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VIII.

Der Doctor hielt sich nur noch wenige Augenblicke im Huthause auf. Er eilte nach Pobersdorf zu seinem Vetter, dem er sich früher eben so sehr entfremdet hatte wie seinem Schulkameraden Ferdinand, dem er aber wieder näher getreten war, als er glaubte, ihn brauchen zu können.

»Ich glaube. Du hast es jetzt in der Hand, Steiger auf dem Vater Abraham zu werden,« so eröffnete er jetzt seine Verhandlung mit ihm.

»Wie so?« fragte der Bergmann stutzig.

»Ich habe in der Stadt von Erzpartirerei gehört, die auf dem Vater Abraham getrieben werden soll. Du weißt, der Obereinfahrer ist mein Freund; der hat schon lange auf den Grund des Gerüchtes gespürt, aber umsonst. Durch einen Zufall glaub' ich dem Erzdiebe auf die Spur gekommen zu sein; aber da ich nicht gut selbst die Spur verfolgen konnte, so schwieg ich gegen meinen Freund davon. Täuscht mich die Spur nicht, so ist kein Anderer der Dieb als der – wie heißt er doch! – nun, der Dir die Steigerstelle vor der Nase weggeschnappt hat«

»Ach, Du meinst den Bergner Ferd – sagte der Vetter, »bist ja mit ihm in die Schule gegangen, – der sollte Erz gestohlen haben? – Ja, – meiner Treu! jetzt geht mir ein Licht auf: Der »Boß!« hat 100 Thlr. in der Sparkasse und einen ganzen Schrank voll Bücher, so viel Geld hat ein Häuer nicht übrig, und wenn andere Bergleut' ihre freie Zeit zu Nebenverdienst verwendet haben, ist er daheim gesessen und hat gezeichnet, geschrieben, gerechnet und in Büchern gelesen; da hat er gut gescheidter werden können als Andere, aber er hat auch weniger verdient dabei und doch 100 Thaler gespart, – das geht nicht mit rechten Dingen zu.«

»Nun, ich denke, ich habe seine Geldquelle entdeckt,« sagte der Doctor, »aber ich müßte aus dem Spiele bleiben.«

»Wenn ich Etwas finde, brauch' ich's nur meinem Schwager, dem Bergamtsboten zu stecken, der wird's schon vor die rechte Schmiede bringen.«

»Ganz recht so! mach' Deine Sache, ich werde bei meinem Obereinfahrer das Meinige für Dich thun.« Hiermit schied er.

Die Gesellschaft hatte sich vom Huthause verloren. Ferdinand war angefahren, und Hedwig waltete in der Küche. Da trat ihre Schwester Brunhild zu ihr. »Du hast recht viel Drasch um meinetwillen,« sagte sie in ihrer gewohnten, nur etwas schüchternen Freundlichkeit.

»Arbeiten ist mir ja eine Lust,« erwiederte Hedwig. »Ich wollte, ich könnte wirklich etwas für Dich thun; Du warst immer so gut mit mir, wenn Du's auch vor Deiner Mutter nicht so merken lassen durftest; ich hätte gern an Deiner Garderobe mitgeholfen, aber da läßt mich die Mutter nicht an, weil sie meint, ich hätte keinen Geschmack.«

»Ach, die Mutter quält sich und Andere mit ihrem Geschmacksfanatismus,« sagte Brunhild; »ich will froh sein, wenn ich erst bei meinem Alexis bin, dann hat doch diese peinliche Mutterfürsorge ein Ende. Sag', hast Du den Vater beobachtet?«

»In den Augenblicken, wo ich mit ihm zusammenkomme, wohl,« sagte Hedwig, »Du bist mehr um ihn, kommt er Dir denn auch so verstört vor wie mir?«

