einem schmerzlichen Ausdruck: Kennte ich Dich nicht seit der frühesten Kindheit, wüßte ich nicht, wie gut Du bist, wie liebevoll Du seyn kannst, so würde ich Dich unbeschreiblich verachten. So weit also kann Menschenfurcht und die Hochachtung vor dem Gewöhnlichen, Langweiligen, die besten Menschen führen! Ja, diese Gefühle und Schwächlichkeiten sind die bösen Geister, die den Menschen verfolgen, ängstigen und ihn täglich vom edelsten Thun, von den schönsten Aufgaben des Lebens zurückschrecken. So ist es denn entschieden, daß wir uns eben niemals, wenn wir uns auch lieben, verstehen werden. Es sei! man muß sich im Leben gewiß an vieles Traurige gewöhnen. Am besten so früh als möglich.

Friedrich war gekränkt und wendete seinen Blick vom aufgereizten Freunde. Bald aber war ihr Streit unterbrochen, denn indem sie jetzt um einen waldigen Hügel bogen, welcher ihnen den Lauf der Heerstraße verdeckt hatte, sprengte ihnen ein Haufe von Reitern entgegen. Diese Männer, von denen einige gerüstet waren, sprangen alsbald von ihren Rossen und umgaben die überraschten Jünglinge. Ein ältlicher Mann wälzte sich zuletzt mühsam von seinem Pferde herunter, kam mit Keuchen und Seufzen näher und stellte sich dann vor die beiden jungen Reisenden mit ausgebreiteten Armen und hocherhobenen Händen hin. So haben wir sie doch endlich angetroffen, diese Wildfänge! rief er aus; ja, ja unsere Mühe ist nun doch belohnt, und mein saures Reiten war nicht vergeblich. Seid ihr noch meine Zöglinge? Wie Bettler, wie Räuber aus dem Schlosse laufen? Ohne Ursach, ohne Zweck? Ziemt dieses einem künftigen 33 Freiherrn? Wie wird sich der Herr Vater wieder besänftigen lassen? Er hat in seinem umherfahrenden Zorne sogar mir, dem tugendhaften Lehrer und Erzieher, die Schuld beimessen wollen, weil ich den jungen Herrn einige Seltsamkeiten aus der Geschichte erzählt habe; aber nie ist mir dergleichen im Traum beigekommen, daß ein junger künftiger Rittersmann so einen eichenen oder buchenen Stab, nicht anders wie ein Klausner, Pilgrim oder bettelnder Bruder, in die Hand nehmen könnte, um ohne Bedienung und Begleitung auf seinen eignen zarten, deß ungewohnten Füßen die Welt zu durchstreifen. Drei volle Wochen haben wir uns wie die Freibeuter in Busch und Wald umgetrieben, und nun begegnen wir den armen Verirrten hier, indem sie uns von der entgegengesetzten Seite so unverhofft entgegentreten.

Was ist zu thun, Herr Caplan? fragte einer von den gepanzerten Reitern.

Setzt den jungen Herrn, rief der Alte, auf euer bestes Pferd, welches den leichtesten Trab oder Schritt wandelt und schreitet, kommt nach der Herberge zurück, welche wir unlängst verlassen haben, dort wollen wir uns näher berathen, und der Herr Castellan Joachim wird uns dort auch seine Meinung sagen. Den jungen Fritz, den Bösewicht, nehme aber der stärkste von euch auf sein eignes Roß und halte ihn fest und packe oder binde ihn, wenn man es nöthig findet, denn er ist mit seiner Schwärmerei und Aberweisheit am ganzen Unheil schuld. Dergleichen jugendliche Freundschaften und Vertraulichkeiten schlagen immer dahin aus, das hat uns die Geschichte aller Zeiten bewiesen, daß der Reiche und Vornehme von dem Aermern verführt wird, damit dieser sich nur bei jenem in Gunst setzen könne.

