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XIII.
Ein vornehmer und ein feiner Herr.


Der Criminalrath mußte sich zu den beiden Herren begeben, die in seinem Bureau auf ihn warteten.

»Wer waren sie? Was wollten sie? In welcher Beziehung stand zu ihnen das Schicksal der fremden Dame? In welcher diese wieder zu dem edlen Manne, um dessen Leben es sich handelte? Und immer wieder, wer war die Mamsell Laura?«

»Obergerichtsrath von Meier,« stellte der eine der beiden Herren in dem Bureau des Criminalraths sich selbst diesem vor.

»Herr Polizeidirector Sebald,« stellte er seinen Begleiter vor.

Der Obergerichtsrath war ein stattlicher, würdiger, aristokratischer Herr, der Polizeidirector eine etwas sehr bürgerlich, fast ruppig aussehende polizeiliche Spürnase. Beide waren im mittleren Alter.

Nachdem der Criminalrath sich die beiden Herren angesehen hatte, ging ihm auf einmal ein Licht auf.

»Die sind auf einer Demagogenjagd, und es muß sich um einen besonders wichtigen Fang handeln. Der Obergerichtsrath will sich dadurch zum Präsidenten hinaufschwingen, der Polizeidirector will sich einen Orden und Zulage verdienen.«

»Demagogenfänger!« rief es dann in ihm, und ein Ekel vor den beiden Herren ergriff ihn.

»Demagogenfänger! Und ich soll ihnen helfen, dem aufgeblasenen, aristokratischen Carrieremacher und der ruppigen ordinären Polizeiseele!«

»Was wünschen die Herren?«

Der Obergerichtsrath nahm mit vornehmer Würde das Wort:

»Von dem Attentat in Frankfurt darf ich Sie, mein verehrter Herr Collega, nicht unterhalten wollen. Das eben so frevelhafte wie entsetzliche Ereigniß gehört der Geschichte an, deren Tafeln es freilich mit seinem Verrathe besudelt, mit seinem Verrathe gegen den ehrwürdigen deutschen Bund, gegen die erhabenen Throne und geheiligten Personen unserer Fürsten, gegen das Glück und Heil des deutschen Volkes, für das diese durchlauchtigsten Fürsten unablässig besorgt sind. Viele jener Verräther sind bereits von den Behörden ermittelt, und erwarten in sicherer Haft den verdienten Lohn ihrer Unthat. Manchen ist es gelungen, den Händen der strafenden Gerechtigkeit, in das Ausland zu entkommen. Einzelne sind noch immer im Lande verborgen; ihre Versuche, die Grenze zu erreichen, scheiterten bisher; sie wußten sich zu verbergen; aber sie sind in ihrem Versteck, wenn man sie auch nicht darin aufzufinden vermag, so fest eingeschlossen, daß ein Entrinnen ihnen unmöglich ist. Zu diesen gehört einer der unternehmendsten und gefährlichsten jener Verschwörer und Hochverräther, der Baron Carl von Heiden. Er entkam sofort nach dem verunglückten Attentat; seine Spur blieb lange Zeit verloren; erst nach und nach gelang es, sie aufzufinden, weiter zu verfolgen. Sie wurde verfolgt von jenem Westen Deutschlands bis in diesen äußersten Nordosten. Hier an diesem Strome war sie plötzlich verschwunden, blieb sie verschwunden. Dennoch war der Verfolgte nicht weiter gekommen; er mußte noch hier sein. Sofort nach dem Attentat waren alle Grenzen und alle Seeplätze unter die strengste Beaufsichtigung gestellt. Manche Flüchtlinge wurden dadurch dingfest gemacht. Der Baron Heiden blieb unentdeckt und muß nach allen Ermittlungen noch an diesem Strome sich aufhalten, konnte um so weniger entkommen sein, als jenseits des Stromes die strenge Grenzsperre ihm entgegenstand, der Seehafen aber, in den der Strom ausmündet, durch das Eis für die Schifffahrt abgesperrt war. Seit gestern ist nun die Schifffahrt wieder eröffnet, und heute wird mir eine anscheinend sehr zuverlässige Kunde von dem verborgenen Aufenthalte des Barons Heiden.«

