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XI.
Der Criminalrath und Laura
in den Gefängnissen.


»Sie, Mamsell Laura?« rief der Criminalrath noch einmal, fast unwillig jetzt, wenn er es vorher nur überrascht ausgerufen hatte.

»Sie ließen sagen, daß Sie eilig und nothwendig in die Gefängnisse müßten –«

»Allerdings –«

»Mein Ohm aber ist wirklich unwohl.«

Sie sprach ruhig, ernst.

Er stand nachsinnend.

»Aber mit Ihnen, Mamsell Laura?« sagte er noch einmal.

»So schieben der Herr Criminalrath für heute Nacht Ihren Besuch auf.«

Sie schien ihm die Worte mit leichtem Spott zu sagen.

Er antwortete nicht sogleich. Für den Spott der schönen Mamsell schien er besonders empfindlich zu sein.

»Aber bei der Dringlichkeit der Sache wird es nicht angehen,« sagte sie, und sie lächelte dabei.

Durfte sie ihn wankelmüthig finden?

»Nein,« sagte er.

Das Wort brachte ihn aus dem Regen unter die Traufe

»Der Herr Criminalrath fürchten sich doch nicht mit mir?«

»Nein, Mamsell!« erwiderte er mit sehr ernstem Nachdruck.

»So fürchten Sie für mich?«

Hatte sie Hohn, so wollte er ihn auch haben.

»Sollte es dessen bedürfen, Mamsell Laura?«

»Sie trauen mir also Muth zu, Herr Criminalrath?«

»Gehen wir!« sagte er.

»Haben der Herr Criminalrath die Güte, mir zu folgen.«

Sie ging mit ihrer kleinen Blendlaterne voran.

Er folgte ihr.

Unterwegs begann sie wieder zu sprechen.

»Der Herr Sekretär war lange bei Ihnen!«

»Ja.«

»Darf ich fragen, was der Herr Criminalrath da unten vorhaben?«

Der Criminalrath hatte wieder nicht gleich eine Antwort.

»Sie will mich ausfragen,« dachte er.

Sie ließ ihm auch den Gedanken nicht.

»Ich frage nicht ohne Absicht; Herr Criminalrath. Wenn Sie es mir mittheilen, so weiß ich, wohin ich Sie zu führen habe, und Sie würden um so eher fertig.«

Es war richtig, und gerade darum ärgerte er sich wieder darüber.

»Zudem,« fuhr sie fort, »sind der Herr Criminalrath nur erst einmal in den Gefängnissen gewesen.«

»Und Sie waren wohl oft darin?« brach es aus ihm heraus.

»O ja,« sagte sie unbefangen.

»Und wissen genau Bescheid da unten?«

»Gewiß!«

»Hm, und dürfen Sie mir sagen, was Sie so oft in diesen Gefängnissen zu thun hatten?«

»Ich hatte Spieß's Höhlen des Elends Meine Reisen durch die Höhlen des Unglücks und Gemächer des Jammers, 4 Bände, Leipzig 1796, von dem Unterhaltungsschriftsteller Christian Heinrich Spieß (1755-1799).- Anm.d.Hrsg., und wie das Buch weiter heißt, gelesen. Der Herr Criminalrath wissen, es ist eine Kammerjungfernlectüre. Da war ich neugierig geworden, wie es in solchen Höhlen des Elends und Gemächern des Jammers aussieht.«

»Und was fanden Sie hier?«

»Verbrecher, schwere, gemeine Verbrecher, und also Elend und Schrecken und Jammer genug.«

Der Criminalrath schwieg. Er hing wieder seinen Gedanken nach, und sie hatten eine andere Richtung genommen.

»Wenn die eine Kammerjungfer ist, so bin ich nicht der Criminalrath Adalbert Huber. Aber wer ist sie, und was will sie? Und was will sie jetzt wieder? Warum geht sie hier mit mir? Warum durfte es der alte Hartmann nicht? Und welche Gewalt hat sie über den alten Mann? Die Nichte über den Onkel, den sie beständig ihren Ohm nennt? Die Nichte?«

»Der alte Hartmann ist Ihr Onkel?« fragte er sie plötzlich und rasch, wie ein Inquirent, der verwirren will.

»Mein leiblicher Ohm,« antwortete sie ohne alle Verwirrung.

»Ich meinte,« sagte er ärgerlich, »die Nichte Hartmann's sei älter, als Sie?«

Sie lachte.

