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IV.
Der Weißenstein.


Am späten Nachmittage hatte die Eilpost die letzte Station vor der Grenze erreicht. Der Criminalrath mußte hier aussteigen. Der Weißenstein lag zur Seite; eine Fahrpost ging nicht dahin; nur eine tüchtige Carriolpost beförderte Briefe und Packete. Der Criminalrath ließ sich Extrapost geben.

Er hatte während der letzten Hälfte des Tages das Haideland verlassen und war durch bessere Gegenden gekommen; durch Acker- und Waldland, durch lebhafte Städte, an freundlichen Dörfern, an großen Landhäusern vorüber. In der Nähe der letzten Station sah er sich wieder in einer Einöde; das Land war hügelig, aber steinig, und zwischen den Steinen sah wieder heraus Moos, und an den Abhängen der Hügel wuchsen Disteln und Dornen empor. So blieb es auf dem Wege von der Station bis zum Weißenstein.

Dem Criminalrath kam es vor, als würde von Minute zu Minute Alles öder und trauriger, der Boden steiniger, das Moos grauer, die Disteln langweiliger, und als stächen die Dornen ihm recht schmerzlich in das Herz hinein. Alles machte ihm das Herz schwer, das Heimweh kam über ihn; er gedachte der Berge, die er mit ihren Reben, der Thäler, die er mit ihren Wiesen, der Fluren, die er mit ihren grünen Saaten verlassen, und der Braut, die er darin zurückgelassen hatte, und mit der schönen Verlobten trat dann das Bild der schönen fremden Frau vor ihn, die in der Nacht an seiner Seite im Postwagen gesessen hatte, – er war nun einmal so, daß schöne Frauen Eindruck auf ihn machten.

Seine Braut hatte es ihm ja vorgehalten, und er hatte ihr versprechen müssen, keiner Anderen in die Augen zu blicken, und er hatte es versprochen und er hatte sein Versprechen nicht gehalten, schon heute nicht, gleich bei dem ersten Strahl der Morgensonne. Und –

»Wer war sie? Wo mag sie geblieben sein?« fragte er sich doch wieder.

Er hatte auf der weiten Fahrt an den Poststationen nach ihr und ihrem hochmüthigen aristokratischen Begleiter sich erkundigt. Nur auf der nächsten Station hatte man von ihnen gewußt. Sie waren angekommen, hatten nicht wieder Extrapostpferde genommen; so hatte man sich nicht mehr um sie gekümmert, und auf den folgenden Stationen wußte man gar nichts von ihnen.

»Und was werde ich,« mußte der Criminalrath sich zuletzt fragen, »auf dem Weißenstein finden? Wie werde ich da einsam und verlassen sein unter allen den Verbrechern, den Räubern und Mördern, unter den lebendigen, denen der Kopf noch auf dem Rumpfe sitzt, unter den todten, die ihn unter dem Arme tragen; zwischen den alten verfallenen Verließen und Thürmen mit dem Jammern und Wehklagen der darin Vermauerten und Verhungerten.«

Der Weißenstein lag zwei Meilen von der Station entfernt. Der Criminalrath mußte zwei Stunden darüber fahren. Nach Verlauf der ersten Stunde war es dunkler Abend geworden. Das Dunkel wurde immer tiefer; der Mond stand nicht am Himmel; Wolken verdeckten die Sterne.

Als auch das Ende der zweiten Stunde nahete, ging der Wagen bergauf. Der Criminalrath blickte hinaus. Er sah eine mäßige, aber steile Anhöhe vor sich. Sie dehnte sich, wie ein langer Kamm, weit zu beiden Seiten aus. In der Mitte erhob sich ein weitläufiger Gegenstand, unförmig und dunkel an dem dunklen Himmel sich abzeichnend. Es mußte ein großes, hohes Gebäude, vielmehr ein Complex von Gebäuden sein, mit Thürmen und Thürmchen, mit Zinnen und hohem und niedrigerem Gemäuer.

Es konnte nur der Weißenstein sein.

Der Wagen fuhr darauf zu.

Der Weg zog sich in Windungen an der Anhöhe herum.

