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VIII.
Gefahren der Koketterie.


Nach Tisch machte der Criminalrath einen Spaziergang. Er war es gewohnt. Er hatte ihn gemeinschaftlich mit seiner Braut gemacht. Jetzt mußte er ihn allein antreten.

Er hatte ja auch so allein und einsam bei Tische gesessen, seit langer Zeit zum ersten Male. Er war hier überhaupt so allein und er wollte sich verlassen vorkommen. Er war verstimmt. Alles verstimmte ihn. Auch der Besuch in den Gefängnissen war kein angenehmer gewesen. Alle die Verbrecher da unten in den tiefen, dunklen Kellern! Männer und Weiber! Und sie waren fortan sein täglicher Umgang, fast ausschließlich! Und seine Sorge und seine Arbeit dabei.

Auch sein Spaziergang war zum Theil ihnen gewidmet. Den Weißenstein in seinem Innern, namentlich auch die Gefängnisse, hatte er am Morgen kennen gelernt. Er wollte sich auch die Lage von außen betrachten.

Der Weißenstein hatte zwei Ausgänge, den durch das große Thor, durch das der Criminalrath am gestrigen Abende gekommen war, ein kleines Pförtchen auf der anderen Seite, ziemlich dem Thore gegenüber.

Auch an diesem Pförtchen stand eine Schildwache; dem Soldaten war aber nicht der Schlüssel dazu anvertraut; dieser war nur im Besitze des ersten Gefangenwärters, des alten Hartmann.

Der Criminalrath verließ die Mauern des Weißensteins durch das große Eingangsthor. Durch Umgehen der Mauern mußte er ja zu dem kleinen Pförtchen kommen.

Sein besonderer Zweck war zugleich, sich auch von außen zu überzeugen, wie die Gefängnißräume gerade unter seinem Wohn- und Schlafzimmer gelegen seien.

Er konnte diesen Zweck nur halb erreichen. Der Weißenstein lag dort mit seinen Mauern unmittelbar an dem Strome und der Criminalrath hätte seine Beobachtungen nur aus dem Wasser oder jenseits desselben anstellen können. Er fand aber kein Fahrzeug, um hinauf oder hinüber zu kommen.

Während er darnach suchte, fand er etwas Anderes; vielleicht wurde auch er gefunden.

Er war in der Nähe des kleinen Hinterpförtchens. Er ging dort auf einem Wall, der zwischen den Mauern des Weißensteins und dem Strome sich hinzog. Der Strom krümmte sich dort, somit auch Wall und Mauer.

Bei einer Krümmung der Mauer stand Mamsell Laura vor dem einsamen Spaziergänger.

Sie war in tiefen Gedanken, sie erschrak, als sie ihn sah, wußte nicht, sollte sie zurückkehren, an ihm vorübergehen, bei ihm stehen bleiben.

»Oder scheint das nur Alles so?« fragte sich der junge Rath. »Ist das auch blos Koketterie? Berechnung? Was könnte sie denn mit mir, von mir wollen? Aber was will die Koketterie? Sie will eben nur kokett sein, gefallen!«

Er hielt sie dennoch an.

»Ich suche mich hier zu orientiren,« sagte er. »Könnten Sie mir die Lage der Gefängnisse angeben?«

Sie lächelte wieder.

»Die Gefängnisse sind nicht mein Departement.«

Sie sprach die Worte mit einem solchen Uebermuthe, daß der Herr Criminalrath zwischen Verlegenheit und Aerger schwankte; aber der Uebermuth war ja einerseits nur der eines Kammerkätzchens und anderseits von einem so reizenden Lächeln begleitet, daß Adalbert Huber sich wenigstens nicht unwillig von ihr entfernen konnte.

Sie fuhr auch auf der Stelle freundlich fort:

»Aber in der Einsamkeit dieses alten, traurigen Nestes muß man sich nach jeder möglichen Unterhaltung umsehen, und da kann ich dem Herrn Criminalrath denn auch von den Gefängnissen berichten.«

»Die Gefängnisse könnten Ihnen eine Unterhaltung gewähren?« fragte der Criminalrath.

