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4.

Zwei Jahre hielt Fritz seine Strafe wacker aus. Sein musterhaftes Betragen gewann ihm bald die Liebe der Anstaltsbeamten und ihre menschenfreundliche Behandlung, verbunden mit der innigen Theilnahme, welche Kordel fortwährend an seinem Schicksale bezeugte, hielt ihn so lange aufrecht, und am Ende des zweiten Jahres wurde er auf nachdrückliche Verwendung des Vorstandes der Strafanstalt begnadigt.

Als er, der Gewänder der Schmach entkleidet, aus dem schrecklichen Aufenthalt heraustrat und sich wieder frei in der unendlichen Behausung Gottes fand, da fiel alles Leid und alle finstere Sorge von seinem Herzen; stille bescheidene Hoffnungen hielten Einzug darin, begleiteten ihn und förderten seine Schritte nach der lieben Gebirgsheimath. Er hatte nur fünfzehn Stunden Weges bis Königswald, die gedachte er in einem Tage zurückzulegen. Er vergaß, daß er nicht mehr der frühere Bretschneiderfritz war, dem eine solche Tagereise allerdings Spaß gewesen; bevor er ein Viertel des Weges hinter sich hatte, wurde er inne, welche Verheerungen eine drittehalbjährige Haft auch in dem kräftigsten Körper anrichtet, und mit Mühe und Noth erreichte er gegen Abend das Städtchen Schwarzenberg, welches ungefähr auf der Mitte des Weges liegt. Dort suchte er in einem Gasthause ein Nachtquartier. Die Wirthin, an welche er sich deshalb wandte, machte jenes kalte Gesicht, das armen Fußwanderern gewöhnlich zu Theil wird, wenn sie in einem frequenten Gasthofe Einkehr halten; das hätte den Bretschneiderfritz jedoch wenig gekümmert, hätte die Wirthin nur nicht so schnippisch nach dem Passe gefragt. Da wurde er verlegen. Er hatte an Passes Statt nur seinen Entlassungsschein aus dem Arbeitshause – sollte er das hochmüthige Weib mit seiner Schmach bekannt machen? Lieber hätte er ein Nachtquartier im wilden Forst gesucht, als das gethan. So schüttelte er den Staub von seinen Füßen und hinkte weiter, um in dem nächsten Dorfe Grünstädtel sein Heil zu versuchen. Aber wer weiß, wie es ihm dort wieder gegangen wäre! Glücklicherweise führte ein mitleidiger Stern einen Bergmann des Weges, der den erschöpften Pilger einholte, ein Gespräch mit ihm anknüpfte und, als er seine Lage erfahren hatte, ihn freundlichst einlud, mit ihm bis Raschau (das nur eine Viertelstunde weiter war als Grünstädtel) zu gehen und es sich eine Nacht bei ihm gefallen zu lassen. Fritz hätte dem gastfreundlichen Manne um den Hals fallen mögen, und es versteht sich, daß er sein Erbieten annahm. Die Liebe Gottes giebt sich auf mancherlei Weise kund, am schönsten aber dem Gedrückten durch mitfühlende Menschenherzen. Das erfuhr unser Wanderer so recht in der Hütte des guten Bergmanns, der »froh wie Gott« sein kärglich Mahl mit ihm theilte und ihm ein Lager zurechtmachte, wie er es seit Jahren nicht genossen hatte. Wie wohl that seinem Herzen die freundliche Begegnung, die ihm von den zahlreichen Gliedern der armen Bergmannsfamilie widerfuhr! Wie belebte sie seinen Muth, sein Vertrauen zu den Menschen, seine Hoffnungen wieder! »Ach! wie ist das Leben so schön in der Freiheit unter guten Menschen!« sprach er, als er sich auf sein Lager streckte, und nach innigem Gebete schlief er flugs und fröhlich ein.

