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3.

Als der Gehülfe am Nachmittage den Platz besah, wo in der Nacht die stattlichen Bäume verschwunden waren, wurde es ihm gleich klar, daß dieselben nicht gut anders wohin als in die Mühle gewandert sein konnten. Sicher aber war der Müller unschuldig daran, denn wie sollte ein so bemittelter Mann Holz stehlen? Er ließ sich daher durch den Vorfall nicht abhalten, gegen Abend wieder in die Mühle zu gehen und eine Blumenlese theils verliebter, theils lustiger Lieder zum Besten zu geben. Länger aber als bis es finster geworden war, ließ er sich diesmal nicht halten, sondern er ging an seinen Posten, schwörend, daß wenn die Diebe heute kämen, sie ihren Mann finden sollten. Sie kamen aber nicht, und auch die folgende Nacht nicht, noch die dritte.

In der vierten Nacht meinte der junge Forstwart, es sei doch eine Thorheit, da umsonst und nichts im kühlen Forst die halbe Nacht hindurch zu wachen, statt mit dem nettesten Mädchen, das je an eines Waidmanns Brust gelegen, zu kosen. Er ging zwar wie gewöhnlich um neun Uhr aus der Mühle fort und hinauf in den Wald, aber als im Dorfe der Wächter die zehnte Stunde abblies, schlich er sich wieder in die Mühle, wo Kordel ihn bereits erwartete – das arme, arme Ding! –

Als am frühen Morgen der pflichtvergessene Bursche aus Kordel's Armen hinauseilte nach dem Walde, rührte ihn das Gewissen nicht, daß er ein holdes Menschenleben vergiftet hatte; dagegen wurde er von dem Anblick der drei frischen Stöcke, die neben den drei ersten entstanden waren, wie vom Donner gerührt. Jetzt mußte er aus dem Dienst, das wußte er, denn der Förster spaßte nicht, und dies und wieder dies allein war sein Gedanke und seine Sorge – was aus der armen Kordel werden würde, daran dachte er nicht im Geringsten. Aber vielleicht konnte sie ihm zur Entdeckung des Diebes behülflich sein – dieser Gedanke trieb ihn flugs in die Mühle zurück, wo, wie er wußte, Kordel noch wachte, da sie jetzt den Backofen zu heizen hatte.

Kordel saß, beleuchtet von der röthlichen Flamme, die sie eben angezündet hatte, auf den Stufen vor dem Backofen und hatte ihr Antlitz in die Schürze gehüllt, als der Verführer wieder zu ihr trat. Sie fiel ihm weinend um den Hals und dankte, daß er wiederkomme, denn ihr sei so angst und bange geworden, seit er sie verlassen. »O nicht wahr« – fuhr sie, ihm in die verführerischen Augen blickend, fort – »nicht wahr, Du verlässest mich nicht?«

»Wenn ich nur nicht muß, lieber Schatz!« erwiederte er, sie küssend. Das Mädchen fuhr erschrocken zurück und fragte, wie er das meine? Nun berichtete er ihr seine Entdeckung, theilte ihr mit, was er zu erwarten habe, und versetzte sie dadurch in die schrecklichste Angst. Gleichwohl gelang es ihm nicht sogleich, ihr das Geheimniß, um das sie wohl wußte, zu entlocken, erst nachdem er sie überredet hatte, daß das Vergehen mit einigen Wochen Gefängniß gesühnt sei, und als er mit traurigen Geberden für immer von ihr Abschied nahm, verrieth sie ihm den Ort, wo die entwendeten Fichten, in Klötze geschnitten, untergebracht waren; mehr aber konnte er nicht von ihr erfahren.

Der Müller saß mit seinen Leuten beim Frühstück, als der Förster mit einem Gerichtsschöppen erschien, um abermals Haussuchung vorzunehmen. Aber diesmal nahmen sie sich nicht die Mühe, in Ställen und Schuppen herumzukriechen, sondern sie verfügten sich stracks hinter die Bretmühle, wo sie unter dem »Fluther« nach einigem Suchen ein großes verdecktes Gewölbe und darin die gesuchten Klötze entdeckten. Der Müller schien nicht im Geringsten verlegen bei dieser Entdeckung; er fluchte auf die Diebe, die sein Haus verunehrten, und that, als ob er nicht das Mindeste um das Vergehen wüßte, was der Förster auch glaubte, da er einem solchen Manne, der noch dazu sein Gevatter war, eine solche Handlung nimmermehr zutraute.

