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1.

Auf der Poststation fuhr eine Extrapost vor.

Vier Personen stiegen aus.

Zuerst ein sehr langer, magerer Mann. Er trug einen langen, bis über die Kniee herunterreichenden, bis an die Halsbinde zugeknöpften, hellgrauen Ueberrock und hatte ein wettergraues Gesicht und in diesem einen starken, borstig geschnittenen, grauen Schnurrbart.

Er sah zwar nicht aus, wie ein Bedienter; er mußte aber doch wohl eine untergeordnete Stellung zu der übrigen Reisegesellschaft einnehmen. Er blieb an dem Wagenschlage stehen und half dieser aussteigen.

Ein hübscher junger Mann war der erste, dem er half, schlank, groß, mit einem vornehmen, gemessenen Anstande und mit blonden Haaren, die glatt über eine denkende Stirn gestrichen waren.

Ihm folgte ein ältlicher Herr mit einem spitzen, gelben Gesichte, mit Spitzbubenaugen und mit dem rothen Bändchen der französischen Ehrenlegion im Knopfloche.

Zuletzt kam ein kleiner, dicker, runder Herr mit einem sehr knurrigen, rothen Gesichte.

Die Herren waren vor der Thür des Posthauses ausgestiegen.

Der Postillon hatte durch Blasen seine Ankunft angemeldet, als er auf den Posthof fuhr.

Aus dem Posthause war der Postmeister auf den Hof getreten. Der Postillon übergab ihm den Extrapostzettel. Er las ihn, während die Herren ausstiegen. Er wandte sich dann an Einen von ihnen, an den ältlichen mit dem gelben Spitzbubengesichte und dem rothen Bändchen der Ehrenlegion.

Es war ein alter Soldat, der Postmeister; wahrscheinlich war er Feldwebel gewesen. Gewiß war, daß er die Freiheitskriege mitgemacht hatte; denn er trug auf seinem Rocke die Kriegsmedaille und einen russischen Orden; da imponirte ihm das rothe Ordensbändchen, wenn es auch ein Französisches war.

»Der Herr Baron wollen nicht weiter fahren?« fragte er den ältlichen Herrn.

Dieser wies stumm mit der Hand auf den hübschen jungen Herrn mit dem vornehmen, gemessenen Anstande.

»Der Herr Baron wollen nicht weiter fahren?« wiederholte der Postmeister seine Frage an den vornehmen Herrn.

»Nein.«

»Der Herr Baron wollen also hier bleiben?«

»Nein.«

Der vornehme junge Herr wandte ihm dann den Rücken. Der Postmeister stand etwas verdutzt.

»Hm, hm!« sagte er verlegen. »Das ist doch wohl der Herr Baron von Stromberg, auf den der Postzettel lautet?«

Der kleine, runde Herr mit dem knurrigen Gesichte trat an ihn heran.

»Gehört die Fähre dort zur Post?«

»Ja.«

»Dann lassen Sie uns sofort übersetzen und besorgen Sie für unsern Wagen vier frische Pferde.«

»Und wie weit wollen Sie die Pferde haben?«

»Bis zum rothen Krug.«

»Also zum rothen Krug wollen Sie?«

»Herr Postmeister, ich will Ihnen nur bemerken, wenn Sie ein einziges Wort davon sprechen, daß wir, oder daß sonst heute Reisende zum rothen Kruge erfahren seien, Sie die längste Zeit Postmeister gewesen sind. Haben Sie mich verstanden?«

Der dicke runde Herr sprach das so bestimmt und er sah dabei so knurrig aus, daß der Postmeister in der That erschrak.

»Hm, hm, über meine Lippen soll kein Wort kommen.«

»Dann gehen Sie,« sagte der kleine, dicke Herr. »Aber vorher noch Eins. Sind heute Gensdarme hier gewesen?«

»Nein.«

»Gut.«

Der Postmeister kehrte in das Posthaus zurück. Er schüttelte im Gehen bedenklich für sich den Kopf.

Der vornehme junge Herr war unterdeß weiter in den Posthof hineingegangen.

Posthof und Posthaus lagen zwischen einer Chaussee auf der einen und einem ziemlich breiten Flusse auf der anderen Seite.

An dem Flusse, über den keine Brücke führte, lag ein Fährhaus. Es lag am Ende des Posthofes, dem Posthause schräg gegenüber.