Die Höhe war erreicht.

Der Wagen war an einer langen, hohen Mauer. Es war die Umfassungsmauer der weitläufigen Gebäulichkeiten.

Der Postillon war noch nie da oben gewesen. Er mußte an der Mauer entlang fahren, um einen Eingang zu suchen.

»Blase nicht, Schwager,« sagte ihm der Criminalrath.

Wie es oben überall dunkel war, so herrschte auch die tiefste Stille.

Ein Ton des Posthorns hätte auf dieser stillen dunklen Anhöhe Alles in Aufregung bringen müssen. Dem Criminalrath war aus manchen Gründen daran gelegen, daß das nicht geschehe, daß seine Ankunft so wenig als möglich bemerkt, und am heutigen Abend nur Denen bekannt werde, die nothwendig von ihr wissen mußten.

Der Eingang wurde endlich gefunden. Es war ein hohes, breites, überbautes Thor.

Der Postillon hielt vor ihm.

Er wollte den Criminalrath fragen, ob er auch nicht mit seiner Peitsche sich ankündigen dürfe.

In demselben Augenblicke wurde in dem Thore ein kleiner Schieber zurückgezogen.

»Wer ist da?« fragte eine Stimme durch die Oeffnung.

Der Criminalrath trug die Schriften, sowohl seiner Anstellung, wie der Entlassung seines Vorgängers bei sich. So konnte er bei der Behörde des Weißensteins noch nicht angekündigt sein.

»Bitten Sie Einen der Beamten zu mir heraus,« sprach er nach der Oeffnung hin.

Er stieg aus dem Wagen.

Nach einer Weile wurde das Thor geöffnet.

Jemand trat mit einer Laterne heraus.

Ein langer, hagerer alter Mann stand vor dem Criminalrath. Der Schein seiner Laterne zeigte finstere Züge, unter buschigen, grauen Augenbrauen stechende Augen.

Er trug die Civiluniform der Gefängnißbeamten.

Er maß mit den finsteren, stechenden Augen schweigend den Criminalrath.

»Zu wem wollen Sie?« fragte er dann.

Seine Stimme war trocken, klang hart.

»Sie gehören zu den Beamten hier?« fragte der Criminalrath zurück

»Ich bin der erste Gefangenwärter.«

»Melden Sie mich bei dem Herrn Criminalrath von Detting: Criminalrath Huber, sein Nachfolger.«

In dem finsteren Gesichte des alten Mannes veränderte sich keine Miene.

»Darf ich bitten, mir zu folgen!« sagte er.

»Das Thor aus, beide Flügel!« rief er nach dem Thore hin.

Nur der eine Thorflügel war geöffnet.

»Warum beide?« fragte der Criminalrath.

»Um des Wagens willen, Herr Criminalrath.«

»Der Wagen wird sofort zurückkehren. Meinen Koffer lassen Sie mir wohl hinauftragen.«

»Der Herr Criminalrath werden entschuldigen,« sagte der alte Mann, »der Herr von Detting wünschte mit dem Wagen abzufahren, in dem Sie kämen.«

»Noch heute Nacht?«

»In dieser Stunde.«

»Der hat es eilig!« sagte sich der Criminalrath.

»Ist der Herr von Detting krank?« fragte er den Gefangenwärter.

»Ich wüßte nicht,« war die kalte Antwort.

Beide Flügel des großen Thores waren geöffnet.

Der Wagen fuhr hindurch. Der Criminalrath und der alte Gefangenwärter folgten ihm. Das Thor wurde hinter ihnen verschlossen.

»Bin ich hier Gefangener?« überkam ein Gefühl den neuen Dirigenten der Gerichts- und Gefängnißbehörde auf dem Weißenstein.

Sein Vorgänger entfloh von hier, wie von einem Schreckensort!

Er sah sich in der That überall aufmerksam um, wie ein Gefangener, der sein Gefängniß betritt.

Er war mit seinem alten finsteren Begleiter in einen geräumigen Thorweg getreten.

An diesem lag eine Wachtstube, in der sich eine Militärwache befand.