»Das wollt' ich von Dir wissen, – o Gott! mir liegt eine fürchterliche Last auf dem Herzen. Ich habe schon gebetet; es wird nicht anders. Seit die Gesellschaft fort ist, kommt mir der Vater ganz verzweifelt vor; er hat sich mit der Mutter gezankt und jetzt auf seine Schreibstube eingeschlossen. Mit der Mutter läßt sich auch seit gestern kein vernünftiges Wort mehr reden; sie ist so leidenschaftlich, und manchmal erschreckt sie mich fast durch ihren Blick. Ich habe sie noch nie so gesehen! Höre Du mich, Hedwig, Du bist gut und klug, glaube mir, ich nehme den herzlichsten Antheil an Deinem Glücke, wenn ich mir es auch vor der Mutter nicht so merken lasse.«

Hedwig zog sie an sich und küßte sie.

»Was ich Dir sagen wollte,« fuhr Brunhild fort, »mir ahnt ein Unheil, – und ich bin eigentlich die Hauptursache davon. Meinetwegen haben sich die Eltern in Schulden gestürzt. Freilich hab' ich gegen den übertriebenen Aufwand geredet, aber die Mutter ließ sich nicht weisen, es wurde gekauft und geborgt auf die Erbschaft los, und darauf hin hat sich der Vater auch verleiten lassen, dem Goldschmied einen Wechsel von vierhundert Thalern auszustellen, der in diesen Tagen fällig ist. So viel ich wegbekommen habe, ist der Erbschaftsproceß verloren, und nun soll der Vater den Wechsel decken und kann es nicht.«

»Und was droht ihm da?« fragte Hedwig bebend.

»Gefängniß, der Gläubiger kann ihn so lange setzen lassen, bis er zahlt.«

»Barmherziger Gott!« rief Hedwig, »aber so weit wird's doch der Goldschmied nicht treiben

»Du kennst den Mann nicht,« sagte Brunhild, »das ist ein Shylock; o, der Vater ist in fürchterliche Hände gerathen und um meinetwillen!«

Beide Mädchen mußten weinen. Nach, einiger Zeit sagte Hedwig: »Aber unser Klagen nützt nichts, wir müssen auf Mittel denken, dem Vater zu helfen.«

»Ich habe mir schon den Kopf zerbrochen,« sagte Brunhild, »aber ich sehe keinen Ausweg. Ich war heimlich in der Stadt und wollte dem Goldschmied meinen ganzen Schmuck geben; er nahm ihn nicht, in fünf Tagen wolle er den Wechsel baar gedeckt sehen, sagte er.«

»Halt! ich hab's!« rief Hedwig, »der Gewerkenausschuß hat meinem Ferdinand 300 Thaler Belohnung für die Befahrung des alten Schachtes zugesichert, 100 Thaler hat er in der Sparcasse, das sind 400 Thaler, die muß er dem Vater leihen!«

»Wird er das wohl thun?«

»So gewiß, als es Dein Baron thun würde, wenn Du ihn darum bätest. Aber bei Euch vornehmen Leuten liegt ewig noch eine Scheidewand zwischen den Seelen, wenn Ihr Euch auch noch so sehr liebt!«

»Ich hätte wahrlich nicht den Muth, an meinen Alexis solch eine Bitte zu richten.«

»Das kommt von der Unnatur her, in die Du hineingezwängt worden bist; es ist ein Wunder, daß Du noch so gut und lieb geblieben. Ich hoffe, wenn Du erst ganz bei Deinem Alexis sein wirst, wird die gesunde Natur bei Dir wieder zu ihrem vollen Rechte kommen. Gräme Dich also nicht mehr um den Vater, fünf Tage noch hat es Zeit mit dem Wechsel, da ist er gedeckt.«

Brunhild umschlang die edle Schwester und ergoß zum ersten Mal ihr ganzes volles Herz vor einer verwandten Frauenseele. Gleich darauf erschien der Baron und brachte die Nachricht, eine Tante von ihm sei angekommen, wolle aber noch heute nach Schloß Scharfenstein, wohin sie geladen worden. Und da er selbst seine Braut dort noch vorzustellen habe, so wolle er mit ihr die Tante begleiten. Die Schichtmeisterin fand es von selbst verständlich, daß Brunhild von der Partie war, und diese glaubte jetzt ohne Angst um den Vater, sich auf ein paar Tage entfernen zu dürfen.

