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5.

Als der Polizeirath in das Fremdenzimmer trat, war es völlig still darin, und, wie er Niemanden darin erwartet haben mochte, so gewahrte er auch im ersten Augenblick keinen Menschen darin.

Nachdem er aber kaum zwei Schritte gemacht hatte, sah er hinten in der Ecke des Zimmers, unmittelbar an der hellen Glasthür, die in das nebenan gelegene freundliche Familienstübchen führte, sich etwas bewegen, und gleich daraus flog dort eine Frauengestalt auf. Sie wollte an dem kleinen dicken Herrn vorüber, aus dem Zimmer hinaus. Er war nicht der Mann, sie ohne Weiteres hinauszulassen.

»Ah, Sie, Fräulein Caroline?«

Das arme Kind stand verlegen vor ihm.

»Ja, ich bin es. Aber sprechen Sie um des Himmelswillen leise.«

»Und warum denn das? Dürfen wir Beiden nicht zusammen sprechen?«

»Man könnte uns dort hören.«

Sie zeigte nach der Glasthür.

»Das heißt, man könnte Sie dort hören.«

»Ja denn.«

»Nun, wir wollen leise genug weiter sprechen. Sie hatten wohl an der Thür da gelauscht?«

Sie schwieg.

»Nun ja,« antwortete sie dann ein wenig trotzig.

»Es interessirte Sie also, was dort geschah?«

»Gewiß,« erwiderte das Kind in ihrer Unbefangenheit und Unschuld.

»Und – darf ich es ebenfalls erfahren?«

»Warum nicht? Es wird ein Ehekontrakt gemacht.«

»Ah, und da möchten Sie wohl lieber dort sein?«

»Ich?« rief das Mädchen mit Abscheu.

»Nun, warum nicht? Wenn zum Beispiel ein tapferer Lieutenant oder ein vornehmer Baron dort an Ihrer Seite stände –«

Sie wurde roth.

»Nein, nein!« wehrte sie ab.

»Oder ein hübscher junger Mensch mit schwarzen krausen Locken!«

Sie erblaßte.

»Nein, nein,« rief sie doch wieder.

»Aber welche Personen sollen denn dort miteinander verlobt werden?«

»Mein Bruder und die Mamsell Steinauer.«

»Ah, dieselbe Mamsell Steinauer, die wir mit Vater und Mutter unterwegs trafen?«

»Dieselbe.«

»Hm, Fräulein Caroline, wären Sie so freundlich, mir ein paar Fragen zu beantworten?«

»Wenn ich es kann, recht gern.«

»Ich habe Sie vorhin als ein prächtiges Mädchen kennen gelernt. Sie nahmen sich eines armen Geschöpfes mit warmem Herzen und mit bravem Muthe an. War es ein braves Mädchen, dessen Sie sich annahmen?«

»Gewiß, gewiß. Sie hat vier Jahre hier im Hause gedient. Sie kam als halbes Kind her. Sie war immer treu und gut.«

»Und sie wurde hier verführt?«

»Nein, nein, es ist ein Unglück gewesen, ein großes Unglück.«

»Hm, und wer ist der Zweite, dem das Unglück passirte?«

»Mein Bruder.«

»Der dort mit der Mamsell Steinauer verlobt werden soll?«

»Er soll die Tochter des reichen Steinauer heirathen.«

»Wer will es?«

»Mein Vater.«

»Und Ihre Mutter –? Sie haben doch noch eine Mutter?«

»Ja,« sagte das Mädchen traurig.

»Warum sagen Sie das so traurig?«

Dem Kinde standen die Thränen in den Augen.

»Meine Mutter ist nicht glücklich –.«

In den Augen des Polizeiraths leuchtete auf einmal etwas auf.

»Was macht sie unglücklich?« fragte er.

Das Kind mochte einsehen, daß sie dem Fremden gegenüber wohl schon zuviel gesagt habe.

»Ich, weiß es nicht,« antwortete sie.

In dem Gesichte des Polizeiraths zeigte sich ein Zug von Gutmüthigkeit. Er kam auf seine frühere Frage zurück.

