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Zweites Kapitel.

Hedwig von Viersen lag mit offenen Augen. Ausdruckslos, starr, abwesend hing der Blick im Wipfelgrün.

Ein dunkler, unergründlicher Blick!

Rätselhaft streng und kalt wie in den ersten Tagen der durch Bendring versuchten Annäherung.

Pfeifende Atemzüge, ein Zucken um die fest geschlossenen Lippen und das ruckweise Wogen der Brust zeigten an, daß das Leben dem Körper noch nicht entflohen war. Aber starr blieb der Blick, farb- und regungslos das marmorne Antlitz.

Bendring setzte seine Hilferufe fort. Er unterbrach sie mit erschütternden Klagelauten und heißen Liebesworten, er berührte mit dem bebenden Munde ihre hohe, klare, reine Stirn und hauchte einen Kuß auf ihre Lippen.

Sie schien es nicht zu empfinden, schien aus ihrer Abwesenheit nicht erwachen zu können. Die Lider senkten sich langsam über die braunen Augensterne und zuckten in die vorige Starrheit zurück, der Blick blieb unnatürlich groß und wie forschend in weite Fernen gerichtet.

Erst nach langen Minuten lösten sich die zitternden Lippen von einander und die Augenlider schlossen sich schwer.

Bendring stöhnte in stummem Jammer auf.

Der Tod?

Der Tod, der die Lider schloß?

»Hedwig! Geliebte! O du Arme, Teure, stirb mir nicht! Geh nicht – – geh nicht von mir!« stotterte er in heißem Schluchzen.

Und als ob sein Bitten beschwörende Kraft hätte, so schlug sie die Augen wieder auf, neigte den Kopf ihm zu und umfaßte ihn mit weichem, klarem Erkennen.

Er erschöpfte sich in stammelnden Beteuerungen, bis ein leises Bitten von ihren Lippen ihn verstummen ließ.

In atemloser Spannung beobachtete er, wie sie Kraft zu sammeln suchte, und angstvoll horchte er zugleich auf sich nähernde Schritte, die Hilfe bringen, auf Menschen, – Kietz – Hansen –, die nach dem Telegraphenamt eilen und den Arzt – – irgend einen Arzt – von Plön herbeordern konnten.

»Fritz!« flüsterte das Mädchen.

»Hedwig, sprich: wer war's, wer konnte dir das anthun?« drang er flehend in sie.

Sie wehrte durch sanftes, kaum merkliches Kopfschütteln ab.

»Wer – wer – wer!« wiederholte er in maßlosem Schmerze.

»Wer?« sagte sie leise. »Ich – weiß es nicht. Ich – sah niemand – und nichts – – nur den roten Feuerstrahl – und den Dampf. Von da her –.« Sie wies mit dem abschweifenden Blick auf ein undurchdringlich dichtes, mannshohes Buschwerk. »– – Und laß es – Fritz. Kannst du mich – verstehen? Mir ist schwach. Trauere nicht, Fritz. Ich – weiß, daß ich sterben muß –«

»Nein, mein Herzensweib, du wirst leben!« preßte er qualvoll über die Lippen.

»Laß mich reden,« bat sie. »Höre – – ich habe nicht lange Zeit. Du – hast mich lieb gehabt – ich dich – – und es war nicht gut von mir. Ich – war nicht rein. Eine Hand – eine schlechte Hand – hatte sich ausgestreckt nach mir – und mich – entweiht. Still – ich muß beichten – vor dir – vor unserm Gott. Ich habe einen Mann geliebt – mit der Kraft meines Herzens. Ich war jung, unerfahren, vertrauend. Der Mann durfte mich nicht lieben – ich ihn nicht. Er – gehörte – einer andern. Einer, die ich nicht kannte – von der ich nichts geahnt hatte – von der sie mir sagten, die Leute, die Fremden. Er hatte es mir verschwiegen – er gestand es mir zu. Ich – haßte ihn – – ich haßte dich, als du kamst – nach ihm – nach dem Frevler, der – meine Seele getötet hatte. Er wollte mich zwingen, mit der Waffe in der Hand, mit ihm zu gehen – er bat, er fluchte, er beschwor mich – ich – habe ihn geschlagen. Das war das letzte – er ging – von mir – von seinem Weibe – in die Ferne – ein Reueloser. Er schrieb noch, dann blieb es still. Ich hörte nichts mehr von ihm – nichts von ihr.«

»Sein Name? – Sein Name?« drängte der atemlos Lauschende.