Aus dem Thorwege gelangte man in einen langen, schmalen Hof. In ihm lagen die Gebäude des Weißensteins. Sie lagen überall dunkel da; die Laterne warf nur einen ungewissen, fast gespenstigen Schein umher. Man konnte daher nichts genauer unterscheiden; man glaubte nur ein Chaos von allerlei Mauern, Winkeln, Dächern, Thürmchen zu sehen; in der Mitte ragte etwas Höheres, wie ein unförmlicher Thurm, empor.

Der Gefangenwärter führte seinen neuen Chef zur Seite auf eine hohe Thür zu.

Um sie her herrschte die tiefste Stille. Sie hörten nur den Wiederhall ihrer eigenen Schritte, und hinter sich in dem Thorwege, aus dem sie gekommen waren, den langsamen Schritt der Schildwache; zwischen durch vernahm man ein paarmal das Schütteln der Postpferde.

Zu der hohen Thür führte eine steinerne Treppe. Der Criminalrath und der Gefangenwärter erstiegen diese. Die Thür war verschlossen. Der Gefangenwärter zog einen Schlüssel hervor und öffnete sie, ließ seinen Chef eintreten, folgte ihm, verschloß die Thür wieder.

Sie waren in einem dunklen Raum, Gang, Corridor oder Flur, den die Laterne des Gefangenwärters wieder nur ungewiß erhellte.

Der Gefangenwärter schritt auf eine nahe Thür zu, öffnete sie und ließ den Criminalrath eintreten.

»Der Herr Criminalrath wollen hier ein paar Augenblicke verweilen; ich melde Sie unterdeß bei dem Herrn von Detting.«

Sie waren in ein dunkles Zimmer getreten. Er zündete an seiner Laterne ein Licht an, das auf einem Tische stand, und entfernte sich.

Der Criminalrath sah sich in einem kleinen Wohngemach. Er war allein darin. Alles um ihn her war einfach, aber außerordentlich sauber und wohl und freundlich geordnet. In der Mitte stand ein Tisch, der mit einer grünen Decke belegt war; an der Wand war ein Sopha, über dem ein kleiner Spiegel in Goldrahmen hing; daneben war ein kleiner Nähtisch; auf dem Fensterbrett waren Blumentöpfe mit blühenden Hyacinthen und anderen Frühlingsblumen. Ihr süßer Duft machte das reizende kleine Gemach noch anmuthiger.

»Hier waltet eine weibliche Hand!« sagte sich der Criminalrath.

Und er ertappte sich dann sofort auf der Frage: »Ob sie schön sein mag?«

Der Frage folgte aber gleich wieder die Mahnung an sich selbst:

»Um des Himmels willen, sei hier kein Thor!«

Und dann doch –!

Gleich nach der Entfernung des Gefangenwärters hatte er in der Nähe eine Thür öffnen und schnell wieder verschließen gehört. Der Mann mußte ein paar Worte hindurch gesprochen und dann seinen Weg fortgesetzt haben.

Eine Minute darauf glaubte der Criminalrath nebenan einen leisen, schleichenden Schritt zu vernehmen, so leise, daß er meinte, er könne sich auch irren. Als er aber nach der Gegend des Lautes ausblickte, sah er eine Glasthür, die in einen Nebenraum führen mußte. Sie war dunkel.

»Ich werde hier beobachtet,« sagte er sich. »Und Schritte und Augen, die so schleichen und lauern, können nur weibliche sein! Hm, hm – ob sie –?«

Er sprach diesmal die Frage nicht aus, wandte sich zu dem Fenster, sog den Duft der Blumen ein und schaute in den dunklen Nachthimmel hinein.

Hinter der Glasthür blieb es still.

Der alte Gefangenwärter kehrte mit seiner Laterne zurück.

»Der Herr von Detting läßt den Herrn Criminalrath bitten.«

Der Criminalrath folgte ihm.

Sie gingen durch einen langen Gang, stiegen eine breite Treppe hinauf, kamen wieder in einen langen Gang.

Der Criminalrath glaubte sich in einem alten Kloster zu sehen. In den Gängen befanden sich Thür an Thür gegenüber, wie sie in Klosterzellen liegen.

