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7.

Der Polizeirath ging in dem geräumigen Fremdenzimmer des rothen Krugs tief und unruhig nachsinnend umher. Er war allein; der Baron Stromberg hatte ihn, als sie in das Hans traten, verlassen. Der Baron, war ein ordentlicher Mann und ebenso auch ein ordentlicher Beamter, und ein ordentlicher Beamter mußte vor allen Dingen über der Sache nicht die Form vernachlässigen, denn auch die Form gehört zu seinen Pflichten, und, wenn man will, steht sie sogar an der Spitze seiner Pflichten.

»Ich werde,« sagte der Baron zu dem Polizeirath, als sie in das Haus eingetreten waren, »jetzt zunächst über meine bisherigen Operationen und Ermittelungen ein kurzes Protokoll aufnehmen. Es ist um der Ordnung willen, damit nicht Eins durch das Andere kommt. Es tritt dadurch auch zugleich ein kleiner Stillstand in meinem Verfahren ein, der wohlthätig wirkt, ja sogar nothwendig erscheint. Man sammelt sich, man ordnet seine Gedanken, man wahrt sich vor Ueberstürzungen. Ich werde mich daher auf mein Zimmer begeben, wo ich ungestört bin. Sie, Herr Polizeirath, haben unterdeß die Güte, genau auf Alles zu achten, beziehungsweise achten zu lassen, was in und neben dem Hause vorgeht, und mir, wenn sich etwas ereignet, sofort Mittheilung davon zu machen. Wenn ich mit meinem Protokoll fertig bin, werde ich zu dem Verhöre der Frau Sellner schreiten. Auf die Frau richten Sie daher wohl unterdessen ihr besonderes Augenmerk. Freilich, entgehen kann sie uns nicht wohl.«

»Nein, sie nicht!« mußte sich der Polizeirath wieder sagen.

Der Baron stieg die Treppe zu seinem Zimmer hinauf, um sein Protokoll aufzunehmen, seine Gedanken zu ordnen und sich vor Ueberstürzung zu wahren.

»Bedürfen Sie meiner?« fragte ihn der Franzose, Herr Dubois.

»Ich danke Ihnen. Wenn der Herr Polizeirath keine Wünsche an Sie hat –«

»Ich gar keine,« sagte der Polizeirath laut. Aber für sich sagte er leise hinzu: »Nur Eins wollte ich, daß der Mensch säße, wo der Pfeffer wächst!«

Auch der Franzose ging zu seinem Zimmer. Der Polizeirath begab sich in das Fremdenzimmer. Er traf Niemanden dort. Er ging unruhig darin auf und ab und sprach mit sich.