Es half nichts, daß Athelstan sich mit den heftigsten Einsprüchen vernehmen ließ. Friedrich wurde auf ein Pferd 34 hinter einem großen Geharnischten gebunden gesetzt, und so machte sich der Zug auf den Weg. Die vorübergehenden Landleute verwunderten sich über die jungen Räuber und Mörder, die man eingefangen habe, und Athelstan, der seinem Freunde die schimpflichste Behandlung ersparen wollte, auf dessen Einreden aber Niemand achtete, brach in seinem gesteigerten Zorne in Thränen aus.

Man hielt vor der Herberge, welche einsam im Walde lag. Als man abgestiegen war, suchte man vorerst einen sichern Gewahrsam für den unschuldigen Friedrich, welchen der Hofmeister und Erzieher, ohne sich irren zu lassen, für gefährlich erklärt hatte. Als man diesen eingeschlossen hatte, entfernten sich die andern Reiter, um nach ihren Rossen zu sehen, und der alte Caplan blieb mit dem jungen Freiherrn allein im Zimmer. In einer langen und gelehrten Rede, auf welche sich der alte Lehrer sehr gründlich vorbereitet hatte, drang dieser jetzt mit hundert Ermahnungen und Figuren in den Jüngling, seinen thörichten Irrthum einzusehen, der Wahrheit zu folgen, und zu seinem väterlichen Heerde zurückzukehren.

Athelstan hörte ihm ernsthaft und schweigend zu; endlich, nachdem er sich besonnen, sagte er mit einiger Feierlichkeit: Mein ehrwürdiger Freund und Lehrer, Eure Ermahnungen sollen auf keinen dürren, unfruchtbaren Boden gefallen seyn. Ich begreife, daß ich mich in schweren Irrthümern herumgetrieben habe, und da Ihr mir das Versprechen gebt, daß mein sonst unfreundlicher Vater mir und dem guten Fritz Alles vergeben will, daß von dieser kindischen Thorheit niemals wieder die Rede seyn soll, so kehre ich um so lieber mit Euch zu meinen Angehörigen zurück. Dort können wir denn wieder die Bücher von Moral und Philosophie lesen, Ihr erschließt mir mehr und mehr die Geheimnisse der 35 Religion, wir üben uns in schweren Rechnungen, und alle Freuden der Mathematik und Geometrie thun sich mir wieder auf. Das ist ein anderes Leben, als sich hier die Beine müde laufen, Hunger und Durst leiden, nichts als Wald, Berg, Wolken und Wasser zu sehen. Heute wird man naß und friert am Abend; morgen ist es unerträglich heiß, und man zerrinnt in Schweiß. In den Schenken elende Nahrung und noch schlechtere Betten, die Gesellschaft von lumpigem Gesindel ist oft unvermeidlich: welche Thorheit also, ja, welcher Aberwitz, möchte ich sagen, sein weiches bequemes Lager, seinen schmackhaften und reichlichen Tisch, schöne Gesellschaft von Mädchen und Frauen, die Liebe eines edeln Vaters und die unbezahlbaren Lehrstunden eines so würdigen Mannes, wie Ihr es seid, zu verlassen, um nichtigen Nebeln nachzujagen, so wesenlosen Gebilden, die fast ein Nichts sind.

Der Alte hörte seinem Schüler mit inniger Freude zu. Nur, sprach Athelstan weiter, mögt Ihr meinem guten Fritz die Schuld meiner Verirrung nicht beimessen. Ich habe ihn mit Gewalt und Ueberredung zwingen müssen, mir zu folgen, als mich dieser schnöde Taumel ergriffen hatte. Er hatte niemals meine kranke, mir jetzt unbegreifliche Schwärmerei getheilt; er hat mich abgemahnt, und noch im Augenblick, als Ihr uns mit Eurer Schaar ergrifft, waren wir deshalb in Zank. Er ist viel vernünftiger, gesetzter als ich. Helft mir nur vorerst, dies meinem heftigen Vater recht deutlich zu machen, der mit dem Burgvogte und dessen Sohn Friedrich schon immer sehr unzufrieden war. Meine Verirrung muß das Schicksal der Unschuldigen nicht verschlimmern.