»Ah, Sie machen mir ein Compliment. Ich muß mich gut conservirt haben.«

Er biß sich auf die Lippen.

»Das ist ein Satan!«

»Aber,« fragte sie, »woher kennen der Herr Criminalrath mein Alter?«

»Ich sprach von der Nichte Hartmann's!«

»Also von mir!«

»So geht es nicht,« sagte er zu sich, und er hatte keine Antwort für sie.

Mamsell Laura kümmerte sich nicht darum. Sie blieb vergnügt, schelmisch.

»Sie wollen wohl ein Nachtverhör anstellen?« fragte sie.

Er sah sie doch verwundert an, was sie denn vom Nachtverhör wisse.

»Nun, der Herr von Detting hatte es einmal gethan. Er hatte hier einen sehr frechen, verstockten Mörder sitzen. Nichts konnte den Menschen zu einem Geständnisse bewegen. Da ließ der Herr von Detting ihn plötzlich mitten in der Nacht zu einem Verhöre verführen, und er hatte allerlei Vorbereitungen dazu getroffen, die in der Mitternacht auf den verhärteten Bösewicht wirken sollten, ein halbes Dutzend Wachskerzen, eine alte Bibel, ein schwarzes Kruzifix, ein Todtenkopf, der zur rechten Zeit enthüllt werden sollte, und so weiter. Der gute Herr von Detting hatte sich einen sicheren Erfolg versprochen; der alte Sekretär hatte den Kopf geschüttelt; mein alter Ohm hatte für sich von Narrheiten gebrummt, und der Mörder selbst, die Hauptperson, hatte, als er zu allen den Feierlichkeiten geführt wurde, höhnisch gegrinst und den Herrn Criminalrath gefragt, ob er solchen Speck zum Mäusefangen aus der Residenz mitgebracht habe. Der alte Sekretär hat es mir nachher erzählt.«

Der Criminalrath Huber hatte während dieser Erzählung sich wieder auf die Lippen gebissen.

»Halten Sie auch mich für einen solchen Mäuse- und Rattenfänger?« drängte es ihn, seine schöne Begleiterin zu fragen.

»Aber sie ist ja nur eine Zofe,« sagte er sich.

»Aber ist sie das nur?« mußte er sich dann doch wieder fragen.

Sie ging neben ihm her, halb vor ihm. Der Schein der Laterne zeichnete ihre Gestalt scharf ab.

Sie war selbst in der Umhüllung des dichten Shawls so fein, so zierlich; ihr Schritt war so elastisch; ihre Haltung schien ihm in diesem Augenblicke etwas Vornehmes zu haben.

»Haben der Herr Criminalrath gar keine Antwort mehr für mich?« fragte sie.

Er sann doch nach, was er ihr wenigstens darauf antworten sollte.

»Ich bin Ihnen wohl überlästig mit meinem Geplauder,« fuhr sie fort.

Sie waren an der Thür, die zu den Gefängnissen führte.

»Mamsell Laura,« sagte er, »Ihr Geplauder, wie Sie selbst es nennen, hat mir Vergnügen gemacht. Aber von jetzt an, wenn ich bitten darf, lassen Sie uns nur ernsthaft mit einander sprechen.«

Er sagte es höflich, aber ernst, amtlich ernst; er hätte es so zu einer Kammerjungfer, wie zu einer vornehmen Dame sagen können.

»Der Herr Criminalrath sollen mit mir zufrieden sein,« erwiderte sie, und in einer Weise, daß gleichfalls eine Dame oder eine Zofe es ihm hätte erwidern können.

Die Gefängnisse befanden sich in den Souterrains des alten Nonnenklosters. Die Treppe, die zu ihnen hinunter führte, mündete oben in einen Seitengang, an dessen anderer Seite ein Theil der Bureaus der Untersuchungsbehörde befindlich war.

Sie war hoch und steil, ohne Absätze. Der Criminalrath zählte im Hinuntersteigen fünfzehn Stufen. Es lag ihm daran, sich in jeder Weise genau zu orientiren.

Zu beiden Seiten der Treppe war unmittelbar Mauerwerk.

Unten war sofort eine Thür, welche die ganze Breite der Treppe einnahm. Die Thür war von starkem Eisen, mit dem Thürschloß und einem Hängeschloß versehen. Sie öffnete sich nach innen.

Mamsell Laura fand in ihrem Bunde leicht die beiden Schlüssel.

