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Vierzehntes Kapitel.

Die beiden Damen bestiegen eine ihnen entgegenkommende Droschke und ersuchten den Kutscher, auf längerem Umwege sie nach einem am Bahnhof belegenen Hotel zu fahren, dessen Namen ihnen der Anwalt flüchtig angegeben hatte.

Als Bendring eine Stunde später nach dem Hotel kam und nach den Damen fragte, kam der Hotelier, ein älterer Herr, dienstwillig herbei und begrüßte den Anwalt verbindlich.

»Jawohl, Herr Doktor, die Damen sind in Zimmer drei und vier im ersten Stock.«

Bendring wohnte in einem anderen, um einige Häuser entfernten Hotel und war etwas verwundert, daß man ihn zu kennen schien.

»Woher habe ich die Ehre –?« fragte er.

»Ja, Herr Doktor, das kommt davon, wenn man amtlich miteinander zu thun hatte – –« entgegnete der Hotelbesitzer mit behäbiger Geheimnisthuerei.

»Ich entsinne mich nicht,« versicherte Bendring.

Der Mann wurde ernst.

»Ich gehörte heute zu den Geschworenen,« erklärte er einfach.

»Ich freue mich, daß ich dann wenigstens einem von ihnen danken kann!«

»Die Aufgabe der Geschworenen ist nicht immer so angenehm wie in dem Falle Herlet, Herr Doktor; aber Tage wie der heutige entschädigen für andere, an denen die Ueberzeugung das harte Schuldig fordert. Das ist ein folgenschweres Wort.«

»Ja, ja. Aber ich habe nicht einen Augenblick gefürchtet, daß Sie es gegen Frau Herlet finden könnten.«

»Ich sage wohl nicht zu viel, wenn ich meine, die schnelle Entschließung der Geschworenen lasse auch nur eine Deutung zu. Ich wollte Frau Herlet nicht gleich bei ihrem Eintritt in mein Haus das frisch Durchlebte in Erinnerung rufen; bitte, empfehlen Sie mich und drücken Sie der Dame meine besten Wünsche aus, auch den, daß es ihr bei mir gefallen möge.«

Ein nochmaliger Händedruck zwischen den beiden Männern, dann stieg Bendring die Treppe empor, klopfte bei den Damen an und trat zu ihnen ein.

Rose Herlet kam ihm entgegen. Es schimmerte feucht in ihren Augen.

Sie streckte ihm die Hände hin.

»Doktor, Doktor – es kann nie eine Zeit kommen, in der ich vergessen könnte, was Sie an mir gethan haben!« sagte sie in ehrlicher Auswallung. »Lassen Sie mich Ihnen danken aus übervollem Herzen! Und – bleiben Sie mir, was Sie mir waren – mein teurer Freund!«

Bendring lachte.

»Ich habe nicht erwartet, daß Sie mir entgegenrufen würden: Der Mohr hat seine Arbeit gethan, der Mohr kann gehen ... Streichen Sie das lange letzte halbe Jahr aus Ihrem Gedächtnis; es war ein böser Traum! – Bon soir, Mademoiselle du Midi!«

Die elegante Französin kam herangetänzelt.

»Doktor, wenn ich nicht schon meinen Ernest hätte, ich könnte Sie gern haben!« schmeichelte sie und haschte nach seiner Hand, um sie zu drücken.

Er ging auf den Scherz ein, um die Bewegung der Frau Herlet überwinden zu helfen.

»Na, wer weiß, mein Fräulein, ob Sie an Stelle des Ernest nicht doch wieder einen im bunten Rock mir vorzögen!« neckte er.

»Rose, ist er nicht abscheulich?« rief sie mit komischem Schmollen der Freundin zu.

»Du Quecksilber und der Doktor?« fragte Frau Herlet halb träumerisch. »Das wäre das letzte, was ich mir denken könnte.«

»So?« schmollte die Französin mit lachendem Gesichte. »Meinst du, ich könnte nicht auch einmal eine ernste Miene aufstecken – oder dem gestrengen Herrn Rechtsgelehrten das Lachen beibringen, wenn ich es wollte?«

Bendring lenkte ab.

»Apropos, gnädige Frau, ehe ich es vergesse: ich habe Ihnen eine Empfehlung auszurichten. Der Zufall, der so oft sein wunderliches Spiel treibt, hat Sie in das Haus eines der Geschworenen geführt. Er läßt Sie bitten, es sich bei ihm gefallen zu lassen.«

»Das ist sonderbar ... Aber es ist mir angenehm,« entgegnete Frau Herlet nachdenklich. »Er weiß – wo ich gewesen bin, und ich brauche nicht zu fürchten, daß eine nachträgliche Entdeckung ihn verstimmen könnte. Lange werde ich mich ja nicht aufhalten, aber doch bis morgen. Fahren Sie mit nach Berlin zurück, Herr Doktor?«

»Ich denke, ja.«

»Blanche wird ein paar Tage bei mir zu Gast bleiben,« fuhr Frau Herlet fort. »Dann begleite ich sie nach Paris.«

»Ungefähr das, was ich Ihnen empfehlen wollte,« bestätigte Bendring. »Leben Sie einige Monate fern von dem Schauplatze der letzten Ereignisse; es wird Ihnen wohlthun.«

Der Anwalt stand dicht vor ihr, und sein Atem streifte sie, als er sich noch vorbeugte und verhalten flüsterte:

»Und wenn Sie mich der Ehre würdigen, mir zu schreiben, würdigen Sie mich auch der Wahrheit!«

Ein Rot deckte ihr Antlitz.

