Auguste Supper
Herbstlaub
Auguste Supper

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              Die zwei Kräuter

Es stieg der frühe Lenz empor,
Da fing's im Schatten an zu sprossen.
Zwei Kräuter drängten sich hervor,
Als kaum der letzte Schnee zerflossen.
Das eine liebte seinen Platz
Und packte rasch beim Schopf das Leben.
Es wußte saugend Schatz um Schatz
Dem kühlen Standort zu entheben.
Bald setzt' es Blüt um Blüte an,
Und Früchte wurden aus den Blüten,
Die köstlich für den Wandersmann
In heißen Sommertagen glühten.

Das zweite Kraut dagegen lag
Mit seinem Schicksal hart im Streite.
»Ich will hinaus, will an den Tag,
Will an die Sonne, will mehr Freude!
Mir ist die Erde hier zu kalt,
Der Schatten mir zu tief und dunkel.
Nie dringt durch den verhaßten Wald
Der Sterne fröhliches Gefunkel. 78
Könnt ich im rechten Lichte stehn,
Wie wollt ich reifste Früchte bringen!
Hier, wo mich nur die Eulen sehn,
Kann mir das Höchste nie gelingen. –
So grollt' es. Ueber all dem Klagen
Kam unvermerkt der Winter her.
Die Zeit zum Blühn und Früchtetragen
War tot und kehrte nimmermehr. 79


                    Schnitter

Zwei gehn beim ersten Frührotschein
Mit müden Schritten ins Gelände.
Sie haben beide rauhe Hände,
Als müßt's von harter Arbeit sein.

Die Sense tragen beide mit
Und schauen seitwärts nach den Aehren,
Ob sie zum Schnitte zeitig wären.
Jetzt hemmt das Weib den schweren Schritt.

»Ich bin zur Stelle! Fremdling, seht,
Die Aecker, die sich ringsum breiten,
Sind mein. Wo werdet Ihr denn schneiden,
Da Ihr doch auch zur Arbeit geht?«

»Ich?« sagt der Mann, – »noch weiß ich's nicht.
Mir reift mein Korn in allen Gauen.
Jetzt möcht' ich müßig stehn und schauen,
Wie durch den Dunst die Sonne bricht.« 80

Das Weib holt aus. »So geht zur Seit'!
Müßt andern nicht im Wege stehen!
Ich kann nicht nach der Sonne sehen
Und hab' zum Müßiggehn nicht Zeit.«

»Horcht!« spricht der Mann, »horcht, wie das klingt!
Die Lerche schmettert ihre Lieder
Aus Morgenlüften hell hernieder,
Wer weiß, ob sie auch morgen singt!«

Das Weib lacht auf. »Was schwatzt Ihr da! –
Kann ich aus Liedern Brot mir kneten?
Wollt lieber auf die Seite treten,
Sonst kommt euch meine Sense nah!«

Der Mann tritt weg. Weit übers Feld
Geht heiß der Mittag. Ferne Glocken
Zur kurzen Feierstunde locken,
Und flimmernd liegt die stille Welt.

Der Fremdling mahnt: »Nun gönnt euch Ruh!
Beim Glockenklang soll jeder rasten!«
»So, – wer füllt Scheunen dann und Kasten?«
Sagt kurz das Weib und schneidet zu. 81

Die Sonne naht dem Himmelsrand,
Und Grillen zirpen an den Wegen.
Durchs Kornfeld geht's wie Abendsegen.
Noch sinkt dem Weibe nicht die Hand.

Vom Wegrain, wo er still geträumt,
Reckt langsam sich empor der Schnitter.
»So,« ruft das Weib da hart und bitter,
»Fällt Euch jetzt ein, was Ihr versäumt?

Der Fremdling hebt die Sense sacht.
»Mein Korn ist jetzt erst reif geworden.«
Das Weib sinkt hin, und allerorten
Liegt tiefe, ruhevolle Nacht. 82

 

                Eigenes Land

Einen Acker habe ich mir gekauft
Und habe ihn »Garten Eden« getauft.
Klingt das vielleicht zu dröhnend und zu voll?
Ich weiß nicht, wie ich sonst ihn nennen soll.
Mir ist das tiefste Herz so stolz und heiß,
Seit Erde, Erde ich mein eigen weiß.
Gefürstet fühl' ich mich, im Grund verwandelt,
Seit ich für Gold mir Erdreich eingehandelt.
Wißt Ihr, wie Hohes das besagt? –

Wenn drüben im Osten der Morgen tagt,
Wenn die ersten Strahlen flammend und spitz
Dort aus dem schmalen Wolkenschlitz
Zitternd herüber zur Erde grüßen,
Dann liegt mein Land nach den Wundern der Nacht
Schauernd im Tau und streckt sich sacht
Jener goldenen Frau zu Füßen.