»Wenn er die Frau vernimmt, die blasse, kranke, leidende Frau, die ein Windhauch umwirft – wie wird sie dem Sturme seiner Fragen widerstehen können? Sie wird ihm in der ersten Minute Alles bekennen, den Mord, den Raub, ihre Theilnahme, ihre Schuld, Alles. Wenn sie etwas verschweigt, so wird es nur die Schuld ihres Mannes sein. Sie wird so viel auf sich nehmen, wie sie kann, Alles, wenn es möglich sein wird. Sie gehört zu den Naturen; man braucht nur einen halben Blick in ihr Gesicht zu werfen, um ihr das anzusehen. Ihr ganzes Leben ist ein Opfer für ihren Mann gewesen, auch die Theilnahme an jenem Verbrechen. So wird sie mit einem Opfer schließen, als Opfer sterben – als Opfer für ihren Tyrannen. Hm, ist das nicht das Loos –? Teufel, ich bin Polizeirath. Aber wenn sie auch die Wahrheit ganz sagte, auch die volle Schuld ihres Mannes, stände es anders? Nach unsern vortrefflichen Gesetzen käme sie dennoch an das Rad, und den Mann, der sich hüten wird, eine gleiche Schwäche an den Tag zu legen, wie die Frau, ihn würde irgend eine Zuchthausstrafe treffen, wenn er nicht gar wegen mangelnden Beweises vorläufig freigesprochen werden müßte. Der Verführer, der Mörder frei! Die Verführte, die halb mit Gemordete, als sie von ihm gezwungen wurde, ihm zu dem Morde zu helfen, gerädert! Das nennt man Recht! In dem Rechte schwelgt der brave, steifleinene Stockjurist da oben. Heiliger Gott, Du da hoch oben in Deinem Himmel, Dich meine ich nicht! Ich meine ja nur den braven, ehrlichen Baron, den Du ja auch nach Deinem Ebenbilde geschaffen – haben sollst. – Und ich soll ihm die Hand dazu bieten, muß es, als wohlbestallter Königlicher Polizeirath! Und die arme Mamsell Caroline! Und dieser Lump von einem Franzosen! Und sein König Ludwig Philipp, der durch seinen Minister des Auswärtigen diese Nachforschung von unserer Regierung verlangt hat. Und, und – allgerechter und allweiser Gott, in drei oder vier Tagen sind vielleicht zwanzig Jahre seit dem Verbrechen verflossen, und nach Paragraph so und so viel unseres Criminalgesetzes wäre die ganze Geschichte verjährt und der Herr Sellner und seine Frau könnten sich vor den braven Baron hinstellen und ihm sagen: Euer Gnaden, ja, wir haben den Franzosen damals erschlagen; der Eine hat ihn gehalten und der oder die Andere hat ihn erdrosselt und darauf haben wir Beide ihm ein Geld abgenommen, ganze viermalhunderttausend Franken in blanken Goldstücken; und wir wollen Euer Gnaden auch die Gebeine des Erschlagenen zeigen, sie liegen noch wohl conservirt in der Erde, wenn wir auch, um besserer Sicherheit willen, den alten Stall darüber abgebrochen und der andern Erde gleich gemacht haben. Aber geben Euer Gnaden sich keine Mühe mehr. Das Alles ist passirt am 26. Oktober 1813, und heute schreiben wir den 27. October 1833, und es sind also zwanzig Jahre und ein Tag seitdem verflossen und damit ist die Verjährung eingetreten, und Euer Gnaden dürfen keine Untersuchung mehr gegen uns einleiten und dürfen uns nicht mehr hängen oder rädern lassen, werden uns aber eine große Freude machen, wenn Sie eine Flasche alten Rheinweins mit uns trinken wollen, auf die Gerechtigkeit und besonders auf die Verjährung! – Himmel, Himmel, wie machen die Menschen Dir das Recht zurecht! Den siebenundzwanzigsten Oktober schreiben wir heute erst! Und die arme Frau wird gerädert, wenn sie bekennt, und bekennen wird sie, wenn der brave Baron sie frägt und fragen wird er sie, wenn – wenn nicht die schöne und liebenswürdige Mamsell Caroline wäre? Nein, nein, er wird doch! – Und doch!« –

Er schüttelte den Kopf, der kleine, dicke Polizeirath – er hörte mitten in dem Spötteln plötzlich auf, legte den Finger an die Nase, sann einen Augenblick nach und ging dann rasch zu der Glasthür, die hinten in dem Zimmer mit diesem das freundliche Familienstübchen verband, und die durch die Beleuchtung in diesem Stübchen noch ebenso hell war, wie vorhin. Er fand auch noch die kleine Oeffnung des Vorhanges, und er konnte wieder hindurchsehen, wie vorhin, und er sah wieder hindurch.

Und was er wieder sah? Und was er wieder hörte? Sie saßen noch beisammen in dem traulichen Stübchen, die blasse Frau Sellner und die wohlgenährte und wohlzufriedene Frau Steinauer; der stille tiefgedrückte Friedrich Sellner und die weltverachtende Charlotte Steinauer, der alte Herr Steinauer – er saß allein.

Stumm saßen sie alle da. In dem blassem abgehärmten Gesichte der Frau Sellner hatte sich zu dem Schmerze eine schwere Angst gesellt. Die Frau Steinauer hatte den gespannt lauernden Blick nach allen Seiten hin offen. Sie schien etwas Ungewöhnliches zu erwarten. Daß sich etwas Ungewöhnliches im Hause vorbereite, war ihr wohl schon längst klar geworden. Friedrich Sellner trug still an der eigenen Noth. Die Angst der Mutter drückte ihn mit. Fräulein Charlotte Steinauer aß Confekt und Weintrauben und knackte Mandelnüsse. Der Herr Steinauer rechnete, – auch mit der Zeit, und da unterbrach er die Stille.