»Ihr Vater will jene Heirath?«

»Ja.«

»Gegen den Willen Ihres Bruders?«

»O, gewiß.«

»Und auf welcher Seite ist Ihre Mutter?«

»Sie möchte wohl gern meinem Bruder beistehen.«

»Und was Sie, mein liebes Fräulein Caroline, möchten, danach brauche ich wohl gar nicht erst zu fragen.«

»Ich will nur das Glück meines armen Bruders.«

»Und Sie nähmen die Dienstmagd gern als Ihre Schwägerin auf?«

»Von Herzen gern. Ich hatte sie immer lieb.«

»Potz Wetter, mein liebes Fräulein, warum läßt Ihr Bruder sich denn da mit der alten, häßlichen, eingebildeten Person verloben?«

»Ach, mein armer Bruder Fritz hat das beste Herz von der Welt, aber es fehlt ihm der Muth.«

»Hm,« hatte der Polizeirath noch eine Frage, »und wer ist der reiche Herr Steinauer?«

Das Gesicht des Mädchens glühte in Zorn auf.

»O, das ist der abscheulichste, der häßlichste, der hartherzigste Mensch, den man sich denken kann!«

»Hm, hm, das ist viel. Und was ist er außerdem? Seines Zeichens?«

»Er ist Holzhändler, auf der anderen Seite des Stromes, und steht mit meinem Vater schon seit vielen Jahren in Verbindung. –«

Die Unterredung der Beiden wurde unterbrochen.

Der Baron von Stromberg trat in das Zimmer.

Er war in tiefen Gedanken.

Als er das Mädchen sah, wurde er verlegen.

»Ich fühle es, wir sehen uns wieder!« hatte er zärtlich gerufen, da er am Nachmittage Abschied von ihr nehmen mußte, und er hatte keinen Abschied auf immer von ihr nehmen wollen. Er stand jetzt wieder vor ihr.

»Ah, Fräulein –« stotterte der vornehme und verlegene Baron. Das hübsche Kind sah ihn desto unbefangener an.

»Wir sehen uns ja schon recht bald wieder, Herr Baron. Ich hatte gar nicht geahnt, daß Sie zum rothen Kruge wollten.«

»Ja, ja,« erholte sich der Baron, »wir hatten nicht davon gesprochen. Es war Zufall.«

»Werden Sie lange hier bleiben?«

»Bis morgen.«

Sie mochte doch seine Verlegenheit gewahren.

»Wünschen Sie etwas?« fragte sie ihn.

»Ich danke sehr.«

Der Baron ging, als sie fort war, mit großen Schritten in dem Zimmer umher. In seinem Innern schien nicht alles so zu sein, wie er es wohl hätte wünschen mögen. Der Polizeirath sah ihm mit seinem knurrigen Gesichte nach.

»Herr Baron!«

»Was ist Ihnen gefällig?«

»Ich hatte eine Unterredung mit der jungen Dame«.

»So?«

Der Ton, in welchem der Baron das Wörtchen sprach, sollte ein gleichgültiger sein, und war es eben darum nicht.

»Sie ist ein braves, unschuldiges Herz,« fuhr der Polizeirath fort.

»Ich glaube es.«

»Ich freue mich, daß Sie das ebenfalls anerkennen. Wahrlich, wir haben hier eine schwere Pflicht zu erfüllen, und das arme Kind thut mir sowohl wegen seines Vaters als auch noch aus einem anderen Grunde leid.«

»Und aus welchem?«

»Ich fürchte, sie hat eine Liebe in ihrem jungen Herzen.«

Der Baron wurde feuerroth.

»So?« sagte er.

Der Polizeirath sprach nicht weiter. Der Baron ging wieder in dem Zimmer auf und ab. Der Erstere folgte ihm nicht mehr mit seinen Blicken. Er schien einen Zweck, den er erreichen wollte, erreicht, oder wenigstens zu seiner Zufriedenheit vorbereitet zu haben. Er wandte einem andern Gegenstande wieder seine Aufmerksamkeit zu.

Er kehrte zu der Glasthür hinten in dem Zimmer zurück und nahm seinen früheren Beobachtungsplatz wieder ein; er suchte die kleine Oeffnung an dem Vorhange auf. Sie war noch da. Mamsell Caroline hatte ja wohl vorhin ebenfalls hindurch gesehen. Auch er sah wieder hindurch, in das freundliche Familienstübchen, und wie er wieder sehen konnte, was sich darin begab, so konnte er auch hören, was darin gesprochen wurde, trotz den unruhigen Schritten des Barons von Stromberg.