Als Ferdinand ausfuhr, gab Hedwig ihm eine Strecke weit das Geleit und theilte ihm die Bedrängniß ihres Vaters mit. Er war mit Freude zur Hülfe bereit. »Morgen wird mir wahrscheinlich das Geld für die Fahrt ausgezahlt,« sagte er, »wenn nicht, so gehe ich übermorgen früh in die Stadt und dem Mickley nicht vom Halse, bis ich das Geld habe. Dann ist die Sache abgemacht. Aber sag' Deinem Vater nichts davon. Du weißt, ich liebe es nicht, über solche Dinge viel Geräusch zu machen. Uebermorgen bringe ich Dir den quittirten Wechsel.«

Dabei blieb es. Als Hedwig bei ihrer Rückkehr dem Vater unter der Hausthür begegnete, flüsterte sie ihm zu: »Hoffe und vertraue, es ist Hülfe nah!«

Er sah ihr forschend in das mondbeglänzte Gesicht. Ihr Auge schwamm in Thränen, aber ihren Mund umspielte ein seliges Lächeln. Er streichelte ihr die Stirn und sagte: »Du sprichst wie ein Engel, – ach –« aber das Dazwischentreten seiner Frau schloß ihm den Mund.

»Wo steckst Du denn so lange?« herrschte sie Hedwig zu, »geh' doch an Deine Arbeit!« Dann wollte sie mit dem Gatten ein Gespräch anknüpfen, aber der machte sich unwillig los. – »Du bist mein Dämon!« sagte er und ging in seine Schreibstube, wo er sich wieder einschloß.

Hier lagen die Terzerole frei auf dem Tische. »Heute noch nicht!« sprach er und verbarg sie nochmals, »die Engelsstimme hat noch einmal Hoffnung in mein Herz gesenkt. Hoffe und vertraue, es ist Hülfe nahe! so sprach das verkannte, verstoßene Kind, – o wie hab' ich das an ihm verdient? – Weiß sie meine Lage und hat sie den Ferdinand zur Hülfe aufgefordert? Der könnte helfen, aber ich selbst hätte nicht den Muth, den edlen Menschen anzusprechen, den wir erst zu verderben getrachtet. O Gott! wie gerecht bist Du! Den wir verderben wollten, der ist mit Ehre gekrönt, und er trägt den Lohn davon, der unser hätte werden können. Jetzt wären wir gerettet, – o Weib! Weib!« – Er versank eine Zeit lang in trübes Brüten; nach und nach wurden seine Züge weicher und Thränen entquollen seinen Augen. – »O Gott! o Gott! wie tief bin ich gefallen!« rief er aus und sank auf seine Kniee zum brünstigen Gebete.

Der folgende Tag verging ziemlich still im Huthause, nur daß zwischen den beiden Gatten wieder ein verdrießlicher Auftritt stattfand, nach welchem der Schichtmeister sich in sein Zimmer schloß, und seine Frau von Stunde zu Stunde widerwärtiger gegen ihre Umgebung wurde. Niemand hatte darunter mehr zu leiden als Hedwig, doch trug sie Alles mit stiller Geduld; sie fühlte, daß ihre Tyrannin der elendere und beklagenswerthere Theil war.

