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IV.

Der Doctor stand lange brütend auf der Halde. Langsam trat er endlich den Weg nach der Stadt an. Aber er beschloß, den Jungen zu erwarten, welchen Hedwig mit dem Shawl schicken wollte. Er brauchte nicht lange zu warten; der Junge war froh, sich seines Botendienstes so leicht entledigen zu können, und ein Trinkgeld machte seine Freude vollkommen.

»Aber welche Entdeckung hab' ich machen müssen!« sagte der Doctor, als er der Schichtmeisterin den Shawl überreicht hatte und von ihr mit Dankesergießungen überschüttet worden war; »Ihre Hedwig lustwandelte tête-à-tête mit einem gemeinen Bergmann im Walde.«

» Meine Hedwig?« erwiederte die Frau; »die Sie meinen, ist doch nicht mein Kind, sonst würde sie sich sicher nicht zu einer Liaison mit einem Häuer verirren. Aber interessiren Sie sich vielleicht jetzt für das Gänseblümchen, wie Sie es vor Jahren getauft haben?«

»Das gerade nicht, ich wundere mich nur, daß die Liaison von ihnen geduldet wird. Immer ist Hedwig die rechte Tochter von Fräulein Brunhild's Vater, mithin des Barons künftige Schwägerin. Wenn nun die Frau Baronin Mutter erführe, daß ihr Sohn Gefahr liefe, der Schwager eines gemeinen Häuers zu werden, so könnte sie leicht –«

»Um Gotteswillen!« unterbrach ihn die Schichtmeisterin entsetzt; »ich bitte, lassen sie den Baron und die Frau Baronin ja nichts merken von dem, was Sie gesehen; dafür, daß aus Hedwigs Liaison nichts wird, stehe ich. Von Stund' an muß mein Mann den frechen Menschen, der sich in unsere Familie drängt, ablohnen und Hedwig jeden Verkehr mit ihm untersagen.«

»Zum Glücke Ihrer Brunhild dürfte das klug und weise sein,« bemerkte der Doctor und empfahl sich in der Hoffnung eines genußreichen Abends. Er begab sich zu dem Goldschmied Reichel, der ihn wie einen guten Kunden empfing.

»Wie steht's, Bester?« fragte der Doctor, »hat mein Alter gedeckt?«

»Ich glaube – wenn die ganze Lieferung der Probe gleicht; das muß sich erst ausweisen.«

»Wißt Ihr was? Ihr müßt mir augenblicklich noch hundert Thaler vorstrecken; ich muß morgen nach Hallbach zu meiner Erkornen und da nobel auftreten; wahrscheinlich muß ich ihren Papa nach Bad Kissingen begleiten. Wir vertauschen den alten Wechsel mit einem neuen, und – nun Ihr wißt Euch schon bezahlt zu machen.«

»Aber Ihr Vater war schon jetzt schwierig,« wendete der Goldschmied ein.

»Nur keine Umstände, mein Guter!« sagte der Doctor. »Hoffentlich ist das der letzte Schröpfkopf, den ich an den guten Alten ansetzen muß. Zieht nur die Casse auf, mein Goldmann!«

Der Goldschmied mußte den Doctor wohl unwiderstehlich finden, er zog ein Kästchen aus seinem Ladentisch und zählte die verlangte Summe in Ducaten auf.

Der Doctor strich sie ein. »Die habt Ihr aber gehörig mit Königswasser getauft,« sagte er, die Münzen prüfend, »Ihr seid doch ein unverbesserlicher Anabaptist!«

Gleichgültig, als ob er die Anspielung nicht verstehe, füllte der Goldschmied ein Wechselformular aus und legte es dem Schuldner vor. Dieser unterzeichnete. »So, wieder ein Geschäft gemacht!« sagte er, sein Gold einsteckend.

»Nun noch Eins: Vergeßt um Eurer selbst willen nicht, daß die Klausel, »nach Wechselrecht verfahren,« keine andere Bedeutung haben kann, als die eines Schreckschusses! Ihr kennt das Sprichwort vom Hehler!« Und er ging.

»Das ist der leibhaftige Satan!« murmelte der Goldschmied, ihm nachstarrend.