Der Obergerichtsrath machte eine Pause. Dann fuhr er mit herablassender Höflichkeit fort:

»Ich bedauere, mein verehrter junger Herr Collega, Ihnen die Eröffnung machen zu müssen, daß der gefährliche Hochverräther sich hier in Ihren Gefängnissen befinden soll. Ich muß mit dieser Eröffnung sogleich die beruhigende Erklärung für Sie verbinden, daß Ihnen durchaus keine Schuld aufgebürdet werden darf. Sie haben erst seit der vorgestrigen Nacht, also eigentlich erst seit dem gestrigen Tage, Ihr hiesiges Amt angetreten, können mithin unmöglich schon von Allem unterrichtet sein, was vor Ihnen hier gefehlt und gesündigt worden ist. Auch Ihren Herrn Amtsvorgänger will ich gern freisprechen; der gute Herr von Detting ist eine eigenthümliche Natur, und er war hier in eine eigenthümliche Lage gekommen, die ihm für Manches die Augen verschließen mußte. – Sie werden nach dem Allen, mein verehrter Herr Collega, nichts Verletzendes für Sie darin finden, wenn ich Sie ersuchen muß, mich mit dem Herrn Polizeidirector in Ihre Gefängnisse zu führen, damit wir selbst darin nach dem Baron Heiden suchen, der sicher unter irgend einer Verkleidung sich darin aufhalten muß. Wir führen sein genaues Signalement bei uns, so daß er uns nicht entgehen kann.«

Der Obergerichtsrath schloß seine Rede.

Die Spürnase des Polizeidirectors hatte während derselben angelegentlich jede Miene in dem Gesichte des Criminalraths studirt.

Dem Criminalrath hatte der Gedanke »Demagogenfänger« das Gesicht unbeweglich gemacht. Er zeigte kein wahres und kein geheucheltes Erstaunen bei der Mittheilung, daß der gefährliche Hochverräther sich in »seinen« Gefängnissen, also gleichsam unter seinem Schutze befinde; es verletzte ihn nicht, daß man in seinem Gefängnisse nachsuchen, also gleichsam bei ihm eine Hausdurchsuchung halten, mithin inquisitorisch gegen ihn selbst verfahren wolle. Nur eine einzige Sorge quälte ihn, daß man den Verfolgten bei ihm finden könne, und er war fest entschlossen, dazu nicht die Hand zu bieten, und er sann über Mittel nach, es zu verhindern, soweit es ohne Beeinträchtigung seiner Amtspflichten geschehen könne.

»Herr Obergerichtsrath,« sagte er, »ich darf voraussetzen, daß Sie sich im Besitze ausreichender Legitimation befinden.«

»Vollkommen, mein Herr Collega,« erwiderte der herablassende Obergerichtsrath, »und ich erkenne vollkommen Ihre Berechtigung und Ihre Gewissenhaftigkeit an, sie zu fordern.«

Er übergab dem Criminalrath ein Commissorium des Justiz- und des Polizeiministers, durch welches zugleich alle Justiz- und Polizeibehörden des Staates angewiesen wurden, dem Obergerichtsrath von Meier und seinem polizeilichen Attaché jede von ihnen verlangte Hilfe zu leisten.

»Sehr wohl,« sagte der Criminalrath, »ich lese da den Namen des Herrn Obergerichtsrathes von Meier; dürfte ich mir nun von Ihnen den Nachweis Ihrer Identität erbitten?«

Der Obergerichtsrath wurde etwas verlegen.

»Daß ich wirklich der Obergerichtsrath von Meier bin?« fragte er.