»Wie heißen Sie?« fragte der junge Beamte unterwegs seinen Führer.

»Hartmann!« war die Antwort.

»Ich war unten in Ihrer Wohnung?«

»Zu Befehl.«

»Sind Sie verheirathet?«

»Nein, Herr Criminalrath.«

»Aber Witwer?«

»Ich war nie verheirathet«

»Wer hatte ihm dann sein Stübchen so reizend geordnet?« fragte sich der Criminalrath.

Und eine Antwort auf seine Frage war es nicht, als er sich hinzusetzte:

»Wenn er nicht verheirathet war, so hat er auch keine Tochter!«

Zu der Frage an sich: »Und was geht Dich das an?« kam er nicht.

In dem Gange oben machte der alte Gefangenwärter Hartmann vor einer Thüre Halt.

»Hier wohnt der Herr von Detting!«

Darauf klopfte er an die Thür.

Sie wurde sofort von innen geöffnet.

Der alte Gefangenwärter trat zurück.

Der Criminalrath Huber stand vor einem Herrn, der ihn mit einer Verbeugung einlud, einzutreten.

Es war ein junger Mann, vielleicht noch jünger als der Rath Huber, etwas blaß, etwas fatiguirt, etwas vornehm, etwas pedantisch, sehr aristokratisch sehr elegant.

Er reichte dem Ankommenden eine schmale, zarte, weiße, reich beringte Hand, führte ihn zum Sopha und sprach mit matter Stimme:

»Verehrter Herr Collega, gestatten Sie mir vor allen Dingen, Ihnen meinen Dank dafür auszusprechen, daß Sie mich von hier erlösen. Und sodann habe ich die Bitte, daß Sie mich entschuldigen wollen, wenn ich noch zu dieser späten Nachtstunde Sie zu mir heraufbemühen ließ. Es geschah freilich nur in Ihrem Interesse. Erlauben Sie mir, Ihnen das, und zugleich die hiesigen Zustände und Verhältnisse kurz auseinander zu setzen.«

»Kurz? O weh!« sagte sich der Herr Huber.

Aber er sprach doch die Worte mit einer gewissen Befriedigung

Bei seinem Eintreten hatte ihn etwas wie Eifersucht beschleichen wollen.

Das Gemach des Herrn von Detting zeigte, wenn auch mehr Eleganz und Reichthum, doch ganz dieselbe Sauberkeit, Ordnung, Feinheit und Sinnigkeit und Anmuth der Einrichtung, wie unten das Stübchen des Gefangenwärters Hartmann. Die nämliche Hand, die da unten geordnet hatte, mußte auch hier oben ordnen und walten, und daß es eine junge und schöne Hand war, zu der also auch ein schönes Antlitz und eine schöne Gestalt gehörten, das war hier oben im ersten Moment dem Herrn Huber nicht im Geringsten mehr zweifelhaft und er wurde nun zornig und eifersüchtig; da sah er sich den Herrn von Detting an und er hörte ihn an, und es rief in ihm:

»Pah, der! Der ist ja selbst ein Frauenzimmer! Wie hat der Minister in ihm nur den Justiz-Beamten entdecken können?«

Durch diese letztere Frage that er übrigens, wie er nachher zugestehen mußte, seinem blasirten Amtsvorgänger Unrecht; der zarte Herr war wirklich einer der tüchtigsten, thätigsten, pflichtgetreuesten Beamten. Wir selbst, der Schreiber dieser Zeilen, haben ihn gekannt, und müssen ihm das bezeugen.

Mit seinem: »Pah, der!« ließ Herr Huber mit voller Geduld den Herrn von Detting ausreden, und dieser fuhr fort:

»Wir befinden uns hier in einem ehemaligen Nonnenkloster. Es war ein adeliges Kloster; es hatte seinen Comfort, auch, wenn Sie wollen, seine gewisse Pracht, und dieses Gemach war die Zelle der Aebtissin; ähnliche Gemächer schließen sich zu beiden Seiten an. Es hatte aber auch seine Schattenseiten, seine Heimlichkeiten, seine Schrecknisse.«

Der Herr von Detting sprach das letztere Wort mit einem gewissen Erschrecken. Er dämpfte seine Stimme; er warf einen scheuen Blick zur Seite, nach einer der beiden Binnenthüren des Zimmers, nach der rechts.