Gestärkt und im Herzen erquickt setzte er seine Reise am andern Morgen fort. Sie wurde ihm noch sauer genug, aber frohen Muthes überwand er eine bergige Strecke nach der andern, und wie die Sonne auf die Wipfel seiner heimathlichen Wälder den Scheidekuß glühete, überschritt er die letzte Anhöhe vor Königswald. Als nun die wohlbekannten Thalfluren ihm entgegenlachten, als der alte Kirchthurm und dann ein rauchender Schornstein und ein graues Schindel- oder Strohdach nach dem andern aus der Tiefe auftauchte, da erbebte sein Herz von nie empfundenem Entzücken. Das hemmte seinen wankenden Schritt – er mußte sich am Waldsaum niederlassen, und in das blühende Haidekraut gestreckt, sog er die balsamische Luft der Heimath mit durstigen Zügen. So lag er noch, als die Abendglocke dem fliehenden Tage den Scheidegruß der Königswalder Christengemeine nachrief. Da wurde ihm weh – recht weh ums Herz. Von den Feldern verloren sich die letzten Arbeiter und eilten heim an den traulichen Herd, in die Kreise der Ihrigen, wo das labende Mahl ihrer wartete und bald auch die erquickende Ruhe von des Tages Last und Hitze. Den armen Fritz erwartete Niemand, kein Mahl war ihm bereitet, und wo sollte er sein Haupt hinlegen? Jene Gedanken und diese Frage drängten sich ihm jetzt auf, und dunkle Schatten lagerten sich um seine Seele. Er erinnerte sich, woher er kam und was das in Königswalde zu bedeuten hatte. Es fiel ihm ein, wie die Königswalder es dem »Schneiderfriedel« gemacht hatten, der vor fünf Jahren vom Zuchthause heimgekommen war und den ihr moralischer Bettelstolz in Verzweiflung getrieben hatte. Zwar, Eine Seele lebte ihm in Königswald, bei der er eines freundlichen Empfanges gewiß sein konnte; aber das war ein lediges Frauenzimmer, bei dem er nicht herbergen konnte, zumal da sie ohnehin schon wegen ihres Fehltritts verachtet genug war. Doch stand ihm denn nicht die Mühle offen? Vielleicht – aber ihr kennt den Fritz wenig, wenn ihr glaubt, er habe den Müller, der ihn in Schande und Elend gestürzt, dessen Weib die arme Kordel unbarmherzig aus dem Hause gestoßen, um ein Unterkommen ansprechen können. Mit dem wollte und durfte er nichts mehr zu schaffen haben. Nun, er hatte ja Verwandte in Königswald; gleich da oben im ersten Gute, da hauste seines Vaters Bruder, ein ziemlich vermöglicher Mann; weiter unten wohnten zwei Vettern, die einen einträglichen Grenzhandel trieben und außer diesen lebten auch zwei Mutterschwestern im Dorfe, der entfernten Verwandten nicht zu gedenken. Unser Fritz hatte vor seinem Unglück mit Allen im besten Vernehmen gestanden, dessen erinnerte er sich wohl, aber auch, daß sie sich während seiner Haft nicht um ihn gekümmert hatten. Was Wunder, wenn er jetzt ins Dorf zu gehen zögerte und als er sich endlich dazu entschloß, mit Bangigkeit dem Gute seines Oheims zuwankte!

Seine Ahnung betrog ihn nicht. Der Oheim und seine Frau machten sehr verwunderte Gesichter, als sie den unerwarteten Spätgast eintreten sahen. Da gab es keine traute Umarmung, keinen warmen Händedruck, man bot ihm ein so kühles »Willkommen«, daß es ihm durchs Herz fuhr: man bot ihm einen Platz am Tisch, auf dem eine große Schüssel Kartoffelsuppe dampfte, aber mit so sichtbarem Mißbehagen, daß dem Gaste das Blut zu Häupten stieg. Er nahm Stock und Hut und verließ das ungastliche Haus seines nächsten Verwandten. Sollt' er nun sein Glück bei der Sippschaft weiter versuchen? Was blieb ihm übrig? Wer sollte ihn sonst freundlich aufnehmen, wenn es die Verwandten nicht thaten? Er nahm seinen Weg zum Vetter Konrad, der überdies sein Gevatter war. Hier wäre ihm auch wohl eine bessere Aufnahme zu Theil geworden, hätte der Gevatter Herrenrecht im Hause gehabt, das hatte aber die Frau Gevatterin und das war »eine hochmüthige Gans.« Ein Abendessen und ein Nachtlager sollte dem Fritz zwar gewährt werden, aber ihn ganz ins Haus zu nehmen – das könne er nicht verlangen, meinte das Weib, ärgerlich über ihres Mannes freundliches Benehmen gegen den »Anrüchigen«. Dieser dankte für das Anerbieten und ging weiter. Der Arme! er sollte den bittern Kelch der Erfahrung, daß Vetternfreundschaft die allerunsicherste sei, bis auf die Hefen leeren.