»Das meinte ich.«

»Aber, Herr Collega, Sie werden doch nicht verlangen, daß ich mein Signalement verbrieft bei mir trage?«

»Ich bedauere, daß ich es verlangen muß.«

Der Obergerichtsrath und der Polizeidirector wechselten Blicke miteinander.

Sie waren einverstanden.

Der Polizeidirector stand auf und ging zu der Thür, an der sich ein Klingelzug befand.

»Mein Herr, was wäre Ihnen gefällig?« hielt der Criminalrath ihn auf.

»Ich will die Klingel ziehen.«

Er war der echte freche, anmaßende Polizeimensch, dieser Director der Polizei.

»Mein Herr,« erwiderte ihm der Criminalrath, »hier bin ich Herr!«

Adalbert Huber war prächtig, ruhig, fest, entschlossen, stolz.

Er hatte kein schönes Frauenauge sich gegenüber.

Dem Polizeibeamten imponirten die Ruhe, die Entschlossenheit, der Stolz; er trat zurück.

»Was wünschen Sie?« fragte ihn der Criminalrath.

»Den Gerichtsdiener Braun zu sprechen.«

»Zu welchem Zweck?

»Er wird mich recognosciren.«

»Ah, er kennt Sie

»Ja!«

Der Criminalrath ging zu der Thür. Sie führte in ein Nebenzimmer, in dem der Gerichtsdiener Braun seinen Dienst hatte.

Der Criminalrath öffnete die Thür; er wollte Braun hereinrufen.

Er fuhr in demselben Augenblicke erschrocken zurück, machte die Thür wieder zu, zog die Klingel.

Der Polizeidirector hatte das Erschrecken des Criminalraths bemerkt, er brannte vor Neugierde, zu wissen, was in dem Nebenzimmer sei. Er wagte nicht, sich zu rühren.

Es entstand eine plötzliche tiefe Stille.

Man hörte eine Thür des Nebenzimmers sich öffnen, sich wieder verschließen; gleich darauf wurde sie noch einmal geöffnet, noch einmal zugemacht.

Dann trat der Gerichtsdiener Braun zu den drei Herren in das Zimmer.

Sein Gesicht war unverändert offen und ehrlich.

»Braun, kennen Sie einen von diesen Herren?« fragte ihn der Criminalrath.

Braun zeigte auf den Polizeidirector.

»Der Herr Polizeidirector Sebald aus der Residenz.«

»Wie haben Sie ihn kennen gelernt?«

»Ich bin zwölf Jahre gedienter Unterofficier, Herr Criminalrath, stand längere Zeit in der Residenz, und hatte oft die Wache auf der Polizei.«

»Gut,« sagte der Criminalrath »Sagen Sie dem Gefangenwärter Hartmann, daß ich sofort mit diesen Herren die Gefängnisse besuchen werde.«

Braun ging.

Der Criminalrath wandte sich zu den beiden Herren:

»Ich bitte, mir zu folgen.«

Der Polizeidirector hatte noch etwas zu sagen.

»Herr Criminalrath, es hält sich hier seit einiger Zeit eine etwas zweideutige Dame auf. Könnten Sie uns Auskunft über sie geben?«

Der Criminalrath sah fragend den Obergerichtsrath an.

»Wünschen Sie diese Auskunft?«

»Ich bitte darum.«

»So habe ich zu antworten, daß von einer Dame, die sich hier aufhalten soll, mir nichts bekannt ist.«

»Sie ist als die Nichte des Gefangenwärters Hartmann hier,« sagte der Polizeidirector.

»Mein Herr Polizeidirector,« sagte der Criminalrath, »wenn Sie über diese Nichte des Gefangenwärters Hartmann nähere Auskunft haben wollen, so werden Sie sie selbst oder den alten Hartmann fragen müssen. Ich kann Ihnen keine ertheilen.«

»Lassen wir das vorläufig,« bemerkte der Obergerichtsrath.



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