Nach einer kleinen Pause erst sprach er weiter:

»Doch davon nachher! Denn ich bin Ihnen auch darüber Wahrheit schuldig. Aus diesem alten Kloster nun und seinen paar Nebengebäuden besteht der ganze Weißenstein. In ihm befinden sich die Geschäftslocale des Untersuchungsgerichtes, die Gefängnisse, die Wohnungen der Beamten, die Kaserne der für die Gefängnisse nöthigen Militärwache, alles Andere. Aber ich habe Ihnen ja auch Alles genannt, was sich hier befindet, was ich hier gefunden habe und was Sie hier finden werden: Drei Actuarien und Sekretäre, ein halbes Dutzend Gefangenwärter und Gerichtsdiener; ein Unterofficier mit sechzehn Gemeinen und einem Tambour. Das ist die Gesellschaft, mit der Sie hier leben müssen, und auf eine, vielleicht zwei Meilen in der Runde finden Sie keine andere; keinen andern Menschen, wenn Sie jene Wesen hier Menschen nennen wollen. Ah, ich vergesse noch etwas. Fünfzig bis sechzig Gefangene finden Sie noch hier, die schwersten Verbrecher, den Auswurf der Menschheit – ja, ja, da zeigt sich die Menschheit, im Verbrechen, wenn es auch oft eine unmenschliche ist. Und mit ihnen finden Sie Stöße von Acten, zu denen Sie durch tägliches Inquiriren vom frühen Morgen bis in den späten Abend neue Actenberge hinzufügen sollen. – Sie kennen jetzt Ihre hiesige Lage und Bestimmung, mein verehrter Herr Collega. Ich wünsche Ihnen Kraft und Ausdauer. Ich hatte sie nicht. Mein Vorgänger hatte sie; er ist hier alt und fett geworden. Sie, Herr Collega – Indeß, dieses Nest soll ja bald ausgenommen werden. Ich vermochte nicht darauf zu warten. Ich konnte kaum Ihre Ankunft erwarten. Sie werden es begreiflich finden, wenn Sie mich ansehen. Sie werden daher auch von meiner unbegrenzten Dankbarkeit gegen Sie überzeugt sein. Und Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich noch in dieser Stunde von hier abreise und mich der mir sonst äußerst angenehmen Pflicht entziehe, wenigstens für heute Nacht Ihren Wirth hier zu machen.«

Der Herr von Detting machte wieder eine Pause.

Sein neuer Collega, der es in derselben Stunde nicht mehr sein sollte, stellte unterdessen neue Betrachtungen über ihn an. Sie entsprachen nicht mehr ganz den vorigen. Ein Frauenzimmer ist er doch wohl nicht. Verstand scheint er auch zu haben.. Er wird auch ein tüchtiger Arbeiter sein, wie der Minister sagte. Er wollte seine Carriere machen, darum ließ er sich hierher versetzen – hm, wie ich. Er war aber das verzärtelte, blasirte Adelssöhnchen. Da wurde ihm dieses Nest mit seinen Arbeiten bald unerträglich. Eine Zeit lang konnte er kämpfen; dann fiel es ihm auf die schwachen Nerven und nun war es mit Einem Male ganz und gar mit ihm aus. Er wurde wie ein hysterisches Frauenzimmer – etwas Weibisches ist doch in oder an ihm. Vielleicht hat er gar noch Visionen in dem alten Kloster gehabt – eine Nonne tauchte aus ihrem Grabe vor ihm auf. – Er sprach von Schrecknissen. Auch der Minister machte Andeutungen.