»Warum nicht? Man spricht hier ja meist nur von ihnen. Sie scheinen hier die Hauptsache zu sein. Auch für den Herrn Criminalrath selbst.«

»Freilich,« sagte der Criminalrath, »zu meinem Departement gehören sie.«

»Also,« lächelte sie, »erlauben der Herr Criminalrath, daß ich Sie zu Ihrem Departement führe.«

»Lasse ich mich,« fragte sich der Criminalrath, »nicht doch zu weit mit dieser Zofe ein? Sie fängt schon an, sich mir gleichstellen zu wollen!«

Und er war der Chef hier, und sie die Verwandte und Dienerin seines Gefangenwärters!

»Aber sie war so hübsch – nein, so schön,« mußte er sich sagen.

»Sie ist fast eine elegante Erscheinung, und wenn man nicht wüßte, daß sie die Nichte des alten Hartmann ist und wahrscheinlich in irgend einem guten Hause als Kammerjungfer gedient hat, was freilich Alles an ihr erklärt –«

»Hier, Herr Criminalrath,« sagte die schöne Nichte seines Gefangenwärters, die mehr als sein Departement seine Gedanken beschäftigte, »hier beginnen die Gefängnisse, wenigstens auf dieser Seite. Aber Sie sehen, wo ihr Anfang ist, stehen wir hier auch schon an dem Ende.«

Wo sie standen, hörte der Wall auf, der das Gebäude von dem Strome trennte, und der Fels, auf dem hier die alten Klostermauern ruhten, fiel senkrecht in das Wasser hinab.

»Und wo ist,« fragte der Criminalrath, »drüben das Ende, oder auch der Wiederanfang?«

»Wo Fels und Wall enden, oder auch wieder anfangen.«

»Die armen Gefangenen,« setzte Mamsell Laura hinzu, »haben also aus ihren dunklen Gefängnissen keine andere Rettung, als in die Tiefe des Stromes.«

»Die armen Gefangenen, sagen Sie?« fragte der Criminalrath.

Sie sah ihn mit einem rasch aufzuckenden Blitze ihrer Augen an.

»Sie waren doch heute in den Gefängnissen, Herr Criminalrath?«

»Sie wissen es.«

»Und Sie kamen nicht mit tiefem Mitleid für die Unglücklichen zurück, die Sie dort antreffen mußten?«

»Teufel!« wollte der Criminalrath wieder ärgerlich in sich hineinfluchen.

Aber er antwortete etwas verwirrt:

»Gewiß, gewiß, und ich freue mich, daß auch Ihnen hier das Mitleid für jene Unglücklichen nicht entschwunden ist. Alte Gefangenwärter pflegen –«

Sie unterbrach ihn eifrig:

»Sie thun meinem Oheim Unrecht, Herr Criminalrath. Er ist trotz seines finsteren Aussehens ein sehr braver Mann, der Ihre volle Achtung verdient.«

»So hat ihn mir auch der Herr von Detting empfohlen,« sagte der Criminalrath.

In den Augen der Mamsell Laura zuckte es wieder, aber anders, als vorhin, und um ihre Lippen gewahrte der Criminalrath ein leises Aufzucken, das ihm wie Schmerz auszusehen schien.

»Was hat sie denn jetzt auf einmal wieder?« fragte er sich. »War es die plötzliche Erinnerung an den Herrn von Detting? Hatte sie mit ihm etwas gehabt? Aber was geht es mich denn an?«

Er sagte sich das, als wenn er eifersüchtig wäre.

»Fanden Sie es hier immer einsam und traurig?« fragte er sie.

Sie lachte wieder.

»Wie kommen Sie zu der Frage?«

»Sie sprachen vorhin von der Einsamkeit in diesem traurigen Neste.«

»Sprach ich?« fragte sie träumend, oder wie träumend. Wer konnte es bei dieser Mamsell Laura wissen?