»Der Gevatter bleibt lange, Frau Gevatterin.«

»Ich begreife nur nicht, wo er bleiben mag,« erwiderte die blasse Frau.

Die korpulente Frau Steinauer hatte eine andere Bemerkung.

»Ich begreife nicht, wie man so lange hinter einem Knechte herlaufen kann.«

»Und so spät Abends,« setzte der Herr Steinauer hinzu, »wir warten schon eine Stunde auf ihn.«

Die Frau Sellner stand auf.

»Mich dünkt, ich höre draußen etwas,« sagte sie.

War es Wirklichkeit? War es Vorwand, um mit ihrem gedrückten Herzen einmal allein sein zu können? Sie wollte das Stübchen verlassen.

»Hm, hm, Frau Gevatterin,« sagte der Herr Steinauer, »der Gevatter wird ja hoffentlich bald wieder hier sein.«

»Ich denke, Herr Gevatter!«

»Und da denke ich, wir bereiten ihm eine Ueberraschung, Frau Gevatterin. Was meinen Sie mit der Caroline?«

»Wie so, Herr Gevatter?«

»Nun, der Gevatter war ja mit der Verlobung einverstanden –«

»Noch hatte er sein Wort nicht gegeben, Herr Gevatter.«

»Doch, doch; wenigstens war es eben so gut, und da meine ich, wir feiern die Verlobung mit der der Beiden da. Wenn auch der Gottfried nicht hier ist – er soll morgen nachkommen, und die Caroline bringen Sie wohl jetzt gleich mit hierher, Frau Gevatterin.«

Die Frau antwortete nicht. Sie verließ das Stübchen.

»Ich muß ihr nach,« sagte sich der Polizeirath.

»Der Frau darf kein Unglück passiren. Hm, hm, als wenn ich ihr, und nicht des Königs Polizeirath wäre!

Und wie soll, wie will ich sie denn beschützen? Gott muß es wissen, wenn ich sie beschützen oll. Und er wird es auch schon wissen. In Gottes Schutz die Mörderin? Er wird auch das schon wissen, besser, als wir armen sündigen Menschen«

Er ging aus dem Fremdenzimmer.

Als er in den Flur eintrat, wurde gerade gegenüber die Thür der Fuhrmannsstube wieder zugemacht.

Es mußte Jemand in die Stube eingetreten sein.

»Die Frau? Ich werde wieder den Horcher machen müssen.«

Er schlich an die Thür der Fuhrmannsstube und horchte.

Er hatte sich nicht geirrt.

»Ist der Kasper noch nicht wieder da, Kathrine?« fragte die Frau Sellner.

»Nein, Frau,« antwortete die alte Magd.

»Auch mein Mann nicht?«

»Auch er nicht.«

»Was mag da vorgefallen sein, Kathrine?«

»Ich weiß es nicht, Frau. Der Kasper aber meinte schon den ganzen Tag, es sei heute ein Unglückstag.«

»Sagte er das? – Ja, ja –«

Es trat eine Stille ein.

»Wo ist die Caroline?« fragte die Frau dann.

»In ihrem Stübchen oben. Wollen Sie zu ihr, Frau?«

»Ich habe mit ihr zu reden.«

»Sie ist aber nicht allein. Die Liesbeth ist bei ihr.«

»Ah, sie ist hier. Ich hörte es. Aber es ist desto besserer.«

Der Polizeirath hörte den Schritt der Frau sich der Thür nahen. Er war mit einem Satze von der Thür zurück, an der Thür des Fremdenzimmers, die er unbefangen öffnete, als wenn er etwa aus seinem Zimmer gekommen sei. Die Frau Sellner trat aus der Fuhrmannsstube und ging am Ende des Flurs die Treppe hinauf. Als sie oben angelangt war, schlich der Polizeirath ihr wieder nach. Er erstieg ebenfalls die Treppe. Aber nachdem er kaum wenige Stufen zurückgelegt hatte, begegnete ihm der Baron Stromberg, der die Treppe herunter kam.

Der vornehme, steife Herr war augenscheinlich verlegen. Bei dem plötzlichen Anblicke des Polizeiraths wurde er es noch mehr.

»Teufel,« sagte sich der Polizeirath, »was mag der angefangen haben?«

Aber wie er es sich fragte, wußte der Mann der Polizei es auch schon.