»Ich habe Ihnen noch Eines mitzutheilen,« nahm der Herr von Detting wieder das Wort. »Wir befinden uns hier in einem ehemaligen Nonnenkloster, wie ich schon erwähnte. Solche alte Klöster haben, wie ich eröffnend schon bemerkte, ihre alten Geheimnisse, die manchmal noch nach Jahrhunderten an das Tageslicht treten, sich wenigstens herausdrängen wollen. So etwas muß auch hier sein. – Sie sind ein Mann, verehrter Herr Collega, Sie haben Muth, und vor Allem, worauf es für solche Geschichten zuletzt allein ankommt, starke und feste Nerven. Gerade diese fehlen mir. Jedenfalls muß ich Ihnen erzählen. Sie müssen ganz wissen, woran Sie hier sind, und Sie werden dann, besser als ich es vermochte, zu unterscheiden im Stande sein, was Wahrheit und was Phantasie für mich war. Die alten Sagen oder Märchen, die von dem Kloster erzählt werden, übergehe ich. Ein geschäftiger Mund wird ja sich und auch Ihnen wohl die Freude machen, sie Ihnen gleichfalls mitzutheilen. –«

Der Herr von Detting warf bei diesen Worten einen sonderbar prüfenden und noch sonderbarer lächelnden Blick auf seinen verehrten Collegen.

»Alle Wetter,« sagte sich Adalbert Huber, »sieht er mich nicht an, als wollte er mir sagen: Du scheinst auch einem hübschen Munde gerne zuzuhören, und Du bist leidlich hübsch genug, daß ein hübsches Kind Dir wohl gern erzählen mag. – Sollte der blasirte junge Herr doch –? Sollte doch eine schöne Hand, wie da unten, so ihm hier oben geordnet und – noch mehr gethan haben? Und – und –. Aber warum geht er dann und warum hat er es so eilig?«

Der Herr von Detting fuhr fort:

»In der ersten Zeit meines hiesigen Aufenthaltes hatte ich selbst nichts gehört und nichts gesehen. Vor etwa vierzehn Tagen zuerst trat es an mich heran. Ich war hier in diesem Zimmer. Ich war allein. Es war später Abend. Ich lag auf dem Sopha und las. Ich hatte den Tag über viel und lange arbeiten müssen. Ich war übermüdet; der Schlaf floh mich. Auf einmal höre ich –. Aber, verehrter Herr Collega, ich bitte Sie, aus meinem allerdings damals angegriffenen Zustande nicht schließen zu wollen, daß, was ich Ihnen jetzt erzählen werde, nur Bilder meiner aufgeregten Phantasie waren; meine Sinne nahmen wahr, unmittelbar, klar und deutlich. Ich hörte zunächst in meinem Schlafzimmer – hier nebenan, dort rechts – leise und unbestimmte Töne, bald wie ein Knistern, daß ich an Feuer dachte, bald wie ein Gehen, als wenn Jemand umherschleiche. Ich wollte mich erheben, um zu sehen was es sei. Auf einmal öffnete sich leise und leicht die Thür und darin steht eine weiße Gestalt. Im ersten Momente – ich verhehle es ihnen nicht – betäubte mich der Anblick; mein ganzes Nerven-System war wie von einem plötzlichen, heftigen Schlage gelähmt. Aber es war nur ein Augenblick. Dann konnte ich aufspringen, auf die Erscheinung zu. Sie verschwand, als ich die erste Bewegung machte; die Thür war wieder im Schlosse. Ich riß sie auf; ich drang in das Zimmer. Es war leer. Ich durchsuchte es; ich fand nichts Fremdes, nichts in Unordnung Nur ein sonderbarer, dumpfer Mauer- oder Erdgeruch kam mir entgegen. Ich zog die Klingel, die nach unten in die Wohnung des Gefangenwärters Hartmann führt. Der alte Mann kam nach einer Weile; schon vor ihm war seine –«

Der Herr von Detting stockte plötzlich.

Er hatte sich ganz und gar in das Abenteuer versenkt, das er erzählte, und es schien, als sei er im Begriffe gewesen, ein Wort zu viel zu sprechen, das noch mehr hätte müssen errathen lassen.

»Seine Magd,« fuhr er fort.

Und der Criminalrath machte als guter Untersuchungsrichter eine Miene, als habe er kein anderes Wort erwartet.