In dem freundlichen Stübchen saßen um einen Tisch drei Paare beisammen. Der Tisch hätte brechen können von der Last der Kuchen, des Obstes, der Chokolade. des Weines, der kalten Küche, der silbernen, porzellanenen und crystallenen Schüsseln und Kannen, Caraffen und Flaschen, Tassen und Gläsern, die alle auf der schneeweißen Damastdecke umherstanden.

Alles zeigte den Reichthum des Hauses und sollte ihn zeigen.

Die drei Paare waren zuerst der Hausherr, der starkknochige, breitschultrige Herr Sellner mit seinem harten Gesichte und seinem herrischen, rohen, gewaltthätigen Wesen, und sein Gast, der kleine, dürre, bescheidene und kluge Herr Steinauer.

Den Beiden gegenüber saßen die Frauen derselben, die corpulente Frau Steinauer mit ihrem rothen vollen Gesicht und der Selbstzufriedenheit und Weltverachtung darin, und die blasse Hausfrau mit dem Drucke, der ihr schwer auf dem Herzen lag und dem Schmerze, der ihr tief genug darin sitzen mochte.

Die Ehe gefällt sich oft in sonderbaren Contrasten.

Das dritte Paar – es waren die Kinder jener beiden Paare, der junge Friedrich Sellner, der, wie seine Mutter, blaß und traurig und gedrückt und muthlos genug aussah, und die Mamsell Charlotte Steinauer, mager und gelb, bevor sie nur jemals rund und frisch gewesen war, im Uebrigen aber, an Zufriedenheit mit sich und an Verachtung Anderer, ihrer Mutter gleichend.

Die Beiden sollten ein Brautpaar werden.

Fritz, ich thäte es nicht! hatte die hübsche Caroline Sellner zu ihrem Bruder gesagt. Der Polizeirath murmelte es vor sich hin.

Das junge Paar – ganz jung waren sie wohl nicht mehr, der junge Mann zählte seine fünf- bis sechsundzwanzig Jahre, und die Dame an seiner Seite mußte mindestens ein oder zwei Jahre älter sein. Sie saßen still und stumm beisammen. Fritz Sellner sah und hörte nicht auf; er war mit Augen und Gedanken wohl ganz anderswo; und doch, konnte er ganz mit ihnen anderswo sein? Die Mamsell Steinauer schien aufgeräumt zu sein, sie hatte Augen und Ohren für Alles um sie her, und ihre schmalen, blauen Lippen hatten für Alles ein höhnisches und verächtliches Lächeln. Die beiden anderen Paare sprachen jedes mit einander.

»Wollen Sie nicht zulangen, Frau Gevatterin?« nöthigte die Frau des Hauses.

»Ich danke, Frau Gevatterin,« sagte die Frau Steinauer.

»Schmeckt's Ihnen denn nicht?«

»O, im Gegentheil. Es ist ja Alles so schön und kostbar bei Ihnen. Setzen Sie Ihr Silbergeschirr alle Tage auf?«

»Mein Mann wollte es heute so.«

»Ah so!«

Der Herr Sellner warf seiner Frau einen zornigen Blick zu. Das blasse Gesicht der Frau wurde dunkelroth. Der Herr Sellner fuhr ruhig in dem Gespräche fort, das er mit dem Herrn Steinauer führte. Eigentlich war es ein Handel.

»Nun, Gevatter über die Ausstattung des Mädchens wären wir also eins.«

»Bis auf das Geld, Gevatter.«

»Richtig, bis auf das Geld. Ich gebe meiner Tochter sechstausend Thaler mit.«

»Was, Gevatter Steinauer? Wieviel?«

»Wäre es Ihnen nicht genug?«

»Hm, Gevatter, um meinetwillen schon. Aber sollen die Leute sagen, der reiche Steinauer habe seine Tochter wie eine Bettlerin aus dem Hause gehen lassen?«

»Reich, Gevatter Sellner?«

»Wie gesagt, Gevatter Steinauer, um meinetwillen ist es ja nicht.«

»Aber, Gevatter Sellner, Sie rechnen falsch, wenn Sie mich für reich halten.«

»Nun, dann bin ich es, Gevatter, und Ihre Tochter kann meinethalben ohne einen halben Thaler in mein Haus kommen.«