Zu dem Fährhause hin hatte der junge Herr seine Schritte gelenkt. Er war wohl der Herr Baron von Stromberg, von dem der Postmeister gesprochen hatte.

Er war in der Nähe des Fährhauses stehen geblieben, sah sich nachdenkend das kleine Häuschen und die Fahrzeuge an und das Wasser, in dem sie lagen, und er hatte wohl Ursache, nachdenkend zu sein.

Der Strom war hoch angeschwollen; sein Wasser schoß wild, stürmend, tobend dahin.

Und die Nachen und Kähne und Prahmen, in denen man ihn passiren mußte, waren so leicht, so winzig klein und schwach gegen das hohe, breite Wasser, gegen die mächtigen Wellen, die es warf. –Sie wurden schon jetzt, in der schützenden, sicheren Bucht, in der sie am Ufer lagen, hin und her, auf und nieder, prasselnd und klappernd gegen einander und wieder von einander geworfen; wie mußten sie erst fliegen und schwanken und hoch auf- und tief niederfahren, wenn sie lose und frei in dem freien, entfesselten Wasser, in den wilden Wogen dahinfuhren! Und dem Schwanken kann ein Umschlagen, dem Niederfahren, ein Versinken folgen! Und ein Versinken war hier der sichere Tod in einem tiefen, nassen Grabe!

»Hm, hm!« sagte auch der vornehme gemessene Baron.

Er schien noch mehr und zwar mit sich selbst, sprechen zu wollen. Da sah er Jemanden neben sich stehen.

Es war ein junger Mann in besserer ländlicher Kleidung, ein hübscher Mensch, mit einem frischen, kecken, etwas südlich geformten Gesichte, mit einem Paar blitzender schwarzer Augen und einem schwarzen, krausen Lockenkopfe. Er war aus dem Posthause gekommen.

Er blickte ebenfalls auf die Fahrzeuge, die am Ufer lagen und in den angeschwollenen und reißend und tosend dahinschießenden Strom. Aber seine blitzenden Augen schauten so muthig und so zuversichtlich hinein und mit einer so eigenthümlichen, einer so herausfordernden Lust.

Auch in dem Gesichte des vornehmen Herrn las man auf einmal eine gewisse Zuversicht.

»Werden Sie mit hinüberfahren?« fragte er den jungen Mann.

»Ich weiß es noch nicht,« war die Antwort.

Man las die Zuversicht nicht mehr in dem Gesichte des Barons. Aber der junge Mann hatte ihm freundlich, höflich geantwortet. Er sprach weiter mit ihm.

»Ist der Strom immer so hoch und reißend?«

»O, nein, erst seit gestern, und er wächst noch immer.«

»Ah, und was ist die Ursache?«

»Wir hatten hier seit drei Tagen furchtbares Sturm- und Regenwetter; oben im Gebirge war es noch schlimmer. Da sind alle die kleinen Flüsse und Bäche angeschwollen, die sich aus den Bergen in diesen Strom ergießen.«

»Hm, und da ist die Passage über das Wasser wohl gefährlich?«

»Pah, man muß nur keine Furcht haben.«

»Sind die Fährleute zuverlässig?«

»Es sind tüchtige Burschen.«

»Sie kennen sie also! Sie sind wohl hier aus der Gegend?«

»Von drüben aus dem Gebirge.«

Der junge Mann zeigte über den Strom hinüber.

Gleich jenseit des Stromes erhob sich hohes, waldiges, wildes Gebirg. Auf dieser Seite war eine unabsehbare fruchtbare Ebene.

Der Strom schied Ebene und Gebirg.

Der Baron schien den jungen Mann noch mehr fragen zu wollen. Er wurde daran verhindert.

Hinten auf der Chaussee wurde ein Posthorn laut. Gleich darauf fuhr ein Postwagen auf den Posthof.

Es war die gewöhnliche Fahrpost, die täglich kam und weiter fuhr. Sie kam aus der Residenz.

Als der junge Mann sie sah, zeigte sein hübsches, lebhaftes Gesicht eine plötzliche Unruhe und Spannung. Er machte einige Schritte nach dem Posthause hin; er schien dem Wagen entgegen gehen zu wollen. Aber auf einmal blieb er stehen.

Der Postwagen hatte unmittelbar an dem Posthause gehalten. Der Conducteur hatte den Schlag geöffnet. Ein junger Offizier war ausgestiegen. Auf seine Hand gestützt, war ihm eine junge Dame gefolgt.