Der Caplan gab alle Versicherungen, und als die Reiter zurückkamen, deren Wachsamkeit er vertrauen konnte, begab er sich zum eingesperrten Friedrich. Mein junger Bursche, 36 fing er an, Ihr sollt alsbald frei seyn und alle Vergebung, ja selbst Belohnung und auch vom Freiherrn zugesichert erhalten, wenn Ihr mir jetzt rein mit der ganzen vollständigen Wahrheit herausgeht. Daß dem jungen Athelstan deshalb nichts Schlimmeres widerfährt, wenn wir Alles wissen, könnt Ihr Euch wohl selbst an den Fingern abzählen. Heraus also mit dem Geständniß! In wen hat sich der Jüngling verliebt, wo lebt, wo wohnt die Verführerin oder Verführte? Ist sie zu hohen oder zu niedrigen Standes? Frau oder Mädchen? Witwe oder Dienerin? Denn ein Grund eures Weglaufens, eine Leidenschaft muß doch da seyn, und Du bist sein Vertrauter, vor dem er kein Geheimniß hat, ja Du bist höchst wahrscheinlich sein Verführer, denn es ist zu unnatürlich, daß ein junger reicher Mann so aus dem Hause rennen sollte, wo eine junge und schöne Muhme nur darauf wartet, daß der Ungetreue ihr Ehegemahl werden soll. Auch sieht es ihm wenig ähnlich, daß er wie der fromme Franziskus aus geistlichem Triebe sein väterliches Haus verlassen sollte.

O mein verehrter Lehrer, erwiederte Friedrich in klagenden Tönen, wie thut Ihr mir doch so sehr Unrecht, wenn Ihr mir dergleichen Böses zutraut! Glaubt meiner heiligen Versicherung, meinem Schwure, daß nichts von alle dem, was Ihr befürchtet, die Ursach dieser seltsamen Flucht ist. Glaubt meinem Eide, daß mir diese sonderbare Krankheit meines Freundes eben so unbegreiflich ist wie Euch. Schon im vorigen Sommer lag er mich dringend Tag und Nacht an, mit ihm ins Freie zu laufen; es lasse ihm keine Ruhe, so sagte er, zwischen den vier Wänden, er müsse weit in die Berge hinein wandern, es zöge ihn, wie mit Ketten, wie mit Zauberei. Das Schloß, die Stadt unter diesem, alles sei ihm tödtlich verhaßt, Euer liebevoller, wohlmeinender 37 Unterricht ihm unerträglich; er müsse sterben, das fühle er, wenn er nicht diesem übermächtigen Triebe genugthun könne. Ich redete ihm zu, oft ganze Nächte hindurch, indessen er seufzte und weinte. So kam denn glücklich Herbst und Winter heran, und er schien beruhigt. Kaum aber waren die Schwalben heuer zurückgekommen, als ich dieselbe Qual mit ihm, ja noch eine viel größere mit ihm hatte. Er glaubte jetzt, es gehöre zu seinem und meinem Glück, daß ich dieselben unbegreiflichen Wünsche in meinem Busen erwecken müsse. Er drohte sich zu ermorden, wenn ich ihm nicht willfahre, oder wenn ich Euch und seinem Vater seine Absichten entdecke. So entschloß ich mich denn höchst unwillig, seiner Tollheit nachzugeben und sie mitzumachen. Als er nun sah, daß ich im freien Umirren mich nicht so glücklich fühlte, als er gehofft hatte, gerieth er außer sich. Ich bemühte mich, ihn zurückzulenken, aber er wies zornig alle Ermahnungen von sich. Ich blieb bei ihm, um ihn unter Aufsicht zu behalten, ich richtete es so ein, da er in seinem Taumel auf die Wege nicht sonderlich achtete, daß wir im Kreise gingen und schon, ohne daß er es wußte, der Heimath näher waren, als vor einigen Tagen. So kam es denn auch, daß Ihr uns entgegenrittet, weil ich hoffte, ihn unvermerkt in die Nähe seiner Heimath zu bringen.