Und es steigt der Tag.
Der lichte Schein füllt die Lande.
Auf meinem Acker glänzen Perlenbande,
Wert, selige Stirnen zu schmücken. 83
Und Frau Sonne, die stolze, muß sich bücken,
Muß höchstselbst sich bequemen
All das Geschmeide aufzunehmen
Vom Ackerboden, der mir gehört,
Und es gen Himmel an seinen Ort zu tragen.

Hoch oben beginnen Wolken zu jagen,
Wie von jauchzender Lust betört.
Ringende Riesen werden jetzt daraus.
Dunkel und schwer
Wälzt sich's aus drohender Ferne her.
Meines Ackers stille Furchen zeigen
Wechselvoll den wilden Schattenreigen.
Wurm und Käfer zwischen meinen Schollen,
Falter, Bienen, die um meine Blüten tollen,
Alle Gräser, die aus meiner Erde sprießen,
Bangen mit mir vor den Himmelsriesen.
So sind wir Brüder, die die Ohnmacht eint.
Wir drängen stumm uns an der Mutter Schoß.

Und die Flut bricht los.
Meine Scholle öffnet sich und trinkt,
Bis der Becher ihr vom Munde sinkt.
Selig liegt sie dann und müd' und trunken,
Übersprüht von neuen Sonnenfunken. 84

Abendfrieden geht jetzt übers Land.
Dunkle Schleier, lautlos ausgespannt,
Hüllen meine Erde. Märchenstill
Harrt sie, was die Nacht wohl bringen will.
Tausend schwarze Tore gähnen weit:
Führen sie hinaus aus Raum und Zeit?
Ein Stern glänzt auf. Schaut er nicht unverwandt
Mit sel'gem Grüßen auf mein schlafend Land?
Ist's meines Ackers Stern? – Ich glaub' es gerne:
Wer eigne Erde hat, hat eigne Sterne.
Es steigt der Mond. Auf seiner stillen Bahn
Knüpft er an meine Schollen Fäden an.
Ich seh sie flimmern, zittern dort im Licht.
Still! Zerreißet sie nicht!
An diesen Fäden, von meinem Ackerland
Nach dem Himmel gespannt,
Find' ich den Weg zu meinem letzten Ziel,
Zum sel'gen Gral, der aller Zeit entsteigt.
Inbrünstig küss' ich dort die Gotteshand
Und sage: Mein Stückchen Ackerland
Hat mir den Weg herauf gezeigt.
Nur weil goldene Fäden von der Erde zum Schöpfer gehen,
Kann ich hier vor Dir stehen,
Ich, der ich in der Tiefe zu Haus.
Schicke mich nicht hinaus! 85
Es ist umsonst. Ich komme immer wieder zu Dir,
Denn alle Fäden von meinem Acker münden hier.

So geht über mein Land der Tag und die Nacht,
Wintersturm, Regen und Sommerpracht.
Hatte Eden mehr?
Ist etwa mein Acker noch zu leer?
Horcht doch und seht,
Wie der künftige Wind über künftige Birken geht!
Tag für Tag kann ich aufs Blätterrauschen
Künftiger Wipfel lauschen.
Ich seh' die Sonne auf den Rosen liegen,
Seh' künft'ge Falter sich im Lichte wiegen,
Die weißen Lilien ragen kühl und rein
Im Sternenschein.
Schmetternd klingen aus blühendem Flieder
Tausend künftige Vogellieder.
Und aus den dunkelnden Laubenhallen
Schluchzen und locken die Nachtigallen.
Hört Ihr nichts? –
Seht Ihr nichts? –
Was kümmert's mich! Nimmermehr ist für jeden
Der Garten Eden. 86


                Nachtwolken

Kommt ein Reiter auf fahlem Roß
Ueber schwarze Täler her.
Wie der schwere Gaul sich bäumt,
Wie er stürzend schlägt und schäumt!
Hui – schon ist der Sattel leer.

Klang kein Stöhnen, klang kein Schrei. –
Lautlos träumt die Sommernacht.
Ohne Klagen ging ein Held
In der Ferne aus der Welt.
Und ein Stern blinkt auf und lacht. 87

 

                Abendlied

Verstummt sind Lärm und Lieder,
Müd geht der Tag zur Ruh.
Nun, Seele, sind wir wieder
Allein, nur ich und du.

Zum Lieben und zum Hassen
Lockt dich der Tag hinaus.
Stumm kehrst du von den Gassen
Am Abend mir nach Haus.

Ein Raunen und ein Klingen
Füllt jetzt das weite All.
Ist's von der Vöglein Singen
Der letzte Widerhall?

Ist's müdes Weitertönen
Von Tages Leid und Lust,
Vom Jubeln und vom Stöhnen
Der vollen Menschenbrust?