»– Tot, begraben. Er ist – nie mehr – über meine Lippen gekommen. Er soll mir nicht auch noch die Todesstunde vergällen .

»Nenne ihn!« flehte Bendring.

Sie wehrte ab.

»Nein!« klang es mit seltsamer Energie.

Ein Verdacht flammte in Bendring auf: Der Mann war der Frevler! Der Treubrüchige war der Mörder! Er hatte das keusche Weib nicht zu Fall bringen können, er hatte sie nicht einem andern gegönnt, er hatte im Wahnwitz die Waffe zum zweiten Male gegen sie erhoben und sie hingestreckt. Er! Er!

»Nenne ihn – um der Gerechtigkeit willen, nenne ihn! Wenn du mich liebst: nenne ihn!« drängte er auf die Schwerleidende ein.

»Er ist fern,« hauchte sie. »Laß ihn. War ich schuldlos?«

»Ja, tausendmal ja!« unterbrach er stürmisch.

»– Ja –,« wiederholte sie, und ein Lächeln ging wie ein Sonnenstrahl über ihre Züge. » – Ja Fritz – der Gedanke an die – Schande hat mich gequält – deine Liebe hat mich entsühnt. Du hast mich heilig geliebt – und rein gemacht. Fritz – ich danke dir. Ich – liebte dich wieder – ich gewann die Zuversicht, daß ich es durfte. Aber ich hätte es nicht dürfen. Ich hätte dir das Leid ersparen müssen, das – mein Tod dir bringt. Wen einmal die Sünde mit ihrem Atem streifte – der ist ihr verfallen. Ich war's. Ich hätte es wissen sollen –«

»Nein, das darf ich nicht hören, das darfst du nicht sagen,« unterbrach er mit strömender Herzlichkeit. »Du warst, du bist und bleibst mein Glück und meine Hoffnung – Hedwig, du wirst gesunden, du mußt es – du warst mein Stern, der mich gehoben hat, du wirst es bleiben für immer. Quäle dich nicht, schweige, ruhe – laß mich forteilen, Hilfe zu holen – – bleib still, ganz still! Laß die Hände auf der Brust, harre aus. – Gott im Himmel, daß kein Mensch zur Stelle ist. Erschrick nicht, Lieb, wenn ich rufe. Liege still ganz still!«

Er sprang auf, lief bis an die den Waldstreifen von der Landstraße trennende Wiese und rief aus Leibeskräften:

»Hilfe! Kietz, Hansen – Hilfe!«

Er bemerkte einen Jungen, der sein Rufen offenbar gehört hatte und eilig die Landstraße entlang nach der Schwiddeldei lief.

Er kehrte zu der Geliebten zurück und war entsetzt über die Veränderung, die in den wenigen Minuten seiner Abwesenheit mit dem Mädchen vorgegangen war. Auf dem todesbleichen Gesichte lag ein weiches, glückliches Lächeln, die Augen waren geschlossen und tief umrändert, das Kinn auf die Brust gesunken, der Mund wie zum Sprechen geöffnet.

Der Atem ging kaum hörbar, ein Heben der Brust war nicht mehr zu erkennen.

»Gott im Himmel!« stotterte er mit versagender Kraft. »Das – das – ist doch der Tod! Hedwig, wie gern – wie gern mein Leben für das deine! Hedwig – hörst du mich? Lieb, kannst du sprechen – kannst du hören? Kannst du mich verstehen? Mein Lieb, mein Herzenslieb – – «

Er tastete über ihre Hände und fuhr erschauernd zurück. Kalt! Kalter Schweiß – Todesschweiß – auf der leuchtenden Stirn.

Das Ende!

Zu Ende ein Leben, ein Traum, alles Hoffen – alles Glück!

Der Tod!

Ja, er war gekommen.

Er hatte ihm das Beste, er hatte ihm alles genommen.

Alles! Alles!

Er kniete in schluchzender Andacht und sah den alten Kietz nicht, der sorglos, den Arm voll Blumen, den Fußsteig herankam.

Der Fischer hatte nichts von den Rufen des Verzweifelten gehört. Sein Gehör war nicht mehr gut, das Alter machte sich geltend. Er hatte Blumen gepflückt, war an die Landestelle gekommen, hatte das Boot nicht bemerkt, und war gegangen, es am Spieß zu suchen. Es mußte ja dort sein; er hatte es schon wiederholt von dort abgeholt.

Er blieb vor der seltsamen Gruppe überrascht stehen.