Ihr seid halsstarrig, erwiederte der Alte trocken, und sprecht mir lauter Unsinn vor. Ich kenne auch den Menschen und bin in der Beobachtung desselben alt geworden, ich habe in vielen Büchern geforscht und deren Lehren ergründet, und darum weiß ich auch, daß Dasjenige, was Ihr mir da beibringen wollt, völlig unsinnig und unmöglich ist. Zu Hause werden wir wohl Mittel finden, Eure Zunge zu lösen, und es trifft sich glücklich genug, daß Athelstan selber zur Vernunft gekommen ist und seinen Fehltritt aufrichtig bereut.

38 Der Alte verschloß den Jüngling wieder in sein Zimmer, und als er zur Gesellschaft zurückkehrte, fand er Alle sehr aufgeräumt, denn Athelstan hatte seinen Wächtern Wein geben lassen, und Alle sprachen und erzählten fröhlich durcheinander. Der Caplan nahm auf bescheidene Weise Theil am Gelage, und da die ungewohnte Reise ihn sehr ermüdet hatte, so aß und trank er mehr als gewöhnlich und legte sich dann zur Ruhe, überzeugt, daß die Reisigen ihre Pflicht nicht verabsäumen würden. Der alte Castellan ging auch schlafen. Die andern blieben noch lange munter und priesen die Güte und Freundlichkeit des jungen Herrn, der es nicht müde ward, eine Kanne nach der andern des guten Weins hereinbringen zu lassen.

Und so kehren wir nun in guter Geselligkeit miteinander zurück, sagte der Anführer des Zuges, ein starker, vielerfahrner Mann. Es war, als wenn man mit den Netzen auf die Vogeljagd geht; ein ganz sonderbarer Streifzug. Man lernt nicht aus, wenn man auch noch so alt wird.

Ja wohl, sagte Athelstan, Ihr, mein guter Kunz, habt mich nun eingefangen wie einen unerfahrnen Gimpel, der fortfliegt, ohne zu wissen, wohin, der betäubt und schwindelnd wird, wie er die freie Luft draußen fühlt, und nun werde ich auch gelinde wieder in meinen Käfig gesteckt, um meinen Hausgenossen mein altes Liedchen vorzuzirpen.

Kunz lachte laut und die übrigen Knechte stimmten mit ein. Aber wo wolltet Ihr nur hin, junges Herrchen? begann Kunz wieder. Euer Ritterzug zu Fuß ist ja ohne Absicht und Kriegsplan. Aus dem Lande hinaus, nach keinem Verwandten hin, kein Gelübde zu lösen, keine Pilgerfahrt zu vollbringen, zu Hause nichts verbrochen, um Euch etwa durch die Flucht zu retten. Es muß denn doch so seyn, wie der 39 Herr Caplan sagt, daß Euch der junge Fritz bezaubert hat, oder daß Ihr einem Mädel nachrennt.

Alte gute liebe Freunde, antwortete Athelstan fröhlich den halb trunkenen Knechten, wer in der Welt recht weit zu kommen denkt, muß gar nicht wissen, wo er hin will. Hinaus ins Weite, war meine Absicht, und je weiter, je besser. Immer der Nase nach, wie der Bauersmann zu sagen pflegt; nur muß man nicht vergessen, daß die Nase sich mit uns dreht nach allen Richtungen des Windes hin. Wer also seines Kopfes nicht mächtig ist, dem hilft die Nase, als solche, so viel wie nichts. Nicht wahr, meine Freunde?

Sehr verständig, erwiederte Kunz, und ich habe zu Hause nicht denken können, daß Ihr ein so lustiger Kumpan wärt.