Da Ferdinand an diesem Tage das ihm zugesicherte Geschenk nicht erhielt, so machte er sich den folgenden Morgen auf den Weg nach der Stadt, um es zu fordern. Es bedurfte nur eines Wortes bei dem biedern Gelbgießer, um diesen zur Zahlung zu vermögen. Dreihundert baare Thaler wurden dem armen Bergmann zugezählt, – eine Summe, die er nie beisammen gesehen, geschweige denn sein genannt hatte! Was würde der Sparcassenmann für Augen machen, wenn er eine solche Einlage brächte. Aber was machte er für welche, als der sparsame Knappe sein ganzes Guthaben verlangte und auch nicht eher vom Platze wich, bis er es hatte! Froh wie Gott ging Ferdinand dann zu dem Goldschmied und erklärte, von dem Schichtmeister abgeschickt zu sein, den Wechsel einzulösen.

Der Goldschmied riß erstaunt die Augen auf, wollte Bedenklichkeiten erheben, aber Ferdinand hatte in seinem Wesen so etwas Gebietendes, daß der Wucherer sich gezwungen fühlte, den Wechsel herbeizuschaffen, zu quittiren und Ferdinand einzuhändigen. Kaum war dies geschehen, als die Ladenthür aufging und außer dem Bergschreiber und dem Bergamtsdiener einen Gerichtsactuar und den Gerichtsfrohn einließ. »Da finden wir die Compagnons gleich beisammen,« sagte der Bergschreiber. »Im Namen des Gesetzes erkläre ich diese beiden Herren für Gefangene!« sagte der Actuar; »ich hoffe, Sie werden sich Ihr Loos nicht durch Widersetzlichkeit erschweren!«

Der Goldschmied bebte wie ein Espenblatt, indeß Ferdinand sich blos verwunderte. »Da muß ein Irrthum walten,« sagte er, »und der wird sich bald aufklären; ich gebe mich ruhig gefangen.« Der Goldschmied erhob allerlei Einwände; seine Frau kam herbeigeheult und wollte ihn nicht fortbringen lassen. Es half aber Alles nichts, die Verhaftung wurde vollzogen.

Der Vetter des Doctors war rasch zu Werke gegangen, aber er würde seinen Zweck nicht so bald erreicht haben, hätte nicht die von den Geschwistern des Lehrburschen vom Gelbgießer Mickley verschleppte Silberstufe ihren Weg schon vorher in die Hände des Bergamtsboten gefunden gehabt. Dieser hatte nachgeforscht, woher die Stufe gekommen; und als nun sein Schwager ihm mittheilte, welche Entdeckung er in der alten Jacobszeche gemacht, da hatte es gar keiner Weitläufigkeiten bedurft; jener war in die Bergkanzlei gegangen und hatte dem Bergschreiber Anzeige erstattet. Es war sofort eine bergamtliche Untersuchung der Jacobszeche vorgenommen und dort das vom Doctor dahin getragene Erz gefunden worden.

Mit großer Verwunderung sah der Gelbgießer Mickley seinen Schützling in Gesellschaft der Bergamts- und Gerichtspersonen sammt dem Goldschmied über den Markt nach dem Rathhause gehen. Bald erfuhr er die Bedeutung dieses Auszuges. Sogleich zog er sich an und eilte aufs Rathhaus, um dem Gericht seine Bürgschaft für Ferdinand anzutragen. Der Richter erlaubte ihm nur, den Gefangenen in Beisein eines Actuars zu besuchen. Ferdinand empfing den edlen Freund mit einer Miene, welche das unerschütterliche Vertrauen, das dieser in ihn setzte, bestätigte. Er erzählte den Hergang der Verhaftung. Der Gelbgießer fragte, ob er etwas für ihn thun könne. Ferdinand bat ihn, seiner Mutter in beruhigender Weise wissen zu lassen, wo er sich befinde, und seiner Braut mitzutheilen, daß der Wechsel eingelöst, ihm aber vom Gericht abgenommen wäre.

»Hat Er denn eine Wechselschuld bei dem Wucherer?« fragte Mickley.

»Ich nicht, sagte Ferdinand, »aber eine mir theure Person.«

»Sollte die Verhaftung mit dem Wechsel in einem Zusammenhange stehen?« fragte Jener wieder.