»Andreas,« rief die Frau Steinauer ihrem Manne zu, »gieb tausend Thaler mehrt«

»Tausend Thaler mehr?« lachte der Herr Sellner laut auf. »Das wären siebentausend. Sieben ist eine böse Zahl, besonders in der Ehe.«

Er lachte lauter und sah nach der Frau Steinauer und nach der Braut, seiner künftigen Schwiegertochter, hin. Die Braut biß die schmalen blauen Lippen zusammen. Die Frau Steinauer wurde dunkelroth.

»Gieb Achttausend!« rief sie wüthend.

»Zehntausend oder nichts!« sagte der Herr Sellner.

Der kleine dicke Polizeirath hatte an dem Fenster in sich hinein lachen müssen. Der Baron auf seiner Promenade bemerkte es und trat zu dem Polizeirath.

»Worüber lachen Sie?« fragte er.

»Ueber den possirlichsten Handel von der Welt.«

»Man kann ihn nebenbei auch sehr traurig finden.«

»Und dennoch lachen Sie darüber?«

»Werden Sie ebenfalls Zeuge, Herr Baron!«

»Zeuge? Wie das?«

»Haben Sie die Güte, durch diese kleine Oeffnung zu schauen!«

»Wie, ich sollte den Lauscher machen?«

»Pah, es gehört zum Geschäft.«

»Zu dem meinigen nicht!«

»Hm, wie Sie wollen, Herr Baron!«

Indem der Polizeirath das sagte, nahm er seinerseits ruhig seinen Lauscherposten wieder ein. Der Baron aber war doch neugierig geworden. Er begann seine Promenade durch das Zimmer wieder, aber er hielt sich in der Nähe der Glasthür und trat leiser auf, um vielleicht etwas hören zu können, und bald sollte er ganz den Lauscher machen.

Der Herr Steinauer hatte in das kurze Zwischengespräch seiner Frau und des Herrn Sellner sich nicht hineingemischt. Er war durchaus ruhig dabei geblieben. Als die Beiden schwiegen, sagte er:

»Gevatter Sellner, hätte Ihnen einen Vorschlag zu machen.«

»Lassen Sie hören, Gevatter Steinauer.«

»Sie haben zwei Kinder!«

»Ja, den Friedrich und die Caroline!«

»Und ich habe außer dem Mädchen da auch noch einen Sohn, und mein Gottfried wird künftig nach mir Herr, wie der Friedrich nach Ihnen. Was meinen Sie, wenn wir einen doppelten Handel machten? Ihre Caroline hat mir gefallen, sie hat etwas Resolutes, und einer resoluten Frau bedarf mein Gottfried. Sie ist zwar in der Residenz etwas vornehm geworden und unterwegs konnte sie so verzweifelt schön thun mit einem Herrn; aber das wird sich schon geben, wenn sie einmal meine Schwiegertochter ist. Was meinen Sie zu der Sache, Gevatter?«

Der Herr Sellner hatte zu den mancherlei Eröffnungen, die ihm da auf einmal gemacht wurden, nur eine Meinung.

»Was hat das mit der Aussteuer Ihrer Tochter zu thun, Gevatter?«

»Ei, Gevatter, wir geben dann ein Jeder unserer Tochter Zehntausend Thaler mit.«

»Hm, Gevatter, das ließe sich hören.«

»Also, Gevatter Sellner, der Gottfried und die Caroline!«

Der kleine dürre Mann rief die Worte laut.

Die Annahme seines Vorschlags mußte ihn sehr vergnügt gemacht haben. Der Baron Stromberg hörte die lauten Worte. Sie durchzuckten ihn. Er trat näher zu der Glasthür. Der Polizeirath machte ihm Platz, unwillkürlich oder geflissentlich. Der Baron nahm des Polizeiraths Platz ein. Er brachte sein Auge an die Oeffnung des Vorhanges und legte sein Ohr an die Glasscheibe. Er machte den vollkommenen Lauscher, den gespannteren, als vorher der Polizeirath.