Diese Verhandlung zeigt, daß der unglückliche alte Steiger sich sehr irrte, indem er wähnte, seinem Sohne sei das verzweifelte Mittel, dessen übermäßige Geldbedürfnisse zu befriedigen, so verborgen geblieben, wie er es zu halten gesucht. Der entartete Sohn selbst hat den Goldschmied auf den Vater gehetzt. Nur der Ort, wo dieser das Erz aufbewahrte, war jenem unbekannt, und er hatte bisher auch nicht Ursache gehabt, danach zu forschen.

Während der Vater tief im Schoße der Erde nicht nur mit seinem schweren Tagewerk sich plagte, sondern auch von Gewissensbissen gequält wurde, verlebte der Sohn einen genußreichen Abend im Salon des reichen Handelsherrn Neuhoff. Er war ein ausgezeichneter Gesellschafter, als solcher schon früher der Baronin von Brunn, in deren Haus ihn ihr Sohn eingeführt hatte, so lieb und werth geworden, daß man an ihrem Wohnorte Hallbach lange von einem zärtlichen Verhältniß zwischen Beiden munkelte, bis es offenkundig ward, daß der junge Arzt sich Hoffnung auf die Hand der Baronesse Lydia mache. Heute entfaltete er alle seine Gaben, theils um sich in guter Gesellschaft über die am Nachmittag erlittene Niederlage erhoben zu fühlen, theils um seinen Einfluß auf die Baronin zu befestigen. Diesen Einfluß bedurfte er nicht nur für seinen Heirathsplan, der freilich mit seinem Benehmen gegen Hedwig im Widerspruch stand, sondern auch zur Förderung der Wünsche des jungen Barons und Brunhild's, wodurch er an der Schichtmeisterin eine dankbare Bundesgenossin gegen Hedwig und ihren Häuer gewann. Seine Bemühungen gelangen vollständig; er wußte die Baronin dergestalt auf die in Wahrheit vorhandenen trefflichen und zum Theil glänzenden Eigenschaften Brunhild's aufmerksam zu machen, daß am Schlusse des Abends der Baron es wagen konnte, der Mutter seine Wahl zu gestehen. Und die von der schönen, und, was ihr allerdings viel galt, eleganten jungen Dame bezauberte Gnädige beschloß den Abend mit einer stillen Verlobung, vorbehältlich der Einwilligung ihres gichtkranken Gatten, an der sie nicht zweifelte. »Ich curire ihn,« sagte der Doctor, »und im schlimmsten Falle geht das Glück des Freundes dem meinigen vor, wenn ich liquidire.«

Als er früh zwischen vier und fünf Uhr sich seiner väterlichen Behausung näherte, sah er aus der schwer zugänglichen Oeffnung eines alten Stollens eine dunkle Gestalt treten und gleichfalls auf das Haus zugehen. Er ging ihr schnell nach und stieß an der Hausthür auf seinen Vater. »Du kommst so spät aus der Stadt?« redete der Greis den Sohn an, »so lange hast Du geschwärmt? Und ich muß mich mit der sauern Nachtschicht plagen! Du solltest doch nun ein anderes Leben anfangen!«

»Du hast keine Idee von dem Leben einer Gesellschaftssphäre, zu der ich nun einmal durch Anlage und Neigung gehöre,« antwortete der Doctor. »Ich muß meine höhere Bestimmung erfüllen, und Du wirst bald Ursache haben, Dich über alle Opfer zu freuen, die Du mir gebracht. Du sollst sie an keinen Undankbaren verschwendet haben. Laß Dir sagen, daß ich heute glücklich die Verlobung zwischen dem Obereinfahrer und Schichtmeisters Brunhild zu Stande gebracht habe; und was ich über die Mutter zu Gunsten Anderer vermocht, das vermag ich auch zu meinen eigenen. Du wirst sehen, in wenig Wochen darfst Du die reiche Baronesse Lydia von Brunn als Deine Schwiegertochter begrüßen!«

»Dann werde ich wohl am längsten einen Sohn gehabt haben,« sagte der Greis, »wer seinen Vater auf der Straße nicht kennen will, wenn er nur in eines Barons Gesellschaft geht, wird ihm vollends fremd sein, wenn er der Mann einer Baronesse ist. Nun, ich wünsche Glück zu dem hohen Flug – freuen könnte ich mich nur, wenn Du mir eine Schwiegertochter brächtest, wie meine Hedwig, die Du im tollen Hochmuth von Dir gestoßen.«

»Die hat sich längst zu entschädigen gewußt,« sagte der Doctor.