»Er hat gehorcht – gehorcht wie ich – da hat ihn die Frau überrascht. Und wo kann er gehorcht und gelauscht haben, wo anders, als an der Thür der hübschen Mamsell Caroline? Ah, ah –«

»Sind Sie schon mit Ihrem Protokoll fertig, Herr Baron?«

»Still, man könnte uns hören.«

»In der That. Gehen wir die Treppe hinunter.«

»Sie sind also fertig mit Ihrem Protokoll?«

»Ja. Ich überzeugte mich, daß vorläufig kurze Notizen genügten. Mit diesen war ich bald zu Ende.«

»Und nun?«

»Ich denke jetzt das Verhör der Frau vorzunehmen«

»Sie muß Ihnen oben begegnet sein; sie ging so eben die Treppe hinauf, zu ihrer Tochter.«

»Sie wissen das?«

»Ich hatte sie belauscht. Sie wissen, es gehört zu meinem Metier.«

»Hm –«

»Und ich möchte es vor der Vernehmung der Frau, noch ein paar Minuten lang fortsetzen.«

»Warum?«

»Im Interesse des armen Kindes, der braven Caroline.«

»In ihrem –?«

»Sie soll Vater und Mutter verlieren, Beide auf einmal, heute –«

»Es ist ein Unglück.«

»Und ein noch größeres Unglück ist es, daß sie vorher, auch noch heute Abend, erfahren soll, daß sie das Kind von Mördern ist, von gemeinen Raubmördern.«

»Es ist schlimm –«

»Und damit sie das Unglück so recht vollständig fühle, wird sie doch noch die Schwiegertochter des Herrn und der Frau Steinauer werden.«

»Aber der entsetzliche Handel kam ja nicht zu Stande.«

»Er soll jetzt zu Stande kommen; der alte Steinauer besteht darauf. Die Frau soll die Tochter herbeiholen. Sie ging deshalb nach oben. Sie ist jetzt bei ihr, und – ich muß wahrhaftig wissen, wie das Kind die Sache aufnimmt. Ich bringe Ihnen dann sofort die Frau zum Verhör in das Fremdenzimmer hinunter, Herr Baron. Oder wollen Sie sie anderswo verhören?«

»Ich werde ja sehen,« sagte der Baron.

Der Polizeirath erstieg wieder die Treppe. Oben in dem Gange, in den sie mündete, wandte er sich um eine Ecke, ging einige Schritte weiter und stand vor einer Thür still. Er schien schon mit Allem im Hause bekannt zu sein. Er war leise gegangen; leise trat er näher an die Thür und horchte an ihr. Er war vor dem Stübchen Carolinens, in welchem drei Frauenstimmen hörbar waren. Zuerst die Stimme der Tochter des Hauses. Das brave Kind hatte noch ihren frischen, kecken Muth; sie wußte nicht, was ihrem Vater widerfahren war, was ihrer Mutter drohte, was über sie selbst bestimmt war. Sie war mit der armen verlassenen Liesbeth allein indem Stübchen gewesen; sie hatte sie zu trösten gesucht, sie hatte Pläne für sie mit ihr aufgebaut. Darüber war die Mutter gekommen, und wie anders hatte diese kommen können, als alle Pläne zerstörend, allen Trost raubend? Aber den Muth ihres Kindes hatte sie nicht stören können – noch nicht.

»Nein, Mutter,« hörte der Polizeirath sie sagen, mit einer Stimme, die von Wort zu Wort mehr ihren wachsenden Muth, ihr edles Herz zeigte, »nein, Mutter, der Fritz darf nie und nimmer jene häßliche, gelbe, mißgünstige, boshafte Person heirathen. Er darf, er soll nicht für sein ganzes Leben unglücklich werden.«

»Wie könntest Du das hindern?« sagte die Mutter. »Der Vater will es; die Verlobung ist geschlossen.«

»Wie das zu hindern ist? Der Fritz braucht nur nicht zu wollen. Und er soll es nicht. Ich werde noch heute Abend mit ihm sprechen. – Er hat keinen Muth dem Vater gegenüber, willst Du mir einwerfen. Aber ich werde ihm auch den Muth schon bringen. Ich werde ihn daran erinnern, was er als ehrlicher Mann dem Mädchen da und seinem Kinde schuldig ist. Und wenn er erst den Muth hat, was fehlt ihm denn noch? Das Geld seines Vaters? Dafür hat er ein paar starke, kräftige Arme zum Arbeiten, und die Liesbeth wird ihm treu helfen. Sie war immer eine tüchtige Arbeiterin hier im Hause. War sie das nicht, Mutter?«

»Ja, das war sie,« sagte die Mutter.