»Wollten Sie nicht so leise wie möglich aufschließen?« sagte der Criminalrath.

Sie schloß leise, fast geräuschlos auf. Schlösser und Thüre gingen leicht.

Der Criminalrath und seine Begleiterin traten durch die Thür.

»Soll ich hinter uns abschließen?«, fragte Mamsell Laura; sie flüsterte es.

Der Criminalrath besann sich kurz.

»Um der Sicherheit willen, ja.«

»Sind Sie bewaffnet?« fragte sie doch.

»Nein!«

Sie wollte noch etwas bemerken. Sie unterdrückte es und verschloß das Thürschloß.

Sie war sehr ernst.

»Fast gespannt,« sagte sich der Criminalrath, als der Schein der kleinen Laterne ihm ihr Gesicht zeigte.

Aber Furcht sah er in diesem nicht; das mußte er sich gestehen.

Sie befanden sich in einem ziemlich engen Raum,wie es schien, einer Fortsetzung des Ganges, den die Treppe durchschnitt; Thüren waren nicht darin. Er wandte sich nach wenigen Schritten rechts, und jetzt hatte er auf beiden Seiten Thüren. Es waren, wie der Criminalrath von seinem Morgenbesuche her wußte,Thüren zu den Gefängißzellen. Die leichteren Verbrecher wurden hier festgehalten.

Der Criminalrath ging an ihnen vorüber. Nur im Gehen horchte er nach ihnen hin. Er hörte nichts.

Mamsell Laura ging nicht mehr vor ihm. Sie hielt sich halb an seiner Seite, halb hinter ihm. Sie hatte ihn hier nicht mehr zu führen. Bekannt war er hier schon, seit dem Morgen; er hatte ihr nicht gesagt, wohin und was er jetzt wolle; so ließ sie ihn vorausgehen, und leuchtete ihm nur, daß er wisse, wo er war.

Sie gingen so schweigend neben einander. Der Gang war nicht gepflastert; sie gingen auf festem Lehmboden; so hallten auch ihre Schritte nicht wieder, und die Gefangenen in den Zellen hätten selbst in der Stille der Nacht genau aufhorchen müssen, wenn sie hören sollten, daß sich etwas in dem Gange bewege. In den Thüren der Zellen waren keine Fenster; so konnte auch die Laterne Laura's den Gefangenen ihre Anwesenheit nicht verrathen.

Sie kamen in einen zweiten und dritten Gang, in einen vierten und fünften. Sie gingen immer schweigend; der Criminalrath horchte an allen Thüren; es herrschte hinter allen die tiefste Stille; nicht das leiseste Flüstern wurde vernommen. Sämmtliche Gefangene mußten im Schlafe liegen, und man hätte das Athmen der Schlafenden hören müssen, wenn nicht die Thüren von dickem Eichenholz und doppelt gewesen wären.

Sie hatten alle Gänge durchschritten, an denen bewohnte Zellen lagen. Der Criminalrath wußte es genau von seinem Besuche am Morgen. Noch zwei oder drei Gänge waren in dem Labyrinth von kleineren und größeren Gängen da; der Criminalrath hatte sie am Morgen nicht betreten, weil nach der Versicherung der Beamten kein Gefangener dort eingesperrt war. Er ging auch jetzt an ihnen vorüber.

Er kehrte zurück.

Aber, hatte er vorhin gehorcht, jetzt suchte er mit den Augen. Er schaute in jeden Winkel; seine Blicke schienen jede Mauer zuerst messen und dann durchdringen zu wollen.

»Was mag er suchen?« fragten die forschenden Blicke seiner Begleiterin.

Sie war am Morgen nicht mit ihm gewesen, als er den Winkel entdeckte, der nach seiner Richtung auf die einsame Fichte gerade unter seiner Schlafstube liegen mußte. Ihn suchte er wieder auf.

Er fand ihn. Seine Aufmerksamkeit auf Alles, was hier war, verdoppelte sich. Er maß das Fenster in dem Winkel, die Mauern, trat den Gang ab, besichtigte den Lehmboden, stampfte mit dem Fuße aus, ob er hohl klinge.

Mamsell Laura fragte sich nicht mehr, was er wolle. Sie schien sich nur darüber zu verwundern, daß er es mit seiner Untersuchung so eilig mitten in der Nacht gehabt habe. Er konnte sie ja auch am folgenden Morgen noch vornehmen.