In dem freundlichen Familienstübchen sprachen sie weiter. Daß sie behorcht werden könnten, daran dachten sie wohl nicht. Und wenn auch, sie waren ja in einem ehrlichen Handel begriffen, der bald genug offenkundig werden mußte, und daher auch schon in seinem Entstehen das Tageslicht ertragen konnte.

Die Frau des Hausherrn nahm jetzt das Wort. Sie hatte noch nichts zu dem Handel gesagt. Die blasse, leidende, gedrückte Frau hatte auch wohl ihrem herrischen, rohen Manne gegenüber keine Stimme dabei. Aber es war etwas Neues hinzugekommen, und das schien ihr das Mutterherz auf das Tiefste anzugreifen. Sie mußte sprechen. Sie mußte es wagen. Sie wagte es schüchtern.

»Aber, Sellner –«

»Was hast Du?« fuhr er sie an.

»Sollen wir nicht vorher unser Kind fragen?«

Der Mann wurde wieder dunkelroth vor Zorn.

»Was?« rief er. »Was sagst Du da? Wiederhole es!«

Es war ein Befehl. Die arme Frau gehorchte ihm.

»Ob wir nicht vorher unsere Caroline fragen sollen?«

Da fuhr der Mann auf. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß Gläser und Tassen, Flaschen und Schüsseln klirrten und klapperten.

»Gott stehe mir bei, Frau! Du willst die Ordnung im Hause umkehren? Ich soll die Dirne fragen? Habe ich den Burschen da gefragt? Ich bin der Herr in meinem Hause und in meiner Familie. Ich, und nicht meine Kinder!«

Die Frau wagte kein Wort mehr. Die Furcht vor dem harten Manne schien ihr gar die Thränen zurückzudrängen, die ihr nahe genug sein mochten.

»Wir wären also einig, Gevatter!« sagte freundlich der kleine dürre Herr Steinauer.

»Trotz den Weibern, Gevatter!«

»So schlagen wir ein! Ein Wort, ein Mann!«

Der Herr Steinauer erhob die Hand zum Einschlagen.

Der Herr Sellner that desgleichen.

»Ein Wort, ein –«

Er wurde unterbrochen. Er konnte den Satz nicht vollenden und kam nicht zum Einschlagen.

Der Baron Stromberg schlug plötzlich heftig und stark an die Glasthür.

»Heda!« rief er.

In demselben Augenblicke trat er zurück.

»Rufen Sie den Sellner herein!« rief er dein Polizeirath zu.

»Den Sellner? Wozu? Warum?«

»Rufen Sie nur! Schnell! Sofort!«

Er selbst flog an ein Fenster, das auf den Hof führte, und riß es auf.

Der Polizeirath rief mit seiner lautesten Stimme in das Stübchen hinein:

»Herr Sellner, Herr Sellner! Kommen Sie einmal geschwinde hierher!«

»Donnerwetter!« war der Herr Sellner schon bei dem Stoß an die Glasscheibe aufgefahren und er hatte hingehorcht, was weiter kommen werde.

»Welcher Narr schreit denn da, als wenn das Haus brenne?« rief er, als dann so eilig sein Name gerufen wurde. Er folgte indeß dem Rufe, öffnete die Glasthür, trat in das Zimmer und stand vor dem kleinen dicken Polizeirath.

»Was wollen Sie, Herr?« fragte er.

»Ja, was will ich?« mußte der Polizeirath wieder sich selbst fragen, und fragend sah er auf den Baron, der sich weit aus dem Fenster hinausgelegt hatte und allerlei Bewegungen in den dunklen Hof zu machen schien.

»Was ich will?« sagte er zu dem Herrn Sellner.

»Sein Sie so gütig, einmal hereinzukommen.«

Der Herr Sellner trat in das Zimmer.

»Und die Thür hinter sich zuzumachen,« sagte der Polizeirath weiter.

»Warum?«

»Ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu sagen.«

Der Polizeirath hatte ein sehr wichtiges Gesicht.

Der Herr Sellner verschloß die Glasthür.

»Nun, was wollen Sie?«

»Der Herr Baron da wird es Ihnen sagen.«

Der Baron war vom Fenster zurückgekehrt Der Herr Sellner wandte sieh an ihn.

»Was wünschen Sie?« fragte er mit unterdrücktem Aerger, aber doch höflich.