Der Herr von Detting fuhr fort:

»Auch sie verspürte den eigenthümlichen Geruch, und sie war mit mir einig, daß mein Schlafzimmer einen Besuch gehabt haben müsse, der aus der Tiefe der Erde heraufgestiegen sei. Eine weitere Spur fanden indeß unsere sorgsamsten Nachforschungen nicht. Sie überzeugen sich also, verehrter Herr Collega, daß von einer Täuschung nicht die Rede sein konnte. Der alte Hartmann wollte, daß ich ein anderes Schlafgemach wähle. Ich blieb. Ich blieb mit einem gewissen krankhaften Eigensinn. Die Aufregung meiner Nerven hatte eine andere Richtung genommen. Ich wollte wissen, was es war, was mich foppte, oder wer sonst etwas von mir wollte; ich forderte heraus, ich trotzte. Und jede Nacht kam es wieder an mich heran. Ich hörte ein Knistern, bald unter meinem Bette, bald neben, bald über mir; manchmal war es wieder ein Schleichen, dann ein leises Klopfen, ein Stöhnen, ein Aechzen. Ich sah nichts, ich erhielt auf Rufen keine Antwort. Ich schlief zuletzt ermüdet ein. Einmal erwachte ich; die weiße Gestalt war wieder da. Ich sprang auf; ich hatte geladene Pistolen an meinem Bette hängen. Ich ergriff sie. Hierher, oder ich schieße! rief ich der Gestalt zu. Sie war verschwunden. Nirgends war eine Spur zu entdecken, wie sie gekommen, wie sie wieder entkommen sein könne; nur jener erdige Geruch war wieder da, und mit ihm der Beweis, daß meine Augen mich nicht getäuscht hatten. – Mein Entschluß stand jetzt fest. Die Kraft meiner Nerven war gebrochen. Hier konnte ich nie wieder genesen, sondern nur einer schnellen Auflösung entgegengehen, wenn nicht dem Wahnsinn. Ich bat am nächsten Morgen den Minister um meine schleunigste Entlassung von hier. Er sagte sie mir umgebend zu. Sie haben sie mir in dieser Stunde gebracht. – Mein Schlafgemach, um darauf noch zurückzukommen, wechselte ich, und ich blieb in der That seitdem von dem unheimlichen Spuk unbehelligt.«

»Jetzt, mein verehrter Herr Collega,« schloß der Herr von Detting seine Erzählung, »wissen Sie Alles, und ich darf mich Ihnen empfehlen. Ich möchte Ihnen noch die Geschäfte übergeben; aber es ist eine leere Formalität. Sie übernehmen sie morgen ohne mich. Drei Worte aber nur noch. Ihre Beamten hier sind alt, zum Theil nicht mehr ganz rüstig, aber Alle ehrlich und von dem besten Willen beseelt; so werden Sie mit ihnen fertig werden. Einiges Mißtrauen hatte ich nur gegen Einen, den Gerichtsdiener Braun. Es war aber vielleicht nur eine Idiosynkrasie. Sie werden den Mann ja kennen lernen. Hier oben ist Ihre Dienstwohnung. Für Ihre Verpflegung und Bedienung wird, insofern Sie nicht Ihren eigenen Haushalt beginnen wollen, der alte Hartmann sorgen, wie er es schon bei mir und bei meinem Amtsvorgänger that. Er gehört, trotz seines finsteren Aussehens, zu den zuverlässigsten Menschen. Und damit, mein verehrtester Herr Collega – meine Sachen, die ich mitnehmen will, waren schon vor Ihrer Ankunft gepackt, die anderen stehen hier zu Ihrer Disposition, bis wir uns vielleicht anderweit darüber arrangiren – der alte Hartmann hat unbedingte Vollmacht von mir – und somit empfehle ich mich Ihnen angelegentlich, sage Ihnen nochmals meinen lebhaftesten Dank und wünsche, daß es Ihnen hier recht wohl ergehen möge, daß Sie gleich wohl recht bald von hier mögen erlöst werden.«

Damit reichte der blasse, schmächtige, nervös fatiguirte elegante Herr seine schmale, weiße Hand dem Criminalrath Huber, und er war verschwunden.

Fünf Minuten später hörte Adalbert Huber die Extrapost mit ihm wegfahren.



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