Die Vier, die er noch aufsuchte, nahmen ihn mit gleicher Kälte, wo nicht mit schwerverhaltenem Widerwillen auf; ein Nachtquartier wollten sie ihm zwar nicht versagen, und das wäre ihm auch vor der Hand genug gewesen, aber sie boten es ihm auf eine Weise, die sein Selbstgefühl empörte. Er dankte Allen und ging weiter – aber nicht mehr zu irgend einem Gliede seiner Freundschaft, sondern aus dem Dorfe hinaus – nach dem Gottesacker, dessen eingestürzte Mauer zu jeder Zeit den Zutritt zur stillen Wohnstatt der Todten gestattete. Im Mondschein fand er leicht die Stätte, die er suchte: das Doppelgrab seiner Eltern. Von Schmerz überwältigt sank er dort nieder und weinte und konnte lange nichts als weinen.

O ihr Geister der längst abgeschiedenen Eltern! Sahet ihr aus euren seligen Wohnungen den einzigen Sohn sich winden an eurer Gruft? Sahet ihr nicht, wie seine Thränen euren zurückgelassenen Staub tränkten? Ja, ihr sahet es und ihr tratet vor Gott und batet ihn, daß er dem armen Dulder einen Engel zum Geleite sende auf der dornenvollen Bahn unter den harten, blödrichtenden Menschen. Und Gott war auch schon zuvorgekommen, der Engel war längst da, an eurem Grabe hat er sich dem Heimkehrenden schon geoffenbart durch die sinnigen Liebeszeichen, womit er euern Staub geehrt. Als Fritz sich wieder erhob, sah er das einfache Kreuz, welches er den Eltern hatte setzen lassen, mit einem frischen Kranze geschmückt und das Blumenbeet auf dem Hügel, das er angelegt hatte, so sauber gepflegt, wie er es selber kaum gethan – er wußte gleich, wem er Beides verdanke. Er mußte sie sehen ohne Verzug – er mußte ihr danken, und das nicht allein: er bedurfte ihres freundlichen Willkommens in der Heimath, ihres warmen, theilnehmenden Händedrucks. Der Wächter verkündete bereits die zehnte Stunde, da sah es ja Niemand, wenn er in ihr Haus ging, und ehe noch Jemand im Dorfe aufstand, konnte er es ja wieder verlassen. So schlug er denn den Weg nach ihrer Behausung ein. Durch die Ladenritzen schimmerte noch Licht, als Fritz dort ankam, die fleißige Bewohnerin klöppelte noch, – mit hochschlagendem Herzen klopfte er an den Laden und rief sie beim Namen. Schnell wich der Riegel der Thür – eine warme Hand zog ihn hinein – er trat in die warme Stube – Kordel lag schluchzend an seiner Brust. Aber war das die Kordel, die er vor wenig Jahren gekannt in der schwellenden Fülle und rosigen Frische der Jugend? O nein, das war nur der Schatten ihres holden Leibes. Mit welcher Gier hatte der nimmersatte Geier des Grams an diesen lieblichen Formen gezehrt, die ein leichtsinniger Bube frech entweihte, statt sich in Ehrfurcht zu neigen vor einem Meisterwerke seines Schöpfers! Fritz vermißte indeß keinen ihrer Reize, wenn ihm auch die traurige Verheerung ihrer Gestalt schmerzlich auffiel. Er ließ sie sich ausweinen an seiner Brust, aber er wagte es nicht, seinen Arm um ihren Leib zu legen, nur ihre Hand nahm er und preßte sie an seine Lippen. Nach dieser fast lautlosen Begrüßung führte Kordel den Gast an das Bettchen ihres kleinen Fritz (so hatte sie das vaterlose Knäblein taufen lassen), auf den die ganze Fülle und Frische seiner Mutter übergegangen zu sein schien. Dann eilte sie, ein warmes Essen für den Gast zu bereiten. Wie mundeten ihm die neuen Kartoffeln mit der frischen Butter und der durch den besten Rahm veredelte Kaffee! Zumal da Kordel ihm Gesellschaft leistete. Wie war sie so heiter, so freundlich und so sanft! Ihr besseres Theil trat geläutert und verklärt vor seinen Geist. Er sagte ihr, daß sie nicht fürchten möge, er werde sie in Verlegenheit bringen. Sie möge ihm nur ein Nachtlager auf dem Heuboden gönnen, daß er ein wenig ausruhen könnte, am Morgen mit dem ersten Hahnenschrei wolle er sich ungesehen fortmachen, sich nach einer Herberge umthun und Arbeit suchen. Doch von dem Schlafen auf dem Heuboden, dem Frühaufstehen und Ungesehenfortgehen konnte keine Rede sein; sie lächelte, als er den Grund angab, und sagte, daß sie sich vor dem Gerede der Leute nicht mehr fürchte. Mehr als sie ihr wegen des Kindes angethan, könnten sie ihr nicht anthun, in jenem Falle hätten sie allenfalls noch Grund gehabt, sie zu verachten, anders jetzt, wo sie eine heilige Pflicht erfülle, und wenn man sich gleichwohl darüber aufhielte, so dürfe und werde sie sich dadurch nicht irre machen lassen. Und sie bat den Bedenklichen in so rührenden Ausdrücken und in einer Weise, die ihn glauben ließ, er erzeige ihr eine Wohlthat, daß er sich entschloß, das Hinterstübchen, welches seit dem kürzlich erfolgten Tode der Kartenschlägerin ganz leer stand, zu beziehen, bis er irgend ein passendes Unterkommen würde gefunden haben.