»Ich habe dem Bretschneider schon lange nicht getraut,« erklärte er, »und kein Anderer als er und der Kadenlieb sind die Diebe.«

Am folgenden Tage wurde der Bretschneiderfritz mit dem Tagelöhner »Kadenlieb« ins Amt abgeführt. Der Müller mußte zwar auch mit, aber nach kurzem Verhör wurde er als ein angesessener Mann entlassen. Den Bretschneider und seinen Mitverdächtigen sperrte man ein. Sie bekannten ihr Vergehen gleich im ersten Verhör, ohne die Mitschuld des Müllers anzugeben.

Keiner von Beiden hatte eine Ahnung von dem Schicksale, das ihnen bevorstand. Walddiebstähle waren im Königswalder Forst keine Seltenheit, aber der höchste, der bis dahin an Königswalder Einwohnern gestraft worden war, hatte den Betheiligten nicht über drei Monate Gefängniß gebracht. Daß man wegen Waldfrevel ins Arbeitshaus kommen könne, das schien den Beiden ebenso unmöglich wie andern Königswaldern, denn welcher gemeine Mann kennt die so und so viel Paragraphen der verschiedenen Strafgesetzbücher? Wie erschraken daher die Inkulpaten, als ihnen nach halbjähriger Untersuchungshaft das Urtheil eröffnet wurde, welches über den Bretschneider drei und über den Kaden anderthalb Jahre Arbeitshaus verhängte! Der Letztere faßte sich zwar bald wieder und tröstete sich, es werde wohl auszuhalten sein, aber den Ersteren erschütterte der harte Richterspruch so tief und dauernd, daß sein Mitgefangener (seit die Akten spruchreif waren, hatte man die beiden Schuldgenossen zusammengesperrt) fortwährend befürchtete, er möchte sich »ein Leid anthun.« Und wer weiß, was geschehen wäre, hätte nicht vierzehn Tage nach der Urtheilsverkündigung der Amtswachtmeister folgenden Brief überbracht:

»Guter, lieber Fritz! Sie sind gerächt. – Ich habe den Ort, wo die Klötze lagen, verrathen. – Gott weiß, ich wollte Ihnen kein Uebel zufügen – aber die Liebe – o Gott! wie fürchterlich bin ich für meine Verblendung gestraft! – Ich bin nicht mehr in der Mühle – als die Frau erfuhr, daß es anders mit mir stehe, hat sie mich aus dem Hause gejagt. Ich rannte in der Verzweiflung nach dem Hammerteich, aber der liebe Gott hat mich verstoßen, wie mich die Menschen verstießen, er ließ mich zur rechten Zeit die schwere Sünde, die ich zu begehen im Begriff stand, erkennen. – Ich wohne nun im Hause mit der Kartenschlägerbeate zusammen. Es ist ein traurig Leben – o wenn es überstanden wäre. Ich komme nicht aus dem Hause, selbst nicht in die Kirche, denn ich schäme mich vor den Leuten, und zu mir kommt Niemand in meinem Elend; sogar meine besten Freundinnen verachten mich, besonders seit er, dem ich meine Ehre geopfert, fort ist in die weite Welt. Nicht wahr, guter Fritz, so hätten Sie nicht handeln können?

»Mein Gewissen läßt mir keine Ruhe – verzeihen Sie mir, lieber Fritz! – ich werde ruhiger werden, wenn ich Ihre Verzeihung habe. Werth bin ich Sie freilich nicht, denn ich habe mich schwer an Ihnen versündigt und weiß auch, daß ich mein Vergehen nie wieder gut machen kann. O wenn ich doch das könnte! – Denken Sie aber ja nicht, daß ich weiter etwas will, als Ihre Verzeihung – daß ich ein so freches Ding wäre, welches einen braven Menschen wie Sie nun für gut genug hielte, nachdem ein Anderer sie sitzen lassen. – Lassen Sie mir nur ein paar Zeilen zukommen, daß Sie mir nicht fluchen.