»Wohl ihr,« erwiederte der Steiger, »Gott hat ihr trefflichen Ersatz gegeben. Das ist auch mein Trost bei der ganzen Geschichte, daß das Mädchen nun doch noch glücklich wird. Doch jetzt laß uns hineingehen, ich höre die Mutter Licht anschlagen.«

Sie gingen hinein.

Die letzten Worte hatten den Stachel der Eifersucht und Rache, den der Sohn im Herzen trug, tiefer hineingetrieben. Daß sein Vater aus dem alten Stollen gekommen war, leitete ihn auf die Vermuthung, daß dort die geheime Erzniederlage desselben sei, und diese Vermuthung führte sein brütendes Gehirn auf einen Gedanken, dessen Tücke er vor sich selbst mit der Ausflucht beschönigen konnte, er müsse von seinem Vater die nahe Möglichkeit der Entdeckung seines Verbrechens entfernen; denn so gut wie er konnte auch ein fremder Mensch, vielleicht gar der Bergner, den Vater einmal bei seinem nächtlichen Gange von oder zu dem Stollen beobachten, Verdacht schöpfen, untersuchen – und dann war der Vater verloren.

Wie kein Mensch so bös ist, daß er nicht nach einer Rechtfertigung seiner bösen Absichten suchte und sie auch glücklich fände, so fand der Doctor, als er am Tage wieder in die Stadt kam und da zufällig den Häuer Ferdinand Bergner aus dem Laden des Gelbgießers treten und diesen das Abschiedswort rufen hörte: »Auf Wiedersehen, mein lieber Steiger in spe,« in diesem Worte mehr als eine bloße Rechtfertigung seines schon fertigen Anschlages, er fand sich als Sohn verpflichtet, einen Menschen unschädlich zu machen, der offenbar seinem Vater nach dem Brode trachtete. Er hatte eigentlich heute abreisen wollen, aber sein tückischer Plan nöthigte ihn, noch eine Nacht in der Heimath zu verweilen. Sobald es finster war, verließ er die Stadt, nicht ohne sich vorher mit Wachszündern zu versehen, eilte nach Pobersdorf und in den alten Stollen bei der väterlichen Wohnung. Er mußte lange suchen, ehe er seine Vermuthung bestätigt fand; aber er fand sie bestätigt: in einem Haufen alten Schuttes lagen die schimmernden Stufen.

Wie das Haus des Steigers, war auch Ferdinands Wohnung ein altes Zechenhaus, das von ersterem etwa tausend Schritte entfernt stand. Daher fehlte es auch nicht an einem Stollen daselbst, der dicht hinter dem Hause mündete. Der Doctor kannte, als Ferdinands Jugendgespiele, die Oertlichkeit genau; er wußte auch, daß dieser Stollen durch eine Thür verschlossen war; aber auch dafür hatte er sich gerüstet; er kannte die einfache Schließvorrichtung solcher Grubenthüren und hatte sich mit einem Stück Draht versehen, das er hier gleich in die rechte Form brachte. Seine Absicht war, die Erzstufen in Ferdinands Stollen, die sogenannte Jakobszeche, zu schaffen, dort zu verbergen und nach einiger Zeit den Verdacht der Erzentwendung auf den verhaßten Häuer zu lenken. Sein Werkzeug zur Vollendung des verruchten Vorhabens sollte ein naher Anverwandter, ebenfalls Häuer auf dem Vater Abraham und Aspirant auf die Steigerstelle, werden. Mittels einer Leinenschürze, welche seine Mutter am Gartenzaun zum Trocknen aufgehangen, bewirkte er in drei Gängen den nicht leichten Transport. In einer Stunde war das Werk der Bosheit geschehen. Er hatte das Erz in der Jakobszeche so untergebracht, daß nur ein mit Absicht spähendes Auge es entdecken konnte. Froh über das Vollbrachte ging er heim, um noch eine Nacht unter dem väterlichen Dache zuzubringen.