Wie – – oder käm dies Klingen
Von außerhalb der Zeit? –
Wär's erstes, leises Schwingen
Der nahen Ewigkeit? – – 88


      Das Unerreichte

Es war einmal ein Garten
Mit einem Tor von Erz.
Ich schaute durch die Stäbe,
Wie brannte da mein Herz!
Im Sonnenleuchten sproßte
Da drinnen der Rittersporn,
Die flammende Kaiserkrone,
Die Rose mit starrem Dorn.
Es glühten die Frauenherzen,
Die Lilien fromm und weiß,
Reich blühte die Männertreue,
Der lächelnde Ehrenpreis.
Ich sah die Blüten alle
Und wußte: sie sind mein,
Sobald zur guten Stunde
Ich mutig trete ein.

Und nun, wie ist's gekommen?
Die Füße sind mir schwer.
Ich finde jenen Garten
Und jenes Tor nicht mehr. 89
Nur wenn des Suchens müde
Ich schließe Aug und Ohr,
Dann steigen alle Blüten
Lautlos vor mir empor.
Die süßen Düfte wallen,
Die schwere Pforte knarrt.
Ich wache auf und sehe,
Daß mich ein Traum genarrt. 90


              Das verlorene Lachen

Ich ging zum Schöpfer. Er wohnt entfernt
Und müd kam ich an.
    »Herr, ich habe das Lachen verlernt,
    Weißt du, wie ich's wieder lernen kann?«
Er sah mich an und schüttelte den Kopf:
»»Bist ein armer Tropf.
Was willst du auf Erden machen
Ohne Lachen?
Wie ging's denn zu, daß du es verloren?««
Ich gab zur Antwort: »Herr, ich ward geboren,
Ich wuchs, ich lernte, lebte, liebte,
Ich tat meine Pflichten, Herr, und übte
Die Bräuche alle, wie man mich's gelehrt,
Kurzum, ich bin im Guten wie im Bösen
Ein Mensch gewesen.«
Er nickte schwer.
Und die Hände legte er
Auf den Rücken, ging hin und her
Mit ganz verfinstertem Angesichte.
»»Seh schon, seh schon,
Es ist die alte Geschichte,«« 91
Murmelte er und schritt zum Thron.
Dort nahm er Platz in all der Majestät,
Die jederzeit ihm zur Verfügung steht.
Ich wagte nicht, ein weitres Wort zu sagen,
Doch er begann mich also auszufragen:
»»Hast du meine Blitze gesehen?««
    »Gewiß – sie sind aus Elektrizität geboren«.
»»Drang je mein Donner, Wicht, zu deinen Ohren?««
    »Ja selbstverständlich, Herr, der grause Schall
    Entsteht nicht anders als ein Peitschenknall«.
»»Sahst du die Blüten, die im Frühling kamen?««
    »Gewiß, gewiß, sie keimen auf aus Samen.«
»»Sahst aus der Puppe du den Schmetterling entschweben,
Sahst einen Vogel je das Köpfchen heben
Aus einem Ei? – –««
    »Aus Feuchtigkeit und Wärme wird das Leben,
    Da ist doch nichts dabei –«
»»Sahst Erz du wachsen in der Erde Schoß?««
    »Ja, Herr, der Druck da drin ist riesengroß.«
»»Sahst du die Quellen aus der Tiefe brechen,
Die Ströme schwellen von den Bergen her?««
    »Darüber lohnt sich's nicht erst lang zu sprechen,
    Jedwedes Wasser sucht den Weg zum Meer.«
»»Hörst du die Stürme brausen durch die Nächte, 92
Von was gibt dir ihr wildes Brüllen Kunde?««
    »Ihr Toben, Herr, es meldet deinem Knechte
    Die hohe zahl der Meter pro Sekunde.«
»»Hat sich in's Himmelsblau dein Blick verloren?
Sahst du der Wolken wechselvollen Zug?««
    »Das Blau, es ward aus Sauerstoff geboren,
    Von Wasserdämpfen weiß ich, Herr, genug.«
Da stieg der Herr von seinem Thron herunter
Und blickte traurig mir in's Angesicht.
»»So sahst du««, fragt er leis, »»noch nie ein Wunder?
Und heil'ge Ehrfurcht, Menschlein, kennst du nicht?
Du weißt sofort den Kniff bei jeder Sache,
Und bist dir klar, wie man das alles mache,
Vielleicht gar ahmst du nach den ganzen Plunder?
Nicht schwer zu raten ist mir jetzt, mein Lieber,
Warum dein Lachen in die Späne fiel:
Du bleibst ja hinten beim Kulissenschieber,
Und ungenützt verstreicht mein köstlich Spiel.
Vorwärts, du Tor, lern sehen, lern bewundern!
Die Freude lebt vom wunderholden Schein.
Laß tiefste Ehrfurcht erst Dein Herz ermuntern,
Dann stellt sich auch das Lachen wieder ein.««

 


 


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