»Ich glaube nicht,« sagte Ferdinand.

»Nun, ich werde Beides bestellen,« versicherte Mickley, »und für eine Erquickung will ich auch sorgen.«

»Das Liebste wäre mir ein Buch; meine Mutter soll mir das neue, vom Herrn Obereinfahrer geschenkte schicken.«

»So behalt' Er frohen Muth; der liebe Gott wird Ihm schon beistehen.« Damit schloß Mickley seinen Besuch.

Hedwig war einen Augenblick durch die ihr vom Gelbgießer selbst gebrachte Schreckensbotschaft von der Einkerkerung ihres Geliebten wie niedergedonnert. Aber sie raffte sich bald wieder zusammen, war er doch unschuldig! Sie erklärte, den Gelbgießer in die Stadt begleiten zu wollen. Ihr Vater war im Schacht, und den Widerspruch der Mutter, die nicht wußte, was es gab, achtete sie nicht, es war ihr erster Ungehorsam. Unterwegs theilte ihr Mickley mit, wie die ganze Sache stand, und daß durch die Entdeckung einer beträchtlichen Partie reichhaltigen Erzes in der hinter Ferdinands Haus befindlichen Jacobszeche dieser allerdings ziemlich belastet erscheine.

»Das Erz hat irgend ein schlechter Mensch hingeschafft!« rief Hedwig aus, »und der das gethan, muß einen besondern Zahn auf Ferdinand haben; ich weiß aber keinen Feind von ihm zu nennen als den Bergmann Meier, der sich auf den Steigerdienst gespitzt hatte, und seinen Vetter, den Doctor Meier.« Und sie erzählte, in welcher Weise einst der Doctor mit Ferdinand zusammengetroffen war.

»Gut! gut!« sagte Mickley; »jetzt entsinn' ich mich, daß ich den alten Steiger Meier in seiner letzten Zeit ein paar Mal bei dem Goldschmied habe aus- und eingehen sehen, und nach dem letzten Mal stürzte er plötzlich in den Schacht. Ich hatte schon damals meine Gedanken darüber, aber ich wollte dem alten Mann nicht Unrecht thun. Wir gehen jetzt stracks aufs Stadtgericht; da will ich gleich den Antrag stellen, daß alle Papiere des Goldschmieds durchsucht werden!«

So geschah es; auch wirkte der wackere Bürger für Hedwig die Erlaubniß aus, den Gefangenen zu sprechen.

Mittlerweile war auf dem Huthause der Doctor Meier erschienen und hatte der Schichtmeisterin triumphirend zugerufen: »Die Falle ist zu, der Fuchs gefangen!« Diesen Zuruf hörte der in der Küche seine Pfeife anzündende Hutmann. Dieser war bei Mickley's Anwesenheit und Fortgehen mit Hedwig im Walde gewesen, wußte daher noch nichts von Ferdinands Verhaftung. Doch fiel ihm die Aeußerung des Doctors auf, und er brachte sie gleich in Zusammenhang mit Hedwigs ganz außerordentlichem Gang in die Stadt. Seine Aufmerksamkeit wurde noch mehr erregt durch den Jubel, mit dem die Schichtmeisterin den Ruf des Doctors aufnahm. »Also der Fuchs ist unschädlich gemacht?« rief sie, – »o Sie sind der Schutzgeist meines Hauses!« – »Gott behüt' uns vor solchem Schutzgeist!« sprach der Greis bei sich; »da ist ein Bubenstück gegen meinen Steiger ausgeführt worden!« Er konnte nicht hören, was die Beiden weiter verhandelten. Der Doctor entfernte sich bald, und der Greis beschloß, auf seine Schwiegertochter Acht zu haben.