Ein solches zu suchen, ließ Fritz sich gleich am andern Tage angelegen sein. Er war früher ein sehr gesuchter Arbeiter gewesen; so ging er mit gutem Vertrauen aus. Aber obwohl es der Bretmühlen eine ziemliche Anzahl in dieser holz- und wasserreichen Gegend giebt, so wollte sich jetzt doch nirgends eine Stelle für ihn finden. Das machte ihn wohl etwas unmuthig, aber er verzagte darum nicht. Er verstand sich auch auf die »Zeugarbeit«, und so ging er abermals den Wässern der Umgegend nach. Aber er hatte in den Mahlmühlen eben so wenig Glück, als in den Bretmühlen; hie und da gab man ihm auf verblümte Weise zu verstehen, daß man einen Zuchthäusler nicht möge; denn Arbeitshaus oder Zuchthaus ist dem gemeinen Volke all' eins. So kehrte Fritz am Ende der zweiten Woche nach seiner Heimkunft völlig niedergeschlagen in sein Asyl zurück. Kordel gab sich die freundlichste Mühe ihn aufzurichten; sie stellte ihm vor, daß es ja nicht so dränge mit einem Unterkommen; der liebe Gott segne sie dieses Jahr reichlich mit Kartoffeln – daß sie eine Kuh, ein Stück Jungvieh und eine Ziege halte, wisse er; ihre Wirthschaft sei bezahlt und außerdem habe sie auch noch ein paar hundert Thaler aus Interessen ausstehen. So könne sie es sich nun auch etwas leichter machen, als zeither, indem sie sich von ihm in der Wirthschaft helfen ließe. Die Arbeit aber, welche die kleine Wirthschaft für einen rüstigen Mann darbot, schien dem Bretschneider doch zu geringfügig, um sich dafür füttern zu lassen. Da er in seinem erlernten Fache nirgends ein Unterkommen fand, so entschloß er sich, bei den Begüterten von Königswald Taglöhnerarbeit zu suchen. Aber hier sollte ihm das tödtliche Gift des Mißtrauens und der Verachtung tropfenweise eingeflößt und in Galle und Blut hineingetrieben werden. Man hatte für den entlassenen Sträfling nirgends Arbeit.


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