Dazu mochte sie sich doch auch noch fragen, warum er sie in ihrer Gegenwart so offen und absichtlich vornehme, daß es ihr auffallen mußte.

Er war mit seinem Untersuchen zu Ende.

Sie hatten, seitdem sie hier unten durch die Gänge schritten, beide kein Wort gesprochen.

»Mamsell Laura,« fragte der Criminalrath, »können Sie mich zu der Zelle führen, in die der heute eingelieferte Gefangene gebracht ist?«

Er hatte die Frage plötzlich an sie gerichtet.

Sie antwortete ihm völlig ruhig:

»Es thut mir leid, Herr Criminalrath. Man hat mir die Zelle nicht genannt.«

Gleich darauf hatte sie doch wieder ihren übermüthigen, neckenden Ton, und zwar zu einer spöttischen Frage.

Wollte sie dadurch verbergen, daß sie doch innerlich nicht so ruhig war, als sie sich noch den Anschein geben konnte?

»Der Herr Criminalrath wollen doch ein Nachtverhör abhalten?« fragte sie.

Er blieb vor ihr stehen; er sah sie ernst an. Es war ein amtlicher Blick.

»Mamsell Laura, Sie erblaßten, als Sie heute den Mann sahen!«

»In der That?« fragte sie.

Aber ihre Stimme war nur noch halb keck, und eine neue Blässe ihres Gesichtes strafte auch dieses Halbe Lügen.

»Mamsell Laura,« fuhr der Criminalrath strenge fort, »Sie erblassen wieder, und – der Mensch war schon in der vorigen Nacht bei Ihnen!«

Sie lachte fast laut auf.

»Wollen Sie das Nachtverhör mit mir anstellen?«

»So geht es nicht!« sagte sich der Criminalrath wohl noch einmal.

»Gehen wir!« sagte er zu seiner Begleiterin.

»Zurück? Nach oben?« fragte sie.

»Nein, dorthin!«

Er zeigte nach einem der Gänge, an denen sie vorhin vorbeigegangen waren.

Sie schien plötzlich noch einmal die Farbe zu wechseln. Aber sie ging muthig neben ihm her.

Der Gang war klein, eng, holperig; er schien wenig, vielleicht nicht seit Jahren, betreten zu sein; ein moderiger Geruch, der darin herrschte, bestätigte das. Der Criminalrath untersuchte dennoch die Thüren, die sich darin befanden. Es waren drei; sie waren alle drei nur angelehnt. Er öffnete sie, blickte aber nur in kleine, kahle Räume, die fast Käfigen glichen.

Er kehrte aus dem Gange zurück.

In den Zügen seiner Begleiterin zeigte sich ein leiser Triumph.

Aber er schritt zu einem zweiten der Gange, und sie mußte ihm dahin folgen.

Der zweite Gang war ganz wie der erste.

»Jetzt wird er doch endlich umkehren,« sagte die Miene der Mamsell Laura; aber man sah ihr dabei doch Spannung an.

Der Criminalrath kehrte noch nicht um; er ging zu dem dritten der kleinen, holperigen Gänge mit den nackten, käfigartigen Zellen.

Und Mamsell Laura mußte ihn dahin mit ihrer Blendlaterne begleiten.

Aber sie fragte ihn: v

»Wissen der Herr Criminalrath, wo wir hier sind?«

»Und wo wären wir?«

»Unter der Kirche«

»Unter der alten Klosterkirche?«

»Ja. Und unter der Klosterkirche befinden sich die Gräber der Nonnen, und diese kleinen, nackten, kahlen, finsteren Zellen –«

Sie stockte, als wenn ein Schauder sie ergreife.

Er lachte.

»Sie will dich wieder foppen,« sagte er sich, »wie sie auch dem guten Herrn von Detting mit ihren Gespenstererscheinungen kam. Ich werde ihr zeigen, daß die bei mir nicht angebracht sind.«

»Und,« ergänzte er ihren Satz, »diese kleinen, finsteren Zellen sind wohl die Begräbnißplätze der alten Nonnen!«

Seine Begleiterin aber erwiderte ihm sehr ernst:

»Ja, Herr Criminalrath, hier wurden ihre Särge beigesetzt, hier ruhten sie, bis rohe Hände die Särge zertrümmerten, und den Gebeinen die Ruhe nahmen. Sei der Ort der Todtenruhe uns ein heiliger!«

Er wurde doch betroffen.