»Ich wünschte meinen Postillon zu sprechen, der hier geblieben ist. Ich kann den Mann nicht finden. Ließen Sie ihn wohl zu mir her rufen?«

Der Baron sprach es mit einer gemessensten und vornehmensten Ruhe. In dem Herrn Sellner kochte es zornig auf. Aber gegen den vornehmen Herrn wandte sich sein Zorn nicht. Dem kleinen dicken Polizeirath jedoch rief er zu:

»Darum, Herr, hätten Sie auch nicht so zu schreien brauchen!«

Er ging dennoch aus dem Zimmer, zum Hausflur, nach der Fuhrmannsstube hin.

»Jetzt geben Sie Acht,« sagte der Baron zu dem Polizeirath.

»Aber was haben Sie vor, Herr Baron?«

»Still! Geben wir Acht.«

Sie horchten.

»Kasper!« hörten sie den Herrn Sellner rufen.

Er erhielt keine Antwort.

»Kasper! Kasper!« rief er noch einmal.

Niemand antwortete ihm. Er mußte schon wüthend geworden sein. Er rannte in die Hausthür.

»Kasper! Zum Donnerwetter, Kasper!« rief, schrie er in den Hof hinein. Auch dort erhielt er keine Antwort. Er stürzte in das Haus zurück.

»Kasper! Zu allen Teufeln, wo steckt der verdammte Mensch?« schrie er, daß es durch das ganze Haus dröhnte. Die Leute des Hauses eilten von allen Seiten herbei. Aber Kasper war nicht unter ihnen.

»Wo ist Kasper?« fuhr er unter sie.

Niemand wußte es.

»Was soll er? Können wir es nicht besorgen?« fragte man.

»Nichts soll er! Nichts könnt Ihr besorgen. Er soll da ein. Ich will wissen, wo er ist.«

Die alte Kathrine kam herbei. Sie hatte ein ängstliches, geheimnißvolles Gesicht.

»Mit dem Kasper ist es nicht richtig, Herr.«

»Was ist es mit ihm?«

»Er ist fort. Ich suche ihn schon lange, im Hause, auf dem Hofe, in den Ställen. Er ist nirgends. Er ist auf einmal verschwunden. Er ist nicht zu sehen und nicht zu hören. Und so auf einmal ist er fort. Es ist sonderbar. Der alte Mann geht niemals aus dem Hause.«

Die alte Magd sah so ängstlich aus, sprach so ängstlich. Die Leute sahen sich besorgt an. Auch sie wußten nichts von dem alten Manne. Der Hausherr war nicht mehr zornig. Er war still geworden.

»Wo ist der Postillon, der die fremde Herrschaft hergefahren hat?« fragte er.

»Im Stalle bei den Pferden«

»Rufe ihn Einer zu einem Herrn.«

»Und der Kasper?«

»Ich werde ihn selbst suchen. Ihr Anderen kehrt an Eure Arbeit zurück.«

Einer von den Leuten war zu dem Stalle gegangen, den Postillon zu rufen, die Andern gingen wieder zu ihrer Arbeit. Der Herr Sellner kehrte nicht zu seinen Gästen zurück. Das räthselhafte Verschwinden seines alten Knechts mußte ihm ein besonders wichtiges Ereigniß sein. Er stand ein paar Sekunden tief nachsinnend.

Dann ging er in den dunklen Hof vor dem Hause.

»Jetzt beginnt unser Werk,« sagte der Baron zu dem Polizeirath.

»Und in welcher Weise, wenn ich es endlich erfahren darf?«

»Der Grund zu der heimlichen Verhaftung des alten Knechts wird Ihnen jetzt klar geworden sein.«

»Der Herr Sellner soll sich ängstigen?«

»Er ängstigt sich bereits und er wird es noch mehr. Die Angst aber verwirrt den Menschen und treibt den Verbrecher wider seinen Willen zu Entdeckungen und Geständnissen. So soll das Weitere sich vor Ihnen selbst entwickeln. Folgen Sie mir.«

Geheimnißvoll und triumphirend verließ der Baron das Zimmer. Der Polizeirath folgte ihm, verwundert und neugierig. Sie gingen auf den Hof vor dem Hause.

Auf dem Hofe herrschte tiefes Dunkel. Der Baron machte Halt, in das Dunkel hineinzuhorchen.

Man vernahm keinen Laut.