Guter Mann, sagte Athelstan, dazu hilft ja das Reisen. Blieben wir nur etwa so eine kleine hundert Jahre beisammen, wir würden uns gewiß etwas näher kennen lernen.

Die Knechte lachten wieder in ausgelassener Fröhlichkeit, und Kunz rief, nachdem er sich am Lachen gesättigt und in jeder Pause einen Becher geleert hatte: Doch nun heißt es: umgekehrt! Aber, Flaumbärtchen, warum lieft Ihr uns denn entgegen in unsere Klauen? Drei Wochen setzen wir Euch nach; diese Abtheilung nehmlich, die ich und der alte windschiefe Caplan anführen, der immer vom Rosse fallen wollte; Einige von uns rechts, Andere links, und kommen dann wieder nach dem Kriegsplan, den ich angab, zusammen; hatten aber immer geraden Strich, immer gerade aus. Nun wollen wir weiter rennen, gerade aus natürlich, und Ihr kommt uns entgegen, als wenn Ihr schon umkehrtet. Da Ihr immer ins Weite wolltet, recht weit in die Landschaft hinaus, so war dieser Euer Kriegesplan doch offenbar ein 40 ganz dummer. – Seid nicht so voreilig, alter Kunz, erwiederte der Jüngling, damit ich euch aber verständige Antwort geben kann, muß ich euch Alle bitten, etwas ernsthaft zu seyn, weil ihr die Sinne und den Verstand anstrengen müßt, um mich und meine Rede begreifen zu können. Darum trinkt Alle vorerst, um Euch zu stärken, einige Becher Weins, wer noch etwas zu lachen in sich hat, der lache sich erst aus und leer, und dann widmet mir eure Aufmerksamkeit.

So geschah es: er schenkte Allen von dem starken Weine ein, und als sie mehrmals getrunken hatten, stemmten Kunz, Peter, Gottfried, Emmerich, Balthasar, Günther und Hansgürgen die Ellenbogen auf den Tisch, um recht zu begreifen, was ihnen der Freiherr, der ein ernsthaftes, selbst feierliches Gesicht machte, erzählen würde. Athelstan sagte mit milder Rede: Ihr seid nicht so glücklich, alle die Stunden des Unterrichts, die mir der alte Caplan gönnt, genießen und Theil daran nehmen zu können; folglich wißt ihr auch Vieles von Dem nicht, was mein Geist in mancher stillen Mitternacht gelernt und erfahren hat. Auch ist es vielleicht nützlich, manche dieser Naturgeheimnisse dem gemeinen Mann zu verbergen, dessen schlichter frommer Glaube dadurch erschüttert, oder seine stillwirkende Thätigkeit dadurch gestört werden möchte. Es ist euch also wahrscheinlich verborgen geblieben, daß Alles, was Schöpfung heißt, entweder rund ist, oder nach der Rundung hinstrebt. Die Rundheit der Flächen nennen wir Gelehrten Zirkel oder Kreis, das nach allen Seiten Abgerundete Kugel. So sind also nicht bloß Aepfel und Birnen, Eier und Kürbisse rund und rundlich, sondern unser Kopf, die Augen und Vieles an und im Menschen, so wie in der Geisterwelt nimmt ebenfalls diese Gestalt an. So auch die Himmelskörper, Sonne, Mond und alle Gestirne; aber ebenfalls die Erde, auf der wir wohnen, ist eine 41 Kugel, und als Kugel hat sie unzählige Zirkelausschnitte, Sinus, Tangenten, Sehnen, Bogen, Axen, Pole, Parallaxen, Koluren, Thesen und Antithesen, Postulate wie Axiomata, nicht minder dialektische wie logische Argumente und synthetische Constructionen, und was der Wunderdinge mehr sind. Reiset man also, versteht mich wohl, grade aus, so muß man, da man sich doch immerdar auf einem runden Wesen befindet, und nothwendig in einem von den vielen Zirkelausschnitten geht, nach einer gewissen Zeit dahin wieder zurückkommen, von wo man ausgegangen ist. Nicht wahr, das könnt ihr einsehen?