Es war nach Tisch. Der argwöhnische Alte raubte sich heute sein gewohntes Mittagsschläfchen, um auf Alles zu merken, was im Hause vorging. Doch hielt er sich still in seinem Stübchen. Gerade unter diesem befand sich die Scheidebank und die damit verbundene Erzkammer. Die Scheidearbeit ruhte heute; daher war die Scheidebank verschlossen. Der Schichtmeister brauchte die Scheidearbeiter zur Ausbesserung des Pumpwerks im Schacht. Dennoch vernahm der Hutmann auf einmal ein Geräusch in der Scheidebank oder Erzkammer. Er schlich sich hinaus und verbarg sich auf der Treppe. Bald darauf ging die in die Hausflur führende Thür der Erzkammer auf, und die Schichtmeisterin trat mit einem verdeckten Handkorbe heraus, der ihr sichtlich sehr schwer wurde. Sie betrat damit die dunkle Treppe und wurde ihren Schwiegervater erst gewahr, als sie dicht vor ihm stand.

»Ei, Frau Tochter! was für schwere Spitzen, Hauben oder Tücher tragen Sie denn da?« redete er sie an, und ehe sie es hindern konnte, hatte er den Deckel aufgehoben, und die schönsten Erzstufen blinkten ihm entgegen. »Ich hätte nicht gedacht, daß meine Sohnsfrau sich so gut auf Erz verstände; wahrlich! die besten Stufen hat sie sich herausgeklaubt, – kommen Sie doch gefälligst mit herauf, Madame, wir wollen uns oben die Dingelchen bei Licht besehen. Nur keine Umstände, sonst ruf' ich die Leute vom Göpel herüber und sage ihnen, bei wem sie sich bedanken mögen, daß sie zu keiner Lohnverbesserung kommen können.«

Vernichtet folgte die Frau dem strengen Greise auf sein Zimmer. Er schloß hinter ihr ab. »Jetzt, Du Weib des Unheils, bekenne: was wolltest Du mit dem Erz thun?« Die Frau schwieg lange; aber endlich beichtete sie unter strömenden Thränen. Es kam ein seltsames Gemisch von wirklicher Mutterzärtlichkeit, Eigenliebe und Hoffart, wie es nur in der seichten Lache der Halbbildung möglich ist, zum Vorschein. Und als sie ein umfassendes Bekenntniß abgelegt hatte, und das ganze Gerüst ihres Hochmuths zusammengebrochen war und sie mit ihm, da sprach der Greis: »Unglückselige Frau! Du hast fürchterlich gefrevelt. Du hast uns Alle an einen Abgrund gebracht, von dem ich keine Rettung sehe, wenn Gott nicht ein Wunder thut!«

»Mutter! Mutter!« rief jetzt eine Kinderstimme von unten. Der Greis öffnete die Thür und fragte hinaus, was die Mutter solle. »Es ist ein Mann da,« lautete die Antwort. Der Hutmann ging hinab; es war der Gerichtsbote, der den Schichtmeister auf das Stadtgericht beschied.

»Was soll er dort?« fragte der Greis voll banger Ahnung.

»Er soll als Zeuge aussagen, ob er dem Steiger Bergner aufgetragen, für ihn einen Wechsel zu bezahlen?«

»Wie? weiter nichts? der Wechsel ist bezahlt?«

»Wie die Quittung besagt, die man beim Steiger gefunden.«

»Gut! ich will meinen Sohn gleich aus dem Schacht rufen lassen.«

»Ja, thut das! denn die Freilassung des Steigers hängt von dem Zeugniß ab. Der Herr Obereinfahrer hat sich für ihn verwandt, und der Herr Stadtrichter will ihn entlassen, wenn es mit dem Wechsel seine Richtigkeit hat.«

Der Greis ahnte den ganzen Zusammenhang; er eilte an den Göpel und schickte einen Bergmann in den Schacht nach seinem Sohn. »Sagt ihm, es gäbe eine gute Nachricht!« rief er dem Bergmann nach. Dann ließ er den Gerichtsboten in das Wohnzimmer treten und ging zu seiner Schwiegertochter zurück.