»Und ich werde es auch dem Fritz sein,« rief schluchzend die Magd.

Caroline aber fuhr mit muthigerer Stimme fort:

»Und die Liebe wird Euch Beiden helfen, Eure Liebe und die meinige mit. Ich ziehe mit Euch, ich werde mit Euch arbeiten. Ich werde Dich pflegen, Liesbeth, wenn Du Deines Kindleins genesen bist. Wir werden schon durchkommen, ohne diese Steinauers –«

»Ein prächtiges Mädchen!« mußte der Polizeirath unwillkürlich ausrufen. »Ein edles Herz!« setzte wohl eben so unwillkürlich eine Stimme dicht hinter ihm hinzu. Er sah sich um, der Baron Stromberg stand hinter ihm, mit fast verklärtem Gesichte, und mit demselben verklärten Gesichte hatte der vornehme, steife, peinliche Baron gelauscht und lauschte er noch.

»Hm, hm, Herr Baron –« sagte der Polizeirath nur. Auch er mußte weiter lauschen.

»Mein braves Kind,« hörten sie die Frau Sellner sagen, und auch die Worte der Frau wurden durch Thränen unterbrochen. »Meine brave, arme Caroline, Du wolltest mit Deinem Bruder ziehen? Auch über Dich hat der Vater schon bestimmt.«

»Ueber mich – ohne mich?«

»Der Gottfried Steinauer soll Dein Mann werden; der Vater hat es dem alten Steinauer zugesagt, und Deine Verlobung soll noch heute Abend gefeiert werden.«

Der Baron Stromberg war näher an die Thür getreten. Er stand nicht mehr hinter, er stand neben dem Polizeirath und machte bei den letzten Worten plötzlich einen Satz, so daß dieser ihn verwundert ansah.

Drinnen im Stübchen, rief Caroline Sellner:

»Die gelbe Charlotte Steinauer, meine Schwägerin? –« Caroline rief es in einem Tone, als wenn sie hell und laut auflachen müsse. Aber sie hatte die Lachlust bezähmen können. Mit ihrer klarsten, festesten, muthigsten Stimme fuhr sie fort: »Ich die Schwiegertochter der Steinauers? Ich in das Haus dieser Menschen? Sieh, Mutter, ich thäte Alles, was Du und der Vater von mir verlangen, und wahrhaftig, wenn es nicht die arme Liesbeth hier und ihr Kind und die Ehre meines Bruders gälte und wenn es nicht gerade die häßliche, boshafte gelbe Charlotte wäre, ich würde dem Fritz sagen: unterwirf Dich dem Befehle Deines Vaters. Und auch ich würde jedem anderen Manne, den der Vater wollte, meine Hand reichen – ja, ich würde es. Aber zu diesen Steinauers – nie und nimmer, Mutter. Und nun darf der Fritz erst recht die Person nicht heirathen und er soll noch heute Nacht den rothen Krug verlassen, und die Liesbeth soll heute Nacht bei mir bleiben und wir Beide werden ihm Morgen folgen. Gieb uns Deinen Segen dazu, gute Mutter. Dann wird uns auch der liebe Gott seinen Segen geben, und an seinem Segen ist Alles gelegen.«

Die Mutter weinte und auch die Liesbeth weinte.

Auch Carolinens Augen mochten feucht geworden sein. Aber sie konnte mit ihrer klaren Stimme fortfahren: »Fasse Muth, Mutter. Es gilt ein gutes Werk und das Glück Deiner Kinder!«

Und die Mutter hatte Muth gefaßt. »Seid gesegnet, meine Kinder!« sagte sie. »Möge Gottes Segen immer bei Euch sein.«

»Arme Mutter!« rief Caroline, und jetzt hörte man auch ihre Stimme zittern.