Sehs curiös! sagte der tiefsinnende Peter. Wenn also ein Knecht weglaufen wollte, so muß er von selbst zurück, wenn er immer grade aus geht?

Nothwendig, antwortete Athelstan, ihr seht ja, daß es uns eben so ergangen ist. Will man wirklich von der Stelle kommen, so muß man immer rechts und links von der Seite springen, in einen andern Bogen- oder Kreisausschnitt hinein, und so immer wieder in einen andern, um sich nicht im Zirkel zu drehen.

Das ist zu begreifen, sagte Kunz lallend, so macht es ja der verständige Haase auch, sonst ein dumm Thier, wenn er gejagt wird, und jeder ächte Kriegsplan muß auch immer auf einen Kreisschnitt gegründet seyn, und wie Ihr sagt, Bogen und Armbrust ist dabei unentbehrlich.

Das ist aber, fuhr Athelstan fort, noch nicht das ganze Geheimniß und Kunststück der Natur und Erde. Wie alles aus Kreisen besteht, so dreht sich auch Erde, Sonne, Mond und alle Gestirne hin und her und um einander in fortwährender Kreisschwingung. Wenn man also geht oder reitet, muß man immer dahin sehen, daß man die rechte Bewegung der Erde mitmacht: renne ich gegen den Strich, so 42 geht die Erde hinter mir ebenfalls, und ich stehe, wie ich auch laufe, auf dem alten Fleck, ja es kann sich treffen, daß ich hinter den Punkt gerathe, von dem ich ausgegangen bin. Das kam nun heute Morgen uns ebenfalls in die Queere, und so mußten wir euch, wir mochten wollen oder nicht, in die Hände gerathen.

Das ist schon etwas schwerer zu verstehen, sagte Kunz, denn so könnte, wollte ich im Kriege nach gutem Plan arbeiten, der Bolzen, den ich abschieße, wenn die Erde sich grade ungeschickt dreht, auf meine Nase fliegen.

Das geschieht ja oft, sagte Athelstan, die List fällt auf den Erfinder zurück, sagen wir darum im Sprichwort; wer Andern eine Grube gräbt und dergleichen.

Drehen? rief Peter stammelnd; die Erde? Wie? Das müßte man denn doch sehen können, wenn die Augen nicht blind sind!

Das erleben wir ja auch oft genug, sagte Athelstan; nur müssen Umstände obwalten, die wir nicht immer in unserer Gewalt haben. Alte Leute, wißt ihr, brauchen Brillen, um noch zu sehen, und so muß unser Auge aufgethan, gestärkt seyn, um dieses Umrennen der Erde gewahr zu werden. Manchmal in Krankheiten wird es uns so gut, oder wenn jener Zustand eintritt, den wir Schwindel nennen. Es ist schon später Abend; aber tretet einmal an das Fenster hier, mir scheint jetzt eine günstige Gelegenheit, das Geheimniß der Erde zu belauern und sie in ihrer Tücke auf der That zu ertappen, denn mir dünkt, Alles rennt und dreht sich.

Die Knechte stürzten in taumelnder Eile an das Fenster. Richtig! schrie Peter, der junge Herr ist nicht so dumm, als wir denken; seht! Alles rennt, Bäume, die Erde, die Bäume – der Wald – die Bäume –

43 Wenn es uns nun Alles davon läuft! schrie Kunz.

Ihr vergeßt, sagte Athelstan, daß wir uns, und die Stube hier, und das ganze Haus, mit drehen und bewegen.

Richtig, sagte Hansgürge, indem er auf den Boden fiel, Alles dreht sich mit uns, ich will mich aber an dem Tisch festhalten, daß ich morgen früh noch hier bin.

