Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XV.
Der Quälgeist des Weißensteins.


Der Criminalrath suchte sein Wohnzimmer auf.

Er war halb befriedigt und halb sehr verdrießlich.

Daß eine weitläufige Untersuchung folgen werde, drückte ihn nicht; gegen ihn, der erst seit gestern hier war, konnte sie nicht gerichtet werden, und der alte Hartmann konnte sich leicht herausreden.

»Aber, daß diese Hexe, dieser Quälgeist des Weißensteins, alle Welt hier so zu Narren halten konnte, auch mich –«

Seine Thür öffnete sich. Der Quälgeist des Weißensteins stand vor ihm, schön, reizend, schelmisch, verführerisch, in der Verkleidung doppelt verführerisch.

Sie machte einen ihrer besten Knixe.

»Wollten der Herr Criminalrath uns nicht die Ehre erweisen, unten mit uns das Abendbrod einzunehmen? In der Verwirrung kam ich nicht dazu, hier bei Ihnen zu decken.«

Sie bat so freundlich; sein Groll war verschwunden, denn sie mußte ihm ja auch noch sagen, wer sie war, und noch manches Andere dazu.

Sie führte ihn unten in das hübsche Wohnstübchen

Es wartete dort schon Jemand auf sie, ein junger Mann, eine hohe, aristokratische Gestalt.

»Adalbert Huber wäre bei dem Anblicke beinahe zurückgefahren.

Er sah den stolzen Fremden vor sich, der auf der Reise zu der schönen, blassen Dame gesagt hatte:

»Noch vier Tage!«

Er war hier in dem kleinen Stübchen des Weißensteins, nur nicht so stolz, wie damals.

»Baron Nolten, mein Mann!« stellte der Quälgeist des Weißensteins ihn dem Criminalrath vor.

Und dem Criminalrath war auf einmal, wie einem Menschen sein mag, der plötzlich aus den Wolken fällt.

»Mamsell Laura keine Mamsell, sondern eine Baronin! Also auch nicht die Nichte des alten Hartmann? Dieser also auch nicht ihr ›Ohm‹? Sie also auch wohl kein Kammerkätzchen gewesen? Aber eine um so vollendetere Schauspielerin?«

Der Baron Nolten reichte dem Criminalrath die Hand. Wie vielen Dank schulden wir Ihnen? Sie haben –«

Aber die Baronin trat dazwischen, mit ihrem ganzen schelmischen Uebermuthe, oder, da sie ja keine Mamsell Laura mehr war, mit ihrem vollen reizenden Humor.

»Was fällt Dir ein, Alexis? Wie können wir diesem Herrn Dank sagen? Erstens darf er gar keinen Dank von uns annehmen; er würde dadurch ja das Geständniß ablegen, daß er seine Amtspflichten uns zu Liebe verletzt habe. Zweitens schulden wir ihm gar keinen Dank; er ist vielmehr uns, oder mir allein, zu großem Danke verpflichtet.«

Der Criminalrath mußte doch verwundert aufblicken.

»Ja, ja, mein Herr,« lachte sie. »Ich habe Sie gerettet vor Verletzung Ihrer Amtspflicht, und es hat mir Mühe und Anstrengung genug gekostet; mehr, als bei Ihrem Herrn Amtsvorgänger. Dem guten Herrn von Detting gegenüber kam ich mit einer Geistererscheinung aus; es bedurfte nur einer einzigen. Ihnen sah ich bald an, daß ich mit anderen Mitteln kommen müsse, wenn Sie von dem gefährlichen Hochverräther, den Ihre Gefängnisse hier beherbergten, keine Kenntniß erhalten sollten, und ich erkannte bald die richtigen Mittel für Sie, und – ja, Alexis, ich habe redlich alle Künste der Verführung – Du kennst sie ja auch – gegen diesen Herrn in Anwendung gebracht, und Herr Criminalrath, ich habe in der That den Triumph gefeiert, daß Sie nicht sahen und nicht hörten, was Sie nicht sehen und nicht hören durften, wenn nicht entweder Sie sich eines schweren Dienstvergehens schuldig machen, oder mein armer Bruder geköpft werden sollte. Sein Blut hätten Sie nicht auf sich genommen. Also, Sie sind mir Dank schuldig.«

Sie reichte ihm ihre Hand hin.

Er küßte sie – dankbar? Doch ja, sie war ja noch immer säuberlich mit ihm verfahren.