Er kehrte nicht zurück, aber er war still, indem er weiter ging.

Und dann auf einmal flog er fast zurück.

Sie hatten vor dem Gange gesprochen. Dann war er rasch hineingetreten, er allein, ohne seine Begleiterin, die zögernd zurückblieb. Er wollte ihr wohl zeigen, daß er sich nicht fürchte.

Er trat in den dunklen Gang.

Plötzlich sah er einen Lichtschein vor sich, schmal und dünn, als dringe er durch die Ritze einer Thür oder Mauer, aber hell, fast blendend in der tiefen Finsterniß umher, und so unerwartet und in der Todtenruhe, die er stören wollte, die er schon verspottet hatte. – Er trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

Und in demselben Augenblicke fühlte er eine Hand an der seinigen.

Aber es war eine warme, weiche Hand, und Mamsell Laura flüsterte ihm ängstlich zu:

»Kommen Sie! Kommen Sie!«

Und sie hatte seine Hand gefaßt und suchte ihn zurückzuziehen, fort von diesem Aufenthalte des Grausens.

Ein paar Schritte ließ er sich auch ziehen. Die Hand war so warm und weich, und auch ihre Schulter war es, mit der sie sich erschrocken an die seinige legte, und Adalbert Huber fühlte sich wie elektrisch berührt und wie magnetisch angezogen.

Aber sie zitterte nicht.

»Und ich sollte mich fürchten? Vor ihrer Comödie, die sie hier mit mir spielt? Ja, ja, hier ist ihr Geheimniß! Dort jenes Licht! Und ich muß wissen, was es ist. Ich will es wissen!«

»Kehren wir zu dem Gange zurück, Mamsell Laura,« sagte er ruhig.

»Nein, nein, Herr Criminalrath!«

»Und warum nicht?«

»Ich fürchte mich! Ich kann nicht hin.«

»Sie fürchten sich nicht, Mamsell!«

»Ich sterbe!«

»Mamsell Laura, im Lustspiel sterben die Leute nicht, und Sie führen hier eine Comödie auf!«

Er wollte seine Hand aus der ihrigen losmachen. Da fühlte er sie zittern, nicht blos ihre Hand, auch ihre Schulter an der seinigen, ihren ganzen Körper.

»Herr Criminalrath, ich beschwöre Sie!«

»Sie können mich nicht begleiten?«

»Es ist mir nicht möglich.«

»So geben Sie mir Ihre Laterne.«

»Ich beschwöre Sie, Herr Criminalrath.«

»Es handelt sich um meine Amtspflicht!«

»Nein, nein!« rief sie.

»Was wäre es dann?«

»Sie sollen es morgen erfahren! Alles! Ich verspreche es Ihnen auf das feierlichste. Nur heute nicht! Ich beschwöre Sie bei Allem, was Ihnen theuer ist.«

Sie bat so rührend, so aufrichtig, so voll innerer Angst! Sie war so schön; er fühlte noch den warmen Druck ihrer weichen Hand; das Anlegen ihrer Schulter an die seinige durchschauerte ihn noch süß; ihre schönen stahlgrauen Augen waren in so wunderbar feuchtem Glanze auf ihn gerichtet; schöne Frauenaugen – schon seine Braut hatte es ihm gesagt, warnend zwar; aber was gelten Warnungen, wenn man in der Gefahr ist – schöne Frauenaugen waren ihm immer gefährlich gewesen.

»Sie versichern mir heilig, daß es sich hier nicht um meine Amtspflicht handelt?« fragte er.

»Ich schwöre es Ihnen.«

»Gehen wir!«

Er verließ mit ihr die Gefängnisse

Sie gingen zusammen bis zu der Wohnung des Gefangenwärters Hartmann.

Dort gab sie ihm sein Licht.

Sie zitterte heftig, während sie es ihm anzündete.

Als sie es ihm dann dargereicht hatte, fragte er sie:

»Sie sind nicht die Nichte Hartmann's?«

»Nein!«

»Sie sind und Sie waren auch keine Kammerjungfer?«

»Sie sollen morgen Alles erfahren!«

Er mußte sich von ihr trennen, um noch lange, bis tief in die Nacht hinein, an sie zu denken, an ihre Schönheit, an ihre weiche Hand, an ihre runde Schulter, an ihre feuchten Augen, an ihre Comödie, an ihre Angst, an ihr Bitten.

»Ich habe sie doch überwunden! – Habe ich?«



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