»Hm, Herr Baron?« sah der Polizeirath fragend den Baron an seiner Seite an. Der vornehme Herr sah sonderbar genug aus. Das hübsche Gesicht hatte eine gewöhnliche steife, etwas aktenmäßige Unbeweglichkeit in diesem Augenblick völlig verloren. Es war hochgeröthet; die Augen leuchteten darin, die Lippen waren wie zu einem Ausrufe des Glückes, des Entzückens geöffnet. –

»Was wünschen Sie?« fragte er den Polizeirath.

»Sie waren mit Ihrem Protokoll fertig?«

»Mit meinen Notizen.«

»Die sollen Ihr Protokoll vertreten!«

»Vorläufig.«

»Und nun?«

»Und nun,« sagte der Baron, »werden wir zum Verhör der Frau Sellner schreiten.« Sein Gesicht war wieder normal aktenmäßig geworden.

»Und also,« sagte der Polizeirath, »zu dem Amen der hübschen Mamsell Caroline auch unser Amen hinzufügen?«

»Hm,« sagte der Baron.

»Wollen Sie die Frau hier gleich in dem Stübchen verhören?« fragte der Polizeirath weiter.

»Hm, hier?«

»Oder wollen Sie sie lieber herausrufen? Es gäbe noch einen dritten Weg. Wir ließen sie hier durch einen Gensdarmen arretiren. Der lange Schmidt ist unter, jeden Winkes gewärtig.«

»Gehen wir nach unten. –«

Sie verließen mit leisen Schritten die Thür, den Gang, stiegen die Treppe hinunter und gingen in die Fremdenstube. Sie waren allein darin.

»Soll ich den langen Schmidt rufen?« fragte der Polizeirath. »Er ist draußen, ich brauche nur das Fenster zu öffnen.«

»Warten wir noch.«

»Sie haben mir vorher etwas zu sagen?«

»Nein, nein!«

»So möchte ich vorher wenige Worte mit Ihnen sprechen, Herr Baron. Sie gestatten mir dies doch?«

»Bitte.«

»Diese Untersuchung ist auf ausdrücklichen Befehl des Hofes eingeleitet.«

»Wenigstens auf diplomatische Veranlassung.«

»Also jedenfalls in einer eigenthümlichen, ungewöhnlichen Weise.«

»In einer abnormen sogar, wenn Sie wollen.«

»In gleicher Weise sind auch Sie, Herr Baron, unter ganz besonderen Befugnissen mit der Einleitung und Führung der Sache beauftragt.«

»Durch einen unmittelbaren Befehl des Ministers, der mir zugleich in Allein freie Hand läßt.«

»Und so bin auch ich Ihnen zwar zur polizeilichen Assistenz beigegeben, aber mit der ausdrücklichen Weisung, nur Ihren Anordnungen Folge zu leisten.«

»Hm, ja.«

»Darf ich Ihnen den Grund hervorheben, warum das Alles so geordnet ist?«

»Eben um jener diplomatischen Beziehungen willen.«

»Hm, Herr Baron, dieser Herr Dubois ist ein Lump.«

»Zu meinem Genossen möchte ich ihn nicht haben.«

»Er ist ein großer Lump, und wenn ich den Menschen ansehe, muß ich mich über ihn und über mich ärgern, daß mein Amt mich zwingt, für einen solchen Menschen nur einen Finger rühren zu müssen.«

»Für den Menschen, Herr Polizeirath? Für das Recht und für die Gerechtigkeit handeln wir hier.«

»Pah, Herr Baron! – Der Bursch war Cassengehülfe, Diener bei dem Militairrendanten Bertheau. Er hatte mit seinem Herrn und dessen Kinde flüchten müssen. Er war mit dem kränklichen Mann, der kaum fort konnte, bis hierher gekommen. Hier konnte der Kranke nicht weiter. Der Lump ließ ihn im Stich. Nachher suchte er ihn doch wieder auf. Zu welchem Zweck? Aus Mitleid, giebt er an. Aus Mitleid? Kann Jemand das glauben, nach dem, was wir weiter von dem Burschen erfahren? Er wollte ihn berauben, er selbst, und erschlagen wollte er ihn dazu –«

»Es fehlt Ihnen an allen Beweisen für diesen Verdacht,« unterbrach der Baron den Polizeirath.