Er hatte keine Ahnung, daß gerade diese Nacht, wo sein Vater die Nachtschicht aussetzte, zur Ablieferung einer Hälfte des gestohlenen Erzes bestimmt war. Um 1 Uhr nach Mitternacht stand der Steiger auf und begab sich in seinen Stollen. Wie erschrak der beklagenswerthe Mann, als das Erz nicht mehr zu finden war! Er durchsuchte alle Winkel und Schutthaufen des nicht tiefen Stollens – das Erz war verschwunden. Wie vernichtet setzte er sich auf einen Stein im Stollen; er erschöpfte sich in Muthmaßungen, wer des Erzes habhaft geworden und es fortgetragen haben könnte; eben so wenig wie sein alter Camerad, der Hutmann, war er ganz frei von Aberglauben – vielleicht war das Erz durch das Blendwerk eines Kobolds unsichtbar gemacht, vielleicht war es gar »heimgegangen« – aber es konnte wohl auch von einem Menschen entdeckt und weggeschafft worden sein; dann war das Geheimniß schon nicht mehr blos unter Zweien. Er zitterte vor Angst, aber auch vor Frost; um sich zu erwärmen und zu ermuntern, nahm er einen Schluck aus seinem Fläschchen, das er jedes Mal gefüllt mit zur Schicht zu nehmen pflegte, die er heute von der Stadt aus antreten wollte. Aber statt daß er sonst das Fläschchen nur allmälig im Verlaufe der Schicht geleert hatte, trank er es jetzt in wenig Minuten aus. Neu belebt machte er sich an eine neue Durchsuchung des Stollens. Umsonst, das Erz war und blieb weg. Wieder setzte er sich nieder und versank in qualvolles Sinnen. Endlich erklang das Häuerglöcklein. Das lud zur Schicht. Er erhob sich, sein Kopf war schwer, taumelnd verließ er den Stollen und schlug die Richtung nach dem Vater Abraham ein. Was ihm noch nie begegnet, widerfuhr ihm jetzt: er verirrte sich im Walde und kam erst später als die andern Bergleute auf die Grube. Noch immer berauscht, voll Angst und Verdruß, stieg er in den Schacht. Die gewohnte Sicherheit des Trittes hatte ihn verlassen; in der halben Teufe verfehlte er eine Sprosse und stürzte hinab zu den Füßen Ferdinands, der heute bei der Förderung beschäftigt war. Dieser fing zwar noch den Oberkörper des stürzenden Greises mit seinen Armen auf, derselbe war aber bereits im Fallen durch die Wände erheblich verletzt, so daß er stark blutete und kein Lebenszeichen von sich gab. Ferdinand befahl dem nahen Hundejungen, Wasser zu bringen, und suchte dann seinen unglücklichen Vorgesetzten zu beleben. Auf den Lärm des Jungen kamen bald mehrere Häuer von ihren Oertern und theilten Ferdinands Bemühungen. Es gelang, dem Greise einige Lebenszeichen zu entlocken; aber sie blieben sehr schwach. »Wir müssen ihn hinaufschaffen,« erklärte Ferdinand, »ich fahre schnell aus und mache die Hängematte zurecht; Einer von Euch führt sie beim Herausfördern.« Die Kameraden waren damit einverstanden. Ferdinand fuhr aus, traf Hedwig schon wach, machte sie mit dem Unglücksfall bekannt, und erhielt nicht nur die nöthigen Decken und Stricke zu der Hängematte, sondern wurde auch von ihr in deren rascher Herstellung unterstützt. Nach einer halben Stunde lag der Verunglückte auf einem Sopha in der Wohnstube des Schichtmeisters, der sogleich einen Boten nach Pobersdorf schickte, um den Doctor herbeizuholen. Inzwischen kam der Steiger zum Bewußtsein; das erste Wort aber, das er wieder vernehmen ließ, war: »Ich muß sterben, ruft mir den Hutmann, daß ich ihm beichte!«

Hedwig weckte ihren Großvater, der den Schlaf der Gerechten schlief. Sie theilte ihm schonend mit, was seinem Jugendfreunde zugestoßen war. Erschüttert stand der Greis auf und war bald am Lager des Sterbenden. Als dieser verlangte, mit ihm allein zu sein, ging der Schichtmeister mit den Uebrigen aus der Stube; und nun nahm der Unglückliche dem alten Freunde das Versprechen ab, gleich wie ein Geistlicher das Beichtgeheimniß zu ehren; dann bekannte er ihm seine Schuld und beschwor ihn, den Schichtmeister vor den Fallstricken des wucherischen Goldschmiedes zu warnen. Unmittelbar darauf verschied er. Der Doctor kam nur zur Leiche des durch ihn gemordeten Vaters. Ob er die grause Schuld wohl fühlte? Ob die Schmerzensäußerungen, denen er sich überließ, echt und von tiefem Grunde waren? Der weitere Verlauf dieser Geschichte wird es lehren.


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