»Jetzt, Frau, trag das Erz wieder an seinen Ort und danke dem barmherzigen Gott, daß er Dein Verbrechen verhütet. Er wollte nicht den Untergang der Deinen, darum hat er auch schon die Rettung aus aller Noth geschickt. Wie dies geschehen, wirst Du später hören!«

Die Frau fiel auf ihre Kniee und umklammerte schluchzend die des Greises.

Der Schichtmeister war bald oben und ging, nachdem er vernommen, was vorgefallen war, mit tief erschütterter Seele im Geleite des Gerichtsboten nach der Stadt.

Zwei Stunden später füllte sich das Huthaus mit frohen Menschen. Im Triumph brachte Hedwig ihren Ferdinand, gefolgt von dem Schichtmeister, Ferdinands Mutter, dem Gelbgießer, dem Baron von Brunn und Brunhild. Die Letztern waren, von Scharfenstein zurückkehrend, in dem Augenblick über den Markt gefahren, wo Hedwig von Ferdinand gekommen war, und diese hatte sogleich die Schwester angerufen und ihr das Geschehene mitgetheilt. Da hatte Brunhild, die inzwischen alle Schüchternheit gegen ihren Bräutigam verloren, diesen sofort in das Geheimniß gezogen. Der edle Mann hatte sogleich seine Vermittelung angeboten und war ohne Säumen zur That geschritten. Auf seine Fürsprache wurde Ferdinand, nachdem der Schichtmeister sich zu dem Wechsel bekannt hatte, gegen Handgelöbniß entlassen.

Da mußte nun die Schichtmeisterin in dem Manne, den sie erst dem Tode und dann der Entehrung preiszugeben versucht, den Wohlthäter ihres Hauses erkennen. Eine tiefere und heilsamere Beschämung konnte ihr nicht widerfahren.

War Ferdinand nun schon noch immer der Untersuchung unterworfen, so dienten doch die Enthüllungen, welche die Schichtmeisterin ihrem Schwiegervater gemacht hatte, und die dieser dem Obereinfahrer mittheilte, dazu, die Wahrheit völlig ans Licht zu bringen. Mit Schmerz erkannte der Baron die Unwürdigkeit seines Freundes; er schüttelte den Schmarotzer ab und ließ ihm die Wahl, sich entweder über dem Meere eine neue Heimath zu suchen oder ins Gefängniß zu wandern. Der Elende wählte das Erstere. Als Brunn ihn am Bord eines Schiffes wußte, wirkte er auf Niederschlagung des Processes hin, die er auch erlangte, als der Goldschmied eines Morgens im Gefängniß erhängt gefunden wurde.

Der Obereinfahrer Freiherr von Brunn und Steiger Bergner hatten an einem Tage Hochzeit, und es zeigte sich, daß nur in der hoffärtigen Einbildung der Schichtmeisterin die Furcht begründet war, die Familie des Freiherrn werde an der Verschwägerung mit einem redlichen Bergmanne niedern Grades Anstoß nehmen. Gleich nach der Hochzeit begann der neue Betrieb des alten Schachtes; Frenzel wurde Schichtmeister und Ferdinand Obersteiger der vereinigten Vater Abraham Fundgruben. Ein stattliches Huthaus krönt jetzt mit einem Dampfgöpel und anderen Betriebsgebäuden die alte Halde, und an schönen Sommertagen kann der Wanderer auf der Hausbank eine allerliebste junge Frau sich abwechselnd der reizenden Aussicht auf das wiesenthaler Gebirge und der drei kleinen Engel erfreuen sehen, die zu ihren Füßen spielen. An Sonntagen vervollständigt das anmuthige Bild der Vater Obersteiger und nicht selten der Groß- und Urgroßvater vom untern Huthause. Auch hier ist nach jener Lection ein einfältigerer Sinn, Friede und Segen eingekehrt.


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