»Ich habe gehört, welch' ein hartes Urtheil Sie getroffen – der Bube, der eine vater- und mutterlose Waise ins tiefste Elend stößt, geht frei aus, und ein braver Mensch, wie Sie, wird wegen ein paar Waldbäumen so entsetzlich bestraft! Aber verlieren Sie den Muth nicht – Gott richtet anders als die Menschen, hoffen Sie auf ihn und den lieben Heiland, der uns zuruft: Kommt her zu mir, Alle, die ihr mühselig und beladen seid! – Ich schicke Ihnen hier ein Buch mit, das ich einmal einem armen Handwerksburschen abgekauft habe; es ist eine wundersame, rührende Geschichte. Ich hätte mich gern selbst aufgemacht und Ihnen das Buch überbracht, aber ich schäme mich so. – Der gute Vater im Himmel stärke und erhalte Sie! Ich werde allezeit für Sie beten.

Concordie E

Ein Thränenstrom rann über Fritzens abgehärmte Wangen beim Lesen dieses Briefes, und er konnte sich lange nicht satt daran lesen. Anfangs vermißte er das Buch gar nicht, von welchem im Briefe die Rede und das ihm doch nicht mit übergeben worden war. Er erhielt es erst zu Mittag; es war Zschokke's »Alamontade«.

»Ich hoffe, Ihr werdet kein Hartkopf sein,« sprach der Wachtmeister, als er dem Fritz das Buch darreichte, »Ihr werdet das arme Frauenzimmer nicht ohne Trost lassen. Ihr wißt gar nicht, was sie für Euch gethan hat. Die Extrakost hat sie bezahlt.«

»Sie? Nicht der Müller?« fragte Fritz erstaunt.

»Der wird sich hüten,« erwiederte der Wachtmeister, »das würde ihn ja verdächtig machen. Die Kordel hat Alles bezahlt, mich aber gebeten, Euch nichts davon zu sagen. Und sie hat noch weit mehr thun wollen; sie hat sich erboten, die Fichten nach der Taxe zu bezahlen und auch alle Kosten, wenn Ihr freigegeben würdet. Das geht nun freilich nicht an, denn Strafe muß sein.«

Fritz nahm dies Alles still auf – er war keines Wortes mächtig vor den Empfindungen, die sich in seinem Busen drängten. Der Wachtmeister nahm sein Schweigen für »Hartköpfigkeit« und verließ ihn voll Unwillen. Aber am folgenden Morgen verlangte Fritz Papier und Schreibzeug, und als er das hatte, schrieb er einen Brief, der den Wachtmeister eines Andern belehrte. Ich habe den Brief nicht zu Gesicht bekommen, sonst würde ich seinen Inhalt ebenfalls mittheilen. Aber der Kadenlieb hat erzählt, daß dem alten Wachtmeister beim Lesen des Briefes das Wasser in den Augen gestanden hätte.

Kordel's Brief und Buch waren für den gefangenen Fritz reiche Trostquellen; sein Benehmen wurde von Stund an so, daß es dem »Kadenlieb« zu seinen Befürchtungen keinen Anlaß mehr gab. Als ihm das zweite Erkenntniß, wodurch das erste bestätigt wurde, eröffnet worden war, ließ er sich ruhig und gefaßt in das Arbeitshaus abführen. Man würde sich aber sehr irren, wenn man glaubte, er hätte sich mit stoischem Gleichmuth in sein Schicksal ergeben. Zweierlei nagte an seinem Herzen und raubte ihm die Heiterkeit des Geistes und den muthigen Aufblick nach Oben, wodurch ein solches Loos erträglich wird: die Bekümmerniß um die arme, betrogene und verlassene Kordel, und der Gedanke an das Brandmal, welches seine Strafe für immer auf seinen Namen drückte. Und wie berechtigt dieser Gedanke war, das sollte er nur zu sehr erfahren.


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