»Und können gleichwohl Sie selbst sich seiner erwehren?«

Der Baron antwortete nicht.

Der Polizeirath fuhr fort.

»Er mußte unverrichteter Sache abziehen. Er fand das, was er selbst hatte thun wollen, schon von Anderen gethan. Er zog ruhig weiter. Und liegt darin nicht doch ein Beweis für meinen und für Ihren Verdacht? Er will keine Zeit, keine Gelegenheit zu einer Anzeige des Mordes gehabt haben.

Die ersten zehn Jahre nach jenem Vorfalle hat man von dem Herrn Dubois gar nichts gehört; dann wird er auf einmal im Zuchthause gefunden. Er hatte bei allerlei Betrügereien und Schwindeleien die Hand mit im Spiele gehabt. Acht Jahre später ist er unter der geheimen Polizei; und er hat den Orden der Ehrenlegion; der Lilienorden hieß er ja wohl damals. Da wird Louis Philipp König der Franzosen und ein halbes Jahr später tritt Monsieur Dubois mit seiner Anzeige hervor, daß vor neunzehn bis zwanzig Jahren ein Französischer Beamter in einem deutschen Urwalde erschlagen und seiner Kasse beraubt sei, die Französisches Geld enthalten habe? Und wie und wann macht er diese Anzeige? Etwa offen der Polizei oder dem Staatsanwalte? Nein, er weiß sie heimlich einem obscuren Menschen vom Hofe zu insinuiren, der sie heimlich weiter bringen muß, bis sie zuletzt an einen Kammerdiener des Königs, und von dem Kammerdiener an Seine Majestät selbst kommt, die bekanntlich das Geld so lieben, daß sie unter ihrer höchsteigenhändigen Controle die Kohlköpfe aus ihren Königlichen Gärten verkaufen lassen. Und in der That werden darauf die Kasse und der Mord Gegenstand diplomatischer Verhandlungen und zuletzt wird der Mensch hierher geschickt, und Sie, Herr Baron, erhalten den Auftrag, die Sache auf delikate Weise zu untersuchen und seiner Majestät von Frankreich zu einer halben Million und dem Herrn Dubois zu dem Sündengelde eines Denunziantenantheils zu verhelfen. Verhält sich die Sache nicht so, Herr Baron?«

Der Baron antwortete wieder nicht. Er spazierte mit großen Schritten in dem Zimmer umher.

»Es wird Ihnen zwar eine Beförderung einbringen,« fuhr der Polizeirath fort. »Sie sind ein tüchtiger, aber noch junger Beamter. Sie verdienen eine außerordentliche Carriere. Aber in unserer wohlgeordneten Staatsmaschiene gehören zu einer außerordentlichen Carriere außerordentliche Verdienste. Sie können, Sie sollen sie sich hier erwerben. Vom Könige der Franzosen werden Sie einen Orden bekommen, gleichfalls, wie der Herr Dubois, das Kreuz der Ehrenlegion –«

Der Baron war mit größeren Schritten in dem Zimmer umhergegangen. Auf einmal blieb er vor dem Polizeirath stehen. »Warum sagen Sie mir das Alles?«

»Hm,« sagte der Polizeirath, »um einer armen unglücklichen Frau und um eines armen, braven Mädchens willen, die geopfert werden sollen, für – für –«

»Für –?« fragte der Baron.

»Sie nannten es Recht und Gerechtigkeit, Herr Baron. Soll ich Ihnen einen andern Namen nennen?«

Der Baron antwortete wiederum nicht. Seine gerade Gestalt war in einander gesunken, sein Blick irrte am Boden umher.

Auf einmal erhob er Gestalt und Blick.

»Lassen Sie die Frau Sellner hierher führen.«

»Die Frau allein?« fragte der Polizeirath.

»Nun ja.«

»Sie wollen –?«

»Sie verhören.«

Der kleine dicke Polizeirath schien, nicht in einander, aber umsinken, zu wollen, als wenn der Schlag ihn rühre. Er hatte Anlagen dazu.