»Haben Sie sich die Lokalität hier draußen angemerkt?« fragte der Baron seinen Begleiter.

»Vollkommen.«

»Haben Sie auch den alten Stall gefunden?«

»Ja.«

»Werden Sie mich hinführen können?«

»Gewiß.«

»So bitte ich darum. Indeß noch Eins. Die Gensdarmen sind doch in der Nähe?«

»Schmidt hat für Alles gesorgt.«

»So gehen wir; aber mit der größten Vorsicht. Wir müssen bei jedem Schritte auf unserer Hut sein.«

»Vor wem?«

»Zunächst vor dem Herrn Sellner.«

»Hm,« sagte der Polizeirath, »was den anbetrifft, so kommt er da gerade, wenn ich nicht irre.«

Der Baron horchte. »In der That! Es ist sein derber Schritt, der nur leise aufzutreten sucht, damit man ihn nicht höre.«

»Ja, so ist es.«

Der Polizeirath hatte das schon vorher gehört, während er sprach. Er stand doch als Polizeimann wohl über dem Baron. Aber auch der Baron hatte polizeiliche Eigenschaften.

»Ah, er hat seinen alten Knecht nicht gefunden. Er wird in größerer Angst sein, und – ah, ah – still, still! Da – das ist vortrefflich! Das trifft sich herrlich. Ziehen wir uns ganz in den Winkel der Mauer zurück.«

Sie waren nach links an dem Krughause entlang gegangen. Sie befanden sich an einem Winkel, der durch einen Vorsprung der Mauer gebildet wurde. Sie stellten sich in den Winkel und standen dort in völliger Dunkelheit. Links von ihnen, zwischen dem Stall und der Remise, kam der derbe Schritt hervor, der leise aufzutreten suchte. Rechts von ihnen war ein anderer Schritt laut geworden. Er kam von der andern Seite der Landstraße, aus dem kleinen Gebüsche, das sich dort befand. Es war ein sehr eiliger Schritt. Jemand lief, was er laufen konnte auf das Haus zu.

»Ah, ah, vortrefflich, herrlich!« wiederholte der Baron.

Auch ein Anderer mußte den Schritt erkannt haben.

»Kasper, Kasper!« rief die gedämpfte Stimme des Herrn Sellner. Er war zwischen den Nebengebäuden hervorgekommen. Und der Knecht Kasper war es, der auf das Haus zulief. Der alte Knecht hatte den Ruf seines Herrn gehört. Er hemmte seinen Schritt.

»Bist Du es, Kasper?« fragte der Herr Sellner.

»Ja, Herr!«

Sie eilten auf einander zu. Sie standen vor einander.

»Kasper, wo warst Du?«

»Sprechen Sie leise! Um Gotteswillen, Herr!«

»Aber wo warst Du? Was ist mit Dir geschehen?«

»Ich war arretirt!«

»Arretirt? Von wem?«

»Von einem Gensdarmen –«

»Wo? Wo?«

»Im Hause. In der Fuhrmannsstube.«

»Redest Du irre, alter Mann?«

»Nein, nein. Der vornehme Herr, der mit der Extra-Post ankam – Sie haben ihn gesehen?«

»Ich habe ihn gesehen.«

»Er war mit mir in der Fuhrmannsstube; auf einmal rief er einen Gensdarm herein und übergab mich dem als seinen Gefangenen. Der Gensdarm führte mich ab, ohne daß ich vorher einen Menschen sehen durfte, brachte mich draußen in den Wald, dann in das Feld, dann wieder in den Wald. Er mußte in der Dunkelheit seinen Weg verloren haben. Er wußte zuletzt nicht mehr, wohin. Wir waren wieder in die Nähe des Kruges gekommen. Er suchte und suchte nach dem Wege. Darüber ließ er mich aus den Augen, und wie er im besten Suchen war, entsprang ich ihm und lief hierher.«

Der Herr Sellner hatte den Knecht nicht unterbrochen. Was er hörte, mußte ihn sehr nachdenklich gemacht haben.