War dem Stadtfräulein unwohl geworden? War sie gefallen? Vielleicht über eine der Wurzeln, die sich stellenweise über den Boden erhoben und ihn holprig machten?

Er ging noch etwas näher.

»Herr Bendring – jo!«

Kietz schüttelte den Kopf, als die Antwort ausblieb.

»Herr Bendring – jo!« wiederholte er lauter.

Der Angerufene hob müde den Kopf und fuhr sich mit der Hand über die schwimmenden Augen.

»Um Gottes willen – jo –«

Kietz kam näher, so rasch es ging.

»Was – was is? Herr Bendring – Herrgott – was – was –«

Er vergaß zum erstenmale in seinem Leben den gewohnten Nachsatz und starrte wie entgeistert auf die tote Braut.

»Ja, Kietz,« sagte der Anwalt und nickte. »Ja, sie ist nicht mehr. Tot, Kietz.«

»Nee!« stotterte der alte Mann tödlich bestürzt. »Das – das –«

Er vermochte nicht zu sprechen.

»Geben Sie die Blumen her, alter Freund,« bat Bendring.

Kietz stand wie gebannt. Der Schreck war ihm in die Glieder gefahren, daß er sich nicht zu rühren vermochte.

»T – t – tot,« murmelte er abgerissen.

Dann schien er sich zu besinnen.

»Herr Bendring – nee – das – das – scheint man so – jo. Ich – warten Sie – ich hole den Doktor – mit 'n Draht – jo.«

Er legte die Blumen unbeholfen neben die vermeintlich Bewußtlose und stolperte schwerfällig davon.

Bendring ließ ihn gewähren.

Dann kamen die Leute von der Schwiddeldei, eilig, aufgeregt, atemlos. Allen voran der Besitzer des Hotels.

»Um Gottes willen, Herr Bendring,« keuchte Hansen schon von ferne. »Ihr Fräulein Braut – Fräulein von Viersen – sie ist doch nicht etwa – – Mein Gott, der Junge sagte, Sie riefen nach Hilfe –«

Er kam im Laufschritt angeeilt und stand überrascht und verstört vor der Toten, die er vor einer knappen Stunde blühend und heiter das Haus hatte verlassen sehen.

Bendring faßte sich gewaltsam.

»Ja, sie schläft. Und sie wird nicht mehr erwachen. Sie ist einem unfaßbaren und ungeheuerlichen Verbrechen zum Opfer gefallen, das den Frieden unseres stillen Erdenwinkels grausam gestört hat. Ein Mord in dieser traulichen Abgeschiedenheit – ich hätte eher den Einsturz des Himmels für möglich gehalten. Aber es ist geschehen. Keines Menschen Macht ruft das entflohene Leben zurück. Was Menschen noch thun können, was ich thun muß: den Schurken ermitteln, der aus dem Hinterhalte die mörderische Kugel abgefeuert hat! Kietz ist unterwegs nach dem Bahnhof, um den Arzt zu rufen. Ich bleibe bei meiner Toten. Stellen Sie Ihre Leute und die Bekannten, die herzuströmen, in weitem Umkreis um den Ort des Verbrechens als Posten auf, damit niemand den engeren Thatort betreten und Spuren, die vielleicht vorhanden sind, verwischen kann; die ersten Posten am Bootshaus, eine Kette über die Wiese bis an die Landstraße, diese entlang und wieder über die Wiese und durch die Holzung bis an den Spieß. Und wenn das besorgt ist, spannen Sie an, jagen Sie Kietz nach, telegraphieren Sie an die Staatsanwaltschaft nach Kiel, an den Kreisphysikus nach Plön und bringen Sie den Guts- und den Amtsvorsteher zur Stelle, so schnell als möglich.«

»Ja – ja – «

Hansen eilte zurück.

»M – – mord –,« keuchte er unterwegs. »Wer das gedacht hätte!«

Er traf auf seine Frau und berichtete ihr fliegend.

Die Frau drohte umzusinken, so packten sie der Schrecken und das Mitleid.

»Ach, das Unglück! Das Unglück!«

Sie mußte sich niedersetzen.

»Das arme Fräulein! Die arme, alte Mutter! Und der Herr Bendring...«

»Bleib! Laß niemand durch,« bat Hansen und flog weiter.

Er stellte die herbeiströmenden Leute zu einer Postenkette auf, wie der Anwalt es angeordnet hatte. Und die Leute gehorchten verständig und willig ...


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