Es war eine wunderschlanke Gestalt, ein reizendes frisches Gesicht, das kaum siebzehn oder achtzehn Jahre zählen konnte.

Der Offizier, indem er ihr seine Hand hinreichte, sah sie mit einer ehrerbietigen Zärtlichkeit an.

Indem sie die Hand nahm, lächelte sie ihm glücklich und dankbar zu. Unter dem Lächeln übergoß sich das schöne Gesicht mit dunkler Röthe.

Der Offizier mußte ihre Hand gedrückt haben. Aber sie war nicht böse darüber geworden.

Und es lag in dem Allen eine so reine, so unbefangene, so unbewußte Unschuld.

Auf den jungen Mann mit den schwarzen krausen Locken mußte es einen andern Eindruck gemacht haben. Er war erblaßt; seine blitzenden Augen funkelten Zorn. Er stampfte heftig mit dem Fuße. Aber die funkelnden, flammenden Augen konnte er von dem, was er sah, doch nicht wegwenden.

Der Offizier führte die Dame in das Posthaus.

Sie hatte den jungen Mann mit den Locken nicht gesehen. Ihr glücklicher Blick war nur für den zärtlichen jungen Offizier dagewesen, mit dem sie gereist war, der sie aus dem Wagen hob, der ihr die Hand gereicht hatte, der sie an seinem Arme in das Haus führte.

Der junge Mann mit den Locken stampfte noch einmal mit dem Fuße. Dann setzte er seinen Weg langsam fort und verschwand im Innern des Posthauses.

Der Baron hatte wenig auf ihn geachtet. Was ging den vornehmen Herrn der Zorn und der Verdruß eines jungen Menschen an, der nicht mehr als ein Landmann sein konnte?

Die schöne, junge Dame hatte er sich desto angelegentlicher angesehen, und wie der Offizier gegen sie so zärtlich, und sie darüber so glücklich war, da konnte man glauben in seinem Gesichte wenigstens einen leisen Unmuth der Eifersucht, oder wohl nur des Neides zu lesen; denn daß die Dame ihm fremd war, sah man ihm wohl an, wogegen er den Offizier zu kennen schien. Er besann sich einen Augenblick; dann ging er ebenfalls in das Posthaus.

Die Poststation lag einsam; in der Nähe war keine Stadt, kein Dorf, kein Wirthshaus. So war das Posthaus zugleich Wirthshaus und unten im Hause war ein geräumiges Wirthszimmer.

In dieses ging der Baron

Er fand mehrere Menschen darin, die er freilich alle schon gesehen hatte, zuerst seine drei Reisegefährten, sodann die schöne junge Dame, die mit dem jungen Offizier aus dem Postwagen gestiegen war, und diesen Offizier selbst.

Das junge Paar saß am Fenster beisammen. Der Offizier sprach leise zu der Dame. Er mußte sehr zärtlich zu ihr sprechen; er sah wenigstens so aus, und sie erröthete so glücklich.

Der Baron sah es, er that als sehe er es nicht. Er ging auf den langen hageren Mann mit dem zugeknöpften langen Rocke zu.

Der Mann stand an der Thür; er schien die Befehle des eintretenden Barons zu erwarten.

Der Baron befahl ihm:

»Sorgen Sie, daß wir bald abreisen können. Wir werden hier ungebührlich aufgehalten.«

Der lange Mann verließ das Zimmer.

Der Baron wandte sich dann an den runden, dicken Herrn. Dieser frühstückte behaglich.

Der Baron nahm ihn auf die Seite.

»Sie haben sich erkundigt, lieber Polizeirath?«

Er sprach vornehm herablassend.

Der kleine dicke Polizeirath antwortete ihm etwas ungenirt. Er war schon ein Mann in gesetzten Jahren, während der Baron noch recht jung, vielleicht kaum fünfundzwanzig Jahre alt war. Erfahren hatte jener in der Welt auch wohl mehr als dieser, und wenn auch der vornehme Baron ihm schien befehlen zu können, so mochte es doch ein eigenthümliches Verhältniß sein, in dem die Beiden zu einander standen.

»Ja,« sagte der Polizeirath, »wir sind hier drei Meilen vom rothen Kruge und bekommen Pferde dahin.«

»Und unsere Gensdarmen?« fragte der Baron.