Der Criminalrath hatte schon wieder eine andere Frage an sie.

»Sie waren wohl früher an einem angenehmeren Orte?«

Sie antwortete ihm daraus gar nichts.

Sie war auf einmal wieder erschrocken.

»Mein Gott, wenn man mich hier mit Ihnen sähe!«

Und damit sprang sie fort von ihm, wie ein aufgescheuchtes Reh.

Sie waren in der Nähe des kleinen Hinterpförtchens. Es stand nur angelehnt. Sie sprang hindurch, warf es hinter sich zu, verschloß es auf der anderen Seite.

Der Criminalrath stand etwas verdutzt vor der Thür, die im eigentlichsten Sinne des Wortes ihm vor der Nase zugeschlossen war.

»Die abscheuliche Kokette!« rief er, und zwar diesmal entrüstet. »Was will sie mit mir? Was bildet sie sich denn ein? – Nein, nein, meine liebe, gute Emilie, sie wird Dir nicht gefährlich! Aber die Person hatte den Schlüssel zu dem Pförtchen; sie hatte schon vorher aufgeschlossen, den Schlüssel stecken lassen! Das ist Unordnung! Der Schlüssel kann nur dem alten Hartmann anvertraut sein. Er muß besser auf ihn achten; sie darf ihn nicht mehr in die Hände bekommen. Und was hatte sie hier überhaupt zu machen?«

Er schritt im Aerger rasch dem großen Eingangsthore zu, durch das er den Weißenstein verlassen hatte.

Als er durch das Thor in den schmalen Hof vor dem alten Klostergebäude trat, fiel sein erster Blick wieder auf Mamsell Laura.

Sie hatte unmittelbar neben der hohen Eingangsthür in das Gebäude eine Blumenetagère aufgestellt oder aufstellen lassen. Sie ordnete die Blumen darauf mit aller ihrer Anmuth.

Adalbert Huber hatte recht trotzig an ihr vorbeigehen wollen.

Sie sah ihn freundlich an.

»Nicht wahr, Herr Criminalrath, meine Blumen sind schön?«

»Aber Sie sind schöner, Mamsell Laura, weit, weit, so unendlich schöner!«

Er hätte es ihr gerne zurufen mögen. Aber er konnte es auf einmal nicht. Etwas in seinem Innern sagte ihm: »Du störst durch das fade Compliment ihr Glück. Und sie ist so glücklich, und ich soll durch meine Theilnahme ihr Glück erhöhen; ihr Blick bittet so innig darum.«

»Und sie machen Ihnen wohl recht viele Freude, Mamsell Laura?« sagte er.

»O gewiß,« rief sie herzlich zurück, »und noch mehr freut es mich, wenn sie Ihnen Freude machen.«

Und die Worte gaben dem Criminalrath einen Stich in das Herz.

»Aber nein, nein, Emilie! Ich bleibe Dir treu!«

Er wollte in das Haus gehen.

Er mußte doch wieder stehen bleiben.

»Ah, Herr Criminalrath, über meine Blumen hätte ich beinahe Ihren Kaffee vergessen. Sie trinken doch des Nachmittags Kaffee?«

»Ich bitte darum,« sagte er wieder.

»In Ihrem Zimmer da oben, oder in Ihrem Bureau?«

Er sann darüber nach.

»Der Herr von Detting,« fuhr sie fort, »trank ihn oben. In der Amtsstube schicke es sich nicht, meinte er. Er war ein Pedant.«

»So werde sich ihn im Bureau trinken,« wollte Adalbert Huber sagen, um in den Augen der Mamsell Laura nicht als Pedant zu gelten. Aber ehe er es sagen konnte, sprach sie schon wieder.

»Und in Ihr Zimmer könnte ich ihn bringen; in die Bureaus darf ich nicht kommen.«

»Und Sie brächten ihn mir gern?« fragte mit hellem Entzücken der Criminalrath.