»Aber setzen wir uns zu Tisch,« sagte sie dann. »Beim Essen erzählen wir. Es ist nur Schade, daß wir den alten Hartmann nicht auch zu uns nehmen dürfen – nicht wegen Respectsverletzung gegen Sie, gestrenger Herr Criminalrath, denn er ist trotz meiner Standeserhöhung heute noch mein Ohm. Aber der brave Mann fürchtet nicht mit Unrecht, daß der offene, ehrliche Braun ihn sofort denunciren werde, er habe seinen Verrath durch ein festliches Mahl mit uns gefeiert.«

Sie setzten sich zu Tisch, und es wurde erzählt.

Der Baron Heiden war bei dem Frankfurter Attentat betheiligt gewesen. Er war entkommen; man hatte ihn verfolgt. An seiner Ergreifung war besonders gelegen. Er gehörte dem angesehensten Adel des Landes an; er war zudem Officier, wenn auch nur in der Landwehr. Wie viele Pflichten hatte der Mann verletzt; welches Exempel mußte an ihm statuirt werden! Seine Spur wurde gefunden, wieder verloren. Sie war gefunden bis nach Schloß Heiden, wo bei seinen Eltern seine Frau wohnte. Sie war verloren von da.

Auf Schloß Heiden war zum Besuch bei ihren Eltern die Baronin Nolten, die kecke, die muthige, die gewandte schöne junge Dame, Sie wußte sofort ein Mittel der Rettung; sie berieth es mit der Kammerjungfer ihrer Mutter, Mamsell Laura Hartmann, der Nichte des alten Gefangenwärters Hartmann auf dem Weißenstein.

Der Verfolgte mußte mit Courierpferden nach dem Weißenstein geschafft werden. Hier war er in den unterirdischen Gefängnissen sicher, wenn seine Ankunft unbekannt blieb. Sie konnte am sichersten unbekannt bleiben durch Hilfe der Nichte des alten Hartmann.

Die wahre Mamsell Laura traute sich nicht die erforderlichen Eigenschaften zu; so übernahm die Baronin Nolten ihre Rolle; beide waren auf dem Weißenstein unbekannt.

Vom Weißenstein – so war der Plan – sollte der Verfolgte sofort bei Eröffnung der Schifffahrt, verborgen auf einem Schiffe, das aus Rußland kam, auf dem man also einen Demagogen nicht vermuthen konnte, zur See gebracht werden.

Sein Schwager, der Baron Nolten, vermittelte die Beschaffung des Schiffes. Die Frau des Verfolgten kam dann gleichfalls zum Weißenstein; sie wollte die Gefahren der Flucht und die Verbannung mit ihrem Manne theilen.

Die Flucht war gelungen.

Auch ganz?

»Auch ganz, vielleicht schon in diesem Augenblicke!« sagte hoffnungsvoll der Quälgeist auf dem Weißenstein. »Das Schiff segelt mit dem günstigsten Winde. Es kann in zwei Stunden die Hafenstadt erreicht haben. Seine Verfolger, der würdige Obergerichtsrath und der falsche Polizeidirector, können ihm nur zu Wagen folgen; sie haben einen Umweg von vier Meilen; sie fahren darüber sechs Stunden in den durch das eingetretene Thauwetter grundlos gewordenen Wegen. Mein Bruder und meine Schwägerin sind dann längst auf der offenen See.«

So war es, wie am anderen Tage ein Billet der Frau von Heiden meldete. Gegen den alten Hartmann sollte zwar auf Antrag des würdigen Obergerichtsraths eine Untersuchung eingeleitet werden. Aus einen Bericht des Criminalraths aber nahm der Justizminister, der selbst kein großer Freund der Demagogenfängerei war, Abstand davon

Der Criminalrath selbst war unbehelligt geblieben.

Nachdem aber sein Quälgeist den Weißenstein verlassen hatte, fühlte Adalbert Huber in den alten Mauern eine solche Leere und Oede, daß er schleunigst alle Schrecknisse seines neuen Aufenthaltes seiner Braut schrieb, und sie bat, als brave Frau sie mit ihm theilen zu wollen; es werde ja nach dem Versprechen des Ministers nur ein Jahr dauern und ein Jahr gehe schnell vorbei.

Sie war bereit, und nach Ablauf des Jahres hielt auch der Justizminister sein Wort, und der Criminalrath wurde als Criminaldirector in eine größere Stadt versetzt.



 << zurück