»Sind nicht hierher gekommen, müssen sich also schon ein paar Meilen von hier haben übersetzen lassen.«

»Desto besser! Hier ahnt man von unserer Mission nichts?«

»Gar nichts.«

»Noch Eins, kennen Sie die junge Dame dort?«

»Nein.«

Dann erst sah der Baron sich das junge Paar wieder an, und nun ging er auf die Beiden zu, und als er bei ihnen anlangte, gab er dem Offizier sehr freundlich die Hand und sagte zu ihm:

»Ah, Baron Plessen! Sehr erfreut, Sie so unerwartet hier zu treffen!«

Der Offizier hatte den Baron noch nicht gesehen, er wurde verlegen.

»Baron Stromberg! Wie kommen Sie hierher?«

»Eine Geschäftsreise! Aber darf ich mich nach dem Befinden Ihrer Frau Gemahlin erkundigen?«

Das war eine boshafte Frage, wie gemessen und theilnehmend sie vorgebracht wurde.

Der Offizier wurde beinahe leichenblaß.

Die junge Dame wurde von einer dunkelglühenden Röthe übergossen und es war diesmal kein Erröthen des Glücks.

Für den Offizier trat freilich ein Glücksfall ein.

Der Conducteur der Fahrpost erschien in dem Zimmer und kündigte an, daß der Wagen wieder abgehe.

Der Offizier sprang schnell auf, und empfahl sich leicht der Dame.

»Eine weitere glückliche Reise, mein Fräulein!«

Dann verabschiedete er sich von dem Baron:

»Auf Wiedersehen in der Residenz, Baron!« Er folgte eilig dem Conducteur aus dem Zimmer.

Der Baron aber nahm ruhig den Platz neben der reizenden jungen Dame ein, den der Offizier verlassen hatte.

Er schien auch gegen sie boshaft werden zu können, aber ehe er sprach, sah er ihr doch in das Gesicht, und es war in dem schönen, noch so jungen Gesichte alles so lieb und so brav und so unschuldig und unerfahren, und so unglücklich sah es auf einmal auch aus, daß der Baron zu sich sagen mochte: Ah, die hat wohl noch nicht viel von der Welt gesehen, und der Libertin, der Plessen, war wohl der erste, der ihr den Hof und zugleich etwas weiß machte! Und er sprach mit freundlicher Miene zu der jungen Dame.

»Sie kennen den Lieutenant von Plessen?«

»Ich habe ihn im Postwagen kennen gelernt.«

»Sie kommen aus der Residenz?«

»Ja.«

»Und werden noch weit reisen?«

»Nur noch wenige Meilen.«

»Das freut mich, mein liebes Fräulein. Sie sind so schön und noch so unerfahren, da dürften Sie eigentlich nicht allein reisen.«

Der Baron sprach so herzlich, fast väterlich herzlich. Er war ein junger hübscher Mann, ein vornehmer Baron.

Die Dame war noch so jung, ihr Wesen war so natürlich und einfach; man konnte trotz ihrer prächtigen Gestalt meinen, fast noch ein Kind vor sich zu sehen. Sie war verwirrt geworden; eine glühende Röthe überzog wieder ihr Gesicht. In ihr Auge schien sich eine Thräne zu drängen. Das Gefühl der Verwirrung und der Verdruß darüber spiegeln sich bei jungen Gemüthern leicht in einem feuchten Auge wieder.

Der Baron sah es.

»Ah, mein liebes Fräulein,« sagte er schnell, »Ihr reines, unschuldiges Herz wird Sie dennoch immer bewahren!«

Er konnte auch gutmütig sein, ungeachtet jener Bosheit. Das junge Mädchen sah mit dem tief errötheten Gesicht ihn liebevoll und dankbar an. Das hübsche Gesicht des Barons fing an, vor Glück seine gemessene, steife Glätte zu verlieren. Er wollte weiter sprechen.

Auf einmal sah er die junge Dame an seiner Seite erblassen, auf ihrem Sitze unruhig werden, nach der Thür des Zimmers hinstarren.

Er folgte ihrem Blick.

Die Thür hatte sich im Moment vorher geöffnet.

In ihr stand der junge Landmann mit den schwarzen krausen Locken, den blitzenden Augen.

Die blitzenden Augen sahen suchend in dem Zimmer umher. Sie erblickten die junge Dame, sie sahen sie neben dem hübschen Baron, sie sahen dessen glückliches, ihr dankbar erröthetes Gesicht. Plötzlich schienen sie nichts mehr zu sehen; das frische Gesicht wurde schneeweiß. Der junge Mann verschwand aus der Thür.