»Warum wurdest Du arretirt?« fragte er, und seine Stimme schien eine ganz andere geworden zu sein. –

»Herr – ja, Herr – ich muß es Ihnen sagen. Darum rannte ich zuerst hierher zurück. Ich wurde nach dem alten Stalle gefragt –«

»Mensch!« fuhr der Herr Sellner auf. Aber es war diesmal kein Auffahren des Zorns; es war der plötzlichste, der jäheste, der entsetzlichste Schreck, der mit dem Worte aus seinem Innern hervorbrach.

»Mensch!«

»Und,« fuhr der alte Knecht fort, »nach dem, was vor zwanzig Jahren darin geschehen sei.«

Zu dem Schreck des Herrn Sellner mußte sich die Angst des Todes gesellt haben.

»Komm' ins Haus!« sagte er mit bebender, kaum verständlicher Stimme.

»Im Hause wird man mich suchen, Herr.«

»Komm!« Sie gingen Beide in das Haus.

»Nun?« fragte triumphirend der Baron Stromberg seinen Gefährten. »Erkennen Sie meinen Plan?«

»Ich ahne ihn.«

»Noch Eins muß ich Ihnen sagen. Das Benehmen des Gensdarmen Weber gegen seinen Gefangenen war ihm von mir vorgeschrieben. Er mußte ihn, auf ein verabredetes Zeichen von mir entfliehen lassen.«

»Ich mache Ihnen mein Compliment, Herr Baron. Ihre Combination war eine richtige und glückliche.«

»Aber bis jetzt erst zur Hälfte,« sagte der Baron.

»Die Hauptsache muß nachfolgen. In dem Stall ist der Ermordete verscharrt; die Gebeine liegen noch dort. Der Verbrecher wird durch sie überführt. Er muß dort nach den Mittheilungen des alten Knechts, eine Recherche, ein Nachgraben noch in der heutigen Nacht fürchten. Er muß dem zuvorkommen. In einer Viertelstunde dürfen wir ihn mit dem Knechte zu dem Zwecke in dem Stall erwarten. Wir müssen sofort hin; wir müssen sie ihre Arbeit beginnen lassen und sie dann mitten in ihr überraschen und überfallen. Wir haben alsdann das ganze, volle Verbrechen. Darauf eben zielten meine Vorbereitungen hin. Die Gensdarmen sind in der Nähe des Stalles versteckt. Sie selbst haben, wie mir Schmidt rapportirte, die Gegend sich angesehen. Wir bedürfen nur noch des Franzosen, der an Ort und Stelle anwesend ein muß. Sie sind wohl so gütig, den Herrn Dubois aus seinem Zimmer zu holen. Ich warte hier auf Sie.«

Der Polizeirath war still geblieben.

»Sie scheinen nicht einverstanden zu sein?« fragte ihn der Baron.

»Hm, ich erlaube mir Eine Frage.«

»Und welche?«

»Alle unsere Vermuthungen richten sich auf den Stall. Dort nur ist die Grundlage zu einer weitern Untersuchung zu finden. Warum graben wir nicht sofort in ihm nach? Warum noch erst jenes Zuvorkommen des Verbrechers abwarten?«

Der Baron lächelte. Es war das Erstemal heute.

»Sie sind nur Polizeimann, der gern sofort zugreifen mag. Die Gründe für mein Verfahren liegen nahe. Zuerst, wissen wir bestimmt im Voraus, daß wir das Gesuchte in dem Stalle finden werden? Kann es nicht zum Beispiel zur Zeit der That noch einen zweiten Stall gegeben haben?«

»Der Franzose hat nur von Einem gesprochen,« warf der Polizeirath ein.

»Wohl. Aber wenn wir durch unser einseitiges Nachgraben das Gesuchte finden, was kann, was wird dieser Herr Sellner uns einfach sagen? Meine Herren, mein Stall stand immer offen. Ist Jemand darin erschlagen, ist der Leichnam darin vergraben, warum soll unter allen den Menschen, die das gethan haben können, ich allein, grade ich der Thäter sein? Gräbt er dagegen selbst uns die Leiche heraus, was kann er dann entgegnen?«

»Sie gehen jedenfalls sicherer,« zog sich der Polizeirath zurück.

»Das muß die Justiz. Darf ich jetzt bitten, den Franzosen zu holen?«

»Ich gehe,« sagte der Polizeirath.

Er kehrte in das Haus zurück.

Der Baron blieb hinter dem Vorsprunge der Mauer, seine Rückkehr zu erwarten.



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