»Gewiß, Herr –«

»Herr Criminalrath!« hatte sie sagen wollen.

Sie fuhr plötzlich erschrocken zurück; ihr Schreck war diesmal keine Verstellung.

Aus der hohen Thür, vor der sie standen, trat der Gerichtsdiener Braun mit seinem offenen und ehrlichen Gesichte so plötzlich und wie zur abgepaßten Zeit, als wenn er schon lange hinter der Thür gestanden und gehorcht und gerade diesen Moment abgewartet hätte.

»Ich wollte dem Herrn Criminalrath gehorsamst melden, daß die Post angekommen ist und die Unterschriftssachen fertig sind. Befehlen der Herr Criminalrath die Sachen in das Bureau oder in Ihr Wohnzimmer?«

»Der Schurke hat uns belauscht!« mußte sich der Criminalrath sagen. »Gebe ich ihm nach, so hat er mich. Und wenn ich ihr nachgebe –? Verdammte Situation!«

Er wurde daraus erlöst, freilich, wie sich bald ausweisen sollte, in eigenthümlicher Art.

Draußen vor dem großen Eingangsthore war der Huf eines Pferdes laut geworden. Die Schildwache hatte durch das Schiebfensterchen geschaut, dann das Thor geöffnet.

Ein Gendarm ritt in den Hof, neben dem Pferde einen Gefangenen führend, dem die beiden Hände zusammengeschlossen waren.

Alle Drei blickten nach dem Thore, der Criminalrath, Mamsell Laura, der Gerichtsdiener Braun.

Mamsell Laura wurde leichenblaß; sie mußte sich an der Blumenetagère anhalten, um nicht umzusinken.

Durch das ehrliche Gesicht des Gerichtsdieners flog ein errathendes, dann höhnisches Lächeln.

Der Criminalrath sah auf die Eine, auf den Anderen, suchte zu errathen, wurde irrer und irrer, sah sich wieder den, wie ein schwerer Verbrecher geführten und gefesselten Gefangenen an.

Niemand sprach ein Wort.

Der Gendarm war mit dem Gefangenen näher gekommen.

»Der Herr Criminalrath!« wies ihn der Gerichtsdiener an den neuen Chef auf dem Weißenstein.

Der Gendarm überreichte diesem seine Papiere.

Es waren sein Transportzettel und ein Schreiben eines benachbarten Gerichtsamtes, das den Gefangenen an die Criminalbehörde zur Führung der Untersuchung ablieferte.

Der Criminalrath erbrach und las sofort das Schreiben. Der mitkommende Gefangene, stand darin, sei dringend eines in der vergangenen Nacht verübten bedeutenden und verwegenen Diebstahles verdächtig; die über den Thatbestand aufgenommenen Verhandlungen würden mit der nächsten Post nachfolgen.

Der Criminalrath mußte sich noch einmal den Gefangenen ansehen.

Es war ein Mann in mittleren Jahren, gekleidet wie die Landleute der Gegend; an seiner Erscheinung und seinem Wesen und Benehmen zeigte sich nichts Besonderes; von einem frechen Diebe sah man ihm nichts an, und wenn etwas an ihm auffallen konnte, so war es etwa eine gewisse verlegene Scheu, die sich in seinen Blicken aussprach, und die ihn veranlaßte, die Augen fortwährend zu Boden gesenkt zu halten.

Der Criminalrath wollte von ihm sich wieder nach Mamsell Laura umsehen, die der Anblick des Menschen wie auf den Tod erschreckt hatte. Sie war nicht mehr da; sie war rasch in das Haus gegangen.

Der Criminalrath ging gleichfalls hinein. An seinen Kaffee dachte er nicht mehr. Er begab sich in sein Geschäftszimmer.

Der Gerichtsdiener mit dem Gendarmen und dem Gefangenen folgte ihm.



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