Athelstan, der das Temperament der Knechte kannte, hatte seinen Endzweck erreicht, Einer nach dem Andern legte sich nieder oder fiel auf den Boden hin, denn Alle hatte der starke Wein überwältigt. Als sie fest schliefen, indem es nun ganz finster geworden war, nahm Athelstan Wein und Speise und eröffnete das Zimmer, in welchem sein Freund, den man mit Vorsatz vernachlässigt hatte, gefangen war. Er betrachtete ihn mit Rührung, indem er ihm in das Gesicht leuchtete, und löste beim Schein der Laterne dessen Bande. Dann umarmte er ihn herzlich und sagte: Aermster, Alles dies leidest Du aus Liebe zu mir, der ich Dir jetzt diese Freundschaft noch nicht vergelten kann. Iß, Geliebter, trink und stärke Dich, unsre Wächter sind so fest vom Schlaf befangen, daß wir ungestört sprechen und thun können, was wir nur wollen.

Der völlig ermattete Friedrich stärkte sich durch Wein und Speise; nachher sagte Athelstan: Jetzt komm, Freund, hörst Du wohl, wie uns die Nachtigall aus dem Walde ruft? Eilen wir in dessen Dickicht, dort soll uns Niemand finden.

Nein, Athelstan, erwiederte der betrübte Friedrich, ich bin entschlossen, mit unsern Wächtern zurückzukehren, und wenn Du noch auf Deinem verkehrten Willen beharrst, so ist es meine Pflicht, sie zu wecken, oder wenigstens den nüchternen und verständigen Caplan, damit wir Alle Dich mit Gewalt zur Vernunft zurückbringen, und ich so Deinem Vater 44 beweise, daß ich es nicht bin, welcher Dich zu diesem wilden Treiben verführt hat.

Athelstan wollte noch einige Einwendungen machen; da er aber den Ernst seines Freundes sah, begütigte er ihn wieder mit vernünftiger Rede: es war ja nur Scherz, mein Friedrich, denn da ich nun wohl sehe, daß mir nichts so geräth, wie ich es mir dachte, ist es auch mein fester Wille, zu meinem Vater zurück zu reisen. Dir, Lieber, Guter, muß es immerdar in diesem Leben nach Wunsch ergehen, denn Du bist so redlich und wahr, Du willst nur das Nützliche und Rechte. Lege Dich nun nieder, schlafe und ruhe aus bis morgen. Ich gehe zu meinen Wächtern.

Er umarmte den Freund herzlich und mit Thränen. In der Thür kehrte er noch einmal um und schloß seinen Jugendgespielen wieder mit Rührung in seine Arme. Vergieb mir, sagte er schmerzlich, alle die Kränkungen, die Du meinetwegen hast erdulden müssen. Glaube mir, Theuerster, Dir wird das Glück dieser Erde, Ehre, Wohlfahrt, Reichthum, nicht entgehen.

Statt zu den trunkenen Knechten zurück zu kehren, eilte Athelstan über den Hof, öffnete die kleine Pforte desselben und stürzte sich mit Eil und klopfendem Herzen in den dunkeln Wald. Er suchte die tiefste Einsamkeit und die dicht verwachsenen Stellen. Er achtete es nicht, daß ihn Dornen ritzten, daß er oft mit dem Kopf gegen die Bäume rannte. Er wanderte, so viel er vermochte, immer tiefer in den Forst hinein, und als der Morgen aufdämmerte, glaubte er seinen Verfolgern schon weit entrückt zu seyn. Er genoß die Speise und den Wein, die er mit sich genommen, und freute sich der Stille um ihn her, nur vom Gesang der Nachtigall, vom Laut des Baumspechts, vom wundersamen Aufklang des Pfingstvogels unterbrochen. Er vermied an diesem ganzen 45 Tage Menschen und die Landstraße und ruhte auch die folgende Nacht in den Schatten des Waldes, die ihn wie mit breiten dunkeln Flügeln beschirmten.



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