»Verknöcherte Bureaukratenseele!« knurrte er in sich hinein. »Und der Mensch ist noch so jung. Aber der Mensch ist aus einem vornehmen Hause. Das will und muß Carriere machen! Nur Carriere!«

Er ging an ein Fenster und riß es auf. »Schmidt!« rief er hinaus. Er bekam nicht sofort Antwort. »Schmidt!« rief er lauter. »Verdammt lange Figur, wo hat Sie denn der Teufel?«

»Ich bin ja schon da, Herr Polizeirath.«

»So scheeren Sie sich in des drei Teufels Namen hierher.«

»Na, der ist gut in Rage!« sagte der lange Schmidt für sich, aber deutlich genug, daß man es hören konnte.

Der Polizeirath schlug das Fenster zu. Er war in Rage, und er mußte seiner Ironie weiter Luft machen. Das Zuschlagen des Fensters war in dem freundlichen Familienstübchen nebenan gehört. Der Herr Steinauer öffnete die Glasthür und kam in das Fremdenzimmer, um zu sehen, was es hier gebe.

»Zum Teufel, Herr, was wollen Sie hier?« fuhr ihn der Polizeirath an.

Der bescheidene Herr Steinauer wollte durch die Thür zurückfahren .Er stieß auf seine Frau, die ihm neugierig gefolgt war und ebenfalls wissen mußte, was es gab. Er wäre beinahe über sie gefallen, sie mit ihm. Aber die dicke Frau hatte mehr Muth, als der magere Mann. Sie raffte sich auf, sie trat nicht zurück, sondern ging entschlossen auf den Polizeirath zu. Sie hatte gehört, was dieser zu ihrem Manne gesagt hatte.

»Haben Sie allein ein Recht, hier zu sein,« fuhr sie ihn an, zorniger, als er ihren Mann angefahren hatte. »Wer sind Sie denn?«

»Donnerwetter,« zog sich der Polizeirath zurück, »da finde ich nicht meine Frau, aber meinen Mann.«

Der Baron trat vor.

»Madame,« sagte er mit seiner vornehmen Ruhe, »wir haben hier ein Geschäft, bei dem wir allein zu sein wünschen.«

Der dicken Frau imponirte er nicht.

»Und wenn ich nun keine Lust habe, Sie hier allein zu lassen?« rief sie, die Hände in die Seite stemmend. »Dieses Fremdenzimmer ist für alle Gäste im Hause.«

»Hm,« sagte der Baron etwas verlegen, »dann müßte ich freilich –«

Hatte er von Gewalt oder von einem Rückzuge sprechen wollen? Er brauchte seinen Satz nicht zu vollenden. Der lange Schmidt war in das Zimmer getreten, und er war nicht zugeknöpft; man sah unter seinem offenen hellgrauen Oberrock die grüne Uniform des Gensdarmen. So sah ihn auch die dicke Frau Steinauer. Die Arme fielen ihr lang am Leibe herunter; der Mund stand ihr vor plötzlicher Verwunderung offen. Ihr Mann war schon erschrocken neben ihr.

»Komm, komm, Frau!«

Er zog sie zurück. Sie ließ sich ziehen.

»Was ist das hier, Andreas?«

»Es ist hier nicht richtig, Frau. Der Gevatter seit anderthalb Stunden fort; seit einer halben Stunde auch die Frau! Und nun der Gensdarm da und –horch. – Merkst Du nichts?«

»Der Herr Baron befehlen?« fragte der lange Gensdarm Schmidt. Der Baron sah sich etwas unentschlossen nach dem Polizeirath um.

»Hm, Herr Baron, wir hätten hier gleich Zeugen,« sagte der Polizeirath. »Das Fräulein Charlotte wird auch noch da drinnen sein.«

Der Baron wurde roth.

»Gehen wir in mein Zimmer nach oben,« sagte er.

Der Baron, der Polizeirath und der lange Gensdarm verließen das Fremdenzimmer. Im Flur mußten sie an einer nur angelegten Thür vorüber. Jenseits der Thür sprach eine Stimme, die dem kleinen Polizeirath aufzufallen schien.

»Schmidt,« sagte er leise zu dem langen Gensdarm, »wenn Sie die Frau Sellner zu dem Baron führen sollen, so können Sie sie nicht eher finden, als bis ich wieder da bin. Haben Sie mich verstanden?«

»Sehr wohl, Herr Polizeirath.«

»So bekümmern Sie sich nicht weiter um mich.«

Er ließ den Baron und den Gensdarm allein die Treppe hinaufsteigen.



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