Die junge Dame an der Seite des Barons saß noch ein paar Sekunden unschlüssig. Dann litt es sie nicht mehr auf ihrem Platze. Sie sprang auf und eilte zu der Thür.

Auf ihrem Wege wurde sie aufgehalten.

Der Postmeister war eingetreten. Er hielt sie an:

»Mamsell Caroline, Ihr Wagen ist da.«

»Hier?« fragte sie.

»Auf der anderen Seite.«

»Aber der Ludwig war eben hier. Wo ist er jetzt?«

»Er läuft in diesem Augenblicke aus dem Hause. Er rannte an mir vorüber, als wenn er mich nicht kannte. Gott weiß, was er hatte.«

Die Mamsell Caroline wußte es wohl. Sie seufzte tief und schwer auf.

»Sie können übrigens sogleich über den Strom kommen,« fuhr der Postmeister zu ihr fort. »Der große Prahm steht schon für die Herrschaft bereit.«

»Für welche Herrschaft?« fragte die Dame.

»Für den Herrn Baron Stromberg und die Herren, die mit ihm reisen. Sie wollen auch –«

Er vollendete nicht.

Unmittelbar hinter ihm räusperte sich plötzlich Jemand.

Der Postmeister sah sich erschrocken um.

Der kleine dicke Herr stand hinter ihm.

»Wohin will die Herrschaft?« fragte die Dame den Postmeister.

»Hm, hm, ich glaube, auf die andere Seite. Aber Sie können schon immer gehen.«

Die Dame verließ das Zimmer.

Der Postmeister wollte ihr folgen, doch der runde Polizeirath hielt ihn auf.

»Herr Postmeister, auf ein Wort.«

»Aber, ich habe ja nichts verrathen, mein Herr!«

»Ich wollte etwas Anderes von Ihnen. Sprechen Sie aber leise. Sie kannten die junge Dame?«

»Gewiß.«

»Sie ist hier in der Nähe zu Hause?«

»Auf der anderen Seite des Stromes.«

»Sie kommt aus der Residenz, wie ich hörte?«

»Sie war dort ein Jahr in der Pension.«

»Wie heißt sie?«

»Caroline Sellner.«

»Hm, hm, hm!«

Den kleinen dicken Herrn überfiel plötzlich ein heftiger Husten. Als er damit fertig war, fragte er weiter:

»Ist ihr Vater nicht der Besitzer des rothen Kruges?«

»Jawohl, und der reichste Mann in der Gegend dazu. Alle die großen Waldungen drüben gehören ihm und sein Holzhandel bringt ihm des Jahres viele Tausende ein.«

»Ei, ei,« bemerkte der kleine, runde Herr, »und der reiche Vater läßt seine Tochter so allein reisen?«

»Solche Leute nehmen das nicht so genau,« meinte der Postmeister.

»Welche Leute?«

»Nun, dem alten Sellner ging es auch nicht immer so gut.«

»Sondern?« fragte der Polizeirath.

»Nun, er hat es sich wohl sauer werden lassen, sein Vermögen zu erwerben.«

Der Postmeister wollte mit der Sprache nicht heraus.

Der Polizeirath fragte etwas Anderes.

»Hat der Herr Sellner viele Kinder?«

»Nur die Tochter und einen Sohn.«

»Und wer war der Ludwig, nach dem sie fragte?«

»Der ist ein angenommenes Kind im Hause. Er soll ein Findling sein.«

»Ein Findling?«

»Die Franzosen, die im Jahre 1813, nach der Schlacht bei Leipzig, durch das Gebirge flüchteten, sollen ihn zurückgelassen haben.«

»Sollen? Waren Sie damals noch nicht hier?«

»Ich kämpfte bei Leipzig mit, mein Herr,« sagte der Postmeister stolz.

»Ah, ah –.«

Das leise Gespräch der Beiden wurde unterbrochen.

Der lange, zugeknöpfte Reisende trat in das Zimmer.

»Die Fähre ist fertig,« meldete er dem Baron.

»Brechen wir auf, meine Herren!« sprach gemessen der Angeredete. Er ging voran; ihm folgte der kleine Polizeirath; diesem der gelbe Mann mit dem rothen Bändchen der Ehrenlegion, um den sich die ganze Zeit über eben Niemand bekümmert hatte.

Den Schluß machte der lange Zugeknöpfte.



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