»Ja!« gab sie leise zurück.

Die schlichte Forderung wirkte tiefer auf sie als eine langatmige Predigt.

Bendring schüttelte den Ernst wieder ab.

»Befehlen Sie über mich!« wandte er sich laut und in gemeinsamer Anrede an beide Damen. »Ich glaube, auch der Leib verlangt sein Recht. Sind Sie einverstanden, wenn ich den Wirt ersuche, in einem kleinen separaten Raum für uns decken zu lassen?«

»Ich habe furchtbaren Hunger!« bekräftigte Fräulein du Midi.

Frau Herlet war mit dem Vorschlage einverstanden, und eine halbe Stunde später saß die kleine, nur um den eingeladenen Wirt vermehrte Gesellschaft in einem freundlichen Erdgeschoßzimmer an nicht üppig, aber gut besetzter Tafel und ließ sich die kräftige holsteinische Kost munden. Ein goldiger Rheinwein perlte in den schön geschliffenen Gläsern, und die Gläser klangen rein zusammen, als Bendring, zu Frau Herlet gewendet, mit den Worten anstieß: »Möge nach überstandener Prüfung das Glück Ihnen wiederkehren und hold bleiben. Prosit!«

»Es hat mich nicht verlassen, weil es mir eine echte Freundschaft bewahrt hat!« entgegnete Frau Herlet dankbar.

Am nächsten Morgen suchte der Anwalt früh in einer Kieler Tageszeitung. Er hatte richtig vermutet: dem Verfahren vom Tage vorher war ein längerer Artikel gewidmet.

»Der Prozeß gegen die Millionärin«, lautete die etwas gesuchte Ueberschrift.

Bendring durchflog den Bericht mit Befriedigung.

»Die gestrige Tagung des Schwurgerichts,« las er, »beschäftigte sich mit der Verhandlung gegen die des Mordes beschuldigte Millionärin Rose Herlet, eine in Berlin lebende, gebürtige Amerikanerin. Der Prozeß nahm in vorgerückter Abendstunde den Ausgang, an dem Kundige nach dem Ergebnisse der Beweisaufnahme nicht mehr hatten zweifeln können. Der mit Ermittelung des Mörders der jungen Hedwig von Viersen betraute Beamte unserer Kriminalpolizei hatte einen beachtenswerten Eifer und Scharfsinn aufgeboten, um auf der einmal aufgenommenen Fährte möglichst belastende Verdachtsgründe auszufinden; es ließ sich aber nicht von der Hand weisen, daß Momente von überführender Kraft nicht beigebracht waren. Der Staatsanwalt unterzog sich der undankbaren Aufgabe, die Anklage aufrecht zu erhalten und zu begründen, in einer fesselnden Rede, vermochte aber in Ermangelung stichhaltiger Unterlagen sichtlich weder das Publikum noch die Geschworenen zu überzeugen. Dem aus Berlin gekommenen, mit der Angeklagten befreundeten Verteidiger wurde dadurch seine Aufgabe wesentlich erleichtert; er erhöhte den Eindruck seiner Rede durch seine sympathische Persönlichkeit und nicht zum mindesten durch die Ruhe seines Vortrags, an deren Stelle nur vereinzelt, so zum Schluß, ein leidenschaftlicherer Schwung trat. Alle Argumente und mitunter heftigen Angriffe des Staatsanwalts scheiterten an dem zweifellosen Alibibeweise der Angeklagten; aber die Verteidigung hatte nicht einmal nötig, besonders auf diesem herumzureiten, sie konnte mit Recht hervorheben, daß der Persönlichkeit der Angeklagten irgendwelche zum Verbrechen des Mordes qualifizierenden Eigenschaften überhaupt nicht nachgewiesen waren. – Das Verbrechen am Plöner See ist also nicht geklärt, nicht einmal ein Lichtstrahl ist erhellend in das Dunkel gefallen! Die berufenen Organe werden darum ihre mühsame Arbeit von neuem beginnen müssen, und es kann fraglich erscheinen, ob ihre künftigen Anstrengungen von besserem Erfolge gekrönt sein werden. Den Eindruck aber, daß gestern eine Schuldige vor den Schranken des Gerichts gestanden hätte und der Nemesis durchgeschlüpft wäre, haben wir nicht gehabt.«

Der Artikel hob noch als Seltenheit hervor, daß der Verteidiger zugleich als Zeuge vernommen worden sei, folgte der Verhandlung und wiederholte zum Schluß eine kurze Beschreibung des Mordfalles.

Bendring schickte das Blatt der Frau Herlet in das benachbarte Hotel und entfernte sich, um noch einige geschäftliche Besorgungen zu erledigen.

Als er zurückkam, fand er mehrere Depeschen von befreundeten Kollegen und von Frau Herlet bekannten Familien vor, die Glück wünschten.

Die Aufmerksamkeit freute ihn, und er beeilte sich, der Freigesprochenen durch Uebersendung der Botschaften Kenntnis zu geben.

Um Mittag erfolgte dann